„hypno“ ist nicht sozialarbeiterisch, oder?

In Österreich gibt es eine klare Regelung bezüglich aller Angebote, die „hypno“ als Wortsilbe und Methode umfassen, beträfe dies nun die hypnosystemischen, hypnotherapeutischen oder hypnotischen (aka NLP-Hypnotalk) Interventionsformen. Der aktuelle Stand hierzu ist, dass „hypno“ den ÄrztInnen und PsychotherapeutInnen vorbehalten sei. Da fragt mich doch eine Kollegin der Sozialen Arbeit zurecht, warum ich beim Carl Auer Verlag einen Blog über die „Hypnosoziale Systemik“ schreibe: „hypno“, so schlussfolgert sie, sei doch nichts für SozialarbeiterInnen.


Im ersten Moment muss ich da schlucken, denn standesrechtlich und fachlich gibt es tatsächlich weder eine Diskussion noch eine Lobby zu dem Thema. Und wer weiß? Vielleicht lehne ich mich damit auch sehr weit aus dem Fenster. Andrerseits erlebe ich es in der Supervision und Lehre, dass die hypnosystemischen Inhalte geschätzt werden, Lösungsmöglichkeiten kellnerieren und Ressourcen für die aktuellen Frage- und Problemstellungen in der Sozialen Arbeit generieren.
Irgendetwas muss da doch dran sein, oder?


Im HYSIK – eine merkWÜRDIGe Wortschöpfung meinerseits – mag es historisch und methodisch tatsächlich therapeutische Aspekte geben, die meines Erachtens für die Soziale Arbeit hilfreich zu wissen wären, aber in der praktischen Anwendung keinen Platz fänden – standesmäßig und professionsmethodisch tatsächlich in der Psychotherapie zu verorten wären. Dann wiederum gibt es Aspekte, die im Coaching, in der Organisations- und Prozessberatung und der Supervision zum Einsatz kommen, also „untherapeutisch“ intervenieren. Offensichtlich ist es möglich, das HYSIK für bestimmte Dienstleistungsbereiche herunterzubrechen.
Auch kenne ich einige LektorInnen für Soziale Arbeit, die das HYSIK in Lehrveranstaltungen wie „Gesprächsführung“, „Krisenintervention“ oder auch „Case Management“ einbinden, da sie selbst von der Wirksamkeit des Ansatzes überzeugt sind. Dies ist der Ausgangspunkt meiner Arbeit. Ich versuche es weiterführend auf die Soziale Arbeit herunterzubrechen.


Meine Kollegin fragt mich plötzlich, ob es nicht genüge, systemisch zu arbeiten.
Immerhin gäbe es bereits Bücher zur „Systemischen Sozialen Arbeit“. Das sei doch ausreichend, oder?
Bei so viel Argumentationsstärke bleibt mir erstmals die Spucke weg. Glücklicherweise ersinne ich mich der hypnosystemischen Interventionen zum Selbstmanagement und utilisiere diese für meine Überlegungen gegenüber der Kollegin: Ob es nicht für SozialarbeiterInnen wichtig sei, in solchen Situationen – wenn einer oder einem die Spucke wegbleibe – über Handwerkszeug zu verfügen. Bei mir sei das in der Praxis doch öfters vorgekommen. Das entspräche dem Konzept der gesicherten BeraterInnen-Position oder dem Flowkonzept, die ich eher dem „hypno“ als dem „systemisch“ zuordnen würde… Dies spräche für das HYSIK (denn solche auf das eigene Innen gerichtete Interventionsformen kenne ich nicht aus der „Systemischen Sozialen Arbeit“).


Danach muss ich den Einwand der Kollegin tiefergehend überdenken. Zudem schätze ich die systemischen Publikationen zu dem Thema sehr und muss mich fragen, was hier der entscheidende Unterschied sei. Da ich dazu keine ausführliche wissenschaftliche Begleitungsforschung anzubieten habe, kann ich nur aus meiner persönlichen Erfahrung in Supervision und Lehre sowie dem Stand der Fachliteratur argumentieren. Auch erinnere ich mich an einige Vernetzungstreffen mit FachkollegInnen im Feld und einige spannende Diskussionen.


Für mich, so ein erster zager Definitionsversuch, ergibt sich der Unterschied aus der Bedeutung der inneren Bewusstseinszustände von Menschen. Was meine ich?
Ich kenne einige FachkollegInnen, welche die Meinung vertreten, dass das Soziale Gegenstand der Sozialen Arbeit sei – nomen est omen könnte man/frau sagen. Daraus ließe sich ableiten, dass das Hauptgebiet der Sozialen Arbeit die Verringerung der sozialen Ungleichheit und der sozialen Spannungen sei, also eine Vermittlung soziomaterieller Ansprüche, aber auch eine sozialpolitische Agenda, eine sozialwirtschaftliche und eventuell auch eine sozialethische. Bliebe man/frau auf dieser Argumentationsschiene, so könnte daraus abgeleitet werden, dass den „psycho“-Aspekte weniger Stellenwert zukomme – und Soziale Arbeit keinerlei „therapeutische“ Funktion habe. Bewusstseinszustände, so die Argumentation, seien für die Soziale Arbeit entweder wenig relevant oder sogar irrelevant, da letztendlich das „Soziale“ zähle.
Wichtig ist folgenrichtig ein Instrumentarium, dass die soziale Ungleichheit / Spannung / Lage / Situation abbilde, so dass fachlich korrekte sozialarbeiterische Interventionen gesetzt werden können.


„Hypno“-orientierte Menschen schmunzeln vielleicht an dieser Stelle, denn in diesen Wörtern – Ungleichheit, Spannung, Lage, Situation – findet sich etwas „hypno“ wieder: eine Nominalisierung.


Wenn ich hier „dehypno“ begründen würde, wäre meine erste Frage: Frau Kollegin, wer kommt zu Dir in die sozialarbeiterische Kommunikation? Denn ich nehme an, dass Deine Arbeit aus Gesprächen besteht, vielleicht auch aus Dokumentation und Anträgen, also aus Schreibarbeit, aber das sind letztlich alles verschiedene Formen von Kommunikation. Und wer kommuniziert dann mit dir?


Sie haben es vielleicht schon erraten. Es kommt weder die Ungleichheit, die Spannung noch die Lage oder die Situation. Tatsächlich sitzt der Sozialarbeiterin ein Mensch gegenüber. Man/frau möge mir an dieser Stelle den flunkernden Stil verzeihen…


Wenn Dir, so frage ich sachte weiter, ein Mensch gegenübersitzt, so stimmen wir vermutlich darin überein, dass jeder Mensch sich in einer gewissen sozialen Lage, in einem gewissen sozialen Umfeld und einer sogenannten sozialen Situation befindet. Und dies – so der weitere Konsens – wirkt sich auf sein Leben aus.


Bislang, so scheint mir, ist sich hier die Wissenschaft nicht darüber einig, wer mehr wirkt: das Soziale in das Individuelle oder das Individuelle in das Soziale. Mir scheint, dass in der Sozialen Arbeit eher zweiteres vertreten wird.


Da die Kollegin mir noch folgen kann, möchte ich sehr gerne wissen: Was ist es, das ein Mensch jederzeit besitzt, bei sich trägt – das niemals von ihm weichen kann, denn ansonsten wäre er handlungsunfähig?
Vielleicht enträtseln Sie dieses Geheimnis ja selbst.
Falls nicht: Ich ziele auf das Bewusstsein ab.


Dank unsres Bewusstseins erfahren wir das Leben und damit Spannungen, Konflikte und Situationen. Menschen verfügen über ein hoch entwickeltes Informationsverarbeitungssystem – das Gehirn, aber nicht nur das, sondern über den Körper, der nach neuesten Erkenntnissen an und für sich ein wunderbares und höchst entwickeltes Informationsverarbeitungssystem darstellt (und nicht nur das… aber das würde jetzt zu weit führen) – und mit diesem nehmen wir die Welt wahr, bewerten diese, erklären uns Zusammenhänge und treffen Schlussfolgerungen und Entscheidungen.
Das natürlich innerhalb sozialer Kontexte. Diese werden im HYSIK als sogenannte Einladungsfelder berücksichtigt.


Ich möchte aber jetzt meinen Gedanken noch etwas weiterführen: Um eine soziale (Un-)Gleichheit erfahren zu können, bedarf es eines empfindungs- und wahrnehmungsfähigen Bewusstseins, das unterscheiden und urteilen kann: in gleich oder ungleich.
Diese Unterscheidungen / Urteile könnten in uns genetisch angelegt sein: „sie sind einfach da“. Oder, und das ist momentan die wahrscheinlichere These, diese werden in uns soziokulturell angelegt – sie sind eine Frage der Zeit, der Kultur und der Definition der Sozialen Systeme, aus denen sie stammen. Diese Unterscheidungen / Urteile werden uns in Sozialisation und Enkulturalisation vermittelt – und könnten durch Theorien und Konzepte professionsbedingt erweitert, verstärkt oder verändert werden.


Falls ich ausschweife, ersuche ich um Verzeihung. So erkundigt sich auch die Kollegin berechtigterweise, was das alles nun mit Sozialer Arbeit zu tun habe.
Nun. Das ist der Punkt. Einfach alles.
Soziale Arbeit muss als Handlungsprofession sowie als theoretische Disziplin auf Kommunikation zurückgreifen. Und dafür benötigt es Bewusstsein. Dementsprechend ist die Beschaffenheit von Bewusstseinszuständen eminent wichtig für die Soziale Arbeit, denn dies hängt mit der Aufnahme und Verarbeitung von Informationen, Interaktionen und (generalisierten) Kommunikation(smedi)en zusammen.


Vor allem die – in der Fachszene meines Erachtens noch zu wenig beachtete – neurobiologische Forschung bestätigt die autopoetischen Konzepte von Maturana und Valera: Menschen nehmen durch ihr Bewusstsein – durch das Innen – das Außen wahr. Sie sind selbstorganisiert, selbstbezüglich, selbstharmonisierend und zugleich auch sozial und angebunden. In ihren Handlungen und Entscheidungen werden sie auch von den Außen-Faktoren eingeladen.
Und während der Großmeister Niklas Luhmann – den ich schätze, achte und bewundere – die Psyche durch Gedanken definiert, gibt uns die neurobiologische Forschung zu verstehen, dass wir keinesfalls die Gefühle außen vorlassen können und dass der Körper ebenso miteinbezogen werden muss (wie es die Embodiement-Forschung nahelegt).
Psyche ist mehr als Gedanken. Der Mensch ist mehr als sein Umfeld.


Kommen wir zurück zur Gesprächssituation, sage ich der Kollegin. Konkret, so erläutere ich, heißt dies für Deine Praxis: Da Du nicht mit der sozialen Ungleichheit oder der sozialen Situation sprechen kannst, nehme ich an, dass Du mit Deiner Klientin sprichst. Und für diese Kommunikation benötigt es ein Bewusstsein. Und das ist sehr entscheidend für das weitere Werden (also den Prozess) und Vorgehen (also die Methodik / die Intervention).
Und darum ist das hypnosystemische für mich – und eigentlich für die Soziale Arbeit – so interessant. Denn das HYSIK verfügt über Modelle und Methoden, die Bewusstseinsprozesse abbilden und gestaltbar machen.


Bevor hier Protest aufkommt. Ja, dazu gibt es ethische und fachliche Reflexion. Und im Unterschied zu andren Methoden muss nicht auf Manipulation zurückgegriffen werden.


