Sounds of Science / Dunja Batarilo & Werner Vogd - Mitten ins Leben - Vipassana-Meditation

Meditation und Trance sind nicht dazu da, sich vom Leben abzuwenden. Dunja Batarilo und Werner Vogd legen im Gegenteil den Fokus auf eine Praxis, die einer öffnenden Wendung dient: Mitten ins Leben – Frieden finden mit Vipassana-Meditation. Das ist auch der Titel ihres gerade erschienenen Buches.
Beider Expertisen führen auch im Gespräch mit Carl-Auer Sounds of Science zu einem spannenden Austausch über Herkunft, Idee und Erfahrung von und mit Vipassana-Meditation in unserer Zeit.
Werner Vogd ist Professor für Soziologie an der Fakultät für Kulturreflexion der Universität Witten/Herdecke, verfügt über jahrzehntelange praktische Meditationserfahrung und über ein ausgeprägtes systemtheoretisches Verständnis, womit er auch problematische Entwicklungen in spirituellen Gemeinschaften bereits intensiv beforscht hat. Dunja Batarilo ist ebenfalls sehr erfahren in meditativer Praxis und schreibt als Journalistin für DIE ZEIT, DER SPIEGEL, die Neue Zürcher Zeitung, die Frankfurter Rundschau, brandeins und andere große Zeitungen und Zeitschriften.



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Transkription des Interviews


Ohler Hallo und willkommen, liebe Dunja Batarilo, lieber Werner Vogt und vielen Dank, dass ihr bereit seid, für Carl-Auer Sounds of Science für ein Gespräch zur Verfügung zu stehen. Wir sehen uns - unsere Hörerinnen und Hörer hören uns - mitten im Leben. Passt jetzt ganz gut als Übergang: Mitten ins Leben - Frieden finden mit Vipassana Meditation. Das ist der Titel eines gerade erschienenen Buches, das ihr zusammen geschrieben habt. Man denkt, das könnte treffender nicht sein. Für manche drückt es vielleicht eine Sehnsucht aus, die sich vielleicht sogar verstärkt zurzeit.Aaber angesichts der aktuellen Situationen und Erfahrungen kann man das vielleicht auch ein bisschen als provozierend empfinden. Wenn das in der gebotenen Kürze ungefähr geht: Was ist Vipassana Meditation und wie unterscheidet sie sich von anderen Formen, die es gibt? Und wo sind Gemeinsamkeiten? Magst du anfangen, Dunja?


Batarilo Ja, gerne. Ja, andere Formen, die es da so gibt. Es gibt natürlich Meditationsformen wie Sand am Meer, und Vipassana ist eine davon. Ich glaube, was Vipassana auszeichnet, kann man so beschreiben: Es ist eine sehr nüchterne Form, auf den ersten Blick. Also wer sich das erste Mal auf Vipassana einlässt, der wird keine Symbole finden, keine Kerzen, keine Räucherstäbchen. Da werden keine Mantren gesungen, es gibt keine Gurus, an deren Lippen man hängen kann. Das ist nicht romantisch.Es ist auf den ersten Blick eine sehr pure Methode, die auch eher kühl daherkommt. Und tatsächlich heißt "Vipassana" auf Pali auch "sehen, was ist". Also es geht einfach darum, das zu beobachten, was sich uns darstellt als Realität. Da ist überhaupt kein Schnickschnack dabei. Man beginnt mit dem mit der Aufmerksamkeit auf den Atem. Und das klingt sehr einfach, ist aber alles andere als das. Also der Yuval Harari, dieser bekannte Bestsellerautor, der ja auch Vipassana praktiziert, hat an einer Stelle mal gesagt, das war das schwerste, was er je gemacht hat. Und ja, es geht darum, zuerst den eigenen Atem zu beobachten und danach, sehr genau angeleitet, die eigene Körperlichkeit und auch die Abläufe im eigenen Geist. – Werner, da magst du bestimmt noch mehr zu sagen.


Vogd Ja, Vipassana ist eigentlich die Aufmerksamkeit auf den eigenen Bewusstseinsprozess zu legen, also zu verstehen, wie sich unser Bewusstsein aufbaut, verändert und wieder verlöscht. Und du hast ja eben gesagt: Ja, okay, wir leben vielleicht in manchmal guten Zeiten, manchmal schwierigen Zeiten. Und gerade da ist es ja wichtig zu verstehen: Wie baut sich zum Beispiel meine Angst auf? Wie baut sich meine Wut oder Verzweiflung auf? Um dann auch die Chance zu haben, zu sehen: Aha, das ist jetzt eine Konstruktion, auch wenn sie einen realen Kern hat. Die Bedingungen, die dahin geführt haben, sind ja eben real gewesen. Aber was da draus gemacht ist, ist eben die Dekonstruktion dieses Bewusstseinsprozesses. Da sind wir alle drin. Und wenn wir damit lernen umzugehen, also indem wir diesen Prozess zu verstehen lernen, kann man auch wieder eine Balance finden.


Batarilo An der Stelle ist eben Vipassana anders als andere Meditationsformen, weil man mit anderen Techniken eher das Ziel hat, sich zum Beispiel ganz gezielt zu beruhigen. Und das wäre bei Vipassana nicht das Ziel. Oder Werner?


