Humberto Romesín Maturana gestorben

Zum Tod von Humberto R. Maturana


„Tod des Beobachters = Ende seines Beobachtens, Ende seines Unterscheidens und Ende seines Bezeichnens, Ende seiner Kreation von Formen.“


Darf man einfach so trocken zitieren anlässlich des Todes eines so bedeutenden Biologen und Philosophen wie Humberto Maturana, der vielen (und immer noch zu wenigen, wenn man sich erlauben darf, vorübergehend missionarisch zu reden) überhaupt erst in der Lage war in Erfahrung zu bringen, dass sie in erster Linie Beobachter sind und ihr Erkennen ein ständiger kreativer Prozess?


Am 6. Mai 2021 verstarb Humberto Maturana im Alter von 92 Jahren. Gemeinsam mit Francisco Varela entwickelte er das Konzept Autopoiesis, ohne das systemisches Denken und Tun heute nicht vorstellbar ist.


Was Humberto Maturanas Wirkung auf Wissenschaft und therapeutische und andere Praxis angeht, so sind die Meinungen verschieden: Die einen sehen mit Freude, wie sein Begriff der Autopoiesis (als Bezeichnung des Form-Prinzips, das lebende Systeme von nicht lebenden Systemen unterscheidet) über Niklas Luhmann zu einem vollkommen neuen und nützlichen Verständnis von sozialen Systemen geführt hat (Maturana selbst stand dieser Übertragung übrigens eher skeptisch gegenüber …). Und sie sehen, wie viel Unverständnis, ja Ignoranz diesen Konzepten und ihren Erfolgen doch nach wie vor noch entgegenschlägt. Andere wiederum stehen nach wie vor wie verdattert da, wenn sie zusehen müssen, wie ihre lange gepflegten Gewissheiten und Gewohnheiten ins Wanken und Rutschen geraten, und sie verkennen die Chancen, die genau darin liegen könnten ...


Familientherapie, Systemische Therapie, Systemische Beratung von Individuen, Familien, Teams, Organisationen, Unternehmen u. a. wäre ohne Maturanas Einfluss und die Übertragung des Autopoiesis-Konzepts nicht zu denken.


Humberto Maturanas Beiträge zum Verstehen von Leben, Kognition, Erkennen und dem, was daraus für ein verantwortungsvolles Leben folgt, werden zu dem gehören, das einmal übrigbleibt von einem Jahrhundert (oder zweien).


Alle Mitarbeiter:innen im Carl-Auer Verlag trauern um Humberto Maturana. Wir sind dankbar, dass Humberto Maturana so lange und so genau beobachtet und Formen gebildet hat.


In den kommenden Tagen erscheinen hier einige persönliche Erinnerungen von Bernhard Pörksen, Fritz B. Simon, Heiko Kleve und anderen, die Humberto Maturana kannten, mit ihm gearbeitet haben und seine Ideen in theoretischen und praktischen Formen weiterentwickeln. Papier ist geduldig, Tonaufnahmen sind es auch. Mit den Aufnahmen, die von Humberto Maturana bei der autobahnuniversität vorliegen, kann man immer aufs Neue anfangen, anders zu denken. Genauso wie mit seinen Büchern.