Sounds of Science / Ute Clement - Frauen führen besser




Ute Clement gehört zu den erfahrensten Organisationsberater:innen und Coachs. Ihr neues Buch Frauen führen besser - Wahrnehmungshilfen für Männer (und Frauen) bietet genau das, was der Titel verspricht: Wahrnehmungshilfen, um endlich ernst zu machen damit, dass viel mehr Frauen in Führungspositionen kommen und Unterschiede in Führung, Leitung und Entscheidung Raum und Wahrnehmung gewinnen.
Wie auch im Buch, geht es im Gespräch mit Carl-Auer Sounds of Science, neben vielem anderen, um viel zu wenig beachtete, aber umso wirksamere Phänomene wie Hepeat, Mansplaining und die Heldenreise nach Joseph Campbell, die so anders ist als die Heldinnenreise nach Maureen Murdock, aber leider immer noch um vieles bekannter. Das wird nicht so bleiben. Ute Clement spricht aus ihrer langjährigen Erfahrung als Führungskraft, Beraterin und politischer Mensch. Vorsicht, die Wahrnehmung könnte nachhaltige Impulse zur Veränderung erfahren ...



Ob im Auto, im Bett, in der Badewanne, mit der Maske im Bus oder im Zug, beim Warten am Bahnhof oder Flughafen, beim Einkauf oder vor der Bank, beim Joggen und Kochen alleine oder mit Partnern: Bleiben Sie wach, mit Carl-Auer Sounds of Science!
Und, wo immer es geht, den freien Blick und den freien Geist nutzen: Carl-Auer Bücher lesen, Carl-Auer Wissen nutzen!


Transskript des Interviews


Ohler Hallo liebe Ute Clement, herzlich willkommen in den Räumen des Carl-Auer Verlags. Du bist extra zu uns gekommen, um das Gespräch zu führen. Ich danke dir sehr, dass du gekommen bist für unseren Talk bei Carl-Auer Sounds of Science.


Clement Ja, vielen Dank für die Einladung, und ich freue mich auch auf unser Gespräch.


Ohler Wir sprechen über ein sehr brisantes Thema, sage ich jetzt mal, und zu diesem hast du viel zu sagen. Es geht unter anderem um Führungsqualitäten und Führungseigenarten, wenn ich das mal so sagen darf, von Frauen und Männern. Fangen wir mal so an: Was ist dir in den letzten Tagen zu dem Thema ganz aktuell aufgefallen?


Clement Na ja, das Thema nimmt Fahrt auf, Gott sei Dank. Es geht ja jetzt viel um Gendergerechtigkeit. Viele regen sich auf wegen der gendergerechten Sprache. Und wir haben jetzt auch eine Stimmung, wo man rechtfertigen muss, warum man in den Vorständen nicht mehr Frauen hat, auf den Führungsetagen. Und das ganze Thema nimmt jetzt auch diese Fahrt auf, die es schon lange kriegen sollte. Und gerade in der ersten Zeit der Pandemie ist ja auch aufgefallen, und daher kommt ja auch der Buchtitel, dass die Regierungschefinnen nun einfach sehr viel rationaler, sehr viel klarer, mit kühlem Kopf auf die Wissenschaft hörend, viel besser durch die Krise navigiert haben. Es geht mir also weniger darum – das ist aus meiner Sicht schon so eine erste Falle, wir kommen vielleicht noch drauf zu sprechen – dass man sagt: Frauen führen empathischer oder sowas, das würde ja wieder zu Stereotypisierungen führen. Es geht mir einfach darum, so eine Provokation auch ein Stück weit rauszuhauen, um das mal so plakativ in den Vordergrund zu stellen.


Ohler Wenn du vom Buchtitel ausgehst: "Frauen führen besser" heißt es, und im Untertitel "Wahrnehmungshilfen für Männer (und Frauen)".


Clement Ja, und die Idee war ja anhand von meiner Beratungspraxis ausgehend und von meinen eigenen Erfahrungen als Führungskraft, als Mitarbeiterin in einem Konzern ausgehend, zu sagen: Was hat sich denn eigentlich getan? Was ist denn wichtig, wenn man dieses Thema auch wahrnimmt? Weil wir natürlich in unserer systemischen Tradition auch damit zu tun haben, welchen Aufmerksamkeitsfokus man wählt, welche Wahrnehmung man vielleicht auch unreflektiert auf Unternehmen anwendet. Und da will ich in vielerlei Hinsicht einfach noch mal eine andere Wahrnehmung zur Verfügung stellen. Und von den wenigen Rückmeldungen, die ich bereits auf das Buch gekriegt habe, ja unter anderem auch von dir, zu sagen: Hey, da sind bestimmte Sachen, das ist mir so gar nicht klar geworden. Und das ist eigentlich so die Idee von dem Buch.


