Sounds of Science / Daniel Wilk - Muss ich mich ärgern?

Mit Geliebter Schnarcher widmet sich Daniel Wilk der Besonderheit paradoxer Interventionen mit Humor und Leichtigkeit. Muss ich mich ärgern über störende Begleiterscheinungen des Zusammenlebens mit anderen Menschen oder des eigenen Seins? Welche Möglichkeiten gibt es, persönliche Reaktionsmuster zu erkennen und zu drehen? Im Gespräch mit Carl-Auer Sounds of Science erläutert Daniel Wilk ein tieferes Verständnis von Trance und warum Geschichten sich so sehr eignen, unbewusste Prozesse zu erreichen, neue anzuregen und mehr Gelassenheit und Selbstwirksamkeit zu fördern.


Daniel Wilks Trance-Geschichten gehören zum festen und hochgeschätzten Interventionsrepertoire vieler Psychotherapeut:innen, besonders, aber nicht nur, in der Hypnotherapie. Bücher wie Die Melodie der Ruhe, Ein Käfer schaukelt auf einem Blatt oder Auf den Schultern des Windes schaukeln erleben immer wieder neue Auflagen.



Ob im Auto, im Bett, in der Badewanne, mit der Maske im Bus oder im Zug, beim Warten am Bahnhof oder Flughafen, beim Einkauf oder vor der Bank, beim Joggen und Kochen alleine oder mit Partnern: Bleiben Sie wach, mit Carl-Auer Sounds of Science! Und, wo immer es geht, den freien Blick und den freien Geist nutzen: Carl-Auer Bücher lesen, Carl-Auer Wissen nutzen!


Transkription des Interviews


Ohler Lieber Daniel, zuerst einmal lieben Dank, dass du dir Zeit nimmst, hier mit Carl-Auer Sounds of Science ein Gespräch zu führen. Herzlich willkommen!


Wilk Hallo, herzlich willkommen Matthias.


Ohler Du hast zahlreiche Bücher bei Carl-Auer veröffentlicht, die alle immer wieder neue Auflagen erleben, was uns natürlich sehr freut, und sie erfreuen sich eben auch großer Beliebtheit. Sie bieten größtenteils sehr fein ausformulierte Geschichten, die sich hervorragend für die therapeutische Arbeit mit Trance aneignen. Da kommen wir gleich hin. Sie eignen sich auch für die eigene Anwendung, und es gibt sie größtenteils übrigens auch als Audio-Ausgaben. Auch in deinem neuen Buch Geliebter Schnarcher – herrlicher Titel – gibt es ein abschließendes Kapitel mit 13 Trance-Geschichten zum Schnarchen. Ein wichtiges Detail, wenn ich das sagen darf, scheint mir: zum Schnarchen und nicht gegen Schnarchen. Da kommen wir vielleicht noch hin. Fangen wir mit der Frage an: Was verstehst du unter Trance? Und eine zweite, gleich daran anknüpfend: Wie wirken damit zusammenhängend Geschichten?


