Stummer Frühling?

 


Es gibt einen Peanuts-Cartoon,
in dem Schröder sich darüber beschwert, dass Lucie ständig über Rachel Carson redet, und Lucie sagt: „Wir Frauen brauchen unsere Heldinnen!“


Nun, ob ich eine Heldin brauche, das weiß ich nicht, aber es stimmt, auch ich muss und möchte in letzter Zeit enorm viel über Rachel Carson reden – zu meiner Freude beschert mir das auch die Möglichkeit, hier im Blog über sie zu schreiben. Als gelernte Meeresökologin und ehemals aktive Naturschutzbewegte war und ist  es mir nämlich ein Rätsel, dass mir diese talentierte und mutige Frau nicht bekannt war. Über ein paar Umwege bin ich aber nun im letzten Jahr auf ihre deutsche Biografie gestoßen.8


Geboren am Anfang des letzten Jahrhunderts und viel zu früh 1964 gestorben lebte und wirkte Rachel Carson in den Vereinigten Staaten vor der Zeit eines weltweiten Netzes. Ihr augenscheinlich größter Verdienst, nämlich das Verbot von DDT und das Ende einer bedenkenlosen Anwendung von Insektiziden, war in Europa vermeintlich nicht so wichtig, weil es hierzulande nicht zu diesen großflächigen Sprühaktionen gekommen war.
Ich benutze die Wörter „augenscheinlich“ und „vermeintlich“ mit Bedacht, weil meines Erachtens ein ungleich größerer Verdienst Rachel Carsons auf einer anderen Ebene unseres weltweiten Seins liegt.


Gegen alle Widrigkeiten, die ihr zeitlebens begegneten, hat Rachel Carson all ihr Wissen und Talent dafür eingesetzt, anderen Menschen von der Schönheit und Komplexität der natürlichen Welt zu künden und sie dafür zu begeistern. Als studierte Meeresbiologin konnte sie ökologische Zusammenhänge verstehen und als begabte Schriftstellerin war sie in der Lage, dies auf poetische Weise zu vermitteln.


Ihr tiefes Verständnis der Vernetzungen unseres Planeten beruhte aber sicherlich nicht nur auf den wissenschaftlichen Erkenntnissen, die sie sich über viele Jahre aneignete, sondern meiner Überzeugung nach auf einer tiefen Liebe und Verbundenheit, die jenseits von Wissen zu finden ist. Eine Verbundenheit und Liebe, die in frühester Jugend begründet und von ihrer Mutter, Maria Carson, Zeit deren Lebens unterstützt wurde.


Rachel Carson hätte sich nach dem Erfolg ihrer Bücher (Under the Seawind/ The Sea around us/ The Edge oft the Sea) in ihrem Haus an der Küste von Maine zurückziehen können um ihren späten Erfolg und finanzielle Unabhängigkeit zu genießen. Sie hat es nicht getan. Ihr Wissen und ihr Gewissen führte sie zur akribischen Spurensuche und Dokumentation von Schäden und Verlusten, die der bedenkenlose Einsatz von chemischen Giften in der Natur anrichtete. Im und für den zweiten Weltkrieg entwickelt, wurden sie nun breitflächig gegen unliebsame Insekten eingesetzt. Dieses in einer Mischung aus wirklicher Überzeugung und finanziellem Profit.


Im Wissen, dass sie sich in ein Wespennest von Gegnern begibt, hat sie ihr Buch „Silent Spring“ („Der stumme Frühling“) geschrieben und, das muss hier auch gesagt sein, mit Hilfe von mutigen und überzeugten Verbündeten seitens der Wissenschaften, der Literatur und der Presse, in die Welt gebracht.
Unter Aufbringung letzter Kräfte, gezeichnet von den Behandlungsfolgen einer Krebserkrankung, hat sie Verunglimpfungen jeder Art ertragen und stand tapfer für ihre Überzeugung ein. Den Erfolg des Buches hat sie noch erlebt, und dass sie im Nachhinein als eine der Begründerin der Ökologie- Bewegung verstanden wird, würde sie vermutlich freuen.


Was ich anfangs mit „vermeintlich“ sagen wollte ist, dass es Europa natürlich verändert hat, als großflächige DDT Anwendung ganze Arten ausradierten. Neben dem damaligen radioaktiven Fallout der Atombombentests (jährlich ab 1945 - 1962) erreichte auch DDT über mannigfaltige Wege unsere europäische Welt und richtete Schäden an, die nur nicht ganz so offensichtlich wie in den USA waren.
Aktuell ist es leider nicht besser geworden, der weltweite Einsatz von Insektiziden und Herbiziden übersteigt heute das 25fache dessen zu Carsons Zeiten.9 Die Wirkung ist nur subtiler; man muss davon ausgehen, dass es ein wenig sichtbarer, schleichender Vergiftungsprozess ist. Wir in Deutschland sind nicht isoliert vom Rest der Welt! Und wir als Menschen sind nicht isoliert von unserer Umwelt. Wir gehören dazu und jede unserer Lebensäußerung hat Einfluss auf das Ganze.


