Krisenunfähigkeit der Wohlstandsmasse – Teil 1

Wohin es führt, wenn Gesellschaft infolge anhaltend ausbleibender Krisenwahrnehmung nicht mehr in der Lage ist, neuen innovationsbemühten Eliten (y Gasset, 1964, Massernes oprør) die dazu fähig sind kontinuierlich über sich hinauszuwachsen, zu folgen und sie zu unterstützen, ist: Sie verliert ihre Fähigkeit, komplexe Zusammenhänge, Phänomene und Sachverhalte funktional zu differenzieren und zu dimensionieren.


Um dies begreifbar zu machen, möchte ich zunächst das Augenmerk darauf richten, was passiert, wenn schon beim Erlernen und Herausarbeiten neuer Unterscheidungen und Begriffe auf halber Strecke aufgegeben wird:


In Dänemark beispielsweise unterscheiden Berater, Autoren, Unternehmen und selbst Ausbildungsinstitute eher selten zwischen Effizienz und Effektivität. Tatsächlich wird in Dänemark Effektivität zum Homonym für beide Begriffe – mit Folgen für Kompetenz und Entwicklung. Dabei unterscheiden sich Effizienz und Effektivität deutlich in Funktion und Wirkung voneinander.


Sprechen wir über Effizienz:


Selbst Leser, die nur kurz recherchieren, werden feststellen, dass es bei Effizienz darum geht, Sparsamkeit zu bewerten. Dazu gehören Kosten-Nutzen-Bewertungen, Input-Output-Relationen, die an einem oder mehreren aufeinander folgenden Prozessen bewertet werden. Einsatz und Aufwand werden der Leistung oder einem Resultat gegenübergestellt. Dazwischen befindet sich ein Transformationsprozess von Input zu Output.



Größtmögliche Effizienz kann erreicht werden, wenn Kompetenz und Leistung dazu führen, dass dieser Transformationsprozess von Input zu Output


a. verlustfrei und ohne Stillstand funktioniert und
b. alle Möglichkeiten ausgeschöpft werden, die den Aufwand (Who, What, When, How Many and How) verkleinern.


Indem wir die gesammelten Daten auswerten, die wir anschließend über Hypothesen und Experimente in neue Anleitungen übertragen und diese dann weitergeben können, erschließen wir uns die notwendige Kompetenz. Mit anhaltender Übung gelingt das immer besser.


So wird Effizienz zum Qualitätsmerkmal von Sparsamkeit als Folge der Kompetenz und Leistung, genauer und klarer zu denken und zu handeln. Dinge werden richtig(er) getan.


Auf diese Weise lässt sich ausschalten, dass wertvolle Ressourcen durch unklares Denken verschwendet werden und dass es erst recht nicht zu überflüssigem Mehraufwand kommt, wo Dinge falsch(er) getan werden.


Daraus lässt sich nicht folgern, dass eine gute Idee wäre, nun mit Tunnelblick auf Effizienz alles andere zu ignorieren. „Richtig“ und „funktional“ sind nicht dasselbe.


 


Effizienz


Dinge richtig(er) tun Genauer Undeutlicher Dinge falsch(er) tun


 


Denk- und Verhaltensmuster werden von Kindesalter an experimentell und durch Akkommodation und Assimilation in komplexen Rekursionsformen erlernt. Besonders erfolgreiche Prozesse werden zu energiesparenden Automatismen und Gewohnheiten. Ein Umstand, der sich vor allem in lebensbedrohlichen Situationen als evolutionärer Vorteil erwiesen hat.


Anders gesagt: Automatismen und Invisibilisierungen sorgen für Sicherheit.


Auf der anderen Seite löst diese Form von Sicherheit Lernschmerz, Frustration und Abneigung gegenüber Neuem aus, welches unter dem Konterdruck von Unsicherheitsabsorptionsbedürfnissen erst erlernt und erarbeitet werden muss.


In solchen Kontexten beruhigen Cliquen, Netzwerke, Peergroups … Sicherheitsängste, was auf der einen Seite dazu führt, dass Anfänger tiefer in die Materie einsteigen, während aber gleichzeitig Bestätigungsverzerrungen Selbstoptimierungen ermöglichen, die zusammen mit den Verzerrungen in Ideologien gerinnen können.


Wie jeder Systemtheoretiker weiß, lassen sich selbst Konzentrationslager systemisch und effizient organisieren. Effizienz ist eine Messgröße, kein ethischer Wert. Wird versucht daraus einen ethischen Wert zu konstruieren, kann es zu (ungewollten) Ausbeutungsphänomenen kommen und selbst in wirtschaftlich konstruktiven Umfeldern zu fatalen Folgefehlern und strapaziösen Schmetterlingseffekten führen:


- Überakademisierung
- Fachkräftemangel
- Fragile Lieferketten
- Bullshitjobs
- Fastfashion
- Klimakatastrophe
- Kriege um Ressourcen


Fokus auf Effizienz ist nicht ausreichend, um neue Höchstleistungen und Innovationen loszutreten, die Gesellschaft in Anbetracht kommender Krisen benötigt. Statt dessen brauchen wir einen zweiten Blick auf Effizienz und schauen uns dafür die lateinische Begriffsherkunft an: Efficientia –> Wirksamkeit. Diese Wirksamkeit brauchen wir, um Zusammenhänge und Unterschiede von Effizienz und Effektivität zu erkennen.


