Aha-Effekte für die Soziale Arbeit

„Aha!“ denke ich mir, als ich eines Tages in Graz bei Gunther Schmidt im Seminar sitze. „Ralf, das hast Du früher nicht so betrieben… Vielleicht haben sich dadurch auch einige Probleme ergeben“ So gehen meine Gedanken. „Das könnte für Dich – ja für die Soziale Arbeit überhaupt – interessant sein!“


Soeben hatte ich den dritten Aha-Effekt erlebt. Was ist also passiert?


Der erste Aha-Effekt stellt sich sofort zu Beginn des Seminars ein: Gunther Schmidt erzählt mir eben aus der Ich-Perspektive über die Entwicklung der systemischen Therapie und Beratung in Heidelberg. Subjektiv. Biographisch. Hautnah. Auf dieselbe Art und Weise erzählt er von seiner Begegnung mit Milton Erickson, dem begnadeten Hypnotherapeuten. Eine kurze Anekdote von Jeff Zeig, einen der Schüler Ericksons, sei eingefügt: Milton Erickson hat zu dessen Zeit nicht an einer Universität oder Fachhochschule oder in einem Lehrgang unterrichtet. Jene, die von ihm lernen möchten, wohnen direkt bei ihm oder in der Umgebung. Erickson unterrichtet, in dem er die „Studierenden“ bei sich zu Hause in der Therapie dabei sein lässt. Therapie und Lehre sind in einem. Das wäre, als würde man klassische Musik lernen, indem man/frau Beethoven, Mozart oder Schubert zuhört und mit ihnen mitspielen. Dies ist eine vollkommen andere Art zu lernen. Ich erkenne sofort eine Parallele zur Sozialen Arbeit: Subjektive, persönliche und biographische Aspekte sind in der Annäherung an Menschen wichtig. Diese Ich-Perspektive zählt. Soziale Arbeit nähert sich den KlientInnen (KundInnen, AdressatInnen, NutzerInnen … Teilnehmenden …) ebenso qualitativ an und achtet die Ich-Perspektive.


Das ist einer der Gründe, warum dieser Blog in der Ich-Form geschrieben wird. Üblicherweise werden Blogs in der dritten Perspektive – der sogenannten auktorialen Erzählperspektive – verfasst. Das sei dann „wissenschaftlich“, jedenfalls soziokulturell und in der scientific communitiy eben state of the art. Ich erlebe es im Seminar nun ganz anders: Die Ich-Perspektive bringt mir einen enormen Mehrwert. Durch die biographisch-persönliche und qualitative Annäherung an das Thema verstehe ich es besser. Es ist dies ein qualitativer Zugang zu Theorien und Methoden, eine Stärke, die auch in der Sozialen Arbeit gelebt werden könnte.


Wäre dies nicht auch eine lohnende Perspektive für Soziale Arbeit? Ich habe Wolfgang Hinte dazu befragt, wie er zur Sozialraumorientierung gekommen sei. Ich weiß, dass sich hinter dieser Frage eine spannende Erzählung versteckt. Ich weiß also, was Wolfgang Hinte zum Thema Sozialraumorientierung theoretisch und methodisch schreibt. Das ist das Lesewissen, ein Objektwissen. Und ich weiß (zum Teil), wie er dazu gekommen ist, welche Haltung ihn trägt und welche persönlichen Erlebnisse und Erfahrungen ihn mit diesem Konzept verbinden. Das ist ein Erfahrungswissen, ein Subjektwissen. Ich weiß, – zum Beispiel – was Heiko Kleve zum Systemischen Case Management schreibt. Es würde mich interessieren, wie er dazu gekommen ist. Welche Erlebnisse und Erfahrungen verbinden ihn damit? Ich könnte weiter fragen: Wie kommt es, dass Hans Thiersch über die Lebensweltorientierung schreibt? Silvia Staub-Bernasconi über das Tripelmandat? Hinter jeder Theorie und Methode als Objektwissen befindet sich auch ein Subjektwissen. Ich habe aus dem hypnosystemischen Zugang gelernt, wie wertvoll dies ist.


Der zweite Aha-Effekt stellt sich ein, als Gunther Schmidt von der Bedeutung der Meta-Ebene spricht. Über das, was man/frau redet, reden. Über das, was man/frau tut, sprechen. Ich schreibe darüber, wie ich den Blog schreibe. Eine Meta-Ebene.


Die Meta-Ebene ist in der Sozialen Arbeit eine sehr wichtige Ebene. Oftmals können Soziale Situationen nur dann erfasst werden, wenn diese – auch – aus der Vogelperspektive wahrgenommen werden. Neben der Ich-Perspektive sind dann auch die Du-,Er-,Sie-,Es-,Wir-,Ihr- und Sie-Perspektiven wichtig. Und es ist wichtig wie diese Perspektiven miteinander verbunden sind. Wie diese wechselwirken. Die Meta-Ebene ist eine wichtige Kommunikationsebene, um Produktinformationen zu geben – also, um über die eigene Dienstleistung zu beraten. Im Case Management wird dies etwa die prozedurale Fairness genannt. Gunther Schmidt erzählt über Transparenz. In der SysTelios – Klinik für psychosomatische PatientInnen wird hypnosystemisch gearbeitet. Ein Teil der Behandlung sei, so erfahre ich, dass die PatientInnen im Zuge von Meta-Kommunikations-Gesprächen in der Gruppe und einzeln erfahren, welche Methodik zu welchem Zweck und in welcher Art bei Ihnen zur Anwendung gekommen sei. PatientInnen erhalten also das Recht, etwas über die Art und Weise zu erfahren, wie sie behandelt werden. Sie haben zudem ein Mitsprache- und Rückmeldungsrecht. Diese Form der Metaebene wäre doch hoch spannend für die Soziale Arbeit zu diskutieren… Auch Soziale Arbeit kennt Beteiligungsprozesse. Partizipation ist ein wichtiger Wert. Eine weitere Verwandtschaft ist damit zwischen den Ansätzen entdeckt. Die Meta-Ebene ist aber auch eine wichtige Reflexions- und Interventionsebene. Hier kann in der Gesprächsführung viel bewirkt werden: Ich erinnere mich sogleich an viele professionelle Gespräche, in denen diese Ebene eine Rolle gespielt hat. Methodisch als auch theoretisch ist es wichtig, so weiß ich, dass Soziale Arbeit über sich selbst als Theorie, Methode und Praxis spricht – sich selbst reflektiert, hinterfragt, und neu justiert.


