Zweierlei Welten


Von der einen Welt und der anderen

Korzybski sagt „Die Landkarte ist nicht die Landschaft, aber wenn die Landkarte der Struktur der Landschaft ähnlich ist, ist sie brauchbar“. Diese Idee heißt für uns Menschen, dass wir in zwei Welten leben, in der Welt der Sprache und Symbole und in der realen Welt der Erfahrung. Dabei ist es wichtig, sich klar zu machen, dass es fatal ist, wenn wir die Erfahrung mit der Abstraktion gleichsetzen oder gar verwechseln.
Es ist gerade „in“ sich fortzubilden, digital natürlich; das ist sicher, man braucht keine Maske und man muss sich nicht mit den Bedürfnissen, Nöten, Sonderheiten, Gerüchen, schlechten Sesseln in den Seminarräumen herumschlagen. Im schlimmsten Fall ist es die schlechte Netz-Verbindung, die alle weiteren Kontakte unterbricht. So sitze auch ich vor dem berühmten „Kastl“ und zoome mich durch die Wissenswelt der Traumatherapie. Die Referentin erzählt in allen Details über Berührung, über Haut, begreifen - alles ganz praktisch. Wir stellen uns vor, wie liebevolle Berührung auf uns wirkt, was sie mit uns macht oder wie es ist, wenn jemand gar nicht bei der Sache ist, wenn er berührt.


Dann fällt mir eine „Sendung zum Tag“ aus Ö1 ein, wo Uwe Böschemeyer über die Freiheit spricht. Diese prickelnde, gefühlvolle, stärkende Möglichkeit, sich innerhalb bestimmter Grenzen frei zu verhalten. Kenne ich dieses Gefühl von Freiheit noch? Oh ja. Nütze ich meine Möglichkeiten? Oh nein. Das Erinnern und Sehnen nach ihr ist groß, wie oft beneide ich die Vögel, die sich vor meinem Fenster in die Luft hineinwerfen, schweben, gleiten, doch wie umständlich wird alles in mir, wenn ich mich aus meiner guten vertrauten, etwas engen und geschützten Alltagswelt hinausbewegen soll. Zum Glück und Ärgernis sagt man uns eh was gut und richtig ist, also wird jedes darüber hinaus zu einer Odyssee im Gehirn, wer will schon wie Odysseus irgendwo in fremden Ländern in Quarantäne landen.
Böschemeyer sagt, es sei leichter Freiheit zu leben, wenn wir wissen wofür? Ja, wofür eigentlich Freiheit haben wollen? Weiß ich das überhaupt noch nach einem Jahr Corona? Ja, ich spüre es noch, aber? … Ich will mich bewegen können wann, wo, wohin und wie ich will, aber?


Ich will nach 20 Uhr mit dem Auto unterwegs sein, ohne mir zu überlegen, was ich im Falle einer Kontrolle dem Herrn Inspektor sage, aber? Dieses „Aber“ wird zu einem virtuellen Begleiter, beeinträchtigt meine Gedanken, verunsichert mich in dem, was ich darf und muss und soll. Ich will natürlich verantwortungsvoll und bedacht sein, niemanden schädigen, selber gesund bleiben; aber ich mag mich auch nicht mehr ständig an Maßnahmen halten, die angstvolle Bilder und ein Engegefühl in mir erzeugen. Ich will die Sonne spüren, Menschen, die ich mag, berühren, endlich meinen Klientinnen wieder die Hand schütteln, ohne an Frischluft denken zu müssen drauflosreden, singen, tanzen…
Ein Leben lang bin ich dran zu lernen, eigenverantwortlich zu sein, einzustehen für das, was ich mache und für richtig halte. Mühsam habe ich gelernt wahrzunehmen, was mir guttut und habe gelernt, mich an meinem Inneren zu orientieren, in Beziehung und Resonanz mit meinen unmittelbaren Umwelten, den Menschen, den Dingen, den Raum zu treten. Nun geht mir dieses unmittelbare selbstverständliche Tun und Wahrnehmen, resonieren und interagieren zunehmend verloren, ich verliere mich. Der virtuelle Raum wird immer größer, nimmt immer mehr von mir und meinem Raum. Das Unmittelbare, das Miteinander geht verloren, wird als etwas Gefährliches, Bedrohliches, Unverantwortliches dargestellt.
Ja, man muss sich frei machen gegenüber diesen Vorgaben, gegen Erziehung, gegen die Zeit, in der wir leben, sagt Herr Böschemeyer. Und wie mache ich das? Ich bin eigentlich Profi darin, es ist quasi mein tägliches Brot, Menschen darin zu begleiten, an sich selbst wieder glauben zu lernen und sich an ihren eigenen Werten und Bedürfnissen zu orientieren - durchaus mit Blick auf die soziale und reale Umgebung.


Also was tun, was habe ich gerade im Seminar gelernt? Ich soll mich hinsetzen, ruhig werden, in mich hineinhören und dann, wenn ich ganz entspannt bin, mir vorstellen, wie ich am Strand sitze, irgendwo am Meer, die Wellen rauschen höre, ihrem „Sound“ lausche, oh da ist eine Verwirrung in meinem Gehirn, das Meer hat doch keinen Sound, das kommt ja von der „Konserve“, die mir helfen soll, mich in das Meer zu vertiefen. Ich spüre, wie ich langsam eintauche und das Wasser mich umfängt, ja wunderbar diese Freiheit des Wassers, weit der Horizont und ich klein in Mitten des unendlichen Ozeans, wunderbar und so einfach und so billig, diese unendliche Freiheit des Gehirns…aber warte mal ist Gehirn nicht auch Körper?
Irgendwie wäre ich lieber im Meer, stünde in seinem Wasser, ließe mich umspülen, tragen von der Welle untertauchen, eintauchen. Ja, mir fehlt, dass ich nass werde von oben bis unten bespritzt, von einer Welle untergetaucht. Ich möchte im Meer sein, lieber ich bin in ihm als dass es in mir ist, in meinem Kopf. Übrigens, dass ich es mir so lebhaft vorstellen kann, hat schon damit zu tun, dass ich es schon mal gespürt haben, ihm begegnet bin, eingetaucht…


Beim Essen und dem Wein macht es mir Freude, wenn ich spüre wie sich dieser Geruch des Sauvignon blanc in meiner Nase ausbreitet und die spritzige Säure meinen Gaumen erfreut und erst das wunderbare Wienerschnitzel mit Preiselbeeren und frischen Kartoffeln - eine Symphonie aus salzig köstlichem Fleisch, knusprig zart in der Paniere, leicht gesüßt von den roten Preiselbeeren mit der feinen, waldigen Sauernote und dazu die harmonischen Kartoffeln nur in etwas Butter geschwenkt, ein Genuss!
Die Speisekarte mit den wunderbaren Bildern hat mich angeregt, sie zu probieren. Aber wenn ich da so hineinbeiße in dieses bunte, schön hergerichtete Schnitzel, dann bleibt nicht viel von ihm übrig. Ich kaue und bemühe mich etwas von dem Geschmack zu erwischen aber nichts als pappiges Papier, vom frischen vollmundigen Sauvignon blanc will ich gar nicht reden!


Also doch zwei Welten wie Herr Korzybski meint und spätestens beim Schnitzel wird es eindeutig, welche Welt mir die liebere ist.


 


Alfred Korzybski: Science and Sanity: An Introduction to Non-Aristotelian Systems and General Semantics. 5. Auflage. New York 1994,


Uwe Böschemeyer: Der innere Gegenspieler Wie man ihn findet und überwindet. 2020 Ecowin Verlag


 


 


Friederike Fink
Friederike Fink

Klinische- Gesundheitspsychologin, Systemische Psychotherapeutin (SF), Supervisorin, Weinbauschülerin. Sie ist gerne praktisch in der Natur tätig und beschäftigt sich mit Weinkultur. Arbeitet und organisiert in Apsys Fortbildungen für Traumaarbeit und Aufstellungsarbeit.




Astrid Habiba Kreszmeier
Astrid Habiba Kreszmeier

ist gerne Gastgeberin, auch hier in der Rubrik Wildes Weben. Sonst Begleiterin und Lehrtherapeutin in Systemischer Naturtherapie, Tiefenmythologie und Aufstellungsarbeit. Autorin, Gärtnerin und Aktivistin für Sympoietisches.
Wirkt und schreibt in nature&healing und seinem Journal für Erd- und Menschenverstand.