Werte und Ziele im Familienkapitalismus – oder: drei starke Säulen von Unternehmerfamilien

Der dritte Schritt der WIFU-Familienstrategieentwicklung

Mit dem dritten Schritt der Familienstrategieentwicklung laden wir die Mitglieder der Unternehmerfamilien ein, die Werte und Ziele ihrer Familie und ihres Unternehmens zu bestimmen.[1] In diesem Beitrag werden wir vor allem die Werte von Unternehmerfamilien fokussieren.

Bevor diese im Rahmen einer Familienstrategieentwicklung benannt werden können, erfolgt eine intensive – sowohl jeweils individuelle als auch gemeinsame – Erinnerung an die in der betreffenden Familie und dem dazu gehörigen Unternehmen tradierten Werte. Bei mehrgenerationalen Familienunternehmen, die also schon einige Generationswechsel erfolgreich vollzogen haben, kann davon ausgegangen werden, dass sich deren Werte bisher bewährt haben. Denn das Unternehmen existiert noch. Die dazugehörigen Werte werden erinnert, miteinander besprochen und zumeist bestätigend geteilt.

Sollten auch Werte erinnert werden, die in der Kommunikation der gegenwärtigen Generation umstritten sind, so ist freilich auch Differenzierung möglich: Einerseits werden die Werte einbezogen sowie für Gegenwart und Zukunft weiter tradiert, die für Unternehmen, Familie und Eigentum als förderlich betrachtet werden; andererseits gilt es, die Werte – nach intensiver und reiflicher Prüfung – zu verabschieden und loszulassen, die als nicht mehr passend und stärkend, vielleicht gar als schwächend empfunden werden. Möglicherweise ist mit einer solchen Verabschiedung die vorherige Würdigung der Werte erforderlich, die nicht mehr tradiert werden sollen; denn diese haben zu einer bestimmten Zeit ihren Sinn und Zweck gehabt, ansonsten wären sie nicht entstanden, hätten im Familiengedächtnis keine Spuren hinterlassen.

Grundsätzlich können Werte als Attraktoren verstanden werden, die die kognitive, emotionale und aktionale Aufmerksamkeit der Familienmitglieder in bestimmte Richtungen lenken. Und bei erfolgreichen Unternehmerfamilien bzw. Familienunternehmen, deren Nachfolgeprozesse und damit deren Langfristorientierung bisher immer wieder realisiert werden konnten, scheinen die Werte zu passen – zumindest für eines der wichtigsten Kriterien des Familienunternehmens, für die Transgenerationalität, also für die in jeder Generation neu zu vollziehende Eigentums- bzw. Unternehmensweitergabe an die jeweils nachfolgende Generation.

In einem evolutionären Entwicklungsprozess werden die Werte tradiert, die die Transgenerationalität stützen. Andere Werte bleiben unberücksichtigt, oder geraten in einen Widerspruch mit denen, die Dominanz erringen konnten. Mit Niklas Luhmann können wir davon sprechen, dass Werte wie „Sterne am Himmel“ sind, dass es eben „unzählige“ davon gibt.[2] Daher ist es äußerst spannend, die Werte von Unternehmerfamilien zu betrachten, um darüber nicht nur viel über die konkrete Familie sowie über das dazu gehörige Unternehmen zu lernen. Sondern noch viel grundsätzlicher offenbaren diese Werte zudem die moralischen Wurzeln unserer vorherrschenden Wirtschaftsordnung, der äußerst stark auf Familienunternehmen basierenden Marktwirtschaft. Denn diese Werte zeigen „allgemeine […] Gesichtspunkte des Vorziehens von Zuständen oder Ereignissen“,[3] also Präferenzen an. „Ihre Funktion liegt […] darin, in kommunikativen Situationen eine Orientierung des Handelns zu gewährleisten, die von niemanden in Frage gestellt wird“.[4] Damit geben Werte individuelle wie soziale Sicherheit, und zwar nicht nur im Handeln, sondern auch in den Orientierungen des Denkens und Fühlens.

Wer mit Unternehmerfamilien arbeitet, wird vermutlich meine Erfahrung teilen, dass sich nämlich in der erinnernden Arbeit bezüglich deren Werteorientierungen die Nennung bestimmter Werte häuft; es werden also in unterschiedlichen Familien ähnliche Wertecluster gebildet. In meiner Beratungsarbeit, vor allen in Prozessen der Familienstrategieentwicklung tauchen regelmäßig Wertenennungen auf, die sich mit Bedeutungsclustern wie Bodenständigkeit, Demut, zugleich Traditions- wie Innovationsorientierung und Mut zusammenfassen lassen, um nur fünf solcher Cluster zu nennen.

