Resilienzförderung in Krisenzeiten durch Familienstrategieentwicklung

Wollen Familienunternehmen ihre Resilienz-Kräfte, also ihre Widerstandsfähigkeit in krisenhaften Zeiten stärken, so können sie an ganz unterschiedlichen Stellen ansetzen. So geht es etwa um betriebswirtschaftliche Fragen der Strategie, des Geschäftsmodells oder des Managements, aber eben auch um das, was Familienunternehmen so besonders und einmalig macht, was ihre sozio-moralische Verankerung und ihre Wertebasis ist, um die Familie. Gerade in Zeiten von gesellschaftlichen Krisen und unberechenbaren Veränderungen geben uns verlässliche soziale Beziehungen Stabilität, mithin den nötigen Halt, um dem Sturm der Wandlungsprozesse gelassen entgegenzusehen, ihn zu überstehen oder sogar daran zu wachsen.


In Japan, wo es die meisten sehr alten Familienunternehmen gibt, sind Unternehmer besonders stolz darauf, dass sie ihre langjährigen, häufig mehrgenerationalen sozialen Beziehungen pflegen, behüten, schützen, von Generation zu Generation weitertragen, und zwar als starke Basis ihres Unternehmertums. Geborgen in sozialen Netzwerken lassen sich auch unwirtliche Zeiten überstehen.[i]


Speziell die Familie ist ein Sozialsystem, das Kraft, Energie und Geborgenheit geben kann, um unternehmerische Kräfte zu entfesseln und wirtschaftliche Verantwortung zu tragen. Daher sind Familienunternehmen so widerstandsfähig, wenn sie diese soziale Ressource pflegen und in passender Weise für das unternehmerische Projekt einbeziehen. Daher sollte die Familie und ihre Entwicklung nicht dem Selbstlauf überlassen bleiben. Sie benötigt Aufmerksamkeit, ihre Beziehungen wollen geachtet und mit wertschätzender Aufmerksamkeit behütet werden.


In einem mehrjährigen Forschungsprojekt am Wittener Institut für Familienunternehmen (WIFU) haben meine Kollegen Arist von Schlippe, Tom A. Rüsen und Torsten Groth herausgearbeitet, wie erfolgreiche Familienunternehmen über Generationen hinweg eine solche Familienarbeit, die als Familienstrategieentwicklung bezeichnet werden kann, realisieren.[ii] Dabei differenzieren sich die Mitglieder der Unternehmerfamilie nicht nur hinsichtlich des klassischen Dreikreismodells in ihren Familien-, Gesellschafter- und Unternehmensrollen. Überdies erkennen sie, dass sie die Familie selbst einerseits als private, also eher „klassische“ Familie und andererseits als professionell agierende Unternehmerfamilie, also als zweitseitiges Sozialsystem betrachten sollten.


Die „private Familie“ meint das bindungsorientierte Sozialsystem, in dem Menschen zusammenleben, füreinander Verantwortung tragen und emotional zumeist eng aufeinander bezogen sind. Die „professionell agierende Unternehmerfamilie“ bezieht sich auf die Familie in ihrer Verantwortung für das Unternehmen und dessen Weitergabe von Generation zu Generation. Mit den Ergebnissen des genannten Forschungsprojektes wird deutlich, dass solche Unternehmerfamilien ihren mehrgenerationalen Erfolg der jeweils für sie passenden Beantwortung von zwölf Fragekomplexen verdanken, die nach Tom Rüsen, Arist von Schlippe und Torsten Groth folgendermaßen knapp zusammengefasst werden können:[iii]



  1. Bekenntnis zum Familienunternehmen: In welcher Weise haben wir uns bisher zu unserem Familienunternehmen bekannt, und in welcher Form wollen wir dies auch weiterhin tun sowie die Verantwortung dafür tragen bzw. unter welchen Umständen eventuell diese auch abgeben?

  2. Familiendefinition: Was verstehen wie eigentlich unter Familie, und wie beziehen wir alle relevanten Familienmitglieder in der jeweils für sie angemessenen Weise für den Erhalt unseres Unternehmens und dessen Weitergabe ein?

  3. Werte und Ziele: Was sind unsere Werte und Ziele, und wie sorgen wir dafür, dass diese innerhalb unserer Familie, unseres Gesellschafterkreises und unseres Unternehmens gelebt und weitergetragen werden?

  4. Rollen und Funktionen für das Familienunternehmen: Welche Rollen und Funktionen können, sollen oder müssen Familienmitglieder für unser Unternehmen operativ tragen?

  5. Rollen und Funktionen für den Gesellschafterkreis: Welche Rollen und Funktionen können, sollen oder müssen Familienmitglieder als Gesellschafter für das Unternehmenseigentum tragen?

  6. Gremieneinrichtung: Welche institutionalisierten Gremien haben wir bisher geschaffen oder wollen wir hinsichtlich der professionellen Organisation unserer Unternehmensverantwortung bzw. für das Zusammenspiel von Familie, Gesellschafterkreis und Unternehmen etablieren?

  7. Kommunikation, Information und Verhalten: Wie gestalten wir die Prozesse unserer Kommunikation und Vermittlung von relevanten Informationen innerhalb der Familie und des Gesellschafterkreises? Welche Erwartungen haben wir hinsichtlich des Verhaltens der Familienmitglieder?

  8. Konflikt- und Krisenmanagement: Wie gehen wir mit Konflikten um, und welche Form von Krisenbewältigung haben wir etabliert oder wollen wir einrichten?

  9. Vermögensstrategie: Wie gestalten wir die Ausschüttungen von Dividenden an die Gesellschafter/innen und sichern damit ein passendes Vermögensmanagement?

  10. Familienmanagement: Wie gestalten wir ein passendes Familienmanagementsystem, mit dem wir dafür sorgen, dass die familienrelevanten Themen kontinuierlich bearbeitet werden und der Zusammenhalt in der Familie gesichert wird?

  11. Gesellschafterkompetenz: Wie sorgen wir dafür, dass die Nachfolger/innen für die operativen Tätigkeiten und/oder für die Rolle als Eigentümer/innen die notwendigen Gesellschafterkompetenzen erwerben?

  12. Regeleinhaltung und -veränderung: Wie schaffen wir es, dass unsere Familienregeln eingehalten werden, und wann, wie und in welcher Form verändern wir die Regeln, wenn dies notwendig erscheint?


In den nächsten Beiträgen werde ich die zwölf Themenkomplexe detaillierter skizzieren.


---


[i] Vgl. Caspary, S.; Rüsen R. A.; Kleve, H.; Köllner, T. (Hrsg.): Erfolgsmuster langlebiger Familienunternehmen in Japan. Göttingen: V&R, 2023.


[ii] Vgl. v. Schlippe, A.; Groth, T.; Rüsen T. A.: Die beiden Seiten der Unternehmerfamilie. Familienstrategie über Generationen. Auf dem Weg zu einer Theorie der Unternehmerfamilie. Göttingen: V&R, 2017.


[iii] Vgl. dazu auch etwa Rüsen, T. A.; v. Schlippe, A.; Groth, T.: Familienstrategieentwicklung in Unternehmerfamilien. WIFU-Praxisleitfaden. Witten: WIFU, 2019.