Globaler Klimaschutz - Teil 1: Die Macht des Bodens

Wir schreiben das Jahr 2020. Großbritannien hat die EU verlassen, Trump bereitet sich auf seine zweite Amtszeit vor. Bolsonaro sorgt dafür, dass die Rodung des Regenwaldes am Amazonas rapide weitergeht, in Australien brennt der Busch noch immer. Nach wie vor gehen unzählige Menschen auf die Straße, um gegen Regierungen zu protestieren, die sie für korrupt und illegitim halten – von Hongkong bis Paris, von Teheran, Beirut und Bagdad bis Santiago de Chile.


Die gute Nachricht im Jahr 2020 könnte sein, dass die meisten Menschen sich inzwischen des Klimawandels bewusst sind. Treffen wie das Weltwirtschaftsforum in Davos zeigen, dass dieses Thema auch bei den meisten Wirtschaftsführern endlich angekommen ist. Allen ist klar, dass die Erderwärmung eine ernste Bedrohung für unsere Zukunft darstellt. Die schlechte Nachricht ist allerdings, dass die meisten Menschen tief sitzende Zweifel haben, ob es uns gelingen kann, diese Entwicklung zu stoppen – oder deswegen sogar in kollektive Depressionen verfallen. In diesem dreiteiligen Essay werde ich zeigen, dass zur Bekämpfung der Klimaveränderung nicht nur eine grundlegende Umgestaltung unserer wirtschaftlichen Infrastruktur, demokratischen Verfahren und unseres Bildungswesens notwendig ist, sondern dass sie auch innerhalb der kommenden 10 oder 20 Jahre erreicht werden kann. Ein solcher Wandel wird möglich sein, wenn die Gesellschaft sich auf drei kollektive blinde Flecken konzentriert; auf zentrale Aspekte und Dimensionen von Maßnahmen, um Veränderungen zu bewirken, die bisher weitgehend ignoriert wurden. In diesem dreiteiligen Essay werde ich mich auf jeden dieser drei blinden Flecken näher eingehen – Ackerboden, Demokratie und Bewusstsein – und dann die Beziehung zwischen ihnen erörtern.


Abbildung 1: Drei kollektive blinde Flecken – Ackerboden, Demokratie und Bewusstsein


Ackerboden und der vergessene Sektor


Immer wieder ist zu hören, dass es kein Patentrezept gebe – keine einzelne Lösung –, um die Erderwärmung in diesem Jahrhundert in den Griff zu bekommen. Obwohl das natürlich zutrifft, ist diese Aussage zumindest teilweise auch ein bisschen irreführend. Wenn Sie sich die Zahlen ansehen, werden Sie feststellen, dass es einen Sektor gibt, dessen Umstellung einen ganz erheblichen Beitrag dazu leisten würde, die Erderwärmung zu bekämpfen, und der häufig ignoriert wird.


Welchen Sektor meine ich hier? Es ist nicht der Flugreiseverkehr, auf den etwa zwei Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen entfallen. Es ist auch nicht der Transportsektor – Autos, LKWs, Schiffe und Flugzeuge –, der etwa 15 Prozent der globalen Treibhausgasemissionen produziert. Und es ist nicht (nur) der Energiesektor, der für etwa 30 Prozent der globalen Treibhausgasemissionen verantwortlich ist. Es liegt auf der Hand, dass wir fossile Brennstoffe im Boden lassen müssen, was bedeutet, dass der Wechsel auf erneuerbare Energiequellen zu einem Grundpfeiler jeder Übergangsstrategie wird. Doch es gibt noch einen anderen Sektor, der ähnlich fundamentale Auswirkungen auf die Bekämpfung der Erderwärmung haben könnte, wenn wir uns auf ihn konzentrieren. Ich meine den Boden unter unseren Füßen. Der Ackerboden – das Fundament der landwirtschaftlichen Betriebe, die unsere Nahrung erzeugen – ist die wichtigste Variable beim Klimaschutz und bei der Stärkung der Artenvielfalt in den natürlichen Lebensräumen unseres Planeten. Der Sektor, den ich meine, ist natürlich die Landwirtschaft – auf deren Gestaltung wir alle einen gewissen Einfluss haben, und zwar durch die Auswahl der Lebensmittel, die wir täglich kaufen.



