Zum 90. Geburtstag von Humberto Maturana

Am 14. September 2018 wird der chilenische (Neuro-)Biologe und Philosoph Humberto Maturana 90 Jahre alt. Bereits während seines Studiums richtete er seine Aufmerksamkeit auf den Organismus und dessen Umwelt. Ihr Verhältnis zueinander führte ihn zu zentralen Fragen der Erkenntnisfähigkeit des Menschen: Was ist „Kognition“ als biologisches Phänomen? Welche Eigenschaften muss ein System besitzen, damit man es als wahrhaft lebend bezeichnen kann? Können wir klar zwischen lebenden und nicht lebenden Systemen unterscheiden? Maturanas ‚Antworten‘ enthielten genügend Zündstoff, um vertraute Sichtweisen und liebgewonnene Hypothesen zu revolutionieren. So ebnete Maturana dem radikalen Konstruktivismus als erkenntnistheoretisches Modell den Weg. Seine Arbeiten hatten großen Einfluss unter anderem auf Heinz von Foerster und Niklas Luhmann.

Aus Anlass eines früheren Geburtstags Humberto Maturanas veröffentlichte Fritz B. Simon im September 2011 in „Simons Kehrwoche“ eine sehr persönliche Würdigung: 

„Grund, ihm hier und auf diesem Wege nicht nur zu gratulieren, sondern auch, ihn und sein Werk hymnisch zu besingen. Denn ich finde, dass sein Beitrag zur Entwicklung des systemischen Denkens bahnbrechend war, und in seiner Wirkung wahrscheinlich wichtiger als der von Niklas Luhmann: Viele der (auch für die Arbeit Luhmanns in den letzten 20 Jahren seines Lebens) zentralen Konzepte und Denkfiguren stammen von Maturana.
Das bezieht sich zunächst einmal auf das Autopoiese-Modell, durch das m. E. das Verständnis von Lebensprozessen bzw. all der Prozesse, die Leben voraussetzen (psychische und soziale Prozesse), sich radikal verändert hat.
Untrennbar damit verbunden sind die daraus abgeleiteten Konzepte der operationalen Schließung, der Sturkturdeterminiertheit, der strukturellen Kopplung, der Perturbation, der Unmöglichkeit instruktiver Interaktion, der Konversation, des struturellen Driftens, des Verständnisses der Funktion von Kommunikation als Koordination von Handeln, der Sprache als Koordination der Koordination von Handeln und vieler mehr.
Ohne all diese Konzepte wären Konstruktivismus und Systemtheorie heute nicht auf dem Stand, der sie so erfolgreich macht. Auch wenn Maturana nie damit einverstanden war, wie Niklas Luhmann sein Autopoiese-Konzept verwendet, so wäre die Luhmannsche Systemtheorie heute sicher nicht so interessant, wie sie ist (und ich bin im Blick auf die Verwendung des Autopoiese-Begriffs hier ganz auf Luhmanns Seite).
Es ist höchste Zeit, dass Humberto von all seinen Epigonen (zu denen ich mich durchaus rechne) angemessen anerkannt und gewürdigt wird. Er ist einer der sprichwörtlichen Riesen, auf deren Schultern wir stehen, so dass wir – falls wir denn wirklich weiter sehen sollten als sie – dies allein ihrer Größe verdanken. (Beruhigend ist für uns alle, die wir uns da auf seinen Schultern versammeln, dass Luhmann auch da steht – und das ist ja keine schlechte Gesellschaft).“

Bei Carl-Auer erschienen:
Humberto Maturana, Bernhard Pörksen: „Vom Sein zum Tun – Die Ursprünge der Biologie des Erkennens“



Dazu noch eine Liveaufnahme von Humberto Maturana auf dem science l fiction Kongress 1996 in Heidelberg. Viel Spaß dabei!