Ohler Das kann ich auch bestätigen. Durch das Buch kommt man nicht durch, ohne nachhaltig irritiert zu sein, von Seite zu Seite, aber gut irritiert. Und eben diese Reflexionen durchzuführen, die du anregen willst. Du hast ja als Beraterin und Coach unglaublich viel Erfahrung, auch Erfahrungen direkt aus dem Feld Führung und Organisation. Du hast in der Wirtschaft gearbeitet. Das ist vielen deiner Klientinnen und Klienten auch schon zugutegekommen, auch deinen Auftraggeber:innen. Eine besondere Erfahrungswelt, das will ich nicht einfach vergessen, ist für dich Interkulturalität. Also ein Feld, in dem nur wenige sich gut auskennen. Du hast ein praktisches Buch dazu verfasst: Kon-Fusionen. Da geht es um interkulturelle Business-Situationen. Es gibt dieses Buch auch auf Englisch, wie kann es anders sein? Bevor wir zum Leitthema kommen, ist da eine Brücke für mich drin. Worauf gilt es zu achten, wenn man was spürt, das mit unterschiedlichen Kulturen zu tun haben könnte? Und kann man bei Frauen und Männern von unterschiedlichen Kulturen sprechen? Oder führt das am Fokus vorbei?


Clement Ja, das ist eine interessante Frage. In diesem Buch über die Arbeit mit Kulturen, seien es nun nationale Kulturen, Unternehmenskultur und regionale Kulturen, ist das meine Suchbewegung immer auch in der Beratung gewesen: Was ist denn die Leitdifferenz? Was ist genau der Punkt, wo man spürt, das ist eine andere Kultur? Also wenn man jetzt so naheliegenderweise – Du kennst dich ja da auch gut aus – an Österreich und Deutschland denkt. In Deutschland ist die Leistung im Vordergrund, und in Österreich geht es erst mal auch ein Stück weit um Gemütlichkeit oder Geselligkeit. Also das ist jetzt nicht zu verallgemeinern. Aber in bestimmten Situationen kann ich diese kleine Differenz erkennen, wenn es um Entscheidungen geht, wenn es darum geht: wie machen wir was? Und so gucke ich auf Kulturen. wenn man jetzt auf Frauen und Männer guckt, dann ist, glaube ich, eine Kultur ganz wichtig, um auch Unterschiede sofort zu verstehen. Männer sind sehr sozialisiert in diesem Wettbewerb, und ich spüre es auch immer dann, wenn wir zusammen sind: Oh, jetzt geht der Wettbewerbs-Trigger, sag ich neutral, los. Frauen sind aufgewachsen in so einer Kultur der Gleichheit. Also es ist immer ganz wichtig, dass, auch wenn man jetzt einen höheren Abschluss hat, oder mehr Geld verdient, dann strengt man sich aber mehr an, so, dass man irgendwie in einem Diskurs immer wieder versucht, die Gleichheit, also die Ähnlichkeit zu suchen. Das hat natürlich unglaubliche Konsequenze für das Verständnis, wenn man jetzt wieder auf den professionellen Alltag geht. Weil natürlich Männer immer in so einer Konkurrenz-Brille oder in der Wettbewerbs-Brille, wenn man es neutral sagt, auch auf Frauen gucken, Frauen aber aufeinander, und vielleicht auch in einem anderen Feld, auf Ähnlichkeit und Gleichheit gucken. Das ist zum Beispiel so ein Kulturunterschied, der einen dann zu völlig falschen Schlüssen bringt, wenn man bestimmte Fragen stellt. Zum Beispiel: "Können Sie sich den Job zutrauen?" Eine Frau sagt dann: "Ja, weiß ich nicht genau, ich hab das ja noch nie gemacht. Und denken Sie denn, dass ich mir das zutrauen kann?" Während ein Mann sagt: "Klar!", und hinterher denkt: "Oh, wie soll ich das machen?" Und einen Kumpel anruft. Das sind dann solche Unterschiede, wo es heißt: Wenn sie es es sich selber nicht zutraut, kann ich sie dann nehmen? Oder soll ich dann lieber den Jungspund nehmen? Gerade frisch von der Uni? Der sagt: Chaka, ich kann das. – Kleines Beispiel.


Ohler Da will ich später noch mal auf diese Heldinnenreise kommen. Da, glaube ich, wird das vielleicht auch eine Rolle spielen, soweit ich das verstanden habe. Du hast ein Motto, wenn man so will. Und das heißt: Passion for change. Seit Jahrzehnten. Was steckt dahinter?


