Hypnosystemische Grundlagen

Das hypnosystemische Integrationsmodell führt im Titel zwei wesentliche Quellen an: Mit der Wortsilbe „hypno“ wird auf das moderne hypnotherapeutische Konzept von Milton Erickson verwiesen. Die Wortsilbe „systemisch“ leitet sich aus der Deutschen systemischen Tradition der Universität Heidelberg unter Helm Stierlin ab. In beiden Wortsilben finden sich wertvolle Erkenntnisse und Parallelen zur Sozialen Arbeit. Dies wird im aktuellen Blogartikel nun ausgeführt.


Als ich das erste Mal das Wort „hypno“ vernahm, war ich etwas irritiert. Die ersten Gedankenassoziationen waren „NLP“ und dann „Manipulation“, und es folgte ein entsprechender somatischer Marker (ich hatte kein gutes Gefühl bei der Sache). Das ist bloß eine gedankliche Assoziation, nicht aber der reale Hintergrund… Ich kann aus meiner persönlichen Erfahrung nicht wirklich erzählen, wer Milton Erickson war und was er tat, da ich – im Unterschied zu Gunther Schmidt – ihn nie selbst bei der Arbeit oder zu Hause erlebt habe. Ich habe vieles über ihn gelesen und gehört. Davon möchte ich nun das Menschenbild und die Methodik herausgreifen.


Milton Erickson ging von einem sehr positiven Menschenbild aus. Obwohl er selbst auf eine durch Krankheit und damit einhergehende Einschränkung geprägte Biografie zurückblickte, glaubte Erickson an die innere Kraft des Menschen. Er nennt dies die Potentialhypothese: In einem jeden Menschen sind die Möglichkeiten für die positive Lebensveränderung bereits angelegt oder sogar schon entwickelt. Milton Erickson versucht durch dessen hypnotherapeutische Interventionen, Potentiale freizulegen oder Menschen an deren – vermeintlich vergessenen oder verschütteten – Stärken, Fähigkeiten und Lösungsstrategien zu erinnern (ich bin mir nicht sicher, ob er dieses Wort so verwendete, aber es passt meines Erachtens).


Erickson erfährt im Zuge der Arbeit, dass „Probleme“ und „Lösungen“ etwas mit der zielgerichteten Aufmerksamkeit zu tun haben. Das menschliche Bewusstsein fungiert dabei in etwa wie ein Bühnenscheinwerfer, der in der Dunkelheit wichtige (Persönlichkeits-)Anteile, Seiten, „Dekoration“ und „Bühnenteile“ beleuchtet. Der innere Schweinwerfer könnte schon sehr lange auf das „Problem“ gerichtet sein. Erickson überlegt sich dann, wie der Schwenk auf „Ressourcen“ und „Lösungen“ gelingen kann.


Ich kenne bereits die lösungsorientierte Beratung, die von Insoo Kim Berg und Steve de Shazer mit einem Team in Milwaukee über Jahre entwickelt wurde. Als ich erfahre, dass die beiden auch mit Erickson im Kontakt waren, ergeben die lösungsorientierten Fragen für mich plötzlich einen neuen Sinn. Sie sind – wortbildlich gesprochen – der Versuch, den Schweinwerfer zu schwenken. De Shazer nennt das in einen seiner Bücher den „Dreh“ (shift im englischen Original). Die Potentialhypothese und ein auf Kompetenzen fokussierendes Vorgehen eignen sich meines Erachtens sehr gut für die Soziale Arbeit und wird, soweit ich es überblicke, auch in lösungs- und stärkenorientierten Ansätzen systematisch umgesetzt.


Die zweite Idee von Erickson war das Prinzip der Utilisation, der Nutzbarmachung von inneren und äußeren Prozessen und Strukturen. Auch diesen Ansatz halte ich als einen sehr vielversprechenden Zugang für Soziale Arbeit.


KlientInnen (… andere Rollenbezeichnungen können hier gerne von LeserInnen eingesetzt werden) haben in der Regel viele Strategien, Möglichkeiten und Erfahrungen im Umgang mit soziomaterieller Deprivation, psychosozialen Leid und Herausforderungen gesammelt. Es mag sein, dass diese Strategien und Erfahrungen nicht immer als das wertgeschätzt werden, was sie sind: Lösungsversuche – manche davon mit einem entsprechenden (oftmals auch sehr hohen Preis). Dennoch sind dies innere Ressourcen von Menschen und können als das gewürdigt werden.


Hier ergeben sich drei methodische Leitfragen:



  • Was war die positive Absicht davon?

  • Wofür war es gut? bzw.: Welchen Zweck hat es bereits erfüllt?

  • Wie können wir das für Ihr aktuelles Problem nutzen?


All diese Lösungsversuche haben eine positive Absicht in sich, stützen sich in der Regel auf gute Gründe (so zu handeln), folgen einem bestimmten Zweck und können auch jetzt nutzbar gemacht werden.