Vogd Nee, nee, im Gegenteil. Also jetzt ist ein aufregender Tag, oder ist es Horror, oder ich habe jetzt lauter schlimme Nachrichten gesehen und gehört, und ich setz mich hin zur Vipassana-Meditation. Und dann merke ich diese Unruhe. Da merke ich den Horror. Da merke ich, dass mein Körper oder mein Bewusstsein total durcheinander ist, vielleicht auch Schmerzen spürt oder Leiden spürt. Und dass es eben dann ein Teil, wie sich mein Bewusstseinsprozess zurzeit aufbaut, und indem ich das sehe, ist eben eine Chance, ihn anders wieder aufzubauen. Also loszulassen jetzt einfach mal und gucken, was kann ich da eigentlich machen. Also was kann ich jetzt? Also jetzt ist mir gerade im Moment die Kriegsnachrichten, und da kann man sagen: Okay, lasse ich mich durch Nachrichten verrückt machen und lähmen und verlier dann meine eigene Handlungsfähigkeit, bau ich zu dem Schrecken noch eine Depression auf, an Stelle Freiheiten zu gewinnen, um was tun zu können, zum Beispiel aus Mitgefühl zu spenden oder Flüchtlingen zu helfen, oder oder oder.


Ohler Schauen wir mal auf die Entstehungsgeschichte von dem Buch und vielleicht auch von Vipassana, wie es hier im Westen angekommen ist. Es gibt ein Statement, das auch gleichzeitig die Überschrift ist von einem Abschnitt im Buch: Buddha war kein Buddhist. Das war sehr schön. Und das steht auch in Zusammenhang mit diesem Ansinnen, wie es auch mal heißt, den Weg des Buddhismus in den Westen zu betrachten, oder Erfahrungen mit Vipassana in Wanne-Eickel – das ist auch ein Kapiteltitel – und anderswo. Sind das ermunternde Erfahrungen? Und was liegt dem Projekt eigentlich zugrunde an Recherchen? Das war eine aufwendige Recherche.


Vogd Die Geschichte von dem historischen Buddha ist eigentlich sehr, sehr interessant, und das haben wir als Ausgangspunkt genommen für unser Buch. Also er lebt jetzt in einer indischen Welt, in der indischen Mythologie, wo sehr viele Menschen eigentlich das Leben, was ist, als eine Illusion empfinden und dann irgendwie in einen Urzustand, also mit Brahma eins werden wollen, mit der Ur-Seele eins werden wollen. Und Buddha probiert diese ganzen Techniken aus, die da hinführen, und sagt dann aber auf einmal: Nein, das ist eine Illusion. Eigentlich das, was ist, ist diese Welt, in ihrem Entstehen und Vergehen. Und solange wir nicht in diese Welt kommen und sie annehmen können – also damit irgendwie arbeiten können – sind wir nicht frei. Und die Befreiung liegt genau in dieser Welt. Das ist nun mal die kurze Story. Also so könnte man eigentlich auch die Methode nehmen: Schau, was ist, was deine Empfindungen sind, was dein Weltkontakt ist, und versuch damit in einer guten Weise umzugehen. Und so einfach wie sich's auch anhört, rutschen wir Menschen ja immer wieder rein, dass wir sagen: Nee, das Jetzt wollen wir nicht, wir wollen lieber eine imaginäre Welt. Also wir wollen lieber, dass uns jemand huckepack in den Himmel führt oder dass wir, wenn wir jetzt einfach in der schönen Trance sind und uns glücklich fühlen, in einem friedvollen Zustand, dass er ewig hält. Genau das wollen wir eben nicht. Und das haben wir eben auch in der Studie gefunden. Also jetzt hast du gefragt: Was haben wir gemacht? Wir haben eine große Studie mit sechs buddhistischen Schulungswegen durchgeführt. Zwei aus dem tibetischen Buddhismus, zwei aus dem Zen-Buddhismus, zwei aus dem Theravada-Buddhismus, zu dem auch Vipassana gehört. Und dann haben wir geguckt Was machen die Leute eigentlich? Was machen Anfänger? Was machen Langzeit-Meditierende? Was machen Lehrer, Meditationslehrer und -lehrerinnen? Und dann haben wir eigentlich festgestellt, sie sind eigentlich auf dem Weg von Buddha und dann machen sie eigentlich – jetzt in Anführungsstrichen – die gleichen "Fehler". Also irgendwie glauben sie, ich könnte ein Mantra sprechen und dann bin ich für immer weggebeamt im himmlischen Frieden, und rennen dann so lang gegen die Wand, bis sie wieder auf die Erde kommen und dann enttäuscht sind. Und dann beginnt die Geschichte von Neuem. Und vielleicht sagen sie aber auch irgendwie, das hat der Buddha in seinem Leben ja auch durchexerziert. Na gut, das Leben ist irgendwie blöd, also versuche ich es zu überwinden, indem ich nichts mehr esse, in dem ich hungere, indem ich in die Askese gehe, indem ich es so weit treibe, dass ich fast sterbe. Und das ist, in meinen Worten sozusagen, der suizidale Weg: Ich will aus dieser Welt raus, indem ich mich raus wegnehme, in dem ich mich entziehe. Und das kann natürlich auch passieren, da haben wir auch Leute in den Interviews gebabt, die so eine Neigung haben, da rauszugehen. Und dann sollte eigentlich irgendwann der Punkt kommen, dass es wieder kippt. Nein, das ist auch eine Illusion. Ich kann eigentlich der Wirklichkeit nicht entfliehen. Also ich muss mit ihr in Kontakt gehen, verstehen, wie die Wirklichkeit sich in jedem Moment neu aufbaut und damit auch mein Bewusstsein sich immer wieder neu aufbaut.


Ohler Einverstanden, Dunja?