Clement Na ja, es sind immer alles natürlich diese systemischen Wurzeln. "Passion for change" ist ja meine Firma. Seit mehr als 25 Jahren berate ich Veränderungsprozesse in verschiedenster Richtung, und ich frage immer: Wir wollen uns verändern, restrukturieren, andere Abteilungen, neue Geschäfte, Märkte erobern, Firmen dazu kaufen; wie können wir diesen Wandel umsetzen? Das ist sozusagen dieser Claim, würde man sagen. Passion for change. Wenn wir jetzt wieder auf das Frauenthema schauen, ist für mich "Passion for change" nochmal ganz interessant – das habe ich von Fritz Simon, glaube ich, gelernt, oder von Gunthard Weber, war eine ganz frühe Geschichte von Heinz von Foerster: Wenn man ein Auto hat, eine Delle reinschlägt, und die Delle ist nach zwei Wochen immer noch drin, dann ist es okay. Aber wenn man sich den Kopf anstößt und die Delle ist immer noch drin nach zwei Wochen, dann überlegt man sich: Was ist da schief gegangen? Das heißt: Bei lebendigen Systemen ist eigentlich die Veränderung inhärent. Und deswegen ist es ja so spannend, warum sich – das kann ich sehr gut überblicken – seit 30 Jahren bei dem Frauenthema, bis jetzt vor kurzem, nichts geändert hat. Ich habe schon damals bei einer großen Autofirma in Stuttgart gearbeitet, und da habe ich schon Vorlagen gemacht für den Vorstand, für Frauenförderung, so hieß es damals noch. Und dann gab es ja immer diese Selbstverpflichtungen, mehr Frauen im Vorstand. Und die CDU? Keine Quote. Wir brauchen keine Quotenfrauen. Wir machen das als Selbstverpflichtung. Und es hat sich nichts getan. Und das finde ich jetzt bei diesem Passion for change: Man kann es natürlich auch umdrehen. Also wenn du Phänomene hast, die sich nicht verändern, ist das ja höchst erklärungsbedürftig. Ja, und das ist der Brückenschlag von dem Slogan zu dem Frauenthema. Das ist das interessante Thema: Warum verändert sich da nichts? Ich habe in der Uni gearbeitet, nach dem Studium, bei der Frauenbeauftragten der Uni. Und da haben wir so ein Gutachten gemacht – muss dann wohl 1990 gewesen sein ¬– für den Bundestag, zu Frauen in Führungspositionen. Und es waren einfach die gleichen Zahlen, oder ein paar Prozentpunkte rauf bei Frauen in Vorständen. In der Uni hat sich viel getan, weil die aber auch eine Quote hatten. Also das ist so. Das hat mich immer so angeregt. Die Frage: Warum verändert sich da nichts? Da muss irgendwie jemand aktiv was dafür tun, dass sich das nicht verändert.


Ohler Das hat offenbar aber mit Wahrnehmung was zu tun, mit Wahrnehmungs-Verweigerung vielleicht. Zur Quote kommen wir noch hin. Ein wichtiges Thema, was auch Hörerinnen und Hörer interessiert und wozu du was zu sagen hast, auch in deinem Buch. Das Buch trägt, wie gesagt, den Titel "Frauen führen besser – Wahrnehmungs-Hilfen für Männer und Frauen". Man kann vieles finden drin, aber vielleicht ein ganz kleines Beispiel nochmal. Wo hakt es da in der Wahrnehmung? Und wie merkt man das denn, dass es in der Wahrnehmung hakt?


