Was könnte Zapchen mit der Klimakrise zu tun haben? Ein Versuch

Die Klimakrise ist eine ökologische, politische und gesellschaftliche Herausforderung für uns alle. Die globale Erwärmung erfordert eine Transformation von großem Ausmaß und Geschwindigkeit. Unsere Autorin Cornelia Hammer fragt sich, was die Klimakrise mit Zapchen zu tun haben könnte. Wie schon in ihrem Buch „Im Körper zu Hause sein. Mit Zapchen Somatics zu Leichtigkeit und Wohlbefinden“ geht es ihr in diesem Text um den Zusammenhang zwischen Körper, Bewusstsein und Umwelt.


Ich bitte Sie um etwas Geduld beim Lesen. Ich versuche, mich dieser Frage so zu nähern, dass ihre Bedeutung im Gesamtkontext deutlich werden kann.

Man kann die Klimakrise von verschiedenen Blickwinkeln aus beleuchten und verschiedene Facetten des Geschehens in den Mittelpunkt der Betrachtung rücken.

Der erste Blick offenbart die wirtschaftlichen Bedingungen: So gesehen ist die Klimakrise eine Folge unseres – auf beständiges Wachstum ausgerichteten kapitalistischen Wirtschaftssystems. Gewinn und Wachstum sind die jeder Aktion zugrundeliegenden Ausrichtungen. Die Berücksichtigung sozialer, ökologischer, ethischer Maßstäbe ist nachgeordnet und muss immer wieder politisch erkämpft werden. Drohungen nach „Verlust von Arbeitsplätzen“ und „wirtschaftlichen Verlusten“ sind die erste Antwort auf das Drängen nach Berücksichtigung ökologischer Faktoren. Donald Trumps Rede auf dem Gipfel in Davos ist in diesem Sinn eine Zuspitzung. Hier macht sich die Politik die kapitalistische Sichtweise ganz zu eigen und negiert die Bedeutung aller anderen Sichtweisen und Positionen. (Unsere Empörung darüber ist auch der Ent-Täuschung geschuldet, dass hier Politik ganz offen zum Handlanger kapitalistischer Interessen wird mit der täuschenden Vorgabe, dass damit die Interessen der „Bürger“ berücksichtigt würden). Dieser Blick auf das Geschehen bringt die - aus meiner Sicht – notwendigen Diskussionen über die mögliche Entwicklung und notwendige Veränderung unseres Wirtschaftssystems mit sich. Noch bewegt sich die wirtschaftliche Reaktion ganz innerhalb der kapitalistischen Dynamik: Wie kann mit dem Klimawandel und dem sich verändernden Bewusstsein der Kunden möglichst viel Geld verdient werden? Wie kann Veränderung im Sinne von Wachstum und Gewinnmaximierung gesteuert werden? Fragen der Notwendigkeit hinsichtlich der Einschränkung des Wirtschaftswachstums oder gar des Verzichts auf Wirtschaftswachstum finden erst ganz allmählich erstes Gehör in der Debatte.

Auf den zweiten Blick offenbart sich mehr von der Auswirkung der kapitalistischen Sicht auf den Umgang mit unseren Ökosystemen. Interessant im Sinne des Wirtschaftssystems ist hier nur der verwertbare Aspekt von Natur, die Möglichkeit der Gewinnerzeugung durch die Verwertung von natürlichen Ressourcen. In dieser Sicht werden Ökosysteme in ihre einzelnen Bestandteile zerlegt und die Bestandteile werden auf Verwertbarkeit und Nutzung hin beurteilt. (Eines der offensichtlichen Beispiele dafür ist die Regenwaldrodung und auch in der neueren Diskussion über Fracking wird dies deutlich sichtbar. Es lassen sich sicherlich unendlich viele Beispiele finden.) Die Betrachtung des Ökosystems als in sich komplexes System hat fast nur Platz in der politischen Gegenbewegung oder findet in der Debatte nur dann Raum, wenn deutlich wirtschaftliche Interessen dadurch befriedigt werden. Der Wissenschaftler Gleb Raygorodetsky hat bereits 2017 einen Bericht veröffentlicht über seine Besuche bei indigenen Völkern der Welt und wie diese Völker Ökosysteme sehen und schützen. Hier z.B. wird deutlich, dass es sich nicht nur um einen wirtschaftlichen Wandel handelt in den Diskussionen und Fragen der Klimakrise, sondern um einen tiefgreifenden Wandel unseres Verhältnisses zu Natur und Ökosystemen. Im Bericht von Raygorodetsky wird besonders sichtbar, dass indigene Völker sich selbst als Teil des Ökosystems begreifen und die uns ganz selbstverständliche Trennung von Selbst und Natur für sie nicht existiert, was weit reichende Folgen für alle Aspekte der Lebensgestaltung hat.

