Kinners, macht die Muschel zu, es kommt ‘ne neue Welle!

„Kinder macht die Muschel zu, es kommt eine neue Welle!“ Der gutgelