Putzen


Frühlingsputz
Wenn die Sonne wieder hell hereinscheint in die Wohnungen, wenn die Löwenzahnblätter, der Bärlauch und Mangold uns von innen her durchputzen, wenn wir die Fenster wieder öffnen können, dann sehen wir auch Staub und Geschmiere. Wir sehen den Schmutz nicht nur, weil es heller ist, sondern weil das Licht aus einer veränderten Perspektive durch die Fenster hereinkommt, andere Ecken bescheint, andere Winkel ausleuchtet. Viele meiner Bekannten beginnen nun die Böden zu schruppen und zu saugen, ich habe meinen sogar geölt. Meine Nachbarin erzählte, sie habe gerade die Schubladen herausgeputzt und die Kleider neu sortiert. Wenn es warm werde, komme sie aus der Höhle, das gebe ihr Energie. Dieses Ritual läuft in unseren Gegenden zumindest jedes Jahr. Wir müssen nichts für die Stimmungsänderung tun. Mit dem Frühling, der Wärme und dem veränderten Sonnenstand ist die Lust auf solches Tun bei vielen offensichtlich einfach da. Sogar wenn Frühlingsputz körperliche Anstrengung ist, die uns etwas abverlangt. Und das hat wohl kaum etwas mit der Hygienisierung des Lebens zu tun, die wir im letzten Jahr in mehr oder weniger absurden Formen an vielen Orten des Welt geübt (verübt?) haben.


Ganz anders die Bären, welche ihre Höhlen einfach verlassen oder wie der vorrevolutionäre französische Königshof, der einfach ins nächste Schloss zog, wenn es unappetitlich wurde. Dieses Weiterziehen kennen auch nomadisch lebende Menschen. Sogar in Berggegenden wechselte man vom Tal ins Maiensäss und dann auf die Alp. Oft wird da erst vor dem Einzug wieder geputzt. Nur wir hier in den ganzjährig bewohnten Unterkünften haben über Generationen gelernt, die früher meist engen Wohnungen sauber zu halten. Heutzutage ist es in Mitteleuropa ja selten mehr das Ungeziefer, das uns plagt, wie noch vor kurzem unsere (Ur-)Grosseltern. Ausser man ist aus noch grösserem Elend geflüchtet und wird in Lagern vor oder grad nach den Toren zur EU jahrelang festgehalten. Oder man ist ohne Status da und kampiert in der Poebene oder in Südspanien im Unterholz unter Plastikplanen, um bei der Ernte unter prekärsten Bedingungen zu arbeiten.


Wer Zeit hat, solche Blogs zu lesen, schläft nicht wie sie auf feuchten Strohsäcken und Matratzen voller Flöhe. In diesen unseren Kreisen sind Mangelernährung und beissende Krätze weitgehend verschwunden. Und wenn es dann doch einmal Ameisen oder Stechviecher bis in die Küche oder ans Bett schaffen, können wir notfalls Insektizide kaufen. Geblieben ist trotz allem Komfort, aller Technik und aller Chemie der Drang zur Reinigung innen und aussen, zur Sonne und zum Grünzeug, obwohl wir hier auch dafür in der Drogerie künstlich hergestellten Ersatz kaufen könnten.


Reinigungsrituale für den Körper und die Wohnumgebung ermöglichen mir einen intensiveren Kontakt mit mir selber und dem nächsten Umfeld. Ich werde aufmerksamer, kann meine Umgebung anders sehen, neu entdecken und sie ermöglichen taktile Erfahrungen. Ich begutachte und ertaste geputzte Oberflächen, sehe, rieche und schmecke draussen den grünen Bärlauch, die spriessenden Kresse- und Löwenzahnblätter, erlebe intensive sensorische Erfahrungen. Was wäre ohne die neuen Lichtverhältnisse, ohne aufkommende Sonnenwärme, ohne den grünenden und blühenden Frühling? Wie wäre unser Leben ohne diese und immer wieder neuen Perspektivenwechsel?


 


Jürg Brühlmann
Jürg Brühlmann

arbeitet als Berater von Organisationen insbesondere zum Thema Arbeitsgesundheit sowie zu Ausbildungsmethoden während der Arbeit mit Menschen in personenbezogenen Berufen. Naturbelassene Landschaften und Orte ermöglichen ihm mehr sinnliche Verbundenheit mit dem Leben und verschiedenen Zeiten in Momenten, Tagen, Jahren, Jahrhunderten...).




Astrid Habiba Kreszmeier
Astrid Habiba Kreszmeier

ist gerne Gastgeberin, auch hier in der Rubrik Wildes Weben. Sonst Begleiterin und Lehrtherapeutin in Systemischer Naturtherapie, Tiefenmythologie und Aufstellungsarbeit. Autorin, Gärtnerin und Aktivistin für Sympoietisches.
Wirkt und schreibt in nature&healing und seinem Journal für Erd- und Menschenverstand.