Kohärenter Denken-Entscheiden-Handeln

Was ehrt Führungskräfte und HR-Experten aktuell mehr, als sehr ernst zu nehmen, wie sehr der Beginn einer, von Digitalisierung[i] geprägten, neuen Ära fast alle Menschen in Organisationen mit tiefen, oft unausgesprochenen, gemischten Gefühlen bewegt? Es scheint unaufhaltsam ein Skandal auf uns zuzuströmen, der die Vielen ohnmächtig macht, die sich nicht durch selbständiges „sauberes“ Denken – immer wieder und auch gerade im Dialog – zu wehren wissen. Aber hoppla. Wir meinen zu spüren, dass die Stimmung nicht weniger signalisiert, als dass wir mit unseren lange Zeit die Welt erobernden Denkwerkzeugen nicht mehr „auf der Höhe unserer globalisierten Zeit“ sind. Also: Stellen wir uns vor, unser Denken in Organisationen von seinen Wurzeln her neu zu denken, somit das daraus folgende Entscheiden und Handeln neu zu denken! Hilft Neues Denken[ii], uns selbstbewusster und gelassener auf die Digitalisierung einzulassen? Und: Wie konstruktiv wirkt dieses Neue Denken?


Denken-Entscheiden-Handeln in Organisationen umreißen in unserer konventionellen Begriffswelt drei voneinander abgegrenzte Bereiche, die kaum etwas zu verbinden scheint. Dies erweist sich immer stärker als ein unerwarteter, aber ökonomisch schwerwiegender Denkfehler. Er ergibt sich zwangsläufig aus unserem gewohnten logisch-analytisch-linear zielorientierten Denken.



Bild 1. Die gewohnte analytisch trennende Beschreibung


Der Begriff der Kohärenz[iii] nimmt in der chinesischen Philosophie einen sehr hohen Stellenwert ein. Er vermag unsere Denkmöglichkeiten zu erweitern und zu verändern. Liegt hier ein unvermuteter Kollateralnutzen der Globalisierung (des Denkens) zum Greifen nahe?



Bild 2. Die alternative Kraft der Kohärenz in dem natürlichen ganzen Wirkungsfeld des Denkens-Entscheidens-Handelns



  1. Fakt ist, dass Handeln in den Denkraum diskret eingewoben ist. Beide geschehen oft simultan. Denken wird nicht selten als Probehandeln verstanden[iv] Beide sind im praktischen Leben sehr nahe oder sehr weit voneinander entfernt, sehr kohärent oder sehr unverbunden.

  2. Fakt ist auch, dass der Raum des Entscheidens Denken und Handeln verbindet. In unserem Verständnis von Entscheiden ist sein inniger Zusammenhang mit Denken und Handeln fest eingebaut.[v] Bernd Opp formuliert eine messerscharfe Unterscheidung: “Entscheidungen sind ohne Denken und Handeln denkbar. Entscheiden als ganzer Prozess realisiert nichts anderes als den Zusammenhalt aller drei Räume.” Die Frage: „Gibt es etwas zu entscheiden = zu riskieren?“ markiert die Kohärenz.[vi] Entscheiden sorgt ganz natürlich für den Zusammenhalt, die Kohärenz der Wirksamkeit und des Wohlbefindens im ganzen Wirkungsfeld aller drei Räume.

  3. Fakt ist, dass der Raum des Handelns rückwirkend das Denken und Entscheiden auf ihre aktuelle Realisierungstauglichkeit testet. Er führt damit dem Denken neue realitätsnahe Energie und inhaltliche Nahrung zu. Das Realisieren hält so auf seine unersetzliche Weise den ganzen Prozess in Schwung und kohärent.[vii]


 Eine kleine Fingerübung zum Erleben des Zusammenhalts im “Dreiraum“.


Spotlight auf ein Gespräch mit meiner Tochter. Sie wundert sich am Sonntagmorgen, dass sich starke Gedanken zu ihrer herausfordernden Aufgabe (beim Roten Kreuz in Genf) aufdrängen, obwohl sie sich am Samstag sehr gut erholt hat und sich nicht im Handlungsstau erlebt. Prototypisch. Wie oft kommt das – selbstverständlich störend – bei Millionen Experten und Führungskräften vor?


Fakt ist: Es gibt viele Auswege aus dem Kreisen der Gedanken, wenn man mit der Kohärenz im gesamten „Dreiraum“ spielt. Hier 7 Beispiele. (1) Der Gedankengang braucht mehr Inkubationszeit. (2) Der Gedankengang produziert ein unlösbares Problem. Wie das Problem anders beschreiben, so dass es lösbar wird? (3) Im Denken ist zu wenig Perspektivenvielfalt präsent. Welche relevanten Perspektiven fehlen? Wen fragen, mit wem reden? (4) Das Denken = Probehandeln nähert sich dem Entscheiden und Handeln, d.h. der Zone erhöhten Risikogefühls, dem Zentrum des Bildes. Es nähert sich die Zeit für Risikobilanzen. (5) Oder es wird Zeit für bewusstes Nicht-Handeln oder kluges Nichtverschieben. Beide machen gestrandete Energie wieder flott für andere Themen. (6) Meine Tochter kann ein Experiment mit überschaubarem Risikopotenzial starten. Es liefert schnell Erfahrung, die durch Denken allein nie zu gewinnen wäre.  (7) Alternativ mag sich herausstellen, dass die Gedankenwolke “really not her business” ist, nicht in den Verantwortungsbereich meiner Tochter gehört, d.h. sie sollte sie im Interesse ihrer mentalen Gesundheit beiseiteschieben.


