Mediation
engl. mediation, franz. médiation f, von lat. mediatio = »Vermittlung«. Eine Bedeutung des Begriffs ist seit Jahrhunderten theologisch, philosophisch, politisch, rechtlich (zuerst natur- und völkerrechtlich) nachweisbar: Mediation ist Vermittlung durch Dritte bei sozialen Konflikten und Sachproblemen (Problem) (Duss-von Werdt 2005). Wie sie aus Europa in die USA kam, ist nicht erforscht. Seit ca. 50 Jahren wirkt sie von dort zurück. Zwar gibt es für systemische Mediation Konzepte, Lehrgänge, Institutionen (z. B. eine »Deutsche Gesellschaft für Mediation«). Da jedoch ein einheitlicher Begriff des Systemischen (System) und der Mediation fehlen, sind die mit diesem Titel bezeichneten Modelle unterschiedlich.
Der Autor trägt die Brille des systemischen Konstruktivismus (Duss-von Werdt 2008), mit der er soziale Zusammenhänge, so auch Mediation, als intersubjektive Konstruktion wahrnimmt, konzeptuell bearbeitet und praktiziert. Mindestens drei oder mehr kommunizierend an der Konstruktion beteiligte Personen bilden ein Mediationssystem. Sie bringen ein einmalig-konkretes (autonomes; Autonomie) Kommunikationssystem hervor, das sie entwickeln und wieder auflösen. Sie interagieren (Interaktion) auch im Verlauf dieses Prozesses von Mal zu Mal unvorhersehbar anders, sind verbunden und getrennt durch Unterschiede, mit denen sie nicht zurechtkommen. Sie wollen jedoch einander zuhören und miteinander reden, um sich zu verstehen (Verstehen) und sich darauf zu verständigen, wie sie künftig miteinander umgehen (Duss-von Werdt 2008, S. 48–85). Ihr autonomes System »ereignet« sich also im zirkulären Wechsel innerhalb eines selbst organisierten (Selbstorganisation) Kommunikationszusammenhangs (Simon 2006, S. 88). Der Dritte achtet darauf, dass erreicht wird, was als Ziel vereinbart wurde. In einer Mediation kommunizieren zwei komplementäre Subsysteme miteinander und untereinander: Eines vermittelt, das andere verhandelt. Mediation lässt sich somit kurz als vermitteltes Verhandeln bei Beziehungskonflikten und Sachproblemen definieren.
Mediatrix und Mediator vermitteln Verhandlungen darüber, ob vermittelt wird oder nicht; wenn ja: mit welchem Ziel was, wann, wo, wie und mit wem verhandelt wird.
Die Konfliktpartner verhandeln darüber, ob vermittelt werden soll und, wenn ja, von wem; wenn nein, welche Alternativen zur Mediation infrage kommen.
Alle Beteiligten haben »Sitz und Stimme«, wie es einem demokratischen Dialog entspricht. Die Ergebnisse sind für alle verbindlich, was allerdings nur durch Vertrauen möglich ist.
Diese Sicht leitet die Praxis. Mediatrix und Mediator sind im System involviert (Kybernetik 2. Ordnung), welches sie nicht einseitig lenken und kontrollieren können. Auch ihr Tun und Lassen wird von den anderen beeinflusst. Dass man »nicht nicht« zirkulär bezogen sein kann, nimmt zwischen Menschen verschiedenste Formen an: Konkurrenz, Streit, Krieg, Frieden ... Mediation lebt von Partizipation und Kooperation.
