Sturmstimmen

 


An-Regen in neuen Räumen


Nordöstliches Niederösterreich, am 12. Dezember 2020: Die tagelangen kraftvollen Stürme, durchsetzt mit Regen und Schnee, haben sich nun spürbar gelegt. Der Himmel ist trüb, es herrscht Hochnebel.


Wildes Weben in der wohlig warmen Stube - will ich nun. Es wird Zeit. Nur - was soll es sein? Wie geht das? Was braucht es? Kein Bild dazu. Keine Anleitung. Ein virtueller Webrahmen, der sich nur erfahrbar macht, wenn man ein dazu nötiges technisches Gerät besitzt. Naja, einen Laptop zum Beispiel.
Schwach glitzernd, kaum sichtbar, vorbespannte Kettfäden aus feinster Glasfaser als Hintergrund - so soll er sein, so möchte ich mir ihn gern vorstellen. Stofffäden, die einem das Leben selbst, die unmittelbare Umwelt oder die Kollegen aus dem Weberei-Kreis zuspielen. Ich möchte gerne dazu weben, zu diesem sich formenden Stück Stoff, dort in dieser nebulösen, abstrakten Welt hinter Glas, in diesem weißen, scheinbar unbeschriebenen Land.
Ein Wagnis wahrlich - aber was soll's. Es geht doch nicht ums nackte Leben - oder nicht?


Der Sturm in den Köpfen


Wenn ich mir die bereits verwobenen Hannah Arendt-Fäden anschaue - dann doch irgendwie. Sie sind so gefärbt - diese ersten Fäden - kommt mir fast vor.
27. November 1933: Grau, kalt und regnerisch mit 2,9°C ist das Klima im November 1933 im Deutschen Reich. Eigentlich keine Spur von Wind oder gar Sturm.


Dennoch - der Sturm der Zeiten bricht an diesen Tag über Hannah herein - der Reichstagsbrand und seine Folgen für die jüdische Bevölkerung. "Un-ge-heuer-lich!" ruft sie in diesem Interview mit Günter Gauss. Als Zuschauer wird man unweigerlich mitgetragen in dieses Gefühl, das damals herrschte. Etwas, das vorher nicht vorstellbar, nicht begreifbar gewesen wäre, war über Nacht in einem unfassbaren Ausmaß grausame Praxis geworden. Ihre Naivität war weg, sagt sie, wie weggeblasen, würde ich hinzufügen.


Ja nun ist bleibt die Frage, was sie mit Naivität meinte und welche? Sturmfest blieb offenbar das Vertrauen ins Menschliche. So erkannte sie sogar in Obersturmbannführer Eichmann immerhin noch diesen Funken des Menschlichen: «Er war ein Hanswurst.»
Hmm... sowas wie ein Schreibtischmörder, der sich verlassen hat auf Befehle. Dass Bürokratie tödlich ist, merkt man spätestens, wenn man mit ihr zu tun hat. Den Eichmann konnte man zumindest noch hängen. Die heutige e-government-Software hat kein Gesicht mehr.


Der Sturm im Waldgarten


Im Grunde bin ich froh darüber, dass mir beim Bäumepflanzen nicht mehr den ganzen Tag der Sturm um die Ohren pfeift. Am Abend hat man das Gefühl zerzauster Leere im Kopf. Gleich einer Baumkrone deren vergilbte Blätter und abgestorbene Zweige ausgeblasen wurden. Der Kronenschnitt der Natur? Echte Sonne wäre wieder schön, diese endlos graue Trübheit ist bedrückend und zehrt. Aber das gehört einfach zu dieser Phase – dem Spätherbst und Winter, der Rückzug in die Erde und der Zerfall der organischen Reste. Darum ist es auch so wichtig die wurzelnackten Bäume jetzt zu pflanzen. Es ist die Zeit, wo die Dinge nach unten wachsen. Reines nach oben wachsen ohne Wurzeln geht nicht, das bedeutet schlichtweg das sichere Verdürren und Absterben des ganzen Organismus. Man könnte natürlich den Baum ohne entsprechendes Wurzelwerk auch künstlich erhalten. Mit konstanter Bewässerung und massiver Düngung. Aber so raubt man dem jungen Baum die Notwendigkeit jemals jene Wurzeln zu bilden, um das zu sein, was er werden kann und sich selbst zu erhalten. Der Mensch kauft sich mit dieser Künstlichkeit einen Verlust an Lebenszeit und an Energie. Wäre schade darum. Wohingegen – es tut mir leid - andere ganz massiv an Naturunrichtigkeit verdienen. Naturunrichtigkeit ist wahrscheinlich Bewässerung und Dünger als Geschäftsgrundlage und ausweglose Überlebensstrategie des Entwurzelten.


Die Ruhe nach dem Sturm und der Hochnebel


Ein nächster spürbar bewegender Moment des Interviews: "Es war als ob sich ein leerer Raum um mich bildete". 
Wieder etwas, was für sie unfassbar war - die Gleichschaltung und zunehmende soziale Distanzierung ihres intellektuellen Freundeskreises. "Was vor allem unter den Intellektuellen die Regel war und unter den anderen nicht!", empörte sie sich weiters.
"...man kann sich zu jeder Sache etwas einfallen lassen, ganz fantastische, komplizierte und hoch über dem Niveau schwebende Dinge. Die (Anm.: Intellektuellen) gingen den eigenen Einfällen in die Falle. Das habe ich übersehen.", konstatierte sie weiters, fast demütig möchte man meinen. Sie hatte der Sache inzwischen "nach-gedacht."


Zum "mondernen" (es hat sich so verschrieben, drum lasse ich diesen Tippfehler so einfließen) Massenmenschen bemerkt sie: sein einziges Vergnügen liegt in Arbeit und Konsum. Es interessiert niemanden mehr wie die Welt, der Raum der Öffentlichkeit aussieht. Sie erkennt eine Verlassenheit im Arbeitsprozess. (Der Massenmensch ist auf sich selbst zurückgeworfen, Konsum ist Ersatz für soziales Engagement).


Wieso klingt sich das alles so wie von heute, das Interview fand doch am 28.10.1964 statt? Ich sehe aus dem Fenster. Es ist spät und die Luft schwarz geworden. Wie immer in der Nacht. Der Nacht ist es völlig wurscht, ob die Himmel getrübt sind oder nicht. Die ist so, wie sie ist.


Ich bedanke mich bei den Vor-Weberinnen für ihre eingebrachten Fäden und freue mich schon auf die nächsten. Weiterweben bitte!


27.11.1933 - Wie war das Wetter am 27. November 1933 - chroniknet.de


Oktober 1964 - Berlin - Historisches Wetter - Chroniknet


 


Franz Schweinberger
Franz Schweinberger

Bio-Landwirt. Er schreibt im Natur-Dialog Magazin, pflegt die Kunst des Getreidebaus, Kartoffelbaus, Leguminosenanbaus, Weinbaus und Waldgärtenbaus und zerbricht sich gerne den Kopf über naturkonforme Ökosysteme, Humus, Agrarökologie, Natur-Dialogisches, dem was gerade ist und allem Menschlichen und Mehr-als-menschlichen dazwischen.




Astrid Habiba Kreszmeier
Astrid Habiba Kreszmeier

ist gerne Gastgeberin, auch hier in der Rubrik Wildes Weben. Sonst Begleiterin und Lehrtherapeutin in Systemischer Naturtherapie, Tiefenmythologie und Aufstellungsarbeit. Autorin, Gärtnerin und Aktivistin für Sympoietisches.
Wirkt und schreibt in nature&healing und seinem Journal für Erd- und Menschenverstand.