Erste Hilfe für Paare, die gemeinsam in Quarantäne leben

Der Alltag ist seit einigen Wochen unterbrochen, mit dem Ergebnis, dass viele Paare keine automatischen Pausen mehr voneinander bekommen. Ganz im Gegenteil: Lebst du mit deinem Partner oder deiner Partnerin zusammen, dann seht ihr euch während dieser COVID-19 Krise wahrscheinlich gefühlt ununterbrochen. Das kann leicht zu Konflikten führen, was verständlich und auch normal ist. Wir befinden uns in einer Ausnahmesituation, erleben die unterschiedlichsten Gefühle im Laufe eines Tages und haben alle mehr oder weniger Stress durch das Unvorhersehbare, was die Krise mit sich mitbringt.


Und das sollte man nicht unterschätzen: Unvorhersehbarkeit ist einer der größten Stressfaktoren für Menschen. Auf der Liste der Top-Stressoren steht die Unsicherheit neben Todesfall und Scheidung. Und wenn wir so unter Druck stehen, kann derjenige, der uns besonders nah steht, leider davon einiges abbekommen. Also, wie können wir gut auf unsere Beziehung aufpassen, wenn wir ständig voneinander umgeben sind, keine natürlichen räumlichen Trennungen durch Job, Freunde oder Sportaktivitäten haben und uns zuhause vielleicht mittlerweile über Kleinigkeiten streiten?


Wunsch nach Nähe und Freiheit


Zuerst ist es wichtig, die Herausforderung, die darin liegt, wirklich zu verstehen. Menschen haben zwei grundsätzliche Bedürfnisse in Beziehungen, die erfüllt werden möchten. Zum einen das Bedürfnis nach Zusammensein, was in der Psychologie Bindung heißt. Und dann gibt es da auch noch das Bedürfnis, wir selbst sein zu können, ganz unabhängig vom Anderen, also der Wunsch nach Autonomie. Diese zwei Bedürfnisse sind schwer im Gleichgewicht zu halten, das fordert viel Feingefühl für sich selbst und auch Verständnis füreinander. Viele Paarkonflikte haben ihren Ursprung darin, dass zwei unterschiedliche Menschen nicht unbedingt zur gleichen Zeit das gleiche Bedürfnis haben. Und das wird vielleicht umso deutlicher und umso kritischer in dieser Zeit, in der man ständig zusammen ist. Zusätzlich kann es schwierig sein, den anderen nicht für selbstverständlich zu nehmen, da der Partner ja die ganze Zeit da ist. Aber genau darauf kommt es jetzt mehr denn je an: Den anderen nicht als Selbstverständlichkeit zu sehen. Selbstverständlichkeit kann schnell zu einem schleichenden Gift in einer Partnerschaft werden. Die Krise kann aber auch das Beste aus einer Liebe herausholen, in dem man zusammenhält und sich gegenseitig unterstützt und wertschätzt. Fast als wäre man Partners in crime.


Kleine Zeichen der Wertschätzung


Um so wichtiger ist es zum Beispiel gerade jetzt, ‚Bitte’ und ‚Danke’ zueinander zu sagen. Das ist nicht schwierig, und gleichzeitig ist es so bedeutend, weil es Wertschätzung und Respekt zeigt. Wenn man sich bedankt für die Tasse Kaffee, die der Partner gemacht hat, fühlt der andere sich wahrgenommen und wertgeschätzt. Außerdem motiviert es ihn, nächstes Mal wieder einen Kaffee zu machen.


Falls man in einer Situation gelandet ist, in der es bereits an Wertschätzung fehlt, können diese kleine Worte wichtig sein, um trotzdem eine ertragbare Stimmung im Haushalt zu bewahren. Wenn Konflikte zu eskalieren drohen, können solche ‚Höflichkeitsfloskeln’ helfen, weiterhin freundlich miteinander umzugehen. Noch ein guter Tipp für diese außergewöhnlichen Zeiten: Wie wäre es, einfach mal ein Auge zuzudrücken, anstatt direkt laut auszusprechen, was einem aktuell am meisten am Anderen stört?