Batarilo Ja, total gut, finde ich. Werner, du hast jetzt gerade diese Parabel auf den spirituellen Weg beschrieben, die sich in der Geschichte des Buddha ja auch abbildet. Das zieht sich ja auch wie so ein roter Faden durch das Buch. Die Parallele. Deine Ausgangsfrage war ja, Buddha war kein Buddhist und du hast danach gefragt, ob es da ermunternde Erfahrungen gibt, die aus den Interviews mit den Praktizierenden sprechen. Und da würde ich sagen: Auf jeden Fall ja. Das sind ganz berührende Erfahrungsberichte von Menschen, die ja zum Teil über Jahrzehnte Vipassana praktizieren und die beschreiben, was dieser spirituelle Weg und die Tatsache, sich darauf eingelassen zu haben, was das mit ihrem Leben macht. Und das wird geschildert als unheimlich bereichernd und erfüllend und letztlich doch beglückend, also sehr beglückend sogar, und als etwas ganz Heilsames. Also das ist das Wort, das ganz oft in diesen Interviews vorkommt: Da passiert was Heilsames. Und ich denke, das steckt eigentlich in diesem "Sehen, was ist". Und ich glaube, man kann das ergänzen durch "Fühlen, was ist". Für Vipassana ganz wichtig ist dieser Aspekt, in die Leiblichkeit zu kommen. Meditation stellen wir uns ja oft vor als was rein Geistiges, das nicht nur im Kopf abspielt. Und Vipassana sendet das Bewusstsein ja ganz intensiv und absichtlich in den Körper. Und wir Westler sind es ja gewöhnt, zu unterscheiden zwischen Geist und Körper. Und Vipassana löst diese Dualität eigentlich auf. Also man kann die Erfahrung machen, dass es da keinen Unterschied gibt, dass das unmittelbar zusammenhängt und eigentlich auch eins ist. Und das ist eine ungewöhnliche Erfahrung. Menschen, die tanzen oder singen oder Erfahrung gemacht haben mit Osteopathie oder solchen Körper-Geist-Techniken, die können diese Erfahrung auch machen. Vipassana macht die halt systematisierbar. Und wer sich auf seine eigene Körperlichkeit wirklich einlässt, der wird halt feststellen: Aua, das tut weh. Also Realität und sehen, was ist in der Realität, ist halt durchaus schmerzhaft. Und diesem Schmerz nicht auszuweichen, sondern ihn zu beobachten, wie jede andere Erfahrung auch, wie auch angenehme Erfahrung, das ist, wenn man lernt – und das vermittelt Vipassana – nicht dran zu kleben oder es weghaben zu wollen, dann kann das sehr, sehr heilsam sein.


Ohler Daran kleben, weghaben – wir kommen da nachher nochmal hin. Du hast eben den Begriff der Spiritualität oder des Spirituellen angesprochen. Ich schieb es grad mal ein bisschen nach hinten. Aber es ist natürlich wichtig, darauf nochmal zu kommen. Ihr habt das Buch gemeinsam geschrieben. Knapp gefragt: Warum?


Batarilo Ja, Werner, warum?


Vogd Der Grund war ein einfacher: Dass ich gemerkt habe, Vipassana ist mir so nah, dass ich das Buch nicht selber schreiben kann. Also bei anderen Büchern habe ich gesagt: Okay, da kann ich irgendwie auch eine Distanz wieder zu gewinnen. Und hier war es so: Nee, nee, ich mache es ja selber, und da brauche ich jetzt quasi auch eine Kontrolle, dass ich mich da nicht irgendwie vollkommen entwickle. Dunja kenne ich schon lange, und ich weiß, wie schön sie schreiben kann. Ich habe ihre Bücher gelesen und fand das immer wunderbar. Und da habe ich gedacht, sie ist eigentlich diejenige, die das kann und die es machen sollte, auch


Batarilo Ich habe mich total gefreut, als Werner mich gefragt hat. Für mich war das jetzt wirklich ein ganz großer Luxus, mich diesem Thema widmen zu dürfen. So intensiv. Also wann kann man das schon mal im Leben? Das war wirklich eine große Freude, an dem Projekt zu arbeiten.


Ohler Gut, das wird oft als schwer erlebt, und das war aber offensichtlich eine wunderbare Kombination, die erleichtert hat, und das Buch ist auch wirklich unheimlich gut lesbar. Ich schiebe die Spiritualität noch eine Frage weiter und ihr schreibt ja auch gemeinsam über Meditationspraxis ganz besonders in Krisen. Da kann besonders wichtig sein, besonders – ich versuche, das Wort positiv zu vermeiden – auch einfach einen Unterschied zu machen. In Krisen ist ja eher Aufregung, Sorge und anderes gefragt. Auch das hatten wir vorhin schon mal berührt. Aber es dürfte ja um mehr gehen als nur um Beruhigung bei der Meditation. Noch mal dahin geschaut: was ist das Mehr als die Beruhigung von Sorge und Mühe? Was passiert da mehr?