Das Wachstum der Menschheit hat die natürliche Umwelt schon sehr lange verändert, war aber bis zur Industrialisierung, ca. 1750, relativ langsam, so dass es überhaupt wieder so etwas wie ein Gleichgewicht geben konnte. Nun sind wir aber mit einem rasanten Wachstum auf vielen Ebenen konfrontiert. Die Masse der Weltbevölkerung, die Komplexität unseres Wissens und des technisch Machbaren überfordert uns alle.
Die zusätzliche Überflutung mit Informationen führt zu in einer notwendigen Abschirmung und Begrenzung des „zu viel“, um überhaupt in dieser komplexen Welt navigieren zu können. So entsteht eine zunehmende Abspaltung und Isolation, die zum Teil erklärt, warum wir glauben, überleben zu können, obwohl wir alle Lebensgrundlagen zerstören. Ich persönlich hatte mich schon seit längerem auf eine resignierte Position eines „ich weiß, was uns bevorsteht und ich kann es nicht ändern“ zurückgezogen. Mein einziger verbleibender Beitrag zum Umweltschutz bestand in finanziellen Zuwendungen an Organisationen und dem Unterzeichnen von öffentlichen Appellen.


Rachel Carsons Geschichte hat mich sehr berührt und ich habe in mir erforscht, warum das so ist. Es ist diese einmalige Verbindung von Intelligenz, poetischer Begabung, Beharrlichkeit, Mut und Liebe. Dies alles ermutigte mich, wieder hinzusehen und hinzuspüren, wo ich in einer Art Erstarrung und Mutlosigkeit steckengeblieben war.
Es schmerzt sehr, die fortschreitende Zerstörung anzuschauen und auch zu erkennen, dass ich dazu beitrage. Und es ist auf einer anderen Seite beglückend zu sehen, wie viele Menschen es gibt, die auf die eine oder andere Weise nicht mehr Teil der Zerstörung sein wollen. Nicht nur zu wissen, sondern auch zu spüren, dass es natürlich auch hier ein Netzwerk gibt, in dem ich mitwirken kann. Insbesondere den Kindern sollte früh die Verbindung zur Natur erlebbar gemacht werden, bevor die digitale Welt sie total in ihren Bann zieht.5


Aktuell haben mich mehrere Autor*innen 1,2,3,7 inspiriert, noch mehr in das sinnliche Wahrnehmen der Welt einzutauchen. Das ist eine Praxis, die ich seit meiner Kindheit eigentlich nicht verlernt habe und die mir noch einmal eindrücklich in der systemischen Naturtherapie begegnet ist.4+6
Ich könnte hier endlos weiter über meine Entdeckungen schreiben, aber das sprengt den Rahmen des Beitrags. Möge jede und jeder Interessierte selbst auf Entdeckungsreise gehen. Jedenfalls habe ich mich lange nicht so lebendig gefühlt wie gerade jetzt!


Und noch ein letzter Hinweis: Rachel Carsons Vermächtnis enthält ein kleines Juwel, das erst posthum auf Wunsch ihres Großneffens Roger veröffentlicht wurde:“ A Sense of Wonder“; auf Deutsch: „Magie des Staunens“.


 


1 Abram, David 2015: Im Banne der sinnlichen Natur. Think Oya


2 Berry, Thomas 2011: Das Wilde und das Heilige. Arun


3 Eisenstein, Charles 2020: Wut, Mut, Liebe. Europa Verlag


4 Grote, Bettina: www.systemische-prozessgestaltung.de


5 Hüther, Gerald und Herbert Renz-Polster 2013: Wie Kinder heute wachsen. Beltz


6Kreszmeier, Astrid Habiba 2018: Systemische Naturtherapie. Carl-Auer Verlag


7 Pourian, Heike: Vorab-Lesung aus dem im Entstehen begriffenen Buch „Wenn wir wieder wahrnehmen“. Erscheint voraussichtlich im Mai 2021 und ist vorbestellbar: wahrnehmen@beruehrbarewelt.de


8 Steiner, Dieter, 2014: Rachel Carson, Pionierin der Ökologiebewegung. Eine Biografie. Oekom


9 Steiner, Dieter, 2015: Umweltgifte und mutige Frauen. In: Du. Die Zeitschrift der Kultur, Nr. 855 (April), S. 88-95, 2015 (hrsg. von Du Kulturmedien AG, Zürich).


 


Portrait von Rachel Carson: her official staff photo from the US Fish and Wildlife Service, taken some time around 1946. Provided by the Linda Lear Center for Special Collections and Archives,  Connecticut College.


 


 


Vera Schmiedel
Vera Schmiedel

promovierte in Meeresökologie, lebte auf einer kleinen Insel, begab sich dann auf Sinnsuche in craniosacraler Osteopathie, systemischer Aufstellungsarbeit, systemischer Naturtherapie und Stillness Touch, praktizierte bis 2018 in Hamburg. Jetzt ist sie begeisterte Malerin, Schmuckdesignerin und Ganzjahres - Schwimmerin an der Ostseeküste.




Astrid Habiba Kreszmeier
Astrid Habiba Kreszmeier

ist gerne Gastgeberin, auch hier in der Rubrik Wildes Weben. Sonst Begleiterin und Lehrtherapeutin in Systemischer Naturtherapie, Tiefenmythologie und Aufstellungsarbeit. Autorin, Gärtnerin und Aktivistin für Sympoietisches.
Wirkt und schreibt in nature&healing und seinem Journal für Erd- und Menschenverstand.