Und hier taucht der dritte Aspekt auf: die Frage unseres Bewusstseins. Dass kapitalistisches Wirtschaften Gier, Neid und Rücksichtslosigkeit fördert ist hinlänglich bekannt und diskutiert, spätestens seit der Bankenkrise….Was schwieriger zu erfassen ist, ist die tiefgreifende Wechselwirkung, die zwischen kapitalistischen Profitinteressen und unserem je eigenen Verhältnis zu uns selbst und unserem Körper besteht. Auf diesem „Innenverhältnis“ beruht unser eigenes inneres Erfassen der Welt und unser Handeln in der Welt. Ein Innenverhältnis über das wir wenig Bewusstheit und noch weniger Klarheit haben. Auf philosophischer Ebene hat z.B. Byung-Chul Han in seiner Schrift: „Psychopolitik“ (2014) die neoliberalen Machtwirkungen auf unser Innenverhältnis untersucht und diese Wechselwirkung und ihre Implikationen in unserem Bewusstsein und in unserem Umgang mit uns selbst und mit der Welt in ihrer Komplexität deutlich beschrieben. Es wird erfassbar, wie die kapitalistischen Strukturen auch die Strukturen unseres Bewusstseins, wer wir sind und wie wir mit uns umgehen durchdringen und bestimmen. „Die Machttechnik des neoliberalen Regimes nimmt eine subtile Form an. Es bemächtigt sich nicht direkt des Individuums. Vielmehr sorgt es dafür, dass das Individuum von sich aus auf sich selbst so einwirkt, dass es den Herrschaftszusammenhang in sich abbildet, wobei es ihn als Freiheit interpretiert. Selbstoptimierung und Unterwerfung, Freiheit und Ausbeutung fallen hier in eins.“ (Han, S.41))

Die Trennung des „Selbst“ von der „Natur“, (historisch entstanden, gesellschaftlich geprägt), hat ihren Niederschlag in der Trennung von Körper und Geist in unserem Verständnis. In uns selbst spiegelt sich diese Trennung in unserem je eigenen Verhältnis zu unserem Körper als etwas von „uns“ getrenntes. Der Sitz der Bewusstheit ist im Gehirn verortet und der Körper wird weitgehend als Anhängsel dieses Gehirnbewusstseins erlebt. Wenn wir den Körper nun (vorübergehend) als Repräsentanten von Natur betrachten spiegelt sich in uns selbst, in unserem Verständnis von uns selbst die Trennung der Selbstbewusstheit von Natur und Ökosystem.

So gesehen ist die Klimakrise auch eine Krise unseres Bewusstseinsmusters.

Die Frage nach Henne und Ei, die Frage, was kommt zuerst und ist bestimmend - bestimmt das Sein das Bewusstsein oder das Bewusstsein das Sein - lasse ich hier bewusst außen vor. Ich beschreibe Phänomene und einen möglichen Zugang zur Veränderung und fokussiere dabei auf die Möglichkeiten, die wir hier und jetzt, aktuell und im Moment haben.

Hier komme ich nun zu Zapchen, zu der Übungsweise, die mit schlichten Übungen uns einlädt zu Präsenz und Bewusstheit (und quasi nebenbei zu Leichtigkeit und Wohlbefinden). Zapchen ist eine (unsichtbar radikale) Einladung, sich diesem „Innenverhältnis“ von Geist und Körper auf neue Art und Weise zuzuwenden und allmählich ein Verständnis dafür zu gewinnen, was es heißt als Körper bewusst und als Bewusstheit verkörpert zu sein. Diese Veränderung des „Innenverhältnisses“ verändert unser Sein in der Welt, unsere Reaktion auf Gegebenheiten, unsere Wahrnehmung von anderen Menschen, von Natur und Ökosystem. Indem allmählich die Trennung von Körper und Geist „mehr in Bewegung kommt“ und neue Facetten von Bewusstheit auftauchen, verändert sich auch unser Sein in der Welt.

Dabei ist nicht gemeint, sich viele Jahre zur „Nabelschau“ zurückzuziehen, sondern die Erfahrungen und Erkenntnisse des Übens fließen beständig ein in unser Sein in der Welt und in unser Handeln. Und werfen dann beständig neue Fragen an das Üben auf. Damit kein Missverständnis auftaucht: ich meine nicht, dass das Üben von Zapchen zwangsläufig in politisches Handeln mündet oder münden sollte. Veränderung findet auch (und manchmal vor allem) auf ganz anderen Ebenen statt.

Wenn wir als Körper eingeladen sind zu Präsenz und Bewusstheit und beginnen die Intelligenz und Kreativität von uns als „Gesamtsystem“ mehr wahrzunehmen und zu schätzen, beginnt auch eine andere Wahrnehmung der „Außenwelt“, von der wir uns immer weniger isoliert und getrennt wahrnehmen. Das verändert die Art des Umgangs, die Gestaltung von Beziehungen, die Wahrnehmung und das Wahrnehmen des eigenen Standpunktes. Das bedeutet auch, dass wir beginnen zu verstehen, dass wirkliche Selbstfürsorge dem gesamten Ökosystem dient. In dieser Hinsicht ist die Hinwendung zu mir selbst als KörperSein (s. Hammer, 2019) der womöglich radikalste erste Schritt zu Veränderung.

