autobahnuniversität / Hermann Lübbe - Pluralisierung – Über den Zerfall der Massengesellschaft

Ist ausgerechnet die Verbreitung der Massenmedien unbestechlicher Garant für den Zerfall der Massengesellschaft?


Anhand zahlreicher Beispiele aus der Zeit zwischen 1918 und 1989 versucht der einflussreiche und vielgelesene Sozialphilosoph Hermann Lübbe in diesem Mitte der 90er Jahre von der Autobahnuniversität dokumentierten, eloquent dargebotenen Vortrag, dies zu begründen.


Zwei Hauptthesen stellt Lübbe ins Zentrum seiner Ausführungen:


1. Die Massenmedien wirken durch die Selektivität ihrer Nutzung differenzierend
2. Informationsverschmutzung wirkt totalitärer Informationskontrolle bis hin zu deren Verunmöglichung entgegen und wirkt enttotalisierend


Mit „Informationsverschmutzung“ fasst Lübbe hier ins Auge, wie der Informations- und Medienkontrolle gegenläufige, teils subversiv organisierte Informationskampagnen weite Verbreitung finden und den Machtanspruch des Totalitarismus mitunter erfolgreich unterminieren. George Orwells Vision einer komplett diktatorisch verfassten Gesellschaft durch totale kommunikative Kontrolle via Medien sei, so Lübbe, vollends falsifiziert. Eine Kultur sozialer Homogenität der Gesellschaft nehme ab. Kompetenz- und Partizipationsentwicklungen führten zu dem, was landläufig als immer weiter fortschreitende Individualisierung bezeichnet werde.


Im Lichte der damals weniger als zehn Jahre vergangenen Entmachtungen der SED-Diktatoren in der DDR, Ceaucescus in Rumänien und vieler anderer spricht Lübbe vom Ende des Totalitarismus und von angesichts dessen doch eher frohgemut stimmenden Aussichten …


Die Kehrseite des stetig wachsenden Grades und der damit steigenden Anforderungen an Selbstbestimmung sei allerdings der zunehmende Anteil von Menschen in der Bevölkerung, die dem nicht gewachsen seien, da es ihnen an der geforderten Befähigung zur Selbstbestimmung fehle. Hintergrund dafür ist für Lübbe auch der Befund seiner Lehrers Theodor W. Adorno, demzufolge es lediglich zwei Maße der Freiheit gebe: Zeit und Geld. Nach mehr als weiteren 25 Jahren und in Zeiten erfolgreicher populistischer Strömungen bekommt dieser Vortrag Hermann Lübbes eine eigenartige und besondere Brisanz. Es lohnt sich, ihn anzuhören und die Ambivalenz anzuschauen zwischen eventuellen Tendenzen zur Zustimmung und dem Staunen über seither beobachtbare Entwicklungen in Kommunikationsstrukturen, u. a. im Internet, die den Thesengang Lübbes in einem neuen Licht erscheinen lassen könnte.


Hermann Lübbe, geb. 1926, lehrte als Professor für Philosophie und Sozialphilosophie an den Universitäten Bielefeld, Bochum, Erlangen, Hamburg, Köln, Münster und Zürich. Politische Ämter hatte er einige Jahre als Staatssekretär im Kultusministerium und später beim Ministerpräsidenten Nordrhein-Westfalens inne. In den 70er Jahren stand Lübbe vier Jahre der Deutschen Gesellschaft für Philosophie als Präsident vor.


Beim Mund-Nasen-Schutz bleiben die Ohren frei! Also: Ob im Auto oder mit der Maske in der großen weiten Welt: Kopfhörer auf und Autobahnuniversität hören! Jeder Stau bringt Sie weiter. Und, wo es geht, die freien Augen und den freien Geist nutzen: Carl-Auer Bücher lesen!