Vogd Also ich glaub da ist es wichtig, die Bewusstseinsdynamiken von Krisen zu verstehen. Als Beispiel: Jetzt arbeite ich an der Uni und es läuft gut, und dann auf einmal laufen Dinge schief. Also eine Fakultät, wo ich arbeite, wird geschlossen oder der Studiengang ist gefährdet und wird verändert. Dann ist das ja, weil ich da engagiert bin, ein Schock für mich. Also es trifft mich. Und jetzt ist quasi die übliche Reaktion, dass ich jetzt sage: Na gut, mir macht das doch nichts aus. Ich kapsele mich ab davon und will die Krise nicht wahrhaben, weil sie ja weh tut. Und dann komme ich in so eine depressive Trance rein und mache irgendwann mein Leben so lau weiter. Und wenn ich mich jetzt dann für die Meditation hinsetze oder vielleicht einen Tag oder einen Kurs mache, dann spüre ich den Körper und merke es tut weh. Ja, da habe ich einen wirklichen Verlust, der weh getan hat. Und jetzt ist genauso, als würde man mal sagen ,dieser Schmerz ist doch blöd. Aber die Erfahrung ist genau anders. In dem Moment, wenn ich den Schmerz annehme, bekomme ich meine Lebendigkeit zurück und meine Offenheit. Und auf einmal kann ich in der Arbeit wieder sagen: Ha, mit mir nicht hier. Oder ich habe andere Ideen, wie ich jetzt meine Projekte verwirklichen lasse. Also ich komme wieder zurück in mein Leben. Das ist diese spirituelle Dimension von Vipassana, wie man zurück in seine Lebendigkeit kommt. Und diese Lebendigkeit besteht ja gerade darin, dass sich immer alles ändert. Also das irgendwie "Imaginäre", dass es irgendwie so sein soll und nicht anderes, immer wieder brechen, damit wieder neuer Schmerz kommt und dann wieder neue Öffnung, neuer Schmerz, neue Öffnung. Aber so ist das Leben. Und damit ist es Spiritualität, die zurück ins Leben führt. Es gibt ja andere Formen von Spiritualität, die wegführen. Jetzt mal so ein Extrembeispiel, das kennt ihr bestimmt alle: Die Hare Krishnas, die das ganze Leben lang das Mantra von Hare Krishna singen, Hare Krishna Hare Rama. Und sie kommen dann in eine spezielle Trance, fühlen sich auch wohl, weil sie in dieser Hare-Krishna-Trance sind, in der Trance, die dieses Mantra generiert. Aber da ist nicht mehr viel anderes Leben. Also wenn man sie anspricht, da ist nicht mehr viel Resonanz. Mit Vipassana, wenn man sein Leben als Resonanz mit der Welt wieder bekommt, ist das Empfinden für das Schöne und für das Schreckliche gleichzeitig da.


Ohler Du hast jetzt schon angedeutet, da sind wir schon beim Spiritualitätsthema. Vielleicht kannst du da gleich mit hinswitchen, Dunja, wenn du das noch ergänzen willst. Die Frage: "Spiritualität", trennscharfer Begriff nicht trennscharfer Begriff? Oder vielleicht auch noch ergänzend zu dem, was Werner gesagt hat.


Batarilo Ich glaube, erst mal würde ich gerne noch was ergänzen. Du hattest ja gefragt: Mehr als Beruhigung? Und da würde ich sagen: Ja, auf jeden Fall. Ich habe den Eindruck, es geht auch ganz viel um Freiheit. Ich glaube, Vipassana ist wirklich ein Weg, seine persönliche Freiheit wiederzugewinnen. wir alle sind ja unendlich konditioniert. Wir sind ja als einfach. Durch unsere Biologie, unsere Reflexe und Erfahrungen, die wir gemacht haben, kommen wir ohne Konditionierung gar nicht aus. Unser Überleben ist darauf angewiesen. Und gleichzeitig schränken uns diese Konditionierungen ja im Alltag zum Teil extrem ein. Also unsere Gewohnheiten, wie wir eben reagieren, wenn uns bestimmte Dinge entgegenkommen. All das macht uns relativ unfrei und zum Teil ja auch wirklich unglücklich. Und da ist Vipassana wirklich ein Weg, aus Konditionierungen auszusteigen. Ein Extrembeispiel von Konditionierung wären ja Traumata, zum Beispiel – wenn man den Begriff jetzt ein bisschen weiter fasst. Also große und kleine Erschütterungen, all das, was tiefe Spuren in unserem Geist oder unserem Körper hinterlässt und dann das, was wir Neues erleben, für uns derart prägt, dass wir nicht unbedingt offen dafür sind, was uns da entgegenkommt, und im Verhalten stark eingeschränkt. Und da ist Vipassana wirklich etwas, das ganz ganz heilsam wirkt. Da zeigt das Buch auch total spannende Beispiele auf. Da erzählt zum Beispiel ein israelischer Soldat von einem Kriegstrauma, das er in einem Vipassana-Retreat für sich überwunden hat, ohne Hilfe eines Therapeuten. Ich will das jetzt nicht anpreisen als therapeutische Methode, das will Vipassana nicht sein. Aber es ist ganz eindrucksvoll, wie stark diese Methode wirken kann und wie unabhängig, und ohne Hilfe von außen, man eben mit dem eigenen Geist und Körper beginnen kann, zu arbeiten. Konditionierungen hinter sich lassen und einfach wieder freier ins Leben gehen. Und darin liegt eine Freude.


Vogd Ich versuch's noch mal anders zu beschreiben. Es ist dieses Bild, was es auch im Zen-Buddhismus gibt: Im Auge des Sturms, im Zentrum des Zyklons. Man nimmt das Auf und Ab des Lebens wahr, man verschließt davor die Augen nicht, bleibt aber im Zentrum in der Balance und damit handlungsfähig. Um mal ein positives Beispiel zu nehmen: Das ist ja so, wie wenn man sagt: Nee, ich äh, ich will keine Kinder oder so, weil Kinder aufregend sind. - Dunja, du erlebst es ja gerade, du bist frisch Mutter geworden, und jetzt sind sie da und schreien und da ist ja auf einmal absoluter Trubel, die Ruhe ist weg. Und da wäre jetzt Vipassana: Sich in diese Welt rein zu begeben, bewusst, oder sich einzulassen, wo die Ruhe weg ist, weil's trotzdem schön ist, weil's trotzdem was Größeres, Wertvolleres ist, was Sinnhaftes ist. Das sage ich jetzt, um mal von diesen Traumata wegzukommen. Das Kind ist ja eins der größten und lebendigsten Projekte überhaupt ...


