Brief 16 - Mehr eine Sucht, anstatt Kommunikation - von Sophia

Hallo Andrea,


danke für deine Einleitung und Erläuterungen. Der Begriff der Pragmatik war mir noch nicht bewusst. Das 1. Axiom umfasst für mich nicht nur die nonverbalen Gesten wie Gesichtsausdrücke und Körperhaltung, sondern den Grundsatz, dass Kommunikation stumm sein kann und stumm ist, das heißt ohne verbale Äußerungen trotzdem stattfindet. In meinem Alltag liegt mein bewusster Fokus auf dem geschrieben oder gesprochenen Wort, wobei unbewusst die nonverbale und paraverbale Kommunikationen in meine Bewertung des Gesprochenen mit einfließen. „Die paraverbale Kommunikation meint, wie etwas gesagt wird. Sie umfasst Lautstärke, Intonation, Stimmlage und Tonhöhe, sowie Sprechrhythmus und Sprechgeschwindigkeit.“ (https://www.ikud.de/glossar/paraverbal.html)
Möglicherweise interpretiere ich, dass mein Gegenüber lügt oder übertreibt, das höre ich vielleicht am Klang der Stimme oder sehe es an den nervösen Handbewegungen. Daher ist es nur klar, dass man auch ohne verbale Kommunikation weiter kommuniziert, bewusst und unbewusst.


Im Alltag begegnen mir immer wieder Situationen, wo es zum Einsatz der „stummen“ und möglicherweise unbewussten nonverbalen Kommunikation kommt. Als Beispiel möchte ich hier anführen, wie ich vorgehe, wenn ich Hilfe von fremden Personen brauche. In Zeiten vor der Pandemie war ich viel auf Reisen. Da passierte es mir, dass ab und zu auch die neuste Technologie nicht funktionierte und ich Hilfe brauchte, einen Weg zu finden. In so einer Situation suchte ich mir immer die Personen als potenzielle Ansprechpartner, deren Körperhaltung suggerierte „ich habe Zeit und bin auch bereit dazu, dir zu antworten“. Eine Person die eilig vorwärts ging oder eine in sich zusammengesunkene Person fiel aus diesem Raster. Obwohl betreffende Personen kein Wort gesagt hatten, haben sie auf eine Weise mit ihrer Außenwelt, zu der auch ich gehörte, kommuniziert. Selbstverständlich möchte ich dazu sagen, dass es verfehlt wäre zu glauben, dass meine Beobachtung den Zustand der Personen – unter Zeitdruck oder zurückgezogen – zwangsläufig widerspiegeln. Dennoch erwische ich mich selbst dabei, dass ich automatisch nicht das Risiko eingehe, zurückgewiesen zu werden und deshalb lieber eine Person anspreche, die entspannt durch die Gegend läuft oder freundlich lächelt. In der Rolle des „stummen“ Kommunikationspartners finde ich mich fast noch öfter wieder. Wenn ich mich unwohl fühle oder unter Zeitdruck bin, habe ich mich schon oft dabei ertappt, den Kopf zu Boden gesenkt, eilig durch die Gegend zu laufen.


Für mich ist das 1. Axiom die Verdeutlichung der Bedeutung der nonverbalen Kommunikation, welche ich mir immer wieder bewusst mache, wenn es um zwischenmenschliche Interaktionen geht. Auch wenn Axiome etwas Grundlegendes aussagen, formuliere ich dieses 1. Axiom für mich persönlich lieber um. Ich möchte es lieber als etwas Positives betrachten. Nicht als den Zwang kommunizieren zu müssen, sondern als die Gewissheit immer und überall mit meiner direkten Außenwelt in Kontakt zu treten, ohne ein Wort gesagt zu haben. Dadurch, richtet das 1. Axiom auch die Aufmerksamkeit auf mich selber und ich kann mich fragen: „Wie wirke ich auf andere und möchte ich meine nonverbale Kommunikation verändern?“


Du fragst mich nach meiner Erfahrung mit Social-Media. Wie ich Dir schon erzählte, habe ich mich von fast allen sozialen Plattformen, die ich genutzt habe – wie Instagram und Facebook – verabschiedet. Wie du aber auch bereits erwähnt hast, ist das 1. Axiom nicht auf den Sachverhalt anwendbar, dass ich die nicht erhaltene Antwort meines Gegenübers als Mitteilung auffasse. Dennoch war dies einer der Gründe, wieso ich nicht mehr auf diese Art kommunizieren möchte. Auf diesen Plattformen wird sehr viel Neid durch das zur Schau stellen von materiellen Dingen aber auch von Menschen selbst produziert. Sehr viel der Kommunikation, die auf diesen Plattformen abläuft, empfinde ich als oberflächlich und nichtssagend. Aber auch Missverständnisse, Unsicherheiten und negative Erfahrungen habe ich erlebt oder in meinem Umfeld wahrgenommen, resultierend aus dieser unvollkommenen Kommunikation. Darüber hinaus habe ich dieses Bewerten und Kommentieren von Bildern mehr als eine Sucht, anstatt als Kommunikation erlebt. Ich habe für mich entschieden, dass die Kommunikation und Interaktion mit meinen Mitmenschen etwas Wertvolles und Besonderes ist und ich mich in Gesprächen auf mein Gegenüber konzentrieren möchte. Ich möchte bewusst die nonverbale Kommunikation erleben, da sie viel mehr aussagt, als nur geschriebene Worte. Ich benutze nur noch Messenger Dienste wie WhatsApp und Signal, der Einfachheit halber, um mich mit Freunden zu verabreden oder Informationen zu bekommen.


 


Sophia Saad
Sophia Saad

ist aufgewachsen und wohnt in Riegel. Schulabschluss Abitur 2019, Aufenthalt im Libanon nach dem Abitur (Familie väterlicherseits). Studienbeginn Liberal Arts and Sciences Wintersemester 20/21. Hobbys: Reiten und Lesen. Derzeit auch in Ausbildung zur Mediatorin.




Andrea Köhler-Ludescher
Dr. Andrea Köhler-Ludescher

Gründerin und Vorsitzende des Paul Watzlawick Instituts (Wien); freie Journalistin und Autorin/Biografin von Watzlawick, ihrem Großonkel; sie ist als hypno-systemische Change Coach, Organisationsberaterin und international Vortragende tätig; mag das Schauspiel und das Schöne, schätzt die Stille und die Stimmung. koehler-ludescher.at/