Wolfgang Hinte erzählte mir einst, dass es ein zentrales Prinzip der Sozialraumorientierung sei, Menschen nicht als bedürftige Wesen zu beschreiben, sondern als Individuen mit Stärke, Kompetenz und Handlungskraft, die Eigenideen entwickeln, Eigenbeiträge leisten und Eigenverantwortung übernehmen können. Dies seien keine neoliberalen Ideen, so führte er aus, sondern Ideen des Empowerments, der Beteiligung (Partizipation) und der Aktivierung.


Für mich ist das eine Haltung, die eng verwandt mit Milton Ericksons Absicht ist. Erickson sieht Menschen als kompetente Individuen an, als Wesen mit einem enormen Potentialbereich. Manchmal stelle ich Ericksons Idee etwas verkürzt mit einer Aussage dar: Jedes Problem ist (auch) eine Kompetenz. Was meine ich damit?


Menschen mögen Probleme haben, doch sie führen deren Leben fort. Dies ist eine Kompetenz: „Wie gelingt es Ihnen trotzdem Ihr Leben zu bewältigen?“. Menschen mögen Probleme haben, doch sie setzen Versuche, es zu lösen. Das ist eine Kompetenz. Menschen ertragen Leid. Das ist eine Kompetenz. Menschen sudern, klagen, nörgeln und beschweren sich. Das ist auch manchmal oder sogar in der Regel ein Lösungsversuch – und es kann auch als Kompetenz gewertet werden. Ob etwas eine Kompetenz ist – oder ein Defizit – ist eine Frage der Benennung, Beschreibung und Bewertung. Es ist eine Frage der Artikulations- und Definitionsmacht. Wer an der Aktivierung von Stärken und Ressourcen interessiert ist, kann über die kompetenzfokussierende und utilisierende Perspektive einen sozialarbeiterischen Beitrag leisten.


Die Wortsilbe „hypno“ wendet sich dem Innenleben von Menschen zu; stellt Vorgehensweise und Werkzeuge für innerpsychische / intrapersonale Prozesse und Strukturen dar. Die Wortsilbe „systemisch“ wendet sich dem Außenleben von Menschen zu.


Kein Mensch ist Robinson Crusoe und lebt einsam und abgeschnitten auf einer fernen Insel. Wir sind alle in sozialen Bezügen eingebunden: familiär, örtlich, regional und gesellschaftlich. Die postmoderne Neurobiologie bezeichnet unser Gehirn als ein soziales Organ, das uns mit anderen Menschen verbindet und ausgerichtet auf menschliche Gemeinschaft ist.


Menschen brauchen andere Menschen, um Menschen zu werden. Alles, was wir lernen, lernen wir von anderen Menschen, von den ersten Bewegungen hin über Sprache und unser soziokulturelles Werte- und Glaubenssystem. Viele Aspekte unserer Persönlichkeit können auch als ein Ausdruck der Soziokultur betrachtet werden, in der wir groß geworden sind. Menschen sind ein Produkt von Anlage (Prägung könnte man/frau sagen) und von Umwelt (von Zugehörigkeit zu anderen – Familie, Freunde, Bekannte, KlassenkameradInnen und Peer Groups …) und von Entscheidungen, Erfahrungen, Lebenssituationen. Menschen sind, so gesehen, SammlerInnen vieler unterschiedlicher Aspekte, die mit einem Ich-Gefühl verbunden sind. Und dennoch, wie Martin Buber es formuliert, braucht es ein Du, damit es zum Ich kommt.


Menschen sind immer in Kommunikation und Interaktion. Sie sind immer systemisch angebunden. Die Soziale Arbeit sieht das traditionell seit langem ähnlich und betont die sozialen Bedingungen individueller Entfaltung.


Der systemische Blick ist auch ein interpersonaler, ein suprapersonaler, als auch ein soziologischer und sozialphilosophischer Blick. Es ist dies eine weitere Perspektive, eine weitere Facette im Ganzen.


Menschen, so Ken Wilber, sind Wesen, die dieses Innen und Außen miteinander verbinden. Sie sind beides zugleich. Menschen sind sowohl ein Ganzes als auch ein Teil von etwas. Ken Wilber nennt dies ein Holon. Ein systemischer – holistischer – Blick betrachtet dies ganzheitlich.


Eine erste wichtige Erkenntnis und Unterscheidung im hypnosystemischen Zugang ist also, dass wir als menschliche Wesen auf beiden Ebenen zugleich sind – Innen und Außen. Unser Geist (unser Verstand, Unterscheidungsvermögen, Intellekt …) und unsere mentalen – wissenschaftlichen / sozialarbeitstheoretischen – Modelle können in der Regel mehr das eine und dann wieder mehr das andere beleuchten und darstellen.


Hypnosystemisch zu arbeiten bedeutet sowohl das Innen („hypno“) als auch das Außen („systemisch“) zu betrachten und auf beiden Ebenen Modelle der Darstellung und der Zusammenarbeit zur Entfaltung zu bringen. Dies können wir als eine wichtige Grundlage für alles Weitere formulieren.