Wilk Ja, mit dem Begriff Trance hatte ich so einige Probleme. Es wird allgemein als veränderter Bewusstseinszustand beschrieben, der gekennzeichnet sein kann durch eine veränderte Wahrnehmung der Zeit. Sie wird als länger oder kürzer empfunden während der Trance, als sie auf der Uhr tatsächlich abgelaufen ist, und auch durch eine Amnesie für das in der Trance Erlebte. Und mit dem veränderten Bewusstseinszustand, den die Trance darstellen soll, kam ich nicht so klar lange Zeit. Falls das stimmt, müsste es doch einen normalen Bewusstseinszustand geben, von dem sich dann jede Trance deutlich unterscheiden würde. Denn auch in meinem Alltagsleben kenne ich eine veränderte Wahrnehmung der Zeit, das kennt jeder. Und jede Menge Amnesien für Zeiten während des Tages, die ich nicht als Trance definiert habe bisher. Inzwischen klärt sich meine diesbezügliche Verwirrung allmählich, aber das hat wirklich eine Weile gedauert. Wir erleben nämlich ganz natürlich jede Menge Trancen geringer oder mittlerer Tiefe in unserem Alltag, wenn wir mit etwas beschäftigt sind, das wir schon häufig gemacht haben und unser Handeln nicht mehr mit dem Bewusstsein begleiten müssen, damit es funktioniert. Bekannte Beispiele beginnen mit dem Besuch im Bad oder das an sich sehr komplexe Autofahren, bei dem wir hinterher nicht mehr sagen können, welche Handgriffe genau hinter uns liegen, in welcher Reihenfolge, wo beginnend, wo endend, und was an uns vorbeigezogen ist, während wir gefahren sind. Diese Dinge kennen wir, kennen wir alle, und wir würden noch viel mehr Beispiele finden, wenn wir zu suchen beginnen. Insofern gibt es das normale Bewusstsein ohne Trance vielleicht in Lücken, vielleicht zwischendurch. Du erkennst mein Problem damit. Ganz anders wird es, wenn wir tiefere Trancen erleben oder in ihnen etwas tun, das wir normalerweise nicht tun. Letzteres wird gerne von Show-Hypnotiseuren genutzt, um damit Geld zu verdienen und/oder die eigene Macht zu demonstrieren. Niemals sollte es jedoch Bestandteil einer therapeutischen Trance sein, Menschen zu einem Erleben oder Handeln zu bewegen, das den Interessen des Hypnotiseurs dient, nicht aber denen des Hypnotisierten. Ob das immer so streng in der Forschung eingehalten wird, in der es nicht immer in erster Linie um das Wohl des Probanden geht, kann man anzweifeln, wenn man es sich genauer anschaut.


Ohler Viel Erfahrung spricht, daraus habe ich den Eindruck. Was mich auch nicht wundert ...


Wilk ... und viel Verwirrun, viel Immer-wieder-nachfragen: Was heißt das eigentlich?


Ohler In deinem neuen Buch hast du dich eines Phänomens angenommen – mit dem Hintergrund dessen, was du jetzt gerade ausgeführt hast –, das ganz besonders erscheint – Schnarchen –, das aber wohl die allermeisten Menschen nicht nur einfach so kennen, sondern als etwas Wichtiges kennen. Das allerdings stört, ärgert, nervt oder sogar Menschen auseinanderbringt. Es ist keine Ausnahme für manche, sondern wird es als Regel erlebt, wie auch immer, auf jeden Fall ist es etwas, was immer wieder für Nerv-Erleben sorgt. Und für manche ist es auch mit Peinlichkeit in ihrem Erleben verbunden. Warum ist Schnarchen so wichtig, dass man ein ganzes Buch darüber schreibt?