Ob Du jetzt auf die ganzen sozialarbeiterischen Methoden verzichten solltest? Was für eine Frage. Nein! Natürlich nicht! Ich denke aber, dass es für Dich – für Deine Arbeit mit Deinen KlientInnen – hilfreich sein könnte, auch in diesem Gebiet etwas zu erlernen.
Letztendlich ist es der Bewusstseinszustand, der Menschen immer begleitet, in „sozio“, „psycho“, „hypno“ oder „sozialarbeiterisch“.


Das HYSIK kann daher weder ein Einwand gegen oder ein Ersatz für bisherige sozialarbeiterische Theorien, Konzepte, Modelle oder Methoden sein. Es bietet Konzepte und Modelle für das Verständnis von und den Umgang mit dem Bewusstsein (den Bewusstseins- bzw. Wahrnehmungsraum) und dem erstaunlichen Informationsverarbeitungssystem des Menschen (den Verstand – dem emotionalen und kognitiven sowie dem somatischen System) an. Es verfolgt eine kybernetische Idee: eine Idee, zu steuern und zu gestalten. Eine Idee, die der Sozialen Arbeit nicht fremd ist.
Es bietet aber auch Respekt, Würdigung und Wertschätzung an.


Bislang, so mein zaghaftes Fazit, ist in der systemischen Literatur der Sozialen Arbeit der Kategorie des Bewusstseins wenig Platz zugekommen. Das „hypno“ vor dem „systemisch“ könnte uns dafür hilfreiche Werkzeuge in die Hand geben und uns für etwas sensibilisieren, das jetzt gerade präsent ist und Ihnen ermöglicht, diesen Text zu lesen, zu hinterfragen, zu verstehen, zu konterkarieren … oder was auch immer Sie nun vorhaben.
Es mag sein, dass – standesrechtlich gesprochen – „hypno“ nicht zur sozialarbeiterischen Fachlichkeit, sondern zur ärztlich-medizinischen und psychotherapeutischen gehört.
Gleichzeitig aber zeigt sich, dass Aspekte des „hypno“ allgegenwärtig ist, quasi die Grundlage für unsren Beruf und die Möglichkeiten, auf Situationen, Verhältnisse und Lebenslagen (mit) einzuwirken – und das unter Würdigung des Willen der KlientInnen. Dieser Aspekt arbeitet nicht „hypnotisch“ oder „therapeutisch“, utilisiert aber die Erkenntnisse und Möglichkeiten davon.


Lösungsorientierte und stärkenorientierte Ansätze in der Sozialen Arbeit haben das meines Erachtens erkannt und bereits Kategorien wie Hoffnung, Mut, Vertrauen und andere internale Zustände als wichtige Ressourcen für das Gelingen der Sozialen Arbeit erkannt.
Der Blickwinkel „hypno“ versucht lediglich, SozialarbeiterInnen mehr Möglichkeiten für eine gelingende Fallarbeit in die Hand zu geben. Er unterstützt uns bei der Selbstreflexion, beim Erkennen eigener „hypno“-Anteile, ebenso bei fremden.
Und das ermöglicht es Verhalten und Verhältnisse zu vermitteln und zu gestalten.
Daher, so wage ich es zu schlussfolgern, ist „hypno“ total „sozialarbeiterisch“.


Ich ziehe ein Fazit. Die Hypnosoziale Systemik…


… verzichtet auf Suggestion und Manipulation und ist in diesem Sinne eher eine DEhypnosoziale Systemik…
… utilisiert die Erkenntnisse des HYSIK (und der angrenzenden Bereiche, etwa Embodiement oder Neurobiologie), um SozialarbeiterInnen Werkzeuge für die Praxis zur Verfügung zu stellen…
… ist ein integratives Konzept (ergänzend, komplementär …) …
… ist ein integrales, also ganzheitliches, Konzept…
… lädt zu einer fachlichen Diskussion unter – vielleicht neuen – Gesichtspunkten ein…
… beginnt sich gerade erst für die Soziale Arbeit zu entfalten.