Batarilo ... und der größte Störfaktor überhaupt ...


Vogd ... das Positive, das aber auch diese ganze Turbulenz der Unruhe mit sich bringt.


Batarilo Das ist echt ein gutes Beispiel. Ich denke es auch oft in den letzten Tagen. Mein Baby ist jetzt zehn Wochen alt, und ich habe natürlich zum Meditieren überhaupt keine Zeit mehr. Und gleichzeitig ist es eine wahnsinns Achtsamkeit-Schule in dem Sinne, dass es gar nicht anders funktioniert als komplett präsent zu sein, denn sobald ich denke, ich habe verstanden wie es tickt und ich könnte vorhersagen, was als nächstes passiert, ist ja sowieso schon wieder alles anders. Gestern hat es noch geschrien, heute ist es glücklich. Alles ist immer anders. Pläne brauche ich eigentlich gerade gar nicht mehr machen, und es ist komplett sinnlos, sich irgendetwas anderem widmen zu wollen als eben dieser Gegenwart. Das habe ich oft gedacht in den letzten Wochen. Und genau da, in der zwanzigsten durchwachten Nacht - ich sag jetzt nicht, dass das einfach ist - sich ins Auge des Sturms zu stellen, das würde halt heißen, immer noch einen Teil Bewusstsein mitlaufen zu lassen, der beobachtet, wie müde ich bin, und der beobachtet, wie mich dieses Baby anlächelt und ich genau in der Sekunde vergesse, dass ich so müde bin. Ja, jetzt bin ich auch wirklich gerade müde und bring den Satz nicht zu Ende ... Ich glaube, dieses Gegenwärtigsein und dieses Annehmen, was da ist, und beobachten, was passiert in mir, in meinem Körper und in meinem Geist, da immer präziser zu werden, das kann man sich halt mit Vipassana eigentlich systematisch antrainieren.


Ohler Also ich habe das jetzt so gehört, dass es quasi um verschiedene Formen von Krise geht. Es muss ja nicht immer negativ bewertet sein. Einfach unterschiedsbildende Erfahrungen, so wie "Baby ist auf der Welt", und dann wieder Erfahrungen, wie Kriegsnachrichten. Ich bringe das nochmal mal zusammen, die zwei Fragen. Das eine ist: Es geht darum, sich nicht von der Welt abzuwenden, weil es auch gar nicht funktioniert – wie du es vorhin beschrieben hast mit dem Baby, das dich anlächelt und auch was will – sondern um eine andere Form von zuwenden oder merken, dass man zugewandt ist. Eine Spur eines anderen Verständnisses von Spiritualität als bei denen, die sich abwenden oder sonst wo suchen, wie die Hare Krishnas zum Beispiel. Kann kann man das so sagen?


Vogd Ja, genau, das ist genau der Punkt. Es gibt eigentlich zwei Verständnisse von Spiritualität. Das eine ist, ich suche die Transzendenz außerhalb des Lebens, also in einem imaginären Himmel oder in einer komischen Vorstellung von scheinbarem Nirwana – also, indem ich eine Trance mit Nirwana verwechsle. Und es gibt diese Form von Spiritualität, ins Leben zu kommen, dabei aber zu wissen, dass Leben immer Krise ist. Jeder Organismus, jede Zelle baut sich in jedem Moment neu auf, ist also in jedem Zeitmoment in einer Krise, alsdass ihre alte Struktur gefährdet ist und eine neue aufgebaut werden muss. Wir sind immer in der Krise, sonst würde das Leben aufhören. Leben und Tod sind zwei Seiten einer Medaille. Und genau da reinzuspringen, das wahrzunehmen, diesen Fluss der Veränderung wahrzunehmen, dann ist man da, dann ist man in der Mitte, dann ist man im Leben. Und das ist diese andere Form von Spiritualität. Also wir haben ja auch immer in unserem Buch diese "großen Geister"; das haben Martin Luther King oder Bonhoeffer oder Gandhi begriffen. Gandhi hat ja was gemacht, was riskant ist - am Ende wurde er ermordet ... - aber trotzdem war er mitten im Leben, weil er sich der Situation gestellt hat. Wir können ja nicht einen imaginären Punkt haben, wo es irgendwie aufhört, wo alles für Ewigkeiten gleich ist oder so was, wo es keinen Tod mehr gibt, wo es keine Veränderung mehr gibt, sondern eigentlich unsere Spiritualität - eigentlich die einzige, die es gibt - ist, da anzukommen, wo unser Leben ist, nämlich in dem Fluss der Veränderung, potenziell der ewigen Krise.


Ohler Dunja, du nickst nachdenklich ...