Wilk Ja, bevor ich darauf eingehe, möchte ich noch kurz sagen, wie sich meine Geschichten als Trancen auswirken und welche Gedanken ich mir dazu gemacht habe. Meine Geschichten haben alle das Ziel, die Wahrnehmung des Zuhörers für die eigenen Gefühle zu öffnen, so dass letztlich der Tag weniger in Trance und bewusster verbracht wird. Dadurch wird natürlich auch bewusster, welche Bedürfnisse wir haben und was uns nicht gut tut. Meine Texte bieten an, die Welt weniger zu bewerten und sie von verschiedenen Seiten zu betrachten. Indem wir weniger werden, sind wir mit weniger belastenden Emotionen unterwegs und können das Sein im Augenblick besser genießen. Wir sehen uns selbst und andere Menschen vorurteilsfreier. Dadurch können wir uns bewusster dem zuwenden, das uns gut tut, und uns klarer von dem abwenden, was uns schadet. Hauptsächlich geht es also darum, die psychische und körperliche Gesundheit zu fördern. Das ist insofern nicht schwierig, weil die Ressourcen für Gesundheit und Heilung in uns selbst liegen. Jeder Mensch kommt mit dem starken Streben auf die Welt, gesund zu sein und zu bleiben. Dieses Streben wird durch die Sozialisation mehr oder weniger unterdrückt. Indem Erfolg und Anpassung wichtiger werden als das Hören auf die eigenen Stimmen, die uns sagen, was für uns gut und nicht gut ist. Meine Geschichten unterstützen durch sorgfältige Formulierungen das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten und in die Natur in uns. Denn wir sind, entgegen der technisierten Welt, genauso Natur wie ein Baum oder eine Blume und haben ähnliche innere Bestimmungen, die uns dazu anleiten, gesund zu bleiben – wenn wir lernen, wieder auf sie zu hören, auf unsere inneren Stimmen. Dieses Lernen fördere ich durch vielfältige Metaphern und die Erinnerung an eigene Leistungen. Zusammenfassend würde ich sagen: Ich habe die Absicht, die therapeutische Selbstkompetenz des Klienten durch meine Geschichten zu fördern, was sanft, aber nachhaltig gelingt. Mittlerweile verwende ich sie seit Jahrzehnten in Gruppen und in Einzelsettings. Und durch die Wortwahl und die Metaphern in den Geschichten ist es eine sehr angenehme und zielführende Form, die therapeutische Arbeit zu unterstützen. Die Klienten entspannen mehr oder weniger tief. Sie fühlen sich hinterher besser und ihr inneres Streben achtsamer, bewusster und liebevoller mit sich selbst umzugehen, nimmt deutlich und anhaltend zu. Diese Rückmeldungen bekomme ich von Patientinnen, die nach Jahren noch einmal in die Klinik kommen, oder auch von Kolleginnen, auch nach längeren Zeiträumen. So viel zu meinen Geschichten, komprimiert.


Ohler Das ist eine wichtige Brücke zu dem Thema, wo du dich dann direkt, wenn ich so sagen darf, auf eine Symptom-Erfahrung mit dieser Kompetenz bezogen hast, auf das Schnarchen.


Wilk Genau. Warum schnarchen so wichtig ist, dass man ein ganzes Buch darüber schreiben könnte? Das Schnarchen an sich ist nicht für jeden Menschen wichtig. In meinen Entspannungs-Gruppen war es immer wieder ein Problem für andere Teilnehmerinnen. Meist sind es Männer die schnarchen und Frauen, die sich gestört fühlen. Aber es war auch ein Problem für die Schnarcher selbst. Weil sie aus Angst davor, andere zu stören und ausgegrenzt zu werden, verhindern mussten, zu tief zu entspannen. Andere Gruppenleiter von Entspannungs-Gruppen wecken die Schnarcher oder schließen sie sogar aus den Gruppen aus. Das wollte ich nicht. Einerseits wollte ich niemanden von der Möglichkeit, sich tief zu entspannen und eine Entspannungs-Methode zu lernen, ausschließen. Andererseits gefiel mir oft die Art nicht, wie diese Menschen diskriminiert wurden. Ich sah sie vor mir liegen und sehe sie noch immer vor mir liegen. Sie sind froh und es tut ihnen gut, in der Gruppe tief zu entspannen, weil sie nachts schlecht schlafen. Oder sie sind einfach erschöpft von einer Krankheit, von einem langen Arbeitsleben, und möchten so gerne tief entspannen. Diese Möglichkeit zur Ruhe zu kommen und zu erfahren, dass sie sich doch noch entspannen können, auch wenn das nachts schwierig war, wollte und will ich ihnen nicht nehmen. Im paradoxen Umgang, der mir auch sonst in der therapeutischen Arbeit sehr liegt, fand ich ein wirksames und kreatives Werkzeug, das sich auf viele, wenn nicht sogar auf alle Anlässe, die üblicherweise Ärger hervorrufen, entlastend anwenden lässt. Das Schnarchen ist also an sich so wichtig nicht. Es ist ein Beispiel, ein sehr praktikables Beispiel, wie man mit Ärger umgehen kann. Bei näherer Betrachtung des Umgangs mit Ärgernissen erkennt man, dass die sich Ärgernde – wie gesagt, es sind meist die Zuhörerinnen, die von den Schnarcher geärgert werden – also dass die sich Ärgernde den Eindruck hat und auch vermittelt, dass sie sich ärgern muss. Die Betonung liegt auf muss, darauf, dass sie keine Alternative hat. Stellt man sich und ihr ganz naiv die Frage, ob das so ist und man sich wirklich ärgern muss, beginnt diese Überzeugung sich aufzulösen und macht Platz für Veränderung. Nicht nur beim Schnarchen, sondern bei vielen Gelegenheiten, wo man zuvor dachte, man müsse so reagieren und habe keine andere Wahl.


