Konflikte – Wenn Systeme sich bilden …

Probleme funktionieren als Ursachen für Problemlösungen.
Problemlösungen wirken systemdifferenzierend.
Zeig mir die FORM, mit der du das Problem beschreibst, und ich zeige dir, wie sich System ausdifferenziert.


Begriffe sind nicht einfach nur Wörter, mit denen wir uns verständigen.
Wir erschaffen/emulieren mit ihnen unsere Wirklichkeiten. Indem wir unseren Begriffen auf den Grund gehen, gehen wir uns selbst auf den Grund.
Indem wir sie für uns klären und uns zeigen, wie sie für uns funktionieren, zeigen wir uns auch Wege, wie wir mit ihnen umgehen können.
Begriffen auf den Grund zu gehen bedeutet, dass wir uns fragen, wie sie für uns funktionieren und in welchen Verbindungen sie für uns wie funktionieren.


Leben und Konflikte sind untrennbar miteinander verbunden.
Ich brauche Leben, damit es sich für den Konflikt interessiert.
Steine können mit Konflikten nichts anfangen.


Um Konflikte nutzen zu können, braucht es Zusammenhaltsbestreben, Synergiebestreben.
Um Synergie zustande zu bringen, benötige ich Differenzierungs- und Unterscheidungsfähigkeit.


Doch funktionieren Differenzieren und Unterscheiden für uns tatsächlich bereits als Konflikt?
Braucht es, um den grünen Apfel auszuwählen, einen Konfliktbegriff? Oder gehört da nicht noch mehr dazu, damit wir das „Konflikt“ nennen möchten?


Schauen wir uns dazu die logische Form des Entweder/Oder an, die Kontravalenz:



Bei dieser FORM, die ich im Artikel über Symmetrische Konflikte im Zusammenhang mit den Auseinandersetzungen auf und der Struktur von Facebook untersucht habe, fordern mindestens zwei gleiche Operationen dazu auf, Unterschiedliches zu markieren.


Die eine FORM markiert A, die andere B.
Der Eine sagt: „Schau mich an, nicht Dich“ - A -, der Andere: „Nein, schau mich, nicht Dich an“ - B.
Egal, wie Viele hieran beteiligt sind, wir haben stets das Problem, dass zwei oder mehr Kräfte den gleichen Punkt besetzen, den gleichen Fleck markieren wollen.
Sie knallen aufeinander an einem Ort, wo in dieser FORM nur einer stehen kann, das treibt sie auseinander und führt, so nichts anderes dazu kommt, in Systemfragmentierung und Konflikteskalation.


Unterschiede bauen nicht zwangsläufig auf kontravalenten Operationen auf. Sie sind auch nicht zwangsläufig zweiseitig.


Kontravalente Operationen schließen sich wechselseitig aus. Ihre (Selbst)Rhythmisierungen bilden keine kreativen Verlaufsinseln. Versuchen wir, beide Seiten der Kontravalenz zu greifen, erhalten wir nichts: Wir greifen ins Leere.


Beispiele:


Der Konflikt zwischen Israel und Palästina, wenn sich Tiere um Wasserplätze streiten, wenn zwei oder mehr Männchen im Wolfsrudel um die Leitposition kämpfen, wenn zwei oder mehr Parteien versuchen so Recht zu haben, wo nur einer Recht haben kann, bzw. das so empfunden wird – dann haben wir Konflikt.


Konflikte werden erst verstanden, wenn Kooperation zustande gebracht wurde. Umgekehrt wird der Begriff der Kooperation erst als kognitives Konzept in Kontrast zu Konflikt relevant.


Wenn ich nur was zerbombe, entsteht daraus kein gesellschaftlicher Zusammenhang.
Wenn ich einen Stein zerschlage, entsteht daraus keine Lebensform.
Gegenbewegungen brauchen ein kreatives Moment/Element, das die FORM verändert – ohne das fragmentiert sich das System nur bis zur Selbstzerstörung.
Die Vereinten Nationen sind aus dieser Erkenntnis heraus entstanden. Sie haben sich nicht im Symmetrischen Konflikt gebildet, sondern über ihn hinaus.


Die einfachste Art, „System“ zu sagen und zu begreifen, besteht darin, es in Relationen zu denken und als etwas, das aus Zusammenwirken emergiert.