Erkenntnis und 3 Denkanregungen


Alle 7 o.a. alternativen Einschätzungen stärken erstens die Kohärenz im Wirkungsraum des Denkens-Entscheidens-Handelns, erhöhen den Gestaltungsspielraum und bringen somit zweitens definitiv mehr wohltuenden Fluss ins Leben als fortgesetztes Kreisen der Gedanken.


Denkanregung 1. Selbstständig „sauber“ denken – abwechselnd allein und im Dialog – wird zur immer notwendigeren Antwort beim Arbeiten in den modernen, wissensbasierten Organisationen. Je lauter der Lärm und Veränderungsdruck, je größer die latente Angst, je stärker die Polarisierungen, desto notwendiger, ja, desto schwieriger und notwendiger. 


Denkanregung 2. Akzeptieren und beobachten Sie selbst, dass Denken, Entscheiden und Handeln viel näher miteinander verwandt, oft zeitgleich präsent sind, deshalb sehr viel besser als ein Wirkungsfeld gespürt und gelebt werden können, als uns das unser gewöhnliches, begrifflich scharf trennendes Denken zu suggerieren pflegt. 


Denkanregung 3. Was immer aktuell für Sie im Vordergrund steht: Üben Sie sich daran, immer wieder schnell Bögen zu den beiden anderen Zimmern in dieser einen Wohnung zu schlagen. Erfahren Sie so, dass das Verständnis eines Wirkungsfeldes, das alle 3 Räume / Zimmer zusammenhält und eine Kohärenz bildet, Ihnen das (Arbeits-) Leben dauerhaft leichter macht! Mit „Ihnen“ meine ich die ganze Organisation – Ihr Biotop! – und Sie persönlich in allen Ihren Bindungen in Teams und Netzwerken.


Und zuletzt, eine hoch relevante weitere Kohärenz hätte ich beinahe vergessen! Die oben beschriebene Kohärenz wirkt dann, und nur dann besonders stark, wenn sie durchgängig und eng mit der „Tiefendimension Verantworten“ verbunden bleibt. 


Zusammenfassend. Was regt diese kurze Wörterbrise an? Wie geht sie bei Ihnen weiter? You are the change! Dies ist keine peinlich unangebrachte Motivationsrede, sondern folgt aus der Beschreibung unseres riesigen Situationspotenzials, wie es noch nie in Organisationen so groß war.


 


Susanne Eckel
Othmar Sutrich

Diplomkaufmann, MBA Insead
Inhaber der Sutrich Organisationsberatung in München und Wien
Langjährige Managementerfahrung als Geschäftsführer
30 Jahre Erfahrung als systemischer Organisationsberater mit dem Schwerpunkt der Komplementärberatung
Co-Entwickler des KAIROS®Entscheiderprofils und der DECISIO®Map


 




Foto O. Sutrich ©Christian Müller

 


[i] Digitalisierung steht hier als Platzhalter für ihre Folgen: der neuen digitalen Medien, der vornehmlich durch die Digitalisierung angetriebenen Globalisierung, der Zunahme disruptiv wirkender Geschäftsmodelle.


[ii] Bei BMW ist alternativ der Begriff Fresh Thinking in offiziellem Gebrauch. Eine Führungskraft fragte kürzlich im Workshop lakonisch: “ Warum steht da nicht “neues Handeln”? Ein starker Kommentar.


[iii] Jullien, Francois (2018): Vom Sein zum Leben. Euro-chinesisches Lexikon des Denkens. Berlin.


[iv] Denken ist nicht nur die Quelle von Wissen, Weisheit und Urteilskraft. Auch vieles Handeln ist dem Denken sehr naheliegend: Wahrnehmen, Fühlen (siehe das Konzept der Affektlogik von Luc Ciompi), Reden, Lesen, Schreiben, Visualisieren, Planen; und mag nicht selten als ein dem Risiko des “wirklichen” Handelns Ausweichen zu deuten sein.


[v] Sutrich / Opp, et.al. (2016): Wie Organisationen gut entscheiden.


[vi] Denken wie Handeln “funktionieren” schlicht nicht ohne das unauffällig allgegenwärtig eingewobene Prozessieren des Riskierens.


[vii] Dass “jemand” willentlich handelt, ist uns selbstverständlich. Ein alternatives “Handeln”, verstanden als “natürliches Realisieren” ohne Willensakt, hat im westlich geprägten Management sehr schlechte Karten. Die chinesische Philosophie vertraut auf: Gehenlassen, eine Entwicklung nicht behindern, sondern fördern, achtsames Nicht-Handeln, was allesamt nichts mit Passivität gemein hat. In beiden Modi zuhause zu sein bringt überraschenden Mehrwert.