Ohler Wenn ich das wieder als Brücke nehmen darf zu drei Kernbegriffen, die mir aufgefallen sind, die auch im Untertitel genannt sind – du hast eines schon angesprochen: Paradoxie. Und Humor und Leichtigkeit. Also geliebter Schnarcher klingt für manche ja schon wahrscheinlich paradox genug. Soll man das lieben, was nervt oder den, der nervt? Du bist schon einen Schritt weiter gegangen in deiner Antwort vorhin. Schauen wir mal auf Paradoxie. Das scheint mir sehr zentral zu sein, du hast es jetzt auch gerade angesprochen. Was, würdest du sagen, ist hier unter Paradoxie zu verstehen? Und wieso ist Paradoxie so wichtig, um mit Schnarchen oder auch mit anderem, das als störend erfahren wird, besser umzugehen? So wie ich verstanden habe, ist der besondere Ansatz wohl, nicht auf den zu fokussieren, der schnarcht, oder ein anderes Erleben, das offenbar nervt, sondern auf den, der das so erfährt und den es bislang irgendwie ärgert. Richtig?


Wilk Jein. Der Titel ist ein provozierendes Sprachspiel. In den Schlafzimmern sind es die geliebten Schnarcher, die den Schlaf stören und insofern die Liebe und die Leidensfähigkeit hier und da schon auch herausfordern. Der Titel spielt auf diesen Konflikt an, der in der Entspannungs-Gruppe keine so große Rolle spielt, weil die Menschen dort sich meist kaum kennen. Gerade dort ist den Fremden gegenüber Toleranz gefragt und Lernfähigkeit im Umgang mit Störungen.
Was verstehe ich in diesem Buch unter Paradoxie? Paradox ist der andere Umgang mit der Störung: Anstatt sie aus der Welt zu schaffen, indem der Schnarcher am Schnarchen gehindert wird, fordere ich den Schnarcher auf, zu schnarchen – also das zielt auch auf den Schnarcher – und diejenigen, die sich gestört fühlen, dem Schnarchen zuzuhören. Üblicherweise will man nicht hören, und ich bitte darum, zuzuhören. Paradox ist also sowohl die Aufforderung an den Schnarcher, weiter und besonders gepflegt zu schnarchen, als auf der anderen Seite auch dem bislang störenden Geräusch zu lauschen. Die Absichten dahinter sind vielfältig und tiefgreifend. Wenn es gelingt, den Ärger loszulassen und sich der Störung mit Interesse zuzuwenden, wird nicht mehr oder viel weniger geschnarcht. Die Störung verliert ihre negative Energie und wird eine positive Lernerfahrung. Die Gruppe kann sich ihrem Ziel zuwenden, eine Entspannungs-Methode zu erlernen. Und schließlich wird ein solches Vorgehen – sich der Störung zuzuwenden, statt dagegen zu kämpfen – eine Erfahrung, die auf sehr viele andere Bereiche im Leben generalisiert werden kann. Diese Generalisierung geschieht bewusst, indem es in der Gruppe thematisiert wird, als auch unbewusst, weil wir auf diese Weise lernen, Probleme anders zu lösen als bisher. Nicht nur beim Schnarchen. Das war nur der Anfang.


