Brief 13 - Eine sinnhafte Sinnlosigkeit der Suche - von Andrea

Lieber Oliver,


wie reichhaltig Du aufgetischt hast! Ein Festschmaus für insbesondere Kenner benannter Konzepte und Zugangsweisen, denke ich. Und wenn ich da gleich an der Non/Dualität und Deinen letzten Zeilen anschließen möchte – Du hast mich sehr neugierig auf die indische Quelle gemacht! – hab ich die LeserInnen im Augenwinkel, die vielleicht keine SySt-Kenner sind, und möchte zum Konstruktivismus nach Watzlawick ein paar luftige, selten-persönliche Noten ergänzen:


Ein Erlebnis des Stimmens


Paul Watzlawick fragt einmal seinen Interviewpartner: „Können Sie sich vorstellen, dass jemand sich ganz bescheiden als Magnetnadel empfindet, die sich einfach einspielen will auf höhere Kräfte, die der Magnetnadel vollkommen unverständlich sind? Die Magnetnadel spielt sich ein, steht dann – und es stimmt. Können Sie sich nicht vorstellen, dass man als Mensch unter Umständen so leben könnte? (...) Die Vibrationen der Nadel erfolgen durch die Veränderungen des Magnetfeldes. Das Vibrieren, das Einspielen, das Gefühl des Stimmens und nicht das Erkennen des Sinns wäre meines Erachtens sehr ausreichend. (Vielleicht) versuche ich damit eine Beziehung zwischen mir und der Welt auszudrücken. Auf das Erlebnis dieses «Stimmens» kommt es an. Wittgenstein drückt das sehr schön aus, wenn er schreibt: «Die Lösung des Problems merkt man am Verschwinden dieses Problems. ((sic))» (Oder) mit Laotse: «Der Sinn, den man ersinnen kann, ist nicht der ewige Sinn; der Name, den man nennen kann, ist nicht der ewige Name.» (...) Es muss nicht gleich der liebe Gott unserer noch dazu trivialisierten Alltagsreligion sein. Eher jenes Mystische, wie es Buddha ursprünglich aufgezeigt hat, ohne von einem Gott oder einem Himmel zu reden. Vor allem aber sind wir ja nicht allein. Gegenüber dem Ich gibt es das Du, um das Ich herum gibt es das Wir. Die Wirklichkeit wird ja nicht vom Einzelnen regellos und willkürlich konstruiert, sie ist eine Übereinkunft von Kommunikation.“ [F. Kreuzer im Gespräch mit (...) Paul Watzlawick [Aufgezeichnet im ORF-Nachtstudio am 3. Juli 1981], Die Welt als Labyrinth, in Absatz: Die Glocke der Schildbürger (Franz Deuticke Verlagsgesellschaft 1982).


Was Onkel Paul hier beschreibt – ein Gefühl oder Erlebnis des Stimmens und nicht das Erkennen des Sinns – stellt m.E. eine Welt dar, in der es weder objektive noch subjektive Wert- oder Sinnzuschreibung geben kann; es sind Zeilen eines Menschen, der dem Tode sehr nah gekommen war und im Sinne Karlfried Graf Dürckheims immer wieder von Durchbruchserlebnissen berichtet; Erlebnisse, die mit einem Augenblick alles verändern können und deren Nachhall oft leiser wird, aber immer präsent sein kann.