Clement Nur ein kleines Beispiel, wie ich es ja schon gesagt habe. Es gibt so ein paar Führungs-Männer, mit denen ich gearbeitet habe, die sagen dann auch wieder: Jetzt habe ich wieder das gleiche Phänomen gehabt. Ich habe die Frau was-weiß-ich gefragt, ob sie den Bereichsleiterposten möchte, und dann: Zweifel usw. Also dass man das auch weiß, dass man das dechiffrieren kann. Oder dass man weiß – da kommen wir vielleicht bei der Heldinnenreise auch noch drauf – dass es eben dieses Phänomen gibt, dass eben Frauen in Sitzungen nicht nochmal alles wiederholen, weil sie denken, das wurde ja schon gesagt. Und dann gibt es jetzt einen neuen Begriff, habe ich gelernt, der heißt "Hepeat". Also eine Frau hat die Idee gesagt, die geht unter. In Minute 5 nimmt ein Mann sie auf, und dann ist es eine super Idee. Ganz oft. Also früher habe ich mit einem geschätzten Kollegen zusammen Mikroanalysen von Teamsitzungen gemacht. Da hat man wahnsinnig viel gelernt. Und da kommt es auch oft: Also Frauen nehmen sich weniger Raum, Frauen reden schneller, "darf ich nur mal kurz dazwischen", werden häufiger unterbrochen. Und wenn man Talkshows anguckt – die ich unsäglich finde, aber unter dem Aspekt immer noch sehr spannend – ist es immer noch so: Ganz schnell wird da was rausgehauen. Und das ist so eine Wahrnehmung, wo man in einer Organisation, wenn man jetzt wirklich Frauen fördern will, da die Räume auch mal öffnen kann oder auf solche Phänomene hinweisen kann. Antje Tschira und ich, wir machen ja jetzt Lunch-Talks, und da gibt es die skurrilsten Beispiele, einfach eine andere Wahrnehmung auf Sachen, wie man sagen kann. Oder mal vielleicht aus einem ganz anderen Bereich: Aus dem Kulturbereich gab es vor kurzem so eine Aussage von jemandem, der gesagt hat: Im Jazz gibt es nicht so viele Frauen; weil ich den drauf angesprochen hatte, dass sie in einem Leitungsgremium von einem Jazzfestival nur Männer haben. Und dann hat sich der Festivalleiter geschüttelt und hat einfach gesagt: Wir finden einfach 50 Prozent Frauen für unsere ganzen Vorführungen. Tatsächlich. Natürlich gibt es super Jazz-Musikerinnen. Ja, das sind so diese Wahrnehmungen. Und für mich war zum Beispiel entscheidend, um auch mal diesen langen Bogen zu ziehen, als ich bei der Frauenbeauftragten HiWi war, also zwischen Studium und erstem Job, da waren wir zuständig unter anderem fürs Studium Generale. Das studium Generale der Universität Heidelberg war immer nur mit Männern besetzt, und wir haben einfach gesagt: Such eine Frau. Damals waren wir noch mit einer einverstanden. Such eine Frau! Die haben immer eine Frau gefunden, manchmal sogar zwei. Bis vor kurzem war in der hiesigen Rhein-Neckar-Zeitung ein Forum zu Corona mit allen möglichen Wissenschaftlern. In Heidelberg haben wir sehr viele Wissenschaftlerinnen. Aber man hat sich getraut, im Jahre 2021, dieses Podium mit sieben Männern zu besetzen. Und offensichtlich war niemand in der Redaktion, der gesagt hat: Moment mal, haben wir keine Virologinnen oder haben wir keine Epidemiologinnen? Solche haben wir unzählige hier. Man muss da nur ¬– und das meine ich mit "Wahrnehmungshilfen" – den Blick drauf richten, dann besitzt man Gremien anders und besetzt man Jazz-Konzerte anders etc. Das sind zum Beispiel für mich einfach zwei Dinge. Das eine ist die Sichtbarmachung, und das andere ist die Dechiffrierung von, wie ich vorher gesagt habe, dieser Leitdifferenz, dass Frauen halt oft nur anders reagieren und sich nicht unbedingt in den Vordergrund setzen. Vielleicht noch eine kleine Geschichte aus der Stuttgarter Zeitung über Bärbel Bas, unsere Bundestagspräsidentin. Die kannte irgendwie das Phänomen wohl auch und hat mit ihrer Freundin ausgemacht: Beim nächsten Job, den wir angeboten kriegen, sagen wir einfach ja. Und die war ja vorher noch nie irgendwie so in den Vordergrund getreten. Sie ist eine fleißige Politikerin, die noch nicht die Bühne gesucht hatte. Und dann aus Proporzgründen – in der Zeit, als klar war, Steinmeier wird wieder Bundespräsident – rief man sie eben an und fragte, ob sie Bundestagspräsidentin sein wolle. Dann hat sie einfach ja gesagt, weil sie es mit ihrer Freundin ausgemacht hatte. Und so ist es. Und sie macht aus meiner Sicht den Job ja auch jetzt ganz gut. Sehr gut sogar Und das sind so Phänomene, die über Wahrnehmung laufen. Sie muss das auch als Phänomen wahrgenommen haben, dass man dann erst zögert. Und in dem Moment, wenn du so einen Anruf bekommst, ist Zögern keine gute Idee. Sondern man sagt ja. Und dann beschreibt sie auch sehr nett, wie sie dann drei Nächte nicht geschlafen hat und sich gesagt hat: Wie soll ich das schaffen? Was wahrscheinlich auch wieder sympathisch ist, dass sie es erzählt, dass es ihrem Mann wahrscheinlich auch so gegangen ist. Aber sie erzählt es halt. Und jetzt möchte ich wirklich nochmal betonen, dass es kein ideologisches Buch ist, sondern es ist ein Buch, wo ich – wie ich es auch schon im Konfusionen Buch gemacht habe – Situationen nehme, die ich in meiner Beratungserfahrung, in meiner Coachingerfahrung, in meiner Beobachtung, wie ich durch die Welt gehe – Alltagssituationen. Und die versuche ich dann modellhaft zu erklären. Und ich glaube, daraus kann man dann so eine andere Wahrnehmung ziehen.