Ohler Damit ist jetzt schon ein bisschen vorweggenommen, was ich jetzt gleich fragen wollte, aber ich will es nochmal vertiefen. Das sind Ideen, die eigenen Reaktionsformen auf Erlebtes, das ärgert oder zunächst mal zu ärgern scheint, zu verändern. Also zum Beispiel auch zu sagen: Mach mehr davon, schnarche ruhig noch mehr und noch intensiver, lass dich nicht ablenken. Also insofern ist das Schnarchen, hast du gesagt, ein beispielhaftes Phänomen, um den Möglichkeiten eine neue Chance zu geben, die aber irgendwie allgemeinen Charakter haben. Es scheint mir um eine Art von Dreh zu gehen. Vielleicht als konkrete Vorstellung, magst du noch ein Beispiel herausnehmen und berichten, wie dieser Dreh gelingt? Also was passiert da, wenn jemand hinterher sagt: Jetzt habe ich verstanden, jetzt drehe ich es und gehe mit der Paradoxie, sag ich jetzt mal.


Wilk Ja, es ist ein Verstehen, aber eigentlich nicht auf bewusster Ebene. Dazu braucht es länger, um ein Bewusstsein dafür zu schaffen, aber es wird ganz schnell auf unbewusster, auf emotionaler Ebene verstanden. Sobald jemand schnarcht in der Gruppe und es ärgert sich jemand, und ich sage: "Stellen Sie sich mal vor, dieses deutsche Schnarchen, Sie haben gerade ein urtypisch deutsches Schnarchen gehört. Wird unterschieden das von einem polnischen Schnarchen. Wir haben hier den Herrn Sowieso, und den habe ich auch schon gehört, der kann wunderbar polnisch schnarchen. Sie glauben gar nicht, was es da für Unterschiede gibt. Wenn Sie genau hinhören, dann hören Sie ganz große Unterschiede." Bei solchen Anleitungen beginnt die Gruppe schon zu grinsen. Das Muster ist bereits unterbrochen, und dann, durch die weiteren Hinweise und Anwendungsmöglichkeiten, vertieft sich das. Wie gesagt, das emotionale Verstehen geht sehr schnell. Der Verstand ist auch nicht so wichtig. Der Verstand kann nicht sagen: Ich hör auf mich zu ärgern. Nun, er kann es sagen, aber es funktioniert nicht. Wichtiger ist die emotionale Ebene.


Ohler Da hat sich die nächste Frage praktisch schon aufgelöst. Es geht nämlich nicht nur ums Auflösen. Irgendetwas ganz Interessantes passiert da, gerade weil es mehr oder weniger nicht mit dem bewusst entscheidenden Verstand passiert, sondern mit Neugier oder so. Also ich musste jetzt auch lachen über den Unterschied zwischen deutschem und polnischem Schnarchen und hab eine Vorstellung bekommen, was da angestoßen wird. Also wenn du so vorgehst bzw. das anbietest, ist wahrscheinlich die Akzeptanz relativ groß, also dass die Leute schnell mitgehen.


Wilk Ganz schnell. Man muss halt sehr sensibel dabei bleiben und schauen, wie sie reagieren. Solange der Ärger noch im Gesicht ist, wird halt noch ein bisschen mehr beschrieben und geschaut, dass der Humor diesen Ärger auflöst.


Ohler Ich wollte gerade sagen, über Humor müssten wir gar nicht mehr viel reden, denn du hast es uns praktisch vorgeführt. Aber du wolltest gerade noch was dazu sagen.


