Gewalt - oder: Das Anhalten der Welt

Angesichts der aktuellen und äußerst überraschenden Gewaltausbrüche – Attentat von Nizza, Putschversuch in der Türkei, Axt-Attacke im Regionalexpress bei Würzburg – zeigt sich bei mir ein Phänomen, das Carlos Castaneda in die Reise nach Ixtlan (Frankfurt/M., 1975, S. 12 f.) das Anhalten der Welt nennt: „Wenn die Welt anhält, dann ist die Realität des alltäglichen Lebens verändert [...], weil der Strom der Interpretationen, der für gewöhnlich ununterbrochen fließt, durch [...] Umstände unterbrochen ist.“


Solche Umstände sind etwa existenzielle Ereignisse, die das menschliche Leben mit seiner fundamentalen Unsicherheit konfrontieren, die offenbaren, dass sich Grundlegendes von der einen zur anderen Sekunde ändern kann. Ein Effekt des Anhaltens der Welt ist die Sprachlosigkeit, die offenbart, dass die herkömmlichen Unterscheidungen zur Verarbeitung der Beobachtungen nicht mehr funktionieren.


Die fundamentalen Ereignisse, die sprachlos machen, die die ganze vermeintliche Sicherheit unseres Lebens infrage stellen können, lauern offenbar nur sehr flach unter der Oberfläche unseres vermeintlich so sicheren Alltags, sie können, wie sich zeigt, jederzeit aus- und aufbrechen. Die Welt ist und bleibt unberechenbar.


Diese Feststellung hinterlässt freilich schmerzhafte Ambivalenzen: Wir möchten einerseits natürlich gerne in Sicherheit leben, für uns eine Welt der Verlässlichkeit schaffen, die unser ganzes biologisches, psychisches und soziales Leben umfasst. Anderseits sehnen wir uns nach Freiheit, nach der Offenheit der Zukunft, die unser Leben mit dem Unvorhersehbaren würzt. Unmöglich scheint es jedoch zu sein, nur schöne Unvorhersehbarkeiten und wundervolle Unsicherheiten in unser Leben einzuladen und alle anderen, existenzgefährdenden, ja lebensbedrohlichen außen vor zu lassen. Sicherheit und Freiheit verbinden sich zu einem Spannungsverhältnis, so dass offenbar ein Mehr des einen ein Weniger des anderen hervorruft.


Allerdings wissen wir auch, dass es heute darum geht – und das betrifft die möglichen Reaktionen auf alle drei genannten Ereignisse –, unsere Freiheiten durch (vielleicht auch neue) Formen der Sicherheit zu schützen. Wie können wir also, so die aktuelle Frage, unsere Freiheiten absichern, ohne sie dabei schrittweise zu verlieren?