Batarilo ... ja, ich nicke zustimmend und habe gerade noch gedacht: Es ist eben keine Spiritualität in dem Sinne, dass es darum geht, an irgendwas zu glauben oder irgendjemandem irgendwas zu glauben. Das noch mal zu dem Satz von vorhin, "Buddha war kein Buddhist". Damit ist gemeint, er hat keine Ideologie verbreitet, keinen Ismus, deM man folgen könnte, sondern er hat Anweisungen gegeben. Er hat eine Methode vermittelt und sich - eigentlich wie Sokrates - in die Welt gestellt und ist mit den Menschen in Dialog gegangen. Und zwar mit allen, mit Frauen, mit Männern, mit Kindern, mit Kranken, mit Verbrechern - wie Jesus eigentlich. Und genau dieses, dass Spiritualität nicht glauben heißt, nicht folgen, sondern in Kontakt sein mit sich und mit der Welt und mit Mitmenschen, das finde ich einen wichtigen Aspekt noch. Und auch dass Spiritualität, so wie wir sie verstehen, eine Verfasstheit ist, die benennt, dass wir Fragen haben, die über uns selbst hinausweisen. Also Fragen, die universell jeden Menschen bewegen nach dem Woher und Wohin. Von mir selbst, aber auch von von uns als Gattung, nach dem All, nach dem Sinn, nach dem Großen im Kleinen und dem Kleinen im Großen. Und das sind ja Fragen, die lange die Kirchen und die Konfessionen beantwortet haben, und die jetzt - um mal hier beim "Hare-Krishna-Bashing" zu bleiben -dann eben ein Guru beantwortet. Und das finden wir in der Spiritualität, wie sie Vipassana versteht, nicht. Da ist man auf sich selbst geworfen mit den Antworten.


Ohler Das zieht sich ja auch durch eure Forschung, diese Recherchen, und durch diese Fragen, dass Menschen etwas suchen, das quasi über sie hinausweist, wo in der Fragestellung ja auch schon so eine Art potenzieller – in Anführungsstrichen – "Irrweg" drin sein könnte ...


Vogd ... darf ich dazu mal kurz was sagen? Das war ja auch dann das andere Buch. Wenn jetzt uns einer Imaginäre verkauft, dann sind wir ja sehr schnell beim Missbrauch. Also diese imaginäre können ja sein: Ich verkaufe dir den Himmel, ich verkaufte die Erleuchtung, und dann rennt man dem nach und macht jeden Mist mit. Yuval Harari weist ja auch darauf hin. Nationalismus ist ein Imaginär. Oder es erzählt einer irgendwie, Iwan der Schreckliche hat vor 700 Jahren Russland erfunden, und jetzt geht man in diese Imaginär und dann macht man jeden möglichen Mist, und am Ende ist nur Schrecken und Leid. Das ist eben diese Geschichte, dass es auch eine illusionäre Spiritualität gibt, und das ist, glaube ich, diese Weichenstellung, wo Vipassana einen ebenso ehrlichen wie radikalen Weg gibt. Also glaube nicht, was jemand erzählt, sondern schau rein, empfinde: Was ist mit deinen Empfindungen? Wie verändern die sich? Wie ist dein kognitiver, wie dein Wahrnehmungs-Prozess, dein Bewusstseins-Prozess? Schau, wie der funktioniert, und dann zieht daraus seine Schlüsse.


Ohler Du hast da von dem Buch "Der ermächtigte Meister" gesprochen, über den Sogyal-Rinpoche-Skandal. Was könnte man, wenn jemand sagen würde: Okay, das ist für mich total spannend, ich will mich da auf den Weg machen –abgesehen davon, sich mit dem Buch zu beschäftigen, ganz klar. Was könnte man noch vorschlagen, wenn jemand fragen will: Wie kann man anfangen? Und vor allen Dingen: Wie sollte man es nicht machen?


Batarilo Da würde ich immer sagen: reinspringen. Also ich würde empfehlen, diese zehn Tage Vipassana-Kurs, wie wir sie auch im Buch beschreiben, dieses Bootcamp, das würde ich machen, weil es, glaube ich, anders ganz schwer ist, wirklich zu verstehen, was diese Methode kann. Das ist nämlich schwierig, es ist wirklich nicht einfach. Die ersten Tage sind extrem hart, und ich glaube, wer das kürzer macht, der verpasst die Möglichkeit, da auch die Früchte zu ernten. Und wer sich dem aber stellt, der kann wirklich verstehen und erleben, was das mit einem machen kann. Das ist wirklich eine ganz wunderbare Erfahrung, die lebensverändernd sein kann. Ich glaube, das bringt sehr viel mehr als ich für ein, zwei Stunden hinzusetzen. Zumindest wenn man es erst mal lernen will. Würde ich sagen. Werner, was meinst du?


Vogd Ja genau. Ich meine, man muss sich ja immer sich klar machen, das geht gegen den Strich. Wir wollen ja aus dem Leben eigentlich fliehen. Also wenn man ehrlich ist - ich bin ja jetzt nicht anders als alle anderen, oder wir sind alle gleich, im Prinzip - wir wollen ja gerade diese Realität nicht. Wo zum Beispiel gerade Krieg ist, wo Dinge passieren, die eigentlich nicht schön sind, oder unsere persönlichen Schicksalsschläge, die wollen wir eigentlich auch nicht. Und jetzt braucht es ein gewisses Training. Die Kurse sind ja, das haben wir auch geschrieben, sind eben dann so aufgebaut: Ich würde jetzt erst mal ein bisschen Konzentration üben, damit eine gewisse Stabilität ist. Dann stelle ich mich meiner Körperlichkeit, meinen Empfindungen. Und dann wird eben auch die Krise bewusst. Also Krise kann sein, auf einmal sind da Schmerzen, die ich nicht mag, oder sowas. Oder blockierte Emotionen, vielleicht auch Kriegstraumata - Dunja hat ja gesprochen von denen eines israelischen Soldaten - dann kommt das hoch. Aber es können auch Liebeskummer oder irgendwie alles, was so unter der Oberfläche liegt, sein. Also es gibt ja nichts, was nicht irgendwie erscheinen kann. Und dann wird einem die Krise bewusst, und dann braucht man aber auch ein bisschen die Geduld und die Zeit und paar Tage, um zu erleben, wie die sich wieder auflöst und in eine neue Lebendigkeit verwandelt. Das war auch bei mir diese erste Erfahrung vom Kurs. Also der Kurs an sich war jetzt irgendwie nicht besonders spektakulär, aber das Tolle war, ich habe meinen Körper wiederbekommen. Ich habe mich gefühlt hinterher. Ich war wieder lebendig, hatte Lust irgendwie mein Leben anzugehen, Diplomarbeit zu machen oder meine Mutter zu besuchen wieder, solche Sachen. Und das erfährt man ja nur, wenn man da durchgeht und quasi die Erfahrung macht, auch über kleine oder größere Krisen drüber- oder durchzugehen.