Ohler Also auch das kann ich bestätigen, als Mann, wenn ich das lese. Ich hatte nie das Gefühl irgendwie manipuliert, missioniert oder so was zu werden. Es war trotzdem anstrengend. Aber das darf es auch sein. – Quote, du hast es schon angesprochen, das ist es ein Reizwort. Reizthema. Für dich ist es nicht so zentral, aber was du ausführt, trifft den Kern in der häufig so schrägen Diskussion darüber. Was wäre denn gewonnen, wenn auf die Quote geachtet würde, sage ich jetzt mal vorsichtig. Und was braucht es noch, das vielleicht viel wichtiger ist als die Quote? Vielleicht zwei oder drei Aspekte, die meist übersehen werden, und vielleicht doch noch mal eine kurze Idee zu Quote und wie darüber diskutiert wird.


Clement Warum das Quote so ein Reizthema ist, da möchte ich nicht drauf eingehen. Was ich eingangs schon gesagt habe, 1990 Selbstverpflichtung, wir bringen Frauen in Führungspositionen. Es hat 30 Jahre nichts gebracht. Es gab dann noch nie eine Initiative von Frau Merkel zu sagen, alle Dax-Unternehmen sollen so eine verbindliche Selbstverpflichtung machen. Und es gab ein Unternehmen, in dem ich beraten habe, die sollten Ziele sagen. Und an den Zielen für 2025 wurden sie dann gemessen. Und dann sind doch tatsächlich 100 deutsche Unternehmen auf die Idee gekommen, null rein zu schreiben, weil dann erreichen sie das Ziel. Auch ein Unternehmen, in dem ich beraten habe. Und ich habe dann sehr darauf geachtet, ob diese Liste mal veröffentlicht wird. Und die wurde dann auch irgendwann mal veröffentlicht. Also die Liste der Unternehmen, die gesagt haben, wir setzen uns als Ziel, in den nächsten fünf Jahren null Frauen in den Vorstand zu bringen, weil dann klar war: hundertprozentig Zielerreichung. Und das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen. Und das sind große Firmen, zumindest teilweise auch im M-DAX oder in diesem erweiterten DAX. Und wenn du diese Geschichten hörst, und dann siehst, wie schnell man dabei ist. Ein eindrückliches Erlebnis: Bei dieser großen Autofirma hat man dann so Mitte der 90er Jahre entdeckt, dass man wirklich nur mit diesem deutschen Vorstand nicht weiterkommt in der ersten Führungsebene, weil man massiv globalisiert hat. Nullkommanichts waren die dabei, eine Quote aufzurufen für Männer oder für Führungskräfte allgemein, die international sind. Da habe ich zu dem Vorstand gesagt: Moment, jetzt laufen sie ja Gefahr, dass sie dann irgendwie Luschen kriegen und so weiter. Und dann hieß es: Wir haben doch einen Auswahlprozess. Also wir kriegen dann da Leute. – Ach soo, und jetzt nochmal Schwenk auf die Frauen, wieso geht es da nicht? Na gut, da kam keine schlüssige Antwort. Also man denkt halt nicht, dass man mehr Marktanteile hat, wenn man nicht nur diese Mimimis einstellt, wie ich es nenne; also Männer stellen andere Männer ein, die entweder so sind, wie sie waren als junger Mann oder wie sie gerne gewesen wären. Deswegen sind ja immer noch mehr Männer, die Thomas heißen, in den deutschen Vorständen als Frauen, oder Michaele oder so. Und zur Quote: man stellt ja da keine dummen Frauen auf einmal in den Vorstand. Es geht ja nur darum, dass man eben sagt: Okay, wir haben diesen reflexartigen Blick ah, da sind diese aufstrebenden Typen. Sie ticken ähnlich wie ich und sagen: Ja, und jetzt guck noch mal da hin. Und zum Beispiel die von mir sehr geschätzte Jutta Allmendinger, die sagt, ohne Quote wäre sie nicht da, wo sie ist. Aber die ist ja promoviert, ist völlig qualifiziert, aber hat natürlich auch immer diese Chance genutzt. Und wir brauchen da noch eine Weile, bis wir da sind. Und das Risiko, dass du bei diesen vielen mittelmäßigen Männern auch noch eine mittelmäßige Frau dahin bringst, ist eigentlich verschwindend gering. Also man muss das auch mal mit Risikoanalyse machen. Also ich mag diese Diskussion nicht, weil sie halt ähnlich wie andere gleich so polarisiert. Ich verstehe auch nicht, wieso Frauen nicht Quotenfrauen sein wollen, wenn sie gut sind. Also ich habe mich da jetzt nie geweigert, weil man dann die Tür ja wieder für andere aufmachen kann.


