autobahnuniversität / Ernst von Glasersfeld - Konstruktivismus radikal: Wie entsteht Wissen?
Ernst von Glasersfeld (1917 – 2010), in den dreißiger Jahren der erste australische Ski-Abfahrtsmeister, war Mathematiker, Linguist und Professor für Kognitionspsychologie. Das Spektrum der Persönlichkeiten und Ansätze, die ihn beeinflussten, reicht u. a. von Sigmund Freud, Ludwig Wittgenstein, Jean Piaget, Giambattista Vico, G.A. Berkeley, James Joyce über Heinz von Foerster zu Warren McCulloch.
Ernst von Glasersfeld leistete bedeutende wissenschaftliche Beiträge zur Erklärung der Konstruktion dessen, was wir „Wissen“ nennen. Die Begriffe „Erkenntnistheorie“ und „Erkenntnis“ hielt er für irreführend. Wissen werde kreiert bzw. geschaffen. Kernbegriff: Viabilität. Radikaler Konstruktivismus: Dafür steht niemand prominenter als Ernst von Glasersfeld.
Im hier dokumentierten Vortrag geht Glasersfeld von dem Befund aus, dass der Grundbegriff der Regel unzureichend reflektiert und geklärt ist, sowohl solcher, die wir bewusst befolgen, als auch derer, die wir zu befolgen scheinen, ohne uns dessen bewusst zu sein. Ein guter Begriff der Ordnung ist ohne die Klärung des Regelbegriffs nicht zu gewinnen. An einem illustrativen Beispiel aus alltäglichem Haushalten verdeutlicht er zwei Prinzipien des Ordnens: Gegenstände unsichtbar machen, indem man sie einfach irgendwie verstaut und der Wahrnehmung entzieht. Die andere Regel: Gebrauchsgegenstände (Bücher, Werkzeuge, Medikamente) werden an den Ort gerichtet und zugänglich gehalten, wo sie am meisten gebraucht (und wieder gefunden) werden.
Die beiden Regelprinizpien sind unvereinbar, was in alltäglichen menschlichen Beziehungen zu Unstimmigkeiten führen muss ...
Der Begriff der Ordnung, so Glasersfeld, setzt grundsätzlich das Vorhandensein von Regeln voraus. In Worten von Jeremy Bentham (Ende 18. Jhdt.): Nur mit Hilfe einer Regel kann man einem Handelnden ursächliche Kraft zuschreiben.
Realisten (metaphysische, metarialistische oder kritische (Popper)) sei es nicht gelungen zu erklären, wie ein objektives Weltbild in den Bewusstseinsbereich eines kognitiven Organismus gelangt. Der Konstruktivismus beginnt mit der Frage: Wie bauen wir unser Wissen aufgrund unserer Erfahrung auf, ohne Bezug auf die Beschaffenheit einer vom Erleben unabhängigen ontischen Realität? Mit Rückgriff auf die radikaleren Ansätze von Jean Piaget, Humberto Maturana und Beiträge aus der erkenntnistheoretischen Tradition, wie die von John Locke und Wilhelm von Humboldt, entwickelt Glasersfeld das konstruktivistische Verständnis von Wissen aus Erfahrung. Vorausgesetzt sind Kompetenzen wie Reflexion und Gedächtnis. Die alte erkenntnistheoretische Frage des Zusammenhangs von Erfahrung und Realität erhält eine Wendung, deren praktische Relevanz in Wissenschaft und nicht nur therapeutischer Praxis längst unter Beweis gestellt ist. Dieser Vortrag bereitet in seiner Klarheit und Geordnetheit ein wirklich gutes Verständnis des Konstruktivismus vor, und er eröffnet ein Interesse an dieser bedeutenden Wendung, die man glücklicherweise über gute Literatur, auch vom Vortragenden, vertiefen kann …
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