Wilk Der Eindruck, man könne gar nicht anders, als sich zu ärgern, darum geht's eigentlich. Weil die Entspannung auf jeden Fall durch Schnarchen gestört wird. Auf jeden Fall. Das charakterisiert ein Muster, ein Muster von vielen. Am Beispiel des Schnarchens ein Muster, dem wir uns ausliefern, indem wir es nicht hinterfragen. Wenn der auslösende Reiz, in diesem Fall das Schleichen, sich zeigt, zeigen wir immer die gleiche Reaktion. In diesem Fall Ärger, Unruhe, Intoleranz gegenüber dem Menschen, der sich da gerade entspannt. Man kann versuchen, mit vernünftigen Argumenten das Muster zu verändern, indem man sagt, dass man es doch auch mal anders versuchen kann. Indem man Verständnis hat. Indem man realisiert, dass selbst lautere Geräusche die Entspannung nicht stören, wenn sie als angenehm empfunden werden. Das kennt man von Musik, das kennt man von vielen Beispielen. Dieser Weg der Vernunft ist weniger erfolgreich und meist deutlich länger als die paradoxe Anweisung, das Schnarchen als Gelegenheit zu sehen, endlich die Lösung für ein Problem angeboten zu bekommen, das den eigenen Schlaf schon so lange stört. Und natürlich ist auch diese Formulierung schon paradox. Denn das Problem wird meist nicht bei mir selbst als dem Gestörten, sondern bei demjenigen festgemacht, der schnarcht. Oft ist das Schnarchen so leise, dass man es kaum hört und doch springt das Muster an. Wenn es nur ein ganz leises Schnarchen ist, richtet sich jemand auf, schaut hin, schüttelt den Kopf. Wenn dagegen laute Musik irgendwo ist, oder draußen spricht jemand: gar keine Reaktion. Man sieht, es ist nicht die Lautstärke, sondern das Muster. Und dieses Muster gilt es zu unterbrechen.


Ohler Wir kennen ja alle diesen berühmten Begriff Win-Win-Situation. Du sprichst im Buch von einer Win-Win-Win Situation. Wer gewinnt hier was, wie und wieso?


Wilk Na ja, zunächst will ja ich was gewinnen. Ich will niemanden rausschmeißen, und ich will, dass alle sich entspannen können. Ich spiele da eine Rolle. Denn eine Gruppe, die nicht richtig funktioniert, in der ich nicht das machen kann, weswegen ich dort sitze, das ist unangenehm. Also ich würde mich schon als wichtigen Faktor sehen. Aber ich möchte ja auch, dass beide Seiten sich entspannen können. Also ich gewinne, wenn beide Seiten sich entspannen können und möglichst wenig Ärger und Stress im Raum ist. Deswegen schaue ich, dass der Schnarcher gewinnt, indem er bleiben und sich entspannen kann, und dass die zuvor Gestörten gewinnen, indem sie bleiben, sich entspannen und tolerant mit dem Schnarcher umgehen. Also alle drei gewinnen. Der Gruppenleiter, diejenigen, die schnell einschlafen und dabei Geräusche von sich geben, als auch diejenigen, die sich normalerweise ärgern.


Ohler Würdest zu sagen, das ist auch für viele andere Bereiche, in denen man Therapie, Consulting, Coaching, was auch immer macht, auch immer wieder wichtig, dass man auf diesen Dreier-Aspekt schaut? Win-Wi-Win? Dass man nicht immer nur den Blick hat, zum Beispiel bei der Paartherapie, auf das Paar, sondern auch auf sich selber und die damit gegebenen Möglichkeiten der therapeutischen Situation oder des Prozesses. Ist das verallgemeinerbar?


Wilk Ja, natürlich. Die Dreier-Konstellation haben wir ja nur in der therapeutischen Gruppe. Normalerweise ist es ja eine Zweier-Konstellation. Und wenn, das kennen wir, wenn wir darauf schauen, dass der andere gewinnt und dabei selbst zu viel bezahlen, also nicht gewinnen, sondern verlieren, dann ist es eine ungute Situation. Die beste Situation ist: beide Seiten gewinnen. Und hier bezieht es sich ja auf Ärger und auf das Gefühl, man müsse auf eine bestimmte Weise reagieren. Wenn man nach einer Lösung sucht – auf beiden Seiten kann es passieren, beim sich Ärgernden, aber auch bei demjenigen, der den Ärger auslös –, die für beide Seiten gewinnbringend ist, dann ist das natürlich gut. Das Problem tritt immer dann auf, wenn wir auf eine und nur eine bestimmte Weise ein Problem zu lösen suchen, ohne eine andere Perspektive zu nehmen. Und die direkte, die schnellste Perspektive ist die Paradoxie, die Gegenrichtung einzuschlagen. Da öffnet sich dann ein Spielraum zwischen diesen beiden: Immer weiter so wie bisher schon, oder genau ins Gegenteil. Da fallen einem schnell viele verschiedene Möglichkeiten ein, zwischen diesen beiden Polen.