Die Weisheit hinter Effektivität:


Im Gegensatz zu Effizienz, die sich auf Relationen von Input und Output fokussiert und auf die Wahrscheinlichkeit, dadurch genauere Maßnahmen zu entwickeln, um eine gewünschte Leistung zu realisieren, geht es bei Effektivität um Wirkung: Wert und Relationen der erbrachten Leistung.


Um Effizienz und Effektivität genauer zu unterscheiden, reicht nicht, nur die betriebswirtschaftliche Perspektive anzulegen: Diese führt nämlich oft dazu, dass Effektivität nicht nur wertebefreit, sondern synonym zu Effizienz kommuniziert wird. Effektivität ist aber kein von systemischen Zusammenhängen und gesellschaftlicher Entwicklung wertefrei unabhängiger Begriff.


Organisationen und Unternehmen, die Effektivität von ihrem Wert befreien, neigen dazu, ihre Ziele unbedacht und oft ausschließlich in Zahlen auszudrücken, ohne dass sie sich im Klaren darüber wären, dass sie damit eine Entscheidung fällen, die Konsequenzen hat. Viel wirksamer ist nicht nur darüber gründlich nachzudenken, welche Wege effizient aussehen, um die Maßnahmen zu entwickeln, die sich aus dem kontinuierlichen Abgleich aus Ist und Soll ergeben, sondern es sollte zusätzlich reflektiert werden, warum es genau diese Ziele, Zahlen und Maßnahmen sind und nicht andere, denn nicht alles lässt sich mit Wachstum begründen, geschweige denn rechtfertigen.


Wo das nicht passiert, kommt es zu Flächenschäden und Emergenzstörungen durch Narrative, die in Kurzsichtigkeit orientieren.


Dazu zählen: Bonusprogramme und Performancemanagement aus Zeiten der Industrialisierung, jährliche Personalentwicklungsgespräche, lineare Top-Down-Planungsprogramme, teure Kulturprogramme, Mobbing, Burnout und Jobhopping.


Diese Kurzsichtigkeit äußert sich in verstärktem Fokus auf die Beute vor unserer Nase und Verlust größerer räumlicher Perspektiven, die zu neuen Ideen führen könnten, in denen sich neue Kompetenzen entwickeln und in denen wir Leistungen jenseits der Norm finden.


Wer sich kontinuierlich auf kurzfristige Resultate konzentriert, der muss sich gefallen lassen, wenn andere erkennen, dass er/sie nicht Teil der Lösung ist, sondern Teil des Problems, an dessen Ende Entwicklungsstillstand und Verfall stehen.


Daraus folgt nicht, dass wir schließen können, die Fähigkeit kurzfristig zu denken und mit begrenztem Handlungsspielraum umgehen zu können, wäre unwichtig. Es kommt immer auf die Kontexte an. Nur eindimensionale Denker stellen das Eine ausschließlich gegen das Andere. Einschließliche Denker berücksichtigen, dass aus der Erkenntnis, dass der Hammer nicht das richtige Werkzeug für alles ist, nicht folgt, dass man daher versuchen sollte, den Nagel nur noch mit der Zange einzuschlagen.


Nehmen wir dazu das Beispiel des Turnaround eines Unternehmens:


Im Turnaround lassen sich selten kurzfristige Opfer zugunsten langfristiger Erfolge vermeiden. Ein Unternehmen, das sich bereits in der Krise befindet, hat keine Zeit, um auf persönliche Befindlichkeiten einzugehen. Tut es das, ist der Turnaround in Gefahr. Gleiches gilt bei Carve-outs, in denen das sich neu zu formende Unternehmen, das sich zu lang mit alten Gewohnheiten beschäftigt hat, durch Zeitverschwendung und dysfunktionale Kommunikationsrhythmisierungen selbst in die nächste Krise manövriert.


Was nach der Krise folgen sollte, wird aufgrund des überstrapazierten Fokus auf Effizienz ohne Relation zu Effektivität oft vergessen: nämlich die Fähigkeit, Entscheidungen so zu treffen, dass sie nicht nur das Langfristige mit dem Kurzfristigen verbinden, sondern dass sie dafür sorgen, dass Entscheidungspotentiale steigen.


Es zeugt von Weisheit, langfristige Auswirkungen des Denkens und Handelns erkennen zu können und dadurch in der Lage zu sein, Maßnahmen zu entwickeln, die in ihrer Folge nicht nur präventiv wirken, sondern weitere Räume für Leistungszuwachs und Innovation aufspannen.


Das Richtige zu tun, bedeutet demnach, sich vor allem für langfristige Ergebnisse zu interessieren, die den Raum für neue Möglichkeiten weiter vergrößern – eine Kompetenz, die eher selten bei Menschen anzufinden ist, die besonders gut mit Turnarounds umgehen können.


 


Effektivität


Das Richtige tun Reichhaltiger Begrenzter Das Falsche tun


 


 


To be continued …


Im zweiten Teil werden wir uns den eingangs erwähnten Auswirkungen zuwenden, die folgen, wenn mehrdimensional transdiziplinär innovationsbemühte Eliten keine hinreichende Unterstützung finden und dazu zwei weitere Dimensionen einführen.


 


 


Literatur:


y Gasset José Ortega, Kopenhagen 1964, Massernes oprør


 


Empfehlungen zum Weiterlesen:


Komplexitätsmanagement – Modell/Stufen/Formen, Gitta Peyn 2019


Im Gleichschritt Marsch 1: Die Funktion der Ideologie, Gitta Peyn 2017


Im Gleichschritt Marsch 2: Blattläuse bauen keine Mondraketen, Gitta Peyn 2018


Im Gleichschritt Marsch 3: Individualität und Globalisierung, Gitta Peyn 2018