Ohler Ich merke mir so ein bisschen – vielleicht ist es ein Fehlverhalten – auch Quote kann eine Art Wahrnehmungshilfe sein, in einem anderen Sinn. Vertraue nicht auf deine bisherigen Suchprozesse oder Wahrnehmungsprozesse.


Clement Ja ja genau. Wenn du jetzt ordentlich eine Quote haben willst im Vorstand, dann brauchst du natürlich soundsoviel Frauen auf der ersten Ebene und so weiter, das heißt du musst Talente auffüllen usw. In diesem Automobilunternehmen, in dem ich gearbeitet habe, ist eine Führungsposition, die für Diversity zuständig war, dann auch zuständig geworden für Leadership Development; und die hat halt bei diesen Listen immer gefragt: So, habt ihr eine Frau? Nein? Okay, weitersuchen. Ja, und so kriegst du halt diese Wahrnehmung verändert, durch kontinuierliches Dranbleiben.


Ohler Ich habe noch zwei Sachen, die ich gern fragen will. Etwas ganz Zentrales, scheint mir, nenne ich jetzt mal Rahmenkonzept, das deinen Studien und deinen Überlegungen in dem Buch auch zugrundeliegt und alles umgibt: Die Heldinnenreise nach Maureen Murdock. Den meisten ist das wahrscheinlich nur in der maskulinen Form bekannt, also Heldenreise im Sinne von Joseph Campbell. Die Stationen der Heldinnenreise sind im Buch sehr nachvollziehbar und dezidiert beschrieben. Das kann man jetzt ja nicht so ausführlich besprechen, wie es vielleicht zu wünschen wäre, aber man kann es ja auch nachlesen. Aber zwei Fragen hätte ich doch dazu. Die abschließende zehnte Station heißt "Jenseits der Dualität". Wieso ist es die letzte und nicht der Beginn? Und was können oder sollten Männer daraus lernen? Meine Vorstellung war so: Heldinnenreise für Männer. Das war eine Vorstellung, die mich anspricht.


Clement Also das ist natürlich jetzt ein Thema, wo wir noch eine ganze Stunde anhängen könnten, aber ich versuche mal, es so zu beantworten. Also zum Jenseits der Dualität hat ja auch Campbell gesagt: Frauen brauchen nicht dieses Durchgehen durch die Prüfungen und dieses Let Go und Loslassen, fallen lassen, und dann aufsteigen wieder aus der Unterwelt – was so ein Plot ist, den wir auch aus Filmen kennen – sondern die sind schon da. Das ist das, was du sagst. Er hat gesagt, es ist der Shortcut. Was die Murdock macht als Junigianerin ist: Sie sagt, sie zeichnet diese weibliche Heldinnenreise nach, indem sie sagt, dass eben die Frauen die Frauenwelt oder durch die Ablehnung der Mutter – so will ich nicht werden – in diese Männerwelt gehen und da eben bestehen. Und dann an einem gewissen Punkt, ich verkürze das jetzt, merken, dass sie überfordert sind. Und das ist es auch, was ich einfach sehr oft erlebt habe, dass Frauen in so einem Hamsterrad auf einmal sind. Sie wollen doch eine gute Mutter sein, sie wollen eine gute Partnerin sein, sie wollen im Job reüssieren, sie wollen alles machen und sind dann oft in so einer totalen Überforderung. Und dann gibt es eben dieses Phänomen – das habe ich in meinem Leben auch wirklich oft beobachtet und auch oft selbst erlebt – dass du jetzt gerade als Frau, die auch in so einer sogenannten männlichen Welt reüssiert, dieses Phänomen kennst: Run with the boys. Also man kann mit den Jungs rennen, aber auf einmal gehen die dann in so eine Tür rein und sagen: Moment mal, ach, du hast gedacht, du darfst da mit uns rein? Nee nee nee, du bist doch ein Mädchen, du bleibst jetzt draußen. Und das ist unglaublich. Murdock nennt das die weibliche Wunde. Oder wenn es heißt "Sei kein Mädchen", wie es Jungs manchmal zueinander sagen. Manchmal denkt man: Also wieso ist das was schlechtes? Und das ist so diese weibliche Wunde. Wir haben bei Bernhard Trenkle ein Film-Seminar gemacht: What change consultants can learn from film makers. Da habe ich Arno Aschauer kennengelernt. Und dan haben wir eine Entdeckungsreise zu dritt gemacht, zu viert eigentlich, also mit Arno, Bernhard und mit noch einem Mann. Und dann haben wir zusammen diese Heldinnenreise wirklich ein Jahr lang beforscht, und zwar bei uns selber – weil du den männlichen Blick angesprochen hast. Und da sind wir an viele Punkte gekommen, wie man diese weibliche Wunde letztendlich dann heilen kann. Dieses "Run with the Boys" bist du dann in dieser männlichen Welt und in dieser weiblichen Welt. Und dann kann man eben nur da rauskommen – und das ist dann jenseits der Dualität – indem man diese Wunde heilt. Das ist vielleicht ein bisschen eine komische Wortwahl für Business, aber wenn man das erzählt, verstehen die Frauen schon immer ganz gut, was das ist und wie man dann eben beide Welten bespielen kann, also Animus und Anima. Also wie das dann am Ende oft in der Literatur als Ganzheit verstanden wird, dass jeder seine weiblichen und männlichen Anteile irgendwie akzeptiert und lebt, dass es eh wünschenswert ist für beide Geschlechter. Und das ist diese ganze Arbeit mit der Heldenreise. Das ist jetzt etwas, was Frauen sozusagen mit sich selber machen können. Also wir haben jetzt über Quote geredet – das wäre was Strukturelles, was Politisches – aber das ist das, was Frauen machen können. Denn die Frauen meiner Generation, die jetzt auch reüssiert haben und in Führungspositionen sind, die haben ja oft noch versucht, so zu sein wie die Männer. Die jungen Frauen, Gott sei Dank, akzeptieren das nicht mehr. Und da liegt auch ein unheimliches Potenzial drin.


