Familiengedächtnis und transgenerationale Loyalitäten in Unternehmerfamilien

Familien ohne Unternehmen haben in der Regel ein Familiengedächtnis, das bis zu drei Generationen in die Vergangenheit zurückreicht. Das bedeutet, dass Menschen sich zumeist noch gut an ihre Großeltern erinnern. Auch die Urgroßeltern könnten im Gedächtnis präsent sein. Aber viel weiter zurück reichen das persönliche und das familiäre Gedächtnis zumeist nicht. Bei Familien mit Unternehmen, die älter als drei oder vier Generationen sind, ist das anders. Denn diese Familien etablieren mit der Gründung eines Unternehmens, das von Generation zu Generation weitergegeben wird, zumeist das Zählen von Generationen. Der Startpunkt des entsprechenden Familiengedächtnisses wird dann verbunden mit der Unternehmensgründung. So werden in Unternehmerfamilien auch noch nach fünf und mehr Generationen die Geschichten der Unternehmensgründung erzählt. Die besonderen Eigenschaften der Gründergeneration werden in diesen Stories von den jeweiligen Eltern an deren Kinder weitergetragen. Das stärkt in der Regel den Familienzusammenhalt, schafft eine gemeinsame Familienidentität und führt dazu, dass die Zugehörigkeit zur Unternehmerfamilie als besonderes Privileg empfunden wird.


Dieses weit zurück reichende Familiengedächtnis innerhalb von alten Unternehmerfamilien führt zu Verpflichtungsgefühlen, zu familiären Loyalitäten, die die Mitglieder dieser Familien empfinden. Dieses Empfinden bezieht sich zum einen auf die vergangenen Generationen, von denen sie das Unternehmen als Eigentumsanteile erhalten haben und zum anderen auf die nachfolgenden Generationen, an welche sie die Eigentumsanteile weitergeben. Daher sind Mitglieder in Unternehmerfamilien weitaus stärker in die Generationskette ihrer Familien eingebunden als Mitlieder aus Familien ohne Unternehmen.


Neben den förderlichen Aspekten, welche diese Einbindung auszeichnen, den möglichen Gefühlen von familiärer Geborgenheit, bedeutet dies aber auch, dass die eigenständige Persönlichkeitsentwicklung eingeschränkt sein kann oder größerer Anstrengungen bedarf. Speziell in Nachfolgeprozessen, also wenn die eine Generation das Eigentum und die Unternehmensverantwortung von der Vorgeneration übernimmt, zeigen sich oft Loyalitätskonflikte. Die ältere Generation muss dann lernen und üben loszulassen. Und die junge Generation steht vor der Aufgabe, einerseits das, was von der alten Generation kommt, anzunehmen, zu würdigen sowie zu achten und andererseits sich von dem abzugrenzen, was sie als Generation von der Vorgeneration nicht übernehmen möchte, etwa alte Konflikte oder ungelöste Probleme, für die die alte Generation die Verantwortung trägt.


Gelingt diese Differenzierung im Nachfolgeprozess, also einerseits die loyale Verbindung in den stärkenden, stützenden und konstruktiven Aspekten sowie andererseits die Ablehnung der problematischen und destruktiven Aspekte der Vergangenheit, zeigen Unternehmerfamilien besonders positive Formen des sozialen Zusammenhalts. Dieser Familienzusammenhalt unterscheidet diese Familien von Familien ohne Unternehmen und ist Ausdruck des langen Familiengedächtnisses und der damit einhergehenden engen Loyalitätsbeziehungen.