Wenn wir versuchen, eine Phalanx aus Schild- und Speerträgern zu bilden wie das die alten Griechen getan haben, und wir geben keinen Hinweis darauf, wie die Phalanx zustande gebracht wird, werden wir sehen, dass es zunächst zu Symmetrischen Konflikten kommt: Mehrere werden versuchen, gleiche Positionen einzunehmen. Sie müssen sich koordinieren, und während dessen konfligieren ihre Handlungen.


Auch wenn ich eine lose Gruppe von fünfzehn Personen zu einer Tür führe und sie dazu auffordere, durch die Tür zu gehen, wird sich diese Gruppe organisieren müssen, um eine Linie zu bilden und schlussendlich konfliktfrei durch die Tür zu kommen.


An Supermarktkassen können wir sehen, wie Menschen miteinander im Bemühen konfligieren, die nächst freie Kasse zu erreichen, und wie sie im operationalen Konflikttanz miteinander damit umgehen, dass ihre Bewegungen sie in die unmögliche Situation bringen, auf den selben einen Platz zu kommen, auf den noch mindestens ein anderer will.


Logisch betrachtet, brauche ich Adjunktionen (Einschließliches Oder), um Kontravalenzen zustande zu bringen. Bei Logik handelt es nicht um etwas von uns Getrenntes, sondern sie wurde entwickelt, um menschliches Denken, Bewegen und Handeln abzubilden. Wir erweitern sie um Unbestimmte und Imagination, um menschliches Kognizieren und Kommunizieren adäquat rekonstruieren zu können und die sich bildenden FORMen auf Funktionalität hin zu untersuchen.



Beim Einschließlichen Oder ist die Möglichkeit enthalten, dass die Operationen sich nicht gegenseitig ausschließen müssen.


Ohne Kontravalenz kann ich keine Unterschiede formen. Nur durch sie kann ich Phänomene örtlich und inhaltlich voneinander trennen. Bewusstsein muss kontravalente Operationen zulassen. Denn wenn ich Tasse und Tisch visibel zu halten versuche, muss ich wissen, wie ich sie unterscheiden kann. Nur so kann ich sie wieder verbinden.


Unterscheiden trennt nicht einfach nur, es verbindet auch. Indem ich zwei Menschen unterschiedlicher Hautfarbe voneinander trenne, stelle ich eine Verbindung zwischen ihnen über Hautfarbe her.


Konflikt → kontravalente Operationen
Kooperation → adjunktive Operationen


Ohne die Kraft zusammenzuhalten, nützt alle Differenzierung nichts.
Ohne differenzieren zu können, kann ich nichts zusammen halten.


Viele Konfliktforscher betrachten Konflikt als unvereinbare Perspektiven, Ansichten, Konzepte oder Meinungen. Doch dabei handelt es sich noch nicht zwangsläufig um Konflikte, die auch auf operativer Ebene ausgetragen werden. Die Operationen könnten adjunktiv ablaufen oder die Kontravalenz stört nicht weiter.


Konflikt→ kontravalente Perspektiven


Marxismus/Kapitalismus reicht als Differenz nicht aus, um das zu ergeben, was wir als Konflikt beobachten und kommunizieren. Erst, wenn es eben zu sich wechselseitig ausschließenden Handlungen, Operationen, Vorgehensweisen, kommt, zu Streit, Symmetrischen Konflikten, zu Kampf und Krieg, zu innerer Zerrissenheit, Entscheidungsproblemen – erst wenn davon etwas gegeben ist, nenne ich es „Konflikt“.


Haben wir schon einen Konflikt, wenn zwei Personen durch eine Tür wollen?
Reicht das für einen Konflikt auf operationaler Ebene, oder müssen sie dafür nicht noch etwas tun?


Erst wenn die Beteiligten versuchen einander die Bestimmung abzunehmen, kommt es zum Konflikt.


Ich würde noch nicht über Konflikt nachdenken, wenn Professor A eine andere Ansicht vertritt als Professor B. Aber wenn ich abends in eine Bar gehe und dort Menschen sehe, die mit der Absicht kommen sich zu betrinken und Streit anzufangen, sieht die Sache schon ganz anders aus.


Die meisten Probleme, die zu Konfliktverhärtung führen, transportieren etwas mit, das in die Meinungsauseinandersetzung, den Perspektivstreit, die Modelldiskussion noch nicht Eingang gefunden hat.