Abbildung 2: Ackerboden spielt eine wichtige Rolle (Foto: Susanne Trapp)


Ackerboden: von industrieller zu regenerativer Landwirtschaft


Zunächst möchte ich Ihnen die Zahlen präsentieren. Auf der Emissionsseite der Debatte entfallen auf die Produktion von Nahrungsmitteln und anderen landwirtschaftlichen Erzeugnissen etwa 30 Prozent der heutigen Treibhausgasemissionen (womöglich sogar mehr; in einer 2013 veröffentlichten Studie heißt es, dass »unter Berücksichtigung der gesamten Nahrungsmittel-Wertschöpfungskette, einschließlich Entwaldung zur Gewinnung neuer Anbauflächen, Verarbeitung, Verpackung, Transport und Verschwendung, auf unsere Nahrungsmittelproduktion schätzungsweise 43 bis 57 Prozent der vom Menschen verursachten Treibhausgasemissionen entfallen«; UN Conference on Trade and Development. Freilich kommen die meisten anderen Studien zu Schätzungen um 30 Prozent.)


Doch hier ist die Lösungsseite der Debatte. Wenn wir von einem fossilen Brennstoff, etwa Kohle, auf eine erneuerbare Energiequelle umsteigen, reduzieren wir die Menge der zusätzlichen Treibhausgase, die wir in die Atmosphäre entlassen. Das ist gut. Aber durch die Umstellung von Kohle auf Sonnenenergie wird nichts von dem bereits in der Atmosphäre enthaltenen CO2 entfernt; dadurch kommt der Kohlenstoff nicht wieder zurück in den Boden. Wenn wir jedoch unsere Landwirtschaft von industriellen auf regenerative, ökologische Anbaumethoden umstellen, verbessern wir die Fähigkeit des Bodens, CO2 aufzunehmen und zu speichern, ganz enorm.


Laut einem 2019 veröffentlichten Bericht des UN Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC, Zwischenstaatlicher Ausschuss für Klimaänderungen der Vereinten Nationen) tragen konventionelle Verfahren der industriellen Landwirtschaft dazu bei, dass die Ackerböden der Erde über 100-mal schneller ausgelaugt werden, als sie sich regenerieren können. Wenn Ackerboden ausgelaugt wird, passieren drei Dinge: Zusätzliches CO2 wird in die Atmosphäre entlassen. Der Boden wird weniger widerstandsfähig gegen Dürren und extreme Wetterbedingungen. Und unsere Kapazität, genug Nahrung für acht Milliarden Menschen anzubauen, wird untergraben. Wenn Ackerböden auch weiterhin mit im jetzigen Tempo ausgelaugt werden, könnte es laut Experten der UN Food and Agriculture Organization (FAO, Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen) sein, dass wir nur noch 60 Jahresernten übrig haben werden.


Abbildung 3: Industrielle Landwirtschaft


Wenn wir die Landwirtschaft auf regenerative Anbaumethoden umstellen, beginnen wir, den Ackerboden zu regenerieren, anstatt ihn auszulaugen. Das bedeutet, dass wir der Atmosphäre CO2 entnehmen und es im Boden speichern. Zudem verbessern wir die Widerstandsfähigkeit des Bodens gegen extreme Wetterbedingungen und sorgen für die anhaltende Sicherheit der Nahrungsmittelversorgung. Laut Langzeitvergleichsstudien, die das Rodale Institute in fünf verschiedenen Ländern durchgeführt hat, können durch ökologische Anbaumethoden im Durchschnitt 2,3 Tonnen Kohlenstoff pro Hektar und Jahr im Boden gespeichert werden. Entsprechend könnten wir, wenn die gesamten weltweit genutzten Agrarflächen mit diesen ökologischen Anbaumethoden bestellt würde, dadurch etwa 40 Prozent der heutigen weltweiten CO2-Emissionen im Boden speichern.


Wenn zugleich auch das gesamte weltweit genutzte Weideland nach einem regenerativen Modell gemanagt würde, könnten dadurch weitere 70 Prozent der jetzigen CO2-Emissionen gespeichert werden. Mit anderen Worten: Regenerative und ökologische landwirtschaftliche Verfahren haben das Potenzial, bis zu 100 Prozent des derzeit weltweit emittierten Kohlenstoffdioxids zu binden. Das ist eine ganz erstaunliche Zahl. Ja, es stimmt, dass sie auf relativ wenigen Experimenten und Messungen basiert – also muss weiter geforscht werden, um diese Ergebnisse zu bestätigen. Aber selbst wenn neue Studien letztlich ergeben, dass regenerative landwirtschaftliche Verfahren vielleicht nur halb so effektiv sind wie die aktuellen Forschungsergebnisse es vermuten lassen, würde das immer noch bedeuten, dass wir 50 Prozent (!) der aktuellen weltweiten CO2-Emissionen binden könnten, indem wir ganz einfach die industrielle Landwirtschaft auf regenerative Anbaumethoden umstellen.