Dabei muten die ersten Schritte dieser Hinwendung manchmal geradezu banal und albern an – und erst im Einlassen auf Üben, Wahrnehmen und Integrieren erschließen sich die immer tiefer gehenden Wirkungen der Übungen.

Im weiteren Üben kann immer deutlicher werden, dass das, was wir im Alltagsbewusstsein als „Körper“ bezeichnen eine konzeptuelle Überformung des direkten Erlebens ist. Eine Überformung, die den Zugang zu Weisheit und Wissen, das verkörpert ist und durch den Körper zugänglich ist, versperrt. Solange wir diesen „konzeptuellen Körper“ im Vordergrund unserer Wahrnehmung erleben, können wir den Körper „befragen“, uns seinem Wissen zuwenden, aber Weisheit und Wissen des KörperSeins nicht direkt und unmittelbar erleben. (siehe den Artikel über „Embodiment“ von Cornelia Hammer, 2015) An dieser Stelle ist es schwierig auf etwas hinzuweisen, was erfahrbar werden kann und dennoch der Versuchung zu widerstehen ein weiteres Konzept zu erstellen oder gar Phantasiegebilde in den Himmel zu malen, die doch eigentlich erst mit konkretem Erleben ganz fassbar werden können. Deshalb an dieser Stelle nur so viel als Anregung für Diskussion und Untersuchung.

Es gibt noch einen ganz anderen Aspekt der Klimakrise, bei dem Zapchen als Übungsweise eine Rolle spielen kann und eventuell hilfreiche Unterstützung bietet.

Wir sind in diesem Klimawandel noch einmal neu und auf ungewohnte Art und Weise dazu herausgefordert mit schnellen und zum Teil unerwarteten Veränderungen umzugehen. Gewohnheiten werden in Frage gestellt, Lebensbedingungen ändern sich, Denk- und Fühlweisen, die auf unseren Gewohnheiten beruhen lassen sich nicht aufrecht erhalten. Zur Zeit ist unabsehbar auf welche Art von Zukunftsszenarium wir wirklich zugehen. Die Prognosen reichen von managebaren, bewältigbaren Veränderungen bis zu unabsehbarem, von Katastrophen gekennzeichneten Veränderungen, wenn die sogenannten“ tipping points“ überschritten werden. Von optimistischem Glauben an die Fähigkeiten der Bewältigung bis zum nihilistischen Pessimismus ist in der Debatte jede Haltung zu finden. Diese Unabsehbarkeit lässt leicht Ängste und Panik entstehen, auch weil gewohnte Orientierungen sich auflösen.

Inmitten dieser Situation kann die Stabilität des eigenen KörperSeins, das Gegründet sein im sicheren Kontakt zum Boden, in der Wahrnehmung von je relativer Sicherheit sozusagen zur Zuflucht werden und das kann mit sehr schlichten Übungen gute Unterstützung finden.

Zudem ruft diese Situation alle Mechanismen in uns hervor, die auch sonst durch Stress hervorgerufen werden.: Unflexibilität, Starre, Einengung, die ihre erste Wurzel in unserem KörperSein haben und unsere Muster des Denkens und Handelns stark beeinflussen. Alle Übungen, die uns in unserem KörperSein einladen, flexibler, weiträumiger, offener zu reagieren unterstützen auf basalster Ebene die Haltungen, die ein Umgang mit den womöglich hoch stressenden Ereignissen braucht. (Da bekommen „Grimassen schneiden“ oder „Arme schwingen“ noch einmal eine andere Bedeutung.) Wir üben dabei selbst in schwierigen Bedingungen immer wieder zu einem fliessenderen Gleichgewicht zu kommen. Zapchen bietet im weiteren Üben auf der Ebene der direkten Erfahrung Möglichkeiten der Erweiterung unseres Selbstverständnisses in unserem mitmenschlichen Umgang. Es kann direkt erfahrbar werden, wie basal tief verbunden wir als Menschen sind, was allmählich auch den Umgang miteinander, auch in Debatten und Entscheidungsstrukturen verändern kann.

Zentral wichtig ist die allmähliche Veränderung des Verständnisses unseres Seins in der Welt, unseres Erlebens von Möglichkeiten und unsere Offenheit für lebendige Prozesse.

So viel zunächst.

Literatur:

Hammer, Cornelia; Embodiment, erschienen in der Zeitschrift der Deutschen Gesellschaft für Entspannungsverfahren, 32. Jahrgang 2015, Ausgabe 32 , veröffentlicht auch unter http://pdf.zapchen-kassel.de/Embodiment.pdf

Hammer, Cornelia; Im Körper zu Hause sein, Heidelberg (Carl-Auer) 2019

Han, Byung-Chul, Psychopolitik: Neoliberalismus und die neuen Machttechniken, Frankfurt (Fischer) 2014

Rajgorodeckij, Gleb,The archipelago of hope. Wisdom and resilience from the edge of climate change, New York (Pegasus books) 2017