Hintergründiges

"Ich hab einen echten Hintergrund"


sagt eine Kollegin im Zoom Meeting. Sie meint damit den Manchester Stoff, vor dem sie am Bildschirm zu sehen ist, und gleichzeitig ahnt es in mir, dass wir uns der realen, konkret erfahrenen, leiblich-situierten Hintergründe von Menschen heute nicht mehr so sicher sein können. Und ich meine gar nicht primär Zoom oder andere Bildschirmsettings damit.


Als Sozialpädagogin und Beraterin mit natur-dialogischem Hintergrund versuche ich Menschen in jenen Landschaften zu sehen, in die sie gestellt sind oder in denen sich ihr Leben gerade bewegt. Und ich sehe auch mich selbst im Begleitungskontext vor allem in Beziehung mit diesen Landschaften. Als Dozentin interessiere ich mich mit den Studierenden für Wirklichkeiten, Lebenswelten und kognitiv-affektive Landkarten in ihren Arbeitssituationen. Und rege auch dort den Blick auf die elementaren, die in Beziehung stehenden Mitwelten an. Was ist das für eine Gegend, was wächst hier und wer oder was lebt hier alles? Gibt es Berge, Wasser oder Tiere? Wie steht es um das Licht, die Farben und welcher Horizont und welche Klangwelt rahmt diesen Raum?


Es geht mir dabei nicht um Metaphern, und auch nicht um Kontextualisierung. Denn auch das wären gewissermassen virtuelle Hintergründe. Es geht um echten Kontakt mit gegebener Natur. Um Beziehung zum eigenständig Lebendigen von Landschaften. Es macht unheimlich viel Sinn diesen Landschaften tatsächlich zu begegnen. Sie zu suchen und dort draussen zu arbeiten. Sich ihnen auszusetzen, mit ihnen zu sprechen, sich verzaubern oder verregnen zu lassen oder einfach zuzuhören, mitzufühlen, sich andenken, einbetten oder erstaunen lassen.


Wir Menschen sind verwoben mit den Landschaften, wie könnte es auch anders sein.


Und mein Bauchgefühl sagt mir, dass es relevant ist, dass es einen Unterschied macht, ob wir Berge nur noch als Wallpaper, Wälder nur von Fotokalender, Tag und Nacht nur noch aus der Grafikengine eines Computerspiels kennen und ob Hitze und Kälte per Smartphone vermeidbar oder sogar steuerbar sind. Es ist bedeutsam, ob unsere Füsse wissen, abseits von gebauten Wegen vorwärtszukommen, und ob unsere Herzen den Freudensprung kennen, wenn erste Sonnenstrahlen den Horizont durchbrechen und dass wir mit vielen Wassern gewaschen sind. Es ist wichtig, dass wir vorne und hinten wahrnehmen, mit oben und unten vertraut sind und dass wir uns sinn-reich als Teil des Gewebes erleben und erinnern können.


In besagtem Zoom Meeting sollte ich eine kurze Aktivierung moderieren. Die Einladung an die Kolleginnen und Kollegen war, sich für einen Moment von ihrem Vordergrund zu lösen und uns teilhaben zu lassen an dem Raum, in dem Sie sich gerade befinden. Vielleicht sogar jenen Lieblingsblick zu teilen, der einen spürbaren Unterschied im Wohlbefinden schafft an Tagen wie diesen im Home-Office. Ausnahmslos alle sind aufgestanden, ausnahmslos alle haben Perspektiven hinaus, vielfach ins Grüne oder an belebte Strassen geteilt. Und niemand hat danach vor demselben perfekt eingerichteten Hintergrund weitergemacht, in dem wir gestartet waren.


Wo zieht Ihr Blick Sie hin, wenn der Körper abschweifen will in die Landschaft rund um diese Zeilen auf diesem Bildschirm…? Weiter weben.


Astrid Habiba Kreszmeier
Sinha Weninger

ist Systemische Naturtherapeutin, Dozentin für Sozialpädagogik und Mutter eines 5-jährigen Waldkindes. Sie schreibt im Natur-Dialog Magazin, pflegt die Kunst des feuermachens und zerbricht sich den Kopf über Gemeinwohl und Ökologie. Weitere Infos unter www.weninger.info




Astrid Habiba Kreszmeier
Astrid Habiba Kreszmeier

ist gerne Gastgeberin, auch hier in der Rubrik Wildes Weben. Sonst Begleiterin und Lehrtherapeutin in Systemischer Naturtherapie, Tiefenmythologie und Aufstellungsarbeit. Autorin, Gärtnerin und Aktivistin für Sympoietisches.
Wirkt und schreibt in nature&healing und seinem Journal für Erd- und Menschenverstand.