Ohler Unheimlich spannend. Also ich habe es durchgeguckt, aber ich freue mich, wenn ich das gedruckte Buch dann in der Hand habe, weil ich darin dann ackern kann. Da verspreche ich mir viel von. Also nicht nur für mich, sondern auch für viele Leserinnen und Leser. Vielleicht noch ein paar Worte zu einem wichtigen Wort, aus meiner Sicht. Du hast ja vorhin noch ein anderes gebracht: Hepeat. Da ist ja auch eine Fülle von Ideen in den Wörtern zu packen, wie man gucken kann. Und das bezeichnet was – wenn man die Wahrnehmungshilfen mal inkorporiert hat, sozusagen – was man dann eher wahrnimmt als sonst und sich vielleicht erlaubt, peinlich berührt zu sein. Das Wort ist Mansplaining. Vielleicht habe ich das ja selber grad gemacht ... Was bedeutet Mansplaining? Wie sieht so was aus? Und wie merke ich, wenn ich das mache oder wenn jemand das gerade macht? Und wie kann man dann darauf hinweisen?


Clement Dieses Wort Mansplaning wurde ja in diesem lustigen Artikel beschrieben über eine Verlagsparty. Als ein Mann einer Autorin erklärt hat, was in dem Buch steht und wie man das nur anders hätte machen können, hat sie dreimal gesagt: "Ich habe das Buch geschrieben", und er hat es einfach nicht realisiert. Das ist eine lustige Geschichte. Und für mich ist es einfach so, ich bin da mittlerweile auch nicht mehr geduldig. Weil ich natürlich in meinem beruflichen Alltag mit sehr vielen Leuten zusammen war, die ganz was anderes gemacht habe – Autos entwickelt, Chemie-Anlagen, irgendwie Poly XY produziert – also ich habe da sehr viel davon profitiert, dass mir Männer und Frauen Sachen erklärt haben. Ich höre gerne zu, wenn Leute was wissen, und da ist überhaupt nichts dagegen zu sagen. Wo ich ungehalten reagiere ist, wenn mir erstens mal insbesondere Männer ungefragt die Welt erklären – und das ist der wichtige Punkt, ungefragt – und sich nicht vorher erkundigen, ob ich das auch weiß. Und das sind diese zwei Punkte. Erkläre mir gerne alles, aber frag mich einfach, ob ich es jetzt gerade wissen will und frag, ob ich vielleicht auch darin eine Expertise habe. Und dann können wir uns anders unterhalten. Und das ist glaube ich für Männer so ein Impuls, wo man sich sagen kann: Gleich, ich erklär´s. Das habe ich auch schon oft gehört: "Du erklärst du auch gerne die Welt." Ja, meistens gucke ich, ob es eine Resonanz erfährt, ob es gerade der richtige Moment ist, ob der andere oder die andere gegebenenfalls sogar eine bessere Expertin ist als ich. Ich kenne wirklich Abendessen, wo ein Mann anhebt, und dann ist das Thema da und es ist abendfüllend. Und das sind so Sachen, wo man in moderneren Kommunikationsweisen vieles besser machen kann.


Ohler Da braucht man sich auch nur in der Kongress-Landschaft umzugucken. Die ist ja auch voller Beispiele davon, oder?


Clement Also die kennst du ja ganz gut. Klar, wenn man einen Vortrag hält, hält man einen Vortrag, Männer wie Frauen, das ist klar. Aber dann fällt mir dann oft auf: Die Co-Referate. Stellen Sie eine Frage – und dann kommt stattdessen ein Co-Referat. Sicher fällt sich auch hier jeder Hörerin noch mal eine Frau ein, die das auch macht. Aber Mansplaining ist was, wo ich mehr oder weniger keine Toleranz mehr habe, weil ich es einfach nach all den Jahren nicht mehr haben kann.