Jeder Beteiligte hat seine Ziele und Sichtweisen, die vom Mediator erkenntnistheoretisch als ihr individuelles (Individuum) Konstrukt gesehen und genutzt werden: Da sagt etwa A zu B: »Es ist objektiv so. Basta! Es gibt nur eine Lösung.« (Lösung) Dazu der Mediator: »Für Sie stimmt das, sonst wären Sie nicht hier.« A meint ja, was er sage, gelte auch für andere, doch diese widersetzen sich seinem Machtanspruch. Den relativiert der Mediator mit dem Hinweis, sie seien hier, weil sie mit den Unterschieden von Wirklichkeitsdefinitionen, Zielen und anderem nicht zurechtkämen. Wenn A sagt, es gebe nur (s)eine Lösung, kann der Vermittler denn auch gelassen fragen: »Und wie könnte eine andere aussehen?«
Ein Mediator vermittelt auf der Beziehungsebene und nicht inhaltlich. Er regt die Beteiligten an, neue Möglichkeiten im Umgang mit dem individuellen und sachlichen Dissens zu erkunden, um sich darauf zu verständigen, aus dem Reichtum verschiedener Standpunkte und Ideen eine gemeinsame Realität zu schaffen, welche zu einem Konsens beiträgt oder werden kann. Dieser Konsens löst was? Mediation einfach mit der Lösung von Beziehungskonflikten gleichzusetzen ist zu voreilig. Lösungen haben sich ebenso an Sachproblemen zu orientieren. Würde z. B. eine Scheidung/Trennung den Paarkonflikt lösen, wäre dann nicht die Beendigung der Beziehung u. U. hinfällig? Konflikte gehören zum Alltag, für den Umgang damit fehlen aber häufig konstruktive Normen. Mediation kann auch für die Zukunft eine davon werden.
Eine Mediation hat immer einen Kontext, welcher zu ihrer systeimischen Konzeptualisierung und Praxis gehört. Er ist selbstredend bei Paaren, Familien, Erbschaften ein anderer als bei Großmediationen in Bereichen der Umwelt, Gesellschaftspolitik, Arbeitswelt, Waffenstillstands- und Friedensverhandlungen, wo intersystemische Verknüpfungen und Abläufe sowie die Probleme der Teilnahme und Vertretung die innere Systemdynamik äußerst komplex (Komplexität) machen.
»Die« Methode Mediation gibt es nicht; Versuche, Mediation zu monopolisieren, wohl. Gemeinsam ist vielen Praxiskonzepten, dass sie Anweisungen zur persönlichen Haltung der Teilnehmer zueinander und zum Ablauf in mehreren Zeitabschnitten (Mediationsvereinbarung, Themensammlung, Interessenklärung, Lösungsoptionen, Verhandlungen der Lösungen, abschließende Vereinbarung) abwandeln (Fisher, Ury u. Patton 2000). Dabei wird zunehmend auf Methoden zurückgegriffen, wie sie die Systemtherapie (Therapie) kennt: systemische Aufstellungen, Feedback, Fragen, paradoxe Interventionen, Umdeutung, zirkuläres Fragen (Zirkuläres Fragen) usf. Das liegt nahe, weil hierzulande zuerst die Familienmediation aufkam. Später kamen – und es kommen immer noch – weitere Bereiche dazu (Haft u. von Schlieffen 2009). Wo finden sich konflikt- und problemfreie Zonen auf dieser Welt? Vermittler hätten alle Hände voll zu tun in Betrieben und Organisationen, bei der »systemischen« Finanzkrise, nach Krawallen auf der Straße, in Politik und Wirtschaft, in Familien, Schulen, Kirchen und Parlamenten, im Krieg aller gegen alle (Thomas Hobbes). Man findet sie nur dort, wo Bereitschaft besteht, miteinander zu reden. Schließlich muss zur Kenntnis genommen werden, dass die sich systemisch verstehenden Angebote zunehmen, aber die »Anstrengung des Begriffs« (Hegel) bezüglich »System« und »Mediation« nachlässt.
Verwendete Literatur
Duss-von Werdt, Joseph (2009a): Mediation – »Wer sind sie?« Zeitschrift für systemische Therapie und Beratung 27: 189–205.
Haft, Fritjof u. Katharina von Schlieffen (Hrsg.) (2009): Handbuch Mediation. München (Beck).
Weiterführende Literatur
Diez, Hannelore (2005): Werkstattbuch Mediation. Köln (Centrale für Mediation).
Institut für Mediation, Streitschlichtung u. Konfliktmanagement e. V. (2005): »Ein Fall für Drei. Szenen einer Scheidungsmediation – ein Lehrfilm«. DVD mit Maria Marshall. Poing bei München (IMS).
Institut für Mediation, Streitschlichtung u. Konfliktmanagement e. V. (2010): »Die Erbschaft. Ein Fall für vier – ein Lehrfilm«. DVD mit Marie Marshall. Poing bei München (IMS).