Diese Wertecluster lassen sich in ihrer zumeist sehr kraftvollen Verankerung in den Familien als Orientierung für deren Mitglieder mit Hilfe einer KEA-Analyse differenzierter verstehen.[5] Mit dem Akronym „KEA“ fokussieren wir „Kognition, „Emotion“ und „Aktion“. Wir können im Rahmen eines Familienstrategieprozesses also darüber nachdenken, dies gemeinsam besprechen und (etwa für die Familienverfassung) festhalten, was diese Werte für das Denken (kognitive Dimension), das Fühlen (emotionale Dimension) und das Handeln (aktionale Dimension) der Familienmitglieder bedeuten. In welcher Weise richten sich also das Denken, Fühlen und Handeln aus, wenn diese Werte die Orientierung dafür geben? In der folgenden Tabelle habe ich eine solche KEA-Analyse bezüglich der aufgeführten Wertecluster knapp skizziert.

 

Werte Kognitive Dimension Emotionale Dimension Aktionale Dimension

Bodenständigkeit

Erfahrungsbasiertes Denken

Loyalität

Sicherheit

Demut

Nachdenklichkeit

Dankbarkeit

Bescheidenheit

Traditionsorientierung

Kontext-Denken

Vertrauen

Zuverlässigkeit

Innovationsorientierung

Freiheitliches Denken

Neugier

Flexibilität

Mut

Selbstbewusstes Denken

Optimismus

Stärkeorientierung

 

Die aufgeführten fünf Wertecluster offenbaren in der KEA-Analyse, dass Unternehmerfamilien ihre Werte in Spannungsfeldern, etwa zwischen Freiheit und Sicherheit, Vorsicht und Handlungskraft oder Vergangenheit und Zukunft, aufspannen. Offenbar kommt es darauf an, dass diese Spannungsfelder in herausfordernden Situationen in jeweils passender Weise ausbalanciert werden, so dass die gerade erforderlichen Werteorientierungen zur Bewältigung der anstehenden Probleme in Denken, Fühlen und Handelns der aktuellen Verantwortungsträger zur Entfaltung kommen können.

Schließlich kann aus den immer wieder in ähnlicher Weise aufscheinenden Werteclustern in unterschiedlichen Unternehmerfamilien, also letztlich im Rahmen des „Familienkapitalismus“, das abgeleitet werden, was Wolfgang Kersting hinsichtlich der ethischen Perspektiven der sozialen Marktwirtschaft mit folgenden Worten pointiert:

„Der Markt ist auch eine wertverwirklichende, eine moralische Ordnung. Er ist eine Schule der Selbstverantwortung und planenden Rationalität, der Anpassungsfähigkeit und der Selbsterweiterung; er verlangt eine stete Bereitschaft zum Umlernen und zur Weiterbildung; er fordert Offenheit fürs Neue; auf der anderen Seite aber prämiert er Zuverlässigkeit und Berechenbarkeit. Er fördert somit die Entwicklung fundamentaler menschlicher ethischer Einstellungen und kognitiver Kapazitäten. Er führt zur Mehrung des Wohlstandes und zu einer steten Verbesserung des allgemeinen Versorgungsniveaus. Er ist die menschlichste, weil endlichkeitsbewussteste Veranstaltung; denn Endlichkeit bedeutet Knappheit; Knappheit verlangt klugen Einsatz der Ressourcen, der Rohstoffe, der Arbeit und des Wissens. Kein anderes Wirtschaftssystem garantiert einen effizienteren Einsatz materieller und immaterieller Produktionsmittel. Insofern ist der Markt institutionalisierte Menschenliebe […] Der Markt ist struktureller Altruismus; um meine eigene Nutzenposition zu verbessern, muss ich anderen die Verbesserung ihrer Nutzenposition ermöglichen“.[6]

 

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[1] Vgl. ausführlich Schlippe, A. v., Groth, T. & Rüsen T. (2017). Die beiden Seiten der Unternehmerfamilie. Familienstrategie über Generationen. Auf dem Weg zu einer Theorie der Unternehmerfamilie. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.

[2] Luhmann, N. (1993): Gibt es in unserer Gesellschaft noch unverzichtbare Normen? Heidelberg, S. 242.

[3] Luhmann, N. (1984): Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie. Frankfurt/M., S. 433.

[4] Luhmann, N. (1997): Die Gesellschaft der Gesellschaft. Frankfurt/M., S. 341 f.

[5] Vgl. dazu Kleve, H. (2020): Sozialisation, Erziehung und Lernen in Unternehmerfamilien – Das KEA-Modell für „Kopf“, „Herz“ und „Hand“, in: Tom A. Rüsen/Anne K. Heider (Hrsg.): Aktive Eigentümerschaft in Familienunternehmen. Gesellschafterkompetenz in Unternehmerfamilien entwickeln und anwenden, Berlin, S. 247 ff.

[6] Kersting, W. (2012): Wie gerecht ist der Markt? Ethische Perspektiven der sozialen Marktwirtschaft. Hamburg, S. 24.