Ohler Ich komme zur klassischen Abschlussfrage. Gab es irgendwas, wo du gedacht hast, im Vorfeld, das werden wir wahrscheinlich ansprechen, besprechen oder das wird gefragt? Oder gab es irgendwas, was jetzt im Lauf des Gesprächs aufgetaucht ist, was du jetzt erst mal zur Seite gelegt hast? Oder irgendein Statement? Oder noch ein handfester Tipp? Etwas, wo du sagen würdest: Da greif ich nochmal hin.


Clement Was du jetzt nicht gefragt hast, ist, was das Thema für mich persönlich bedeutet, oder biografisch, oder warum das so wichtig ist. Ich habe mir mit 16 von meinem Taschengeld, nachdem die Phase der MAD-Heftchen durch war, habe ich mir die erste EMMA gekauft. Alfred E. Neumann, du erinnerst dich. Ich hab mir also die erste EMMA gekauft, und seither bin ich mit diesem Thema befasst. Und ich gehöre ja biografisch zu dieser zweiten Frauenbewegung in den 70er Jahren, in Folge der 68er. Deswegen habe ich das Buch auch zusammen, oder im Austausch, mit einer jungen Frau geschrieben, um ja auch nicht nur sozusagen diese Ideen zu transportieren. Die Frauenbewegung ist ja da auch weiter gegangen. Und mir persönlich war immer wichtig – und das ist dann auch mit einem Tipp verbunden: Ich habe mir Mentorinnen auch gesucht. Eine große Mentorin war zum Beispiel die Rosmarie Welter-Enderlin, die mich einfach mitgenommen hat. Zu Kongressen, wo sie eingeladen war, hat sie gesagt: Ute, da kommst du mit. Ich habe gezittert wie Espenlaub, und habe dann da irgendwo auf für mich damals riesen Kongressen mit ihr zusammen Vorträge gehalten. Oder meine Dozentin, die Annette Kämmerer in der Uni hier, die einfach dieses Zutrauen zeigte, dass ich das kann. Und das ist so ein Tipp für junge Frauen: Sucht euch Mentorinnen und wartet nicht darauf, dass ihr da ausgewählt werdet, sondern sucht die euch, aktiv. Auf der anderen Ebene ist es das Netzwerken, also sich einfach gute professionelle Freundinnen zu suchen. Im Moment mache ich sehr viel in dem Bereich mit Antje Tschira, und es gibt es ein Feuer von Austausch, von gegenseitiger Unterstützung, Unterschiedlichkeit, Anerkennen. Und das ist einfach etwas, was mir persönlich sehr, sehr wichtig ist, nämlich – dritter Punkt – ich habe ja zwei Töchter. Ich will einfach nicht, dass diese Generation der jetzt so 20- bis 30-jährigen diese gleichen Mühlen durchmachen muss wie ich. Und meine Tochter hat in einem Bewerbungsschreiben mal geschrieben, dass sie bis 18 nicht wusste, dass Mädchen offensichtlich andere Sachen können sollen als Jungs, oder Sachen nicht können sollten. Und da war ich dann doch irgendwie ziemlich stolz auf uns, dass wir das hingekriegt haben, zumindest bis zu dem Alter, dass wir denen Zutrauen gegeben haben, dass sie auch zu allem fähig sind, zu dem Jungs auch fähig sind. Und umgekehrt. In der Clique waren auch Jungs. Wo wir das Beschützende, diese Sorgende, das ja Jungs auch haben, angesprochen haben. Das sind, so glaube ich, meine persönlichen Bezüge und verbunden mit Tipps: Sucht euch Mentorinnden, vernetzt euch, erkennt Unterschiedlichkeiten von anderen Frauen an, wertschätzt sie. Nämlich nur wenn man die Unterschiedlichkeit, auch mit anderen Frauen zusammen, anerkennen kann, kann man was voneinander lernen.


Ohler Ich danke dir sehr und kann natürlich nur nachhaltig empfehlen, das Buch zu lesen, eure Lunch-Talks zu hören. Am 11.3. ist der nächste, oder?


Clement Am 11.3. ist der nächste Lunch-Talk zusammen mit Dagmar Stübel und Antje Tschira. Da werden wir über Frauen und Geld sprechen, auch ein interessantes Thema, können wir aber heute nicht mehr vertiefen.


Ohler Machen wir irgendwann weiter damit. Toll, dass du da warst. Vielen Dank und vielen Dank für das Buch. Ich freue mich, wenn es in die Welt kommt.


Clement Vielen Dank.