Batarilo Das ist so eine unglaublich wertvolle Kompetenz, die man sich da erwerben kann.


Ohler Da ist für mich die Frage mit beantwortet, die ich als nächste hatte, nämlich ob man Voraussetzungen braucht. Dunja, du hast gesagt: Reingehen, einfach reingehen.


Batarilo Ja, man sollte halbwegs gesund sein, weil das anstrengend ist. Und ich glaube, man braucht einfach die Bereitschaft, sich einzulassen. Also auf die Regeln, die da gelten, auf Dinge, die man vielleicht auch erst mal unangenehm findet oder die man nicht auf Anhieb versteht. Ich glaube, Neugier ist eine super Voraussetzung, weil man sich wirklich in die Wildnis des eigenen Geistes und der eigenen Körperlichkeit begibt, auf eine Expedition, letztlich, in einen unbekannten Raum, dem wir uns ja normalerweise nicht widmen. Wir sind ja sehr im Außen meistens.


Ohler Du hast gesagt, Werner, du hast dein Körper wieder gekriegt, sozusagen zurückbekommen. Der Körper scheint eine ganz wichtige Sache zu sein, und zum Körper gehört das Gehirn. Oder auch nicht? Wie auch immer man das jetzt sagen will. Es wird ja mittlerweile sogar viel über Meditation im Gehirn gesprochen, da wird geforscht über dies und jenes. Was ist davon zu halten, von diesen ganzen Ideen von Meditation und Abbildung im Gehirn? Wie steht's um das Verhältnis von Körper und Gehirn im Kontext von Meditation, besonders Vipassana? Und was ist mit Geist?


Vogd Gut – in der buddhistischen Terminologie wird ja Namarupa, Geist-Körperlichkeit, zusammengedacht. Es ist nicht getrennt. Und das ist ja eigentlich auch nichts anderes, was die Hirnforschung zeigt. Irgendwie mit allem, was wir tun, was wir üben, was wir denken, was wir machen, verändert sich auch irgendwie etwas in den hirnphysiologischen Prozessen. Dunja hat das immer so gesagt: Okay, wenn ich jetzt Klavierspielen lerne oder so was, und mach das perfekt, dann ändern sich natürlich auch Bahnungen, wie die für die Motorik der Finger und fürs Hören und so weiter. So ist es eben, und das ist in dem Sinne auch nichts Besonderes. Und das wäre ja auch irgendwie komisch, wenn die Hirnforschung da nichts finden würde ... dann wäre es ja wirklich magisch. Aber so sind wir eben alle biologische Wesen, körperliche Wesen, die sich mit dem, was sie tun, auch in ihren kognitiven Prozessen im Gehirn verändern. Und das ist dann die Sache mit "Übung macht den Meister". Das sind dann aber oft kurzfristige Programme. Ich mache jetzt irgendeinen MBSR-Kurs, und jetzt kriegt man relativ schnell irgendwas, das sich verändert. Und dann ist es eben leider aber auch so, wenn ich dann aufhöre und nicht weiter übe, dann verblasst es ebenso schnell wieder. Das ist ja irgendwie dann auch die Lehre von Vipassana eigentlich. Die Übung ist eine lebenslange. Es hört nicht auf. Das ist eben genauso, wie ich Achtsamkeit, das Vertrauen, die Fähigkeit, mit Krisen umzugehen, jetzt aufbauen kann. Und das kann ich durch Vipassana üben. Aber genauso gut kann ich wieder was anderes üben. Ich kann üben, Stress zu haben. Ich kann üben, verrückt zu werden. Dann mache ich das zwei, drei Jahre lang, im Stress leben und verrückt leben. Und dann habe ich eine Stressgehirn-Kognition oder so was. Das ist ein endloser Prozess. So lang Leben ist, bau ich mir Strukturen auf, und dann, wie Buddhisten sagen, heilsam oder nicht heilsam. Kusala, Aakusala. Das ist dann diese Weichenstellung. Aber man landet jetzt quasi nie irgendwie an einem Endzustand. Also in dem Spiel jetzt. Sondern solang man lebt ist es die Übung des Aufbaues, oder eben was Unheilsames aufbauen.


Ohler Dunja, du hattest vorhin noch einen Ansatz gemacht ...


Batarilo Ja, momentan wird ja einfach so in den Mainstream-Medien, und auch in der Medizin, rauf- und runtergespielt, was Meditation alles kann und wie wunderbar wir uns dadurch optimieren und gesund halten und unsere Hirnleistung ausbauen können. Es wird sehr funktional diskutiert gerade, und wer nicht meditiere, der verpasse wirklich was. Und das ist ja auch alles wahnsinnig spannend, und man kann Mönche in den Hirnscan entschieden und es gibt tolle bunte Bilder und es ist alles total irre. Und gleichzeitig ist es halt total banal, weil alles, was wir tun, uns eben verändert - das hat Werner ja gerade beschrieben - und das eben im Guten wie im Schlechten. Und wir haben halt die Wahl, wie wir uns verändern wollen und was wir trainieren wollen. Da finde ich Forschung spannend, die wirklich guckt, welche Art von Meditation schult denn was? Und kann ich vielleicht auch ganz bewusst entscheiden, wie ich mich da entwickeln will? Das finde ich noch einen ganz spannenden Punkt. Und nicht umsonst – du hast ja gefragt nach dem Verhältnis von Körper und Gehirn und Körper und Geist – also nicht umsonst gibt es ja jetzt Disziplinen wie die Psycho-Neuro-Endokrinologie, die in den Blick nimmt, wie sich Körper und Geist gegenseitig beeinflussen, weil es halt einfach nicht zu trennen ist. Unser hormonelles System, unser Gehirn, unsere Muskeln, all das spielt ja zusammen.


Ohler Gerade in der hypnotherapeutischen Praxis und Forschung spielt das – aktuell, während wir sprechen, läuft die Tagung der Milton-Erickson-Gesellschaft, und das ist ja auch ein Schwerpunktthema, Psychosomatik, und dieses Verhältnis. Ich muss leider Gottes meinem Job folgen und auf die Zeit gucken. Es tut mir leid. Ich bin sehr dankbar für das Viele und hätte Lust noch lange weiter zu sprechen. Aber ich würde gerne zur Carl-Auer- Sounds-of-Science-Schlussfrage kommen, wenn ich darf. Und die ist ja immer so aufgebaut: Gab es irgendwas, wo ihr gedacht habt, das wird bestimmt thematisiert? Und dann kam es aber nicht. Oder es kam, weil alles Veränderung ist, irgendwie plötzlich eine Idee und du,m Dunja, oder du, Werner hast sie zur Seite gelegt und gedacht, die hole ich mal wieder, und dann doch nicht geholt. Dann wäre die Möglichkeit, sich selber noch eine Frage vorzulegen oder noch mal ein Statement abzugeben, wenn ihr das vielleicht wollt.


Vogd Ich glaube, eine Sache ist vielleicht noch ein bisschen unterbelichtet. Also jetzt könnte Meditation so ein bisschen so wie etwas nüchternes, kaltes klingen. Das ist es aber nicht. Da taucht aber auch der Begriff "Metta", Liebe, Mitgefühl auf. Ja, und den haben wir, glaube ich, bislang noch wenig belichtet. Also was eben auch daran liegtdass das etwas ist, was in Vipassana erst am Ende ist. Das kennen wir auch zum Beispiel von Leuten, die selber Krisen durchgemacht haben. Zum Beispiel bei den Anonymen Alkoholikern.Jetzt hat jemand erfahren, wie es ist, Alkoholiker ist zu sein. Und dann auf einmal erfährt er Mitgefühl von anderen Alkoholikern in der Gruppe, und dann kann er es überwinden und kann wieder anderen Alkoholikern Mitgefühl geben. Und das gehört halt immer dazu. Also wenn mal leidvolle Erfahrungen durchlebt sind, dann ist Vipassana dieses wunderbare Instrument, um zu erfahren: Aha, auf einmal kann ich mein Leiden akzeptieren, aber dann kann ich Mitgefühl haben für Menschen, denen es genauso ging oder geht. Oder wenn das Leben wieder da ist. Auf einmal ist die Freude da, und dann ist das Gefühl der Mitfreude da. Zum Beispiel: Jetzt habe ich abgespalten, dass ich Kinder wünsche. Dann kann ich mich auch nicht freuen, wenn ich andere Menschen mit Kindern sehe. Aber auf einmal, jetzt, merke ich Leben und Kinder ist was Schönes. Also kann ich mich auch freuen, wenn ich woanders Kinder sehe. Das ist dann diese Mitfreude. Und das sind diese positiven Eigenschaften. Wir haben viel über Krise gesprochen, aber die andere Seite an dem Fühlen ist ja Mitgefühl, Mitfreude und Mitleid.


Ohler Dunja, so wie im Radio gehören die Schlusssequenzen dir ...


Batarilo ... eine hohe Verantwortung. Ich hätte auch gesagt, der Aspekt Metta hat noch gefehlt. Also Metta, liebevolle Güte, Mitgefühl. Das steht bei Vipassana nicht im Zentrum, ist aber das, worauf alleses hinausläuft letztlich. Viele der Befragten sagen irgendwann in den Interviews so was wie "Ich bin nach Hause gekommen". Mir kommen da immer fast die Tränen, wenn ich das höre, weil ich das bestätigen kann und das einfach alles ausdrückt, finde ich, die Möglichkeit, in sich selbst und in der Welt wieder zu Hause zu sein. Und das ist wahrscheinlich kein Hollywood-Zuhause, sondern ein ganz echtes. Also sehen, was ist und das ist Meditieren. Mich, um in so einem abgeklärten Solipsismus abzugleiten und alleine in meiner Höhle oder meinem Zimmer zu sitzen und ganz entspannt oder ganz unabhängig oder so zu sein, sondern eine Balance und einen Gleichmut und eine Hinwendung und eine Freude im Leben und mit den Menschen, mit denen ich zu tun habe. Und, ich glaube, in ein Gestalten zu kommen von einem gemeinsamen Zuhause, das ja letztlich auch unser ist. Unser geplagter Planet ist auch unser gemeinsames Zuhause. Und die Gesellschaft, in der wir miteinander leben wollen, ist auch unser gemeinsames Zuhause. Und da in die Lage zu kommen, das miteinander zu gestalten, das ist für mich etwas, was ich unheimlich wertvoll finde und das man auch durch Vipassana üben kann.