autobahnuniversität / Gernot Böhme - Die begriffliche Verfasstheit der Wirklichkeit

Die Zeiten ändern sich. Aber die Welt?


Gernot Böhme hielt den hier dokumentierten Vortrag im Oktober 1992 beim zweiten großen Heidelberger Konstruktivismus-Kongress „Die Wirklichkeit des Konstruktivismus“. Dieser Kongress versammelte fast 2000 Teilnehmende und neben Gernot Böhme viele andere Referierende, die den philosophischen und wissenschaftstheoretischen Diskurs und im Anschluss daran die Praxis von Therapie, Beratung, Medizin und Forschung dieser Jahre prägten und deren Beiträge bis heute Einfluss auf dessen Fortgang haben: Helm Stierlin, Humberto Maturana, Marianne Krüll, Fritz B. Simon, Ulrich Clement, Niklas Luhmann, Norbert Groeben, Jürgen Kriz, Gunther Schmidt, Hans Radermacher, Jochen Schweitzer, u. v. a. m.


Gernot Böhme geht hier auf vorsichtige Distanz zu einem Verständnis von Konstruktivismus, nach dem die Welt lediglich über Vokabulare und Begrifflichkeiten konstruiert sei und Wahrheit nicht gefunden oder entdeckt, sondern erfunden werde. Böhme geht von einer Trägheit oder Widerständigkeit des Wirklichen aus, die über die Erfahrung gegeben sei, aber erst durch eine Thematisierung ins Bewusstsein gelange. Die Thematisierung – in der Form „etwas als etwas fassen“ – müsse sich begrifflicher bzw. sprachlicher Verfasstheit bedienen. Die Modifizierung der Erfahrung durch ihre Thematisierung führe zu einer 2. Form der Erfahrung der Unverrückbarkeit des Wirklichen, die sich einer einfachen Uminterpretation genauso entziehe wie die erste Form der Erfahrung selbst. Über das Beispiels des Atmens (und Immanuel Kants Umgang mit seiner vom ihm selbst so erfahrenen und thematisierten Hypnochondrie) verdeutlicht Böhme diesen Vorschlag eines differenzierteren Zugangs zur Leitfrage des Kongresses: „Was ist Wirklichkeit und wie kommt sie zustande?“


Gernot Böhme (* 1937) studierte Physik, Mathematik und Philosophie und war u.a. Schüler von Carl Friedrich von Weizsäcker. Er lehrte bis 2002 Philosophie an der TU Darmstadt und trat mit zahlreichen viel rezipierten Publikationen zu Fragen von Ästhetik, technischer Zivilisation, Natur, Ethik und nicht zuletzt zur Geschichte der Philosophie seit Platon hervor.



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