Ohler Kurz noch zum Charakter des Buches als Fachbuch. Es kommt ja als Fachbuch daher, auch in einer Fachbuch-Reihe. Aber die sprachliche Form, wenn ich mir das erlauben darf zu sagen, ist typisch Daniel Wilk: Nach meiner Erfahrung ist sie sehr zugänglich und kommt so gut wie ohne Fachjargon aus. Vielleicht fühlst du dich da falsch verstanden? Aber es scheint mir, es ist auch ein Buch für Menschen, die sich selbst helfen möchten, ihrem Partner oder einander, und sich wenig durch den Dschungel von Fachjargon bewegen müssten, bevor sie da wirklich was draus ziehen können. Kann man das so sagen?


Wilk Ja, das mit dem Fachjargon, da habe ich auch überlegt, ob ich jetzt beleidigt sein soll. Und ich habe mich entschlossen, es nicht zu sein. Dann habe ich mich gefragt, warum ich das so mache. Vielleicht hängt es damit zusammen, dass Fachwörter immer einen recht weiten Bedeutungshof haben, weil sehr viele Menschen sie nicht so benutzen, wie sie ursprünglich benutzt werden sollten; weil viele Menschen sie nicht so verstehen. Wir haben zum Beispiel 10 Leute, wir haben ein Fachwort, und wir haben dann 10 Bedeutungen, und ich habe dann Schwierigkeiten, diejenige zu nehmen, die nun auf jeden einzelnen zutrifft. Deswegen versuche ich, beim Deutschen zu bleiben, und das so klar wie möglich. Damit zumindest ich es verstanden habe. Zumindest ich weiß, wovon ich spreche. Die Erfahrung ist, dass die anderen dann auch mitgehen. Soviel zum Fachjargon. Diesen Gedanken fortzusetzend sage ich, ich bin ein Mensch, ich glaube ein relativ normaler Mensch, die Leute in meiner Gruppe sind relativ normale Menschen. Dann trifft es auch für andere zu, warum nur für die Tausende, die ich sehe oder gesehen habe. Und je eindeutiger die Sprache ist, desto klarer wissen wir, worüber wir sprechen und was verstanden wird. Angefangen, über all das nachzudenken, habe ich, als meine Frau Kinder bekam und ich Bücher gelesen habe, um möglichst gute Voraussetzungen für meine Kinder zu bekommen, in meiner Person, in meinem Handeln. Und da kam eben auch der Gedanke: Muss ich mich ärgern? Natürlich muss ich mich, wenn man ernsthaft darüber nachdenkt, nicht ärgern, nur weil das Kind wieder etwas macht, das für mich nicht passt. Ich kann auch darüber lachen, ich kann sogar mitmachen. Mein Enkel, dreijährig, sitzt vor meiner Tochter und hat ein Glas Wasser. Er sitzt auf dem Tisch, hat ein Glas Wasser in der Hand, ruft ganz fröhlich: "Schau mal, Mama!" Die Mama schaut. Er hebt das Glas hoch und kippt das Wasser – platsch! – auf den Tisch. Was muss man jetzt machen? Das Kind freut sich. Muss ich schimpfen, oder freue ich mich mit dem Kind? Ich freue mich mit dem Kind, verteile das Wasser auf dem Tisch, hole später einen Lappen, und gemeinsam mit dem Kind wische ich das Wasser auf. Und dann erkläre ich ihm: "Hm, vielleicht ungünstig. Sollte man vielleicht nicht machen." Oder frage das Kind selbst: "Was glaubst du, was passiert, wenn wir zu viel Wasser auf dem Tisch haben und immer wieder?" Wir bekommen gemeinsam ein Verständnis dafür. Aber ich muss nicht rumschreien. Dieses fröhliche Lachen im Gesicht, das muss ich nicht durch meine Worte verwandeln in ein Erschreckend, eine Angst, in eine Verkrampfung. Es geht auch anders.


