Kommunikationsvirtuosen

Bereits vor über zwanzig Jahren hat der Soziologe Richard Münch* die These ausgeführt, dass wir in unserer Gesellschaft sehr viele Fachspezialisten haben, dass wir jedoch mehr Kommunikationsvirtuosen benötigen. Diese These weiterführend könnten wir sagen, dass Fachspezialisten solche Expertinnen und Experten sind, die – systemtheoretisch gesprochen: Komplexitätsgewinne durch Komplexitätsreduktionen erreichen. Sie begrenzen ihr Interessengebiet auf enge Ausschnitte der Wirklichkeit, zu denen sie dann aber reichhaltiges Wissen erwerben, diesbezüglich einen besonderen Expertenstatus gewinnen.


Kommunikationsvirtuosen befassen sich demgegenüber mit der Komplexität, die durch die vielen Komplexitätsreduktionen entsteht. Sie sind also Expertinnen und Experten für die Komplexität zweiter Ordnung. Sie versuchen, kommunikative Brücken zu bauen und Verbindungen zu stiften zwischen den unterschiedlichen Spezialperspektiven der Gesellschaft.


Es ist nicht schwer zu erraten, welche gesellschaftliche Praxis ich hier vor allem im Blick habe, die genau das permanent und unermüdlich versucht, die dort etwas zusammenzuführen trachtet, was woanders getrennt wird, natürlich die Soziale Arbeit.


Dabei arbeitet sie zunächst an der Verbindung einer Basistrennung der Moderne, an der Spaltung zwischen dem privaten und dem öffentlichen Leben – plakativ gesagt: an der Vermittlung der Sphäre der Liebe und der Sphäre des Geldes. Bereits Sigmund Freud, der Erfinder der modernen Beratungsprofessionen, der „Redekuren“, brachte die Funktion seiner Arbeit auf eine entsprechende Formel: Menschen sowohl liebes- als auch arbeitsfähig zu machen.


Die Soziale Arbeit blickt nun vor allem in die Spalten zwischen beiden Bereichen und versucht, Menschen dabei zu unterstützen, dass sie genug eigene Kräfte mobilisieren, um zwischen den Gräben der Sphären hin- und herzuspringen, ohne abzustürzen. Dabei agieren Sozialarbeiter/innen gewissermaßen als kommunikative Navigatoren auf beiden Seiten zugleich, auf der Seite der Liebe und auf der Seite des Geldes. Sie fokussieren hier die psychischen und kommunikativen Aufmerksamkeiten in dreifacher Weise: (1.) auf die Erwartungen, die das private Leben an die Menschen richtet, (2.) auf die individuellen Anforderungen der Arbeitsgesellschaft und (3.) auf die Möglichkeiten, beide Bereiche auszubalancieren.


 


*Münch, R. (1995): Vom Fachspezialisten zum Kommunikationsvirtuosen. Der Strukturwandel der Berufsarbeit und seine Auswirkung auf das Universitätsstudium. Düsseldorf: Heinrich Heine Universität.