Initiativen für weltweites Handeln


Noch einmal zurück zu dem oben erwähnten blinden Fleck: Warum reden wir nicht über diese Zusammenhänge? Warum geben wir nach wie vor etwa 700 Milliarden bis eine Billion Dollar pro Jahr aus, um eine Form von industrieller Landwirtschaft zu subventionieren, mit der wir uns selbst schaden? Warum geben wir noch immer 4,9 Billionen Dollar pro Jahr aus, um eine Form von Energieerzeugung aus fossilen Brennstoffen zu subventionieren, mit der wir uns ebenfalls selbst schaden? Warum vereinbaren wir im Übereinkommen von Paris eine gemeinsame Lösungsstrategie, um dann doch etwas ganz anderes zu tun, nämlich fast sechs Billionen Dollar pro Jahr für genau die Infrastruktur auszugeben, die im Großen und Ganzen dieses Problem aufrechterhält und verschlimmert?


Warum führen wir nicht die Diskussion, auf die es wirklich ankommt und konzentrieren uns darauf, wie wir die Krisen von Klima, Artenvielfalt und sozialer Ungleichheit an der Wurzel packen können?


Das heißt:


1. Wie können wir den Agrarsektor bis 2040 zu 100 Prozent regenerativ machen?


2. Wie können wir den Energiesektor bis 2040 zu 100 Prozent regenerativ machen?


3. Wie können wir den Finanzsektor bis 2030 von extraktiv (und blind für schädliche Folgen) auf 100 Prozent regenerativ (und verantwortungsbewusst) umstellen?


Hinzu kommt noch ein vierter Aspekt: Wie können wir die Bildungs- und Führungs-Infrastrukturen aufbauen, die erforderlich sind, um jedem Menschen Zugang zu der Transformationskompetenz zu eröffnen, die er brauchen wird, um auf der bevorstehenden Reise des Übergangs (auf die wir im dritten Teil dieser Serie näher eingehen werden) einen gestaltenden Beitrag zu leisten? Dies ist die Art von Frage, auf die wir uns heute gemeinsam konzentrieren sollten.


Abbildung 4: Global Climate Action Day, 2019


Ausgelöst von Greta Thunberg, Fridays for Future, Extinction Rebellion (XR) und anderen Aktivistengruppen leben wir heute in einer Zeit des globalen Erwachens, in der immer mehr Umweltbewegungen entstehen. Allmählich werden wir uns eines Systems bewusst, durch das wir kollektiv Entwicklungen herbeiführen, die niemand will. Niemand steht morgens auf mit der Absicht, den Planeten noch ein bisschen mehr zu zerstören, sich selbst und anderen noch mehr zu schaden. Und dennoch tun wir genau das, in einem massiven Umfang und immer schneller.


Die Lösungen für unsere Klimakrise sind bekannt und eindeutig. Umfassende Recherchen des Project Drawdown haben ergeben, dass 12 der 20 effektivsten Strategien, um die Erderwärmung möglichst schnell zu stoppen, etwas mit der Umstellung von Nahrungsmittelproduktion, landwirtschaftlichen Anbaumethoden und der Nutzung von Ackerland zu tun haben. Aber setzen wir diese Lösungen um? Nein. Alle zusammen sind wir immer noch in der Lücke zwischen Wissen und Tun gefangen.


Haben wir die Fähigkeit, diese Lücke zu schließen? Auf jeden Fall. Die nächsten beiden Teile dieses Essays werden darauf eingehen, wie das erreicht werden kann. Schon heute passiert das in diversen Regionen …


Teil II: Die Macht direkter Demokratie


Teil III: Die Macht von Bewusstsein


Video: Wie der Klimawandel gestoppt werden kann (Alan Savory)


Ich möchte meiner Kollegin Zoë Ackerman für ihre Recherchen zur Landwirtschaft danken, und auch für ihr gemeinsam mit Sarina Bouwhuis und Rachel Hentsch erarbeitetes Feedback zum Manuskript dieses Essays. Kelvy Bird danke ich für die Grafik in Abbildung 1 und Susanne Trapp für das Foto in Abbildung 2. Und ich bedanke mich bei Pedro Diniz, weil er mich auf den Videoclip von Alan Savory hingewiesen hat.