Manchmal klappt das gut, ein andermal nicht – vielleicht weil das eigenen Nervenkostüm schon ziemlich dünn ist. Es kommt zum Streit, alle guten Vorsätze werden vergessen und es droht eine Eskalation. Ist es dann doch passiert, kann gut die Time-out Regel eingesetzt werden. Derjenige, der gerade nicht mehr weiter weiß, oder merkt, dass ein wiederholendes Streitmuster auftaucht, kann ein Time-out beantragen.


Dadurch bekommen Körper und das ganze autonome Nervensystem die Chance, sich wieder zu beruhigen. Man schafft durch eine Auszeit, den sogenannten ‚Tunnelblick’ zu verlassen. Der Paartherapeut John Gottman sagt, dass es vier positive Kommentare benötigt, um einen negativen wieder auszugleichen. Schon deswegen ist es doch oft besser, eine Diskussion abzubrechen, bevor Sachen gesagt werden, die man hinterher bereut. Wichtig beim Time-Out ist, dass derjenige, der den Time-Out einsetzt, auch derjenige ist, der dann das Gespräch und das Thema wieder aufnimmt – am besten innerhalb von 24 Stunden.


Idealvorstellung Partnerschaft


Wir allen werden unseren Partner irgendwann leider enttäuschen oder verletzen, das ist unvermeidbar. Wenn der Schaden dann geschehen ist, ist es eine gute Idee, eine ‘Helikopter-Perspektive’ ein zu nehmen, um die ganze Situation von außen zu betrachten. Vielleicht ging der eine etwas zu weit, vielleicht wurde geschrien, vielleicht war es der andere, der etwas missverstand. Es ist nicht so wichtig, das auszubuchstabieren, entscheidend ist, das Geschehene zu „reparieren“, also sich zu entschuldigen und es zu klären. Das wichtige ist also nicht, Recht zu bekommen, sondern den Schaden zu beheben, statt es liegen zu lassen und zu hoffen, es wird schon vergessen werden. Sachen, die unter den Teppich gekehrt werden, werden irgendwann so groß, dass sie Stolpersteine in der Beziehung werden können. Auch das ist wie ein langsames Gift für eine Beziehung.


Zeit für sich


Jeder braucht ab und zu einen Zufluchtsort, ein Rückzugsgebiet, wo man mit den eigenen Gedanken alleine sein kann. Aber es ist nicht immer möglich in ein eigenes Zimmer zu gehen, viele haben schlichtweg keins. Zum Glück gibt es aber auch andere Strategien, wie man seinem gegenüber klarmachen kann, dass man gerade etwas Ruhe benötigt. Ob man sich Musik über Kopfhörer anhört, sich in einen Sessel setzt oder eine bestimmte Lampe anschaltet: mit einem abgemachten Signal kann man still, freundlich und trotzdem klar signalisieren, dass man etwas Zeit für sich braucht. Generell ist es gut, Rücksicht zu nehmen, wenn der Partner zum Beispiel gerade liest. Nur weil er da ist, sollte er nicht einfach unterbrochen werden in dem, was er tut. Wenn es wirklich wichtig ist, dann sollte man zumindest zuerst fragen, ob es denn passt. Und nimm es bitte nicht persönlich, wenn dein Partner gerade noch etwas Zeit braucht für seine Beschäftigung.


Krise als Chance


Wir müssen es akzeptieren: Es sind schwierige Zeiten für viele Paare! Gleichzeitig kann diese Zeit auch eine Chance für Wachstum beinhalten. Wenn man besser wird, seine eigenen Bedürfnisse zu kommunizieren und gleichzeitig die des Partners respektiert, kann man es schaffen, die beiden Grundbedürfnisse Bindung und Autonomie auf eine gelungene Art auszubalancieren.


Eine Übung dazu: Eine Kleinigkeit, über die man sich im Laufe des Tages gefreut hat, behält man erstmal für sich. Man kann sie auch aufschreiben oder einen kleinen inneren Dialog darüber führen. So stärkt man seine Autonomie. Erst am Abend, vielleicht beim Abendessen oder im Bett kann man es dann mit dem Partner teilen, sich darüber unterhalten und so die Bindung stärken. Am Ende des Tages hat man dann vielleicht das Gefühl, einen schönen Tag gehabt zu haben, sowohl zusammen, als auch jeder für sich. Probiert es aus!