Ohler Sehr spannend. – Daniel, wir sind ja nach wie vor in herausfordernden Zeiten. Vielleicht gibt es gar nichts anderes, wie am Anfang beim Thema Trance oder nicht. Es gibt vielleicht mehr oder weniger herausfordernde Zeiten. Was fällt dir gerade so, insbesondere in den professionellen Umfeldern, vielleicht besonders auf? Und ganz direkt gefragt: Gibt es einen Tipp? Ein Paradoxon vielleicht, worauf es ankommt, wenn man in solchen beratenden und therapeutischen Berufen tätig ist?


Wilk Meinst du, welche Kompetenz als Therapeut gefragt is?


Ohler Genau.


Wilk Da habe ich einen Tipp. Man muss in erster Linie sich als Therapeut wirklich ernst nehmen, so richtig. Also wirklich. Und man muss davon überzeugt sein, dass nur ich als Therapeut – selbstverständlich auch Therapeutinnen – dass nur wir wissen, was für den anderen richtig ist. Davon muss man überzeugt sein. Auf keinen Fall sollte der Klient anfangen, darüber nachzudenken, wie er sich selbst helfen könnte. Da kann nur ein Unsinn rauskommen, das kennen wir ja. Schließlich hat er es nicht studiert. Und er sitzt ja auch nicht im Stuhl der Therapeuten. Das wäre also Zeitverschwendung, zu denken, der Klient könnte sich selber helfen. Und – vielleicht noch wichtiger – Therapie darf keine Freude machen. Lachen kann mal passieren, das sollte aber auf keinen Fall gefördert werden. Das ist eine wirklich ernste Angelegenheit. Und der wichtigste im Raum ist immer der Therapeut. Selbstverständlich auch die Therapeutin. Wenn das berücksichtigt wird, dann kann es eigentlich nur schiefgehen.


Ohler Ich will die letzte Frage stellen. Die hat sich einfach bewährt, es macht Spaß. Gab es irgendwie eine Frage, von der gedacht wurde: das kommt bestimmt? Oder gab es irgendein Thema, wo du dachtest, darüber würde ich gerne etwas sagen, es kam es aber nicht vor. Oder gibt es irgendetwas, was dir vielleicht im Verlauf der Begegnung eingefallen ist? Und du hast es dann erstmal zur Seite gelegt und es liegt da immer noch. Da möchte ich dich gerne einladen, einfach etwas davon noch zur Verfügung zu stellen, was dir jetzt noch wichtig ist, oder vielleicht auch einfach ein Statement abzugeben.


Wilk Wenn ich etwas nehmen würde, worauf man fokussieren sollte, ist es: Offen sein für Menschen, offen sein für die eigenen Gefühle und für die der anderen, verständnisvoll sein. Es hat immer so ein bisschen einen Touch, aber ich würde sagen: liebevoll sein. Für denjenigen, der einem gegenübersitzt. Die Gefühle, die man ihm gegenüber, ihr gegenüber hat. Tolerierend, zulassend, aber nicht bestimmend werden lassen. Sondern tolerant, liebevoll, verständnisvoll auf das eingehen, was man hört und sieht. Also Liebe und Verständnis, das ist in meiner Arbeit etwas ganz, ganz Wichtiges. Und wenn man so den einen oder anderen Gedanken aus dem Zusammenhang liest – gerade einen paradoxen Gedanken – dann sieht man diese Liebe vielleicht nicht gleich darin, aber sie steckt drin. Ich kann nicht paradox arbeiten, wenn ich die Menschen nicht mag, mit denen ich arbeite.