Die Blues-Haltung

Musik ist eine Kunst. Und ich behaupte wagemutig, dass auch die Soziale Arbeit eine Kunstform sein kann. Sie kann vom Blues und der Haltung des Bluesmusikers viel lernen. Das soll Thema des heutigen Beitrages sein.


Als erstes sei angeführt, dass der Blues hier stellvertretend auch für andre Musikrichtungen steht. Genauso gut könnte ich über Jazz, Klassik, Pop, Rock, Soul oder auch andre Stile schreiben. Ich höre einfach sehr gerne Blues und kann anhand dessen die Idee besser vorstellen.


Zweitens sei der Begriff der Kunst hierbei näher erläutert.
Ich muss gestehen, dass ich diese Idee aus einem Interview mit Gerald Hüther übernommen habe. Er bezeichnete damals „Beratung“ als eine Kunstform. Und ich leite ab, dass auch Soziale Arbeit eine Kunstform sein könnte.


Dem Wort der Kunst liegen mehrere Bedeutungen zugrunde. Zum einen steckt darin der Aspekt der Schönheit bzw. Ästhetik. Und Soziale Arbeit hat in sich eine Schönheit und Ästhetik. Die Kunst ist hier das gelingende Leben und dessen Pracht.
Das Gemälde der Sozialen Arbeit ist hierbei lebendig und ständig in Veränderung begriffen, im Unterschied zu Kunstwerken, die in einer Galerie hängen und auf Zeit bestaunt werden können. Insofern ist Soziale Arbeit der Musik schon ähnlicher, die verklingt, sobald ein Lied beendet ist. Gleich einem Song dauert die Soziale Arbeit an, solange sie „gespielt“ wird. Im Unterschied zur Musik wird sie aber selten auf Tonträger gebracht.
Und – so ein weiterer Unterschied – manchmal zeigt sich der Erfolg von Sozialer Arbeit darin, dass etwas eben nicht gehört wird. Sich etwas eben nicht ereignet.


Der Kunst liegt auch der Aspekt der Meisterschaft zugrunde, als Vollendung und Veredlung von Gaben, Talenten und Handwerk. Auch in der Sozialen Arbeit gibt es – so gesehen – Künstler. Menschen, die ihre Gaben und Talente zum Ausdruck bringen und etwas Großartiges damit schaffen.
Zudem findet sich in der Sozialen Arbeit auch das Handwerk. Dieser Blog berichtet immer wieder von Handwerkszeugen, die dafür notwendig sind.


In der Musik gibt es zudem das Bild des Dirigenten. Das passt hierzu sehr gut für viele Tätigkeitsbereich in der Sozialen Arbeit. Er sorgt, dass die Musik zu einem Ganzen wird. Unterstützungssituationen – besser bekannt als das Fall- bzw. Case Management und ein kommendes Thema dieses Blogs – sind u.a. solche Arrangements, die von einem Sozialarbeiter bzw. einem Profi der Sozialen Arbeit dirigiert werden.


Der Musik liegt als drittens die Liebe zur Musik zugrunde. Die Liebe zur Musik kann nur von einem Menschen in die Welt gebracht werden, nicht etwa von einem Algorithmus.
Ein Computeralgorithmus kann technisch und handwerklich erstellte Musik nachempfinden, da dies sein System erfassen kann. Die Liebe, die Hingabe, die Freude, die Kreativität und das Schöpferische der Musik, das gehört dem Menschen allein.
Analog dazu kann gesagt werden: Gesprächstechniken können von einem Algorithmus durchgeführt werden, Anträge im wohlfahrtsstaatlichen System ebenso. Die Zuwendung, das Dasein und das gedeihliche Wohlwollen, das gehört dem Menschen allein.


Komme ich auf den Blues als Kunstform zurück, so finden sich darin weitere Aspekte, die uns leiten mögen.
Der Blues ist eine traditionsreiche Musik. So wie die Soziale Arbeit findet er seine Wurzeln in den Problemen der Menschen. Er geht vom unmittelbaren Leid aus und versucht es durch die Musik zu verändern, vielleicht sogar zu transzendieren.
Soziale Arbeit – so sehr sie sich als ressourcenorientiert auch bezeichnen mag – geht immer in die Problemresonanz: Aller Anfang von Sozialer Arbeit ist immer ein Problem: Anamnese – Diagnose – Intervention. Dieses Vorgehen ist problemzentriert, egal, ob es sozialräumlich, lebensweltorientiert, systemisch, lösungsorientiert, transaktional oder auf andre Weisen angegangen wird.
Der Blues hat aber in der neueren Zeit gezeigt, dass er sich von der Problemresonanz lösen kann. Blues drückt ganz andre Aspekte des Lebens aus. Überschwang. Freude. Gemeinschaft.
Das sei der Sozialen Arbeit zu wünschen, dass sie sich ähnlich wie der Blues aus der Problemresonanz lösen könne und tatsächlich lösungsorientiert bzw. ressourcenorientiert würde.


Der Musiker im Blues kennt die Tradition und liebt diese. Er spielt die Blues-Standards, die jeder Blues-Musiker kennt. Insofern kennt auch er so etwas wie ein Qualitätsmanagement, wenn man möchte: ein fachliches Niveau.
Jedoch sei hier folgendes angeführt: Jeder Bluesmusiker weiß, dass dies nicht ausreiche. Dass es nicht ausreiche, bloß so zu klingen, wie alle andren. Denn Blues ist kein Einheitsbrei. Es ist die Kunst der individuellen Ausdrucksfähigkeit. Blues verleiht dem eigenen Potential eine Stimme und eine Melodie.


Jeder, der Blues hört, weiß, dass Blues nicht Blues ist. Es ist die höchste Form von Meisterschaft, wenn der Musiker seinen ganz eigenen Ton gefunden hat. Dieser Ton unterscheidet ihn von allen andren Musikern. Ja, eben, weil dieser Ton gespielt wird, höre ich diesen Musiker – und nicht andre.


Während Soziale Arbeit noch versucht ist, alle Fach- und Führungskräfte zu einen Ton zu normieren, frage ich mich, ob dies nicht das Potential eben dieser Fach- und Führungskräfte im Einheitsbrei verklingen lässt.
Aus der bunten Vielfalt der Melodie droht dröge Einheitsmusik zu werden. Ähnlich wie ein Blueser, der nur Standards spielen würde, blieben die Menschen in diesem Bereich weit unter ihrem möglichen Niveau. Es fehlt die Individualität. Die Kreativität. Das Besondere.


Der Bluesmusiker, der seinen Ton gefunden hat, spielt nicht nur die fachlichen Standards seiner Zunft. Er übertrifft diese sogar. Das macht seine Musik zur wahren Kunst. Die Meisterschaft besteht darin, sich selbst darin zu verwirklichen.
Jeder Mensch in der Sozialen Arbeit kann diesen eigenen Ton entwickeln. Und ich frage mich, was wohl möglich wäre, wenn er ihn nur spielte?


Das Wort „Hypnosoziale Systemik“ ist ein Kunstwort. Es ist aber nicht künstlich, denn es verweist auf die Natur der Sache, die im Menschen selbst angelegt ist. Das Wort ist insofern natürlich und zeigt den Weg des natürlichen Wachstums anhand des Blues auf.


Vielleicht hat Ihnen dieser Beitrag Lust auf die Blues-Haltung gemacht. Und sie möchten für sich herausfinden, was passieren würde, wenn sie nur so spielten…?


Der kommende Beitrag bleibt indes musikalisch und wird von der „Sozialen Arbeit als Musik der Lösung“ handeln.