Konflikt → kontravalente Orientierungen


Kulturelle Konflikte, die Konflikte im Nahen Osten, die Steits um Coronamaßnahmen – hier geht es nicht nur um unterschiedliche Ansichten, Perspektiven oder Modelle. Hier geht es darum, dass nur eine der Operationen erfolgreich sein kann und dass alle beteiligten Operationen genau das versuchen. Er will zuhause bleiben, sie will essen gehen. Beides zusammen geht nicht, und keiner der Beteiligten ist dazu bereit, den Vorschlag des Anderen zu übernehmen. Israel und Palästina streiten so um Wasser.


Schraube ich den Nahost-Konflikt auf Ansichten runter, trivialisiere ich das Phänomen nicht nur, ich könnte auch denken, ich müsste nur unterschiedliche Perspektiven miteinander vereinbaren.


Das funktioniert allerdings häufig als Grundlage für Konfliktmediation nicht, oder es funktioniert nur kurzfristig. Wer glaubt, wir müssten nur versuchen, die Ansichten von Verschwörungstheoretikern zu integrieren, und der Konflikt verschwindet, übersieht, dass sich die Ansichten von Verschwörungstheoretikern und Menschen, die daran nicht glauben, gegenseitig ausschließen. Die kontravalente FORM lässt keine Einigung zu. Die Operationen hinter dem Konflikt, bzw. die den Konflikt ausmachen, würden bei dem Versuch eskalieren, weil sie nicht berücksichtigt wurden.


Bei Konflikten geht es darum, ein anderes System zu werden. Hier soll nicht nur wechselseitig integriert und über einander bestimmt werden, auch das Konfliktsystem selbst versucht ein anderes zu werden. Zwei versuchen gleichzeitig durch eine Tür zu gehen. Der Eine versucht, an die Ressourcen des Anderen heranzukommen … Reicht es, das zu versuchen? Nein: Das Bruttosozialprodukt von Deutschland nützt Frankreich gar nichts, wenn es nicht auch gleich noch auf die Produktivität von Deutschland zugreifen kann. Deshalb hat Frankreich im Versuch, ein anderes System zu werden, nach dem Ersten Weltkrieg Teile des deutschen Rheinlands und das damalige Herz der deutschen Schwerindustrie, Ruhrgebiet und Kohlenpott, übernommen. Allerdings ist dann doch, wie wir heute wissen, das System ein ganz anderes geworden, als der französische Versuch intendierte.



Konflikt → Versuch, ein anderes System zu werden/integrieren/bestimmen


In jeder Identitätsfindung des Systems habe ich Konfliktbildung mit drin. Systeme, die mit sich selbst identisch sind, wären nicht überlebensfähig. Sie würden sich immer weiter verengen. Das ist einer der Gründe, warum nationalistische und isolationistische Bestrebungen in pluralistischen Gesellschaften in Kriegen münden.


Menschen, die sich mit ihrer Meinung identifizieren und befürchten, diese Meinung – und damit sich selbst – in der Auseinandersetzung zu verlieren, neigen zu Symmetrischen Konflikten. Erst, wenn sie lernen/erfahren/wissen, dass sie anders können und dabei über sich hinaus gelangen, ohne sich zu verlieren, ermöglichen sie kreative Konflikte.


Um das tun zu können, brauchen sie unter anderem Konzeptklarheit und Vertrauen in die Kraft kreativer Konflikte.


Konflikt → Relation/Differenz von Identität und System(en)


Wir haben hier die Möglichkeit, über den Begriff Distanz zum Phänomen zu schaffen:


Indem wir über ihn nachdenken, können wir besser begreifen, was wir tun, wenn wir Konflikt operieren – damit ergeben sich augenblicklich Chancen, sich vom Konflikt innerlich zu trennen, Abstand zu gewinnen und darüber nachzudenken, wie ich aus dem Entweder/Oder der Kontravalenz das Einschließliche Oder der Adjunktion FORMen kann – und wie ich dort, wo mir das nicht möglich ist, zum Thema machen kann, wie (dieser) Konflikt funktioniert.


Mediation, die die Funktionsweise der FORM nicht berücksichtigt, beraubt sich der Möglichkeit Konflikte an ihrer Basis zu erkennen und zu bearbeiten.