… vom Tod und dem Leben


Watzlawick weiter: „(…) Nicht der Tod ist das Problem, sondern das Am-Leben-festhalten-Wollen. Wenn ich sterbend von dem Gefühl durchdrungen bin: ‹Ich sterbe – aber es stimmt›, dann hat der Tod keine Schrecken mehr, dann ist er das Durchschreiten einer der vielversprechenden Türen des magischen Theaters. Der Tod ist kein Ereignis des Lebens. Den Tod erlebt man nicht. Wenn man unter Ewigkeit nicht unendliche Zeitdauer, sondern Unzeitlichkeit versteht, dann lebt der ewig, der in der Gegenwart lebt. Unser Leben ist ebenso endlos, wie unser Gesichtsfeld grenzenlos ist [nach Wittgenstein, TLP, 6.4311 zitiert]. (…) Das heißt, wenn alle Voraussetzungen, alle Annahmen, alles vergangene Bedauern und alles zukünftige Hoffen und Fürchten weggefallen sind, wenn man im Einzelmoment lebt, dann lebt man, wie Wittgenstein sagt, in der Ewigkeit. Ich hätte vorgezogen, er hätte Zeitlosigkeit gesagt, das wäre vielleicht etwas zutreffender. Im Augenblick des vermeintlichen Todes tritt nämlich nicht, wie man vielleicht glaubt, die Angst vor dem Sterben ein, sondern ein Zustand, den der Betreffende möglicherweise noch nie zuvor erlebt hat. Man spürt eine unglaubliche Ruhe, ein Gefühl der Harmonie und der Stimmigkeit, das plötzliche Einssein mit der Welt.» [in: Watzlawick, Vom Unsinn des Sinns (Piper Verlag 2010), Kapitel: Die Einheit von innen und außen]. Eine letztgültige Wahrheit, außerhalb der Welt der Worte, die den Konstruktivismus Konstruktivismus sein lässt.


… und der sinnhaften Sinnlosigkeit der Suche


(…) „Irrwege müssen begangen werden, um sich als Irrwege zu erweisen. Diese Binsenwahrheit steht im Einklang mit einem der Grundsätze des sogenannten Konstruktivismus, jener Untersuchung der Art und Weise, wie wir Menschen unsere eigenen Wirklichkeiten erschaffen. Demnach können wir von der »wirklichen« Wirklichkeit (falls es sie überhaupt gibt) immer nur wissen, was sie nicht ist. [Wenn] die Sinnlosigkeit der Suche nach endgültigen Lösungen sich dann sogar als höchst sinnvoll erweist, nämlich als Irrweg, der beschritten werden muss, und so den Weg freizugeben für das Ergebnis der zeitlosen Fülle des gegenwärtigen Augenblicks». Aber nur für den Bruchteil einer Sekunde stand er in dieser Zeitlosigkeit, denn um sie zu bewahren, verfiel er sofort auf die Patendlösung ((sic-Watzlawicks Wortspiele)), dem Erlebnis einen Namen zu geben und nach seiner Wiederholung zu suchen... [in: Watzlawick, Vom Schlechten des Guten oder Hekates Lösungen (Piper, München 1991), letzte Seite].


Oliver - wisse mich damit in Schweigen und mit freudiger Erwartung auf das, was als Abrundung dieses Kapitels von Dir kommen mag :-)!


Liebe Grüße! Andrea


 


Oliver Martin
Oliver Martin

Luzern, ist Gesellschafter Trigon Entwicklungsberatung, Organisationsberater BSO, Mediator SDM, Senior Coach DBVC, Lehr-Trainer DGfS, Master Trainer infosyon, Dozent Fachhochschule Nordwestschweiz, Hochschule Luzern, Hochschule der Künste Bern, Milton Erickson Institut Heidelberg, Metaforum SommerCamp, Gast-Dozent Universität Tiflis; Berät seit 2003 Organisationen der freien Wirtschaft, des NGO-Sektors und von Verwaltungen sowie im Zusammenspiel Politik-Gesellschaft-Wirtschaft; Leitung von Lehrgängen in Organisationsentwicklung, Mediation und Persönlichkeitsentwicklung. Forschungsschwerpunkt: Verbindung der Trigon-Beratungsmodelle mit den hypnosystemischen Konzepten von Gunther Schmidt und den syntaktischen Ideen und Formaten des SySt-Instituts zu einem systemisch integrierten Beratungsansatz.




Bardia Monshi
Dr. Andrea Köhler-Ludescher

Gründerin und Vorsitzende des Paul Watzlawick Instituts (Wien); freie Journalistin und Autorin/Biografin von Watzlawick, ihrem Großonkel; sie ist als hypno-systemische Change Coach, Organisationsberaterin und international Vortragende tätig; mag das Schauspiel und das Schöne, schätzt die Stille und die Stimmung. koehler-ludescher.at/