Der dritte Aha-Effekt ist dann auch der größte. Gunther Schmidt spricht von der „gesicherten BeraterInnen-Position“ – abgekürzt hier als gBP. Die gBP – gesicherte BeraterInnen-Position – sei eine wichtige Grundlage für das erfolgreiche hypnosystemische Beraten, Begleiten und Entwickeln, so höre ich im Seminar. Ich reflektiere kurz für mich… In den letzten fünfzehn Jahren habe ich viele Modelle gelernt, um psychologische, persönliche, soziale, psychosoziale, soziomaterielle und weitere Ressourcen bei den KlientInnen zu entdecken und zu etablieren. Inwieweit war es aber bisher Thema, an meinen eigenen – insbesondere intrapsychischen – Ressourcen zu arbeiten? Extrapersonale Ressourcen wie etwa ein Büro, ein PC – also ein passender Arbeitsplatz – und das Zeit- und Selbstmanagement waren bislang ein häufiges Thema gewesen. Auch bin ich es gewohnt, Dialoge, Diskurse und Debatten über fachliche Standards, Qualitätsrichtlinien und Fördervorgaben zu führen. Neu ist nun aber die Idee, sich selbst auf Gespräche entsprechend durch das Management der inneren Haltung und Stimmung vorzubereiten. Aus meiner subjektiven, 15-jährigen Erfahrung in der Praxis, Lehre und Supervision der Sozialen Arbeit könnte ich hypothetisieren, dass es in der Sozialen Arbeit sehr viele Theorien, Methoden, Konzepte und Modelle gibt, um KlientInnen (…) professionell zu unterstützen – um professionell sozialarbeiterische Fallsituationen zu steuern. Soziale Arbeit, so meine Erfahrung, verfügt über eine besondere Stärke in der Reflexion von soziodynamischen Prozessen und Effekten. Soziale Arbeit kann soziale Strukturen, soziale Prozesse, soziale Gegebenheiten, Soziale Räume, soziale Dienstleistungen und soziale Einrichtungen sehr gut reflektieren. Die Idee einer gBP ist mir aber neu.


So überlege ich, wie ich mich innerlich auf Gespräche vorbereitet habe. Und inwieweit diese Vorbereitung auch systematisiert werden kann, so dass andere FachkollegInnen davon profitieren können.



  • Die gesicherte BeraterInnen-Position – gBP – ermöglicht es mir neben diesen äußeren Faktoren auch die inneren Faktoren fachspezifisch und fachwörtlich zu berücksichtigen. Zum einen entdecke ich, dass ich in mir einen Ressourcenraum habe. Jene Modelle, die üblicherweise den KlientInnen zugutekommen, kann ich mir zugutekommen lassen. Ich kann meine eigenen Potentiale, Stärken, Kompetenzen, Lösungen und Ressourcen entdecken. Die Leitfragen sind dabei:

  • Was brauche ich als Mensch in der Rolle als Fachkraft der Sozialen Arbeit, damit ich das kommende Gespräch / den kommenden Unterstützungsprozess gut vorbereiten, durchführen und begleiten kann?

  • Was gibt mir die Sicherheit, professionell sozialarbeiterisch zu handeln – und speziell in Bezug auf diese Person / Situation?

  • Welche Klarheit in meiner Rolle, in meinem Auftrag und in meinem Setting brauche ich, so dass ich eine professionelle Soziale Arbeit leisten kann?

  • Was darüber hinaus kann beitragen, so dass ich methodisch wirksam werden kann?


Neben den fachlichen Standards, den sozialarbeiterischen Methoden und den Qualitätskriterien meiner dienstgebenden Einrichtung werden neue Aspekte wichtig:



  • Sicherheit

  • Klarheit

  • Handlungsfähigkeit

  • Selbst- und Fremdwirksamkeit


Damit ich wirksam werden kann, ist der erste Schritt nunmehr mich selbst in eine gesicherte Berater-Position zu bringen. Ich lasse mir selbst ein Empowerment, eine Stärkung und eine Ressourcenarbeit angedeihen, ehe ich mich der Fallarbeit zuwende, um dies den KlientInnen (…) anzubieten.


Dies ist die praktische Ebene. Für die Theorie der Sozialen Arbeit bleibt – unter anderem – die Frage, was Soziale Arbeit als Disziplin brauche (brauchen könnte), um wirksam zu werden? Wie könnte sich Soziale Arbeit als Disziplin positionieren? Welche Interessen könnte sie formulieren und vertreten? Welche Bedürfnisse und welchen Bedarf hat sie? Und abschließend möchte ich fragen: Was kann dazu beitragen, dass TheoretikerInnen und PraktikerInnen der Sozialen Arbeit professionell wirksam werden können? Im Zuge des Blogs, so hoffe ich, finden sich einige Antworten darauf.