autobahnuniversität / Niklas Luhmann & Wolfgang Welsch - Systemtheorie – ein postmodernes Paradigma?

Systemtheorie – ein postmodernes Paradigma?


Ein Gesprächs-Symposium mit Niklas Luhmann und Wolfgang Welsch


Im Rahmen des Kongresses "Das Ende der großen Entwürfe und das Blühen systemischer Praxis" von 04.04.1991 bis 07.04.1991.


Die Theoriefigur „Postmoderne“ galt lange Zeit als die Antwort auf die ungelösten Fragen, die die Moderne mit ihrer funktionalen Ausdifferenzierung von Systemen wie Ökonomie, Politik, Recht, Wissenschaft, Religion hinterlassen hatte. Einer der bedeutendsten und einflussreichsten Konzepter dessen, was Postmoderne heißen und was sie leisten könne, war und ist der Philosoph und Ästhetiker Wolfgang Welsch. Dieser Theoriefigur gegenüber (oder zur Seite?) steht der große Entwurf in der Figur einer soziologischen Systemtheorie, wie sie Niklas Luhmann bis ins Detail ausformuliert und zur Anwendung und Diskussion gebracht hat. Beide Entwürfe hatten auch Folgen für psychotherapeutische, beraterische und auch für politische Praxis, und sie beeinflussen bis heute die dort geführten Diskurse – neuerdings sogar wieder vermehrt, was durchaus zu begrüßen ist. Die großen und in ihrer Bedeutung gar nicht zu überschätzenden Heidelberger Konstruktivismus-Kongresse der achtziger und neunziger Jahre des 20. Jahrhunderts brachten viele der einflussreichsten Köpfe zusammen und machten so Kommunikation möglich, von der eher unwahrscheinlich war, dass sie sich von sich aus ergeben hätte. Dies ist ja auch heute eine Leitidee der Carl-Auer Akademie.


In der vorliegenden, technisch sehr guten Aufnahme diskutieren Niklas Luhmann und Wolfgang Welsch zur Frage, welche Sicherheiten Beschreibungen aus Postmoderne-Theorie und Systemtheorie bieten können, wo sie beide gegenüber den überkommenen, großen Meta-Erzählungen doch so skeptisch sind. Eine Diskontinuität von Moderne und Postmoderne anzunehmen betrachtet Luhmann als nicht sinnvoll. Vielmehr gehe es darum, Folgeprobleme der Moderne in der aktuellen „Risiko-Gesellschaft“ behandelbar zu machen, um Formulierungen zu ermöglichen, die menschliche Hoffnungen dennoch adäquat auszudrücken vermögen. In einem Begriff: „Noch-nicht-Semantik“. Hierfür leisteten systemtheoretische Herangehensweisen beste Dienste. Die „gute Form des Zusammenlebens“, so dazu Welsch, sei aber eben nicht mehr als Metaerzählung zu leisten, nicht einmal in der Form ihrer auf zukünftige Hoffnungen gerichteten Genese. Daraus folge nicht, dass es keine Verbindlichkeit gebe, diese sei aber unvermeidbar an Wahlakte gebunden. Auch die Systemtheorie schleppe allerdings „alte europäische Ansprüche“ mit sich, indem sie davon ausgehe, die Genese jeder noch so differenten System-Umwelt-Unterscheidungen formal mit einer einheitlichen Methode beschreiben zu können, was aus postmoderner Sicht nicht einlösbar erscheint.


Die zeitgleichen Entwürfe von Intellektuellen wie beispielsweise Jürgen Habermas und Jean-Francois Lyotard werden in dem hier dokumentierten Seminar berücksichtigt und diskutiert. Eineinviertel Stunden Denk- und Hörgenuss vom Feinsten – und dabei in vielem so aktuell, als habe das Gespräch gestern erst stattgefunden.