autobahnuniversität / Viktor E. Frankl - Auf dem Weg zu einer Psychotherapie mit "menschlichem Antlitz"

Vortrag bei der Welt-Konferenz „Evolution of Psychtherapy“, Hamburg, 1994


Einführung: Jeff Zeig


Der große Arzt, Therapeut und Wissenschaftler Viktor Frankl – Erfinder von Logotherapie und Existenzanalyse – nimmt sich nicht weniger vor als die Quadratur des Kreises: In diesem höchst inspirierenden, in deutscher Sprache gehaltenen Vortrag (die Einführung hielt Jeff Zeig in Englisch), den Viktor Frankl 1994 bei der von Bernhard Trenkle organisierten Welt-Konferenz „Evolution of Psychotherapy“ in Hamburg vor tausenden Zuhörern gehalten hat, plädiert der damals fast 90-Jährige leidenschaftlich für ein an Sinn orientiertes Leben und genauso für eine an Sinn orientierte Psychotherapie. Diese Orientierung als eine „mit menschlichem Antlitz“ zu bezeichnen, hat Viktor Frankl bewusst im Anschluss an Alexander Dubcek, Leitfigur des Prager Frühlings 1968, entschieden.


Ausgehend von zweidimensionalen geometrischen Grundfiguren, dem Quadrat und dem Kreis, lädt Frankl ein, die beiden Formen von einem dritten Bezugspunkt her in Beziehung zu setzen: Bei der Betrachtung eines Zylinders, also einer dreidimensionalen Figur, ergeben sich bei Seitenansicht dieser Figur, oder bei direkter Draufsicht, Quadrat (bzw. Rechteck) und Kreis – als dann in nur zwei Dimensionen erscheinende Formen.


Entgegen dem an Wahrheitswerten (Wahrheit oder Falschheit von Aussagen) orientierten formallogischen Diktum „Ein drittes gibt es nicht“/ „tertium non datur“ sieht Frankl die Lösung von Widersprüchen nicht in diesem Verbot, sondern in der Einführung eines Dritten: tertium datur!


Sigmund Freud hatte im Lustprinzip die alle anderen dominierende Motivation gesehen. Für Alfred Adler dominierten Geltungsstreben und Streben nach Überlegenheit alle anderen. Für Frankl sind beides bereits neurotische Derivate des eigentlich Menschlichen, des Humanum oder sogar „Humanissimum“ schlechthin. Letzteres sieht er in der ihr eigenen Selbsttranszendenz, der Selbstüberschreitung der menschlichen Existenz bzw. des menschlichen Daseins. Menschliche Existenz weist immer über sich selbst hinaus auf etwas anderes oder jemanden anderen. Als diese besondere Form von Existenz kann sie überhaupt nur sein, wenn sie von Sinn her und auf Sinn hin betrachtet wird. Menschliche Existenz unterscheidet sich damit von allen anderen Existenz-Formen.


Freiheit ist nur eine Seite davon, die andere ist Verantwortung. Und nur bezogen auf Verantwortung macht Freiheit irgendeinen echten Sinn.


Viktor Frankl überlebte die Konzentrationslager Theresienstadt und Auschwitz. Für viele war und ist er das aufrichtige Vorbild und Beispiel nicht nur einfach für Versöhnung, sondern für den Gewinn eines Sinns aus dem Schrecklichsten, dann nämlich, wenn dieses auf Sinngestaltung in der Zukunft hin ausgerichtet wird. Und das, ohne es in einen kruden instrumentellen Zusammenhang zu mogeln, der dem Schrecklichen irgendeine Art Legitimation zuspräche. Sinn ist nicht instrumentell.


Vor dem Hintergrund des Gedenkens an 75 Jahre Befreiung der Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz und Birkenau ist dieser Vortrag von beeindruckender, fast erschreckender Aktualität. Und er wird es darüber hinaus bleiben.



Folgen Sie der autobahnuniversität auf Apple PodcastsSpotifySoundCloud oder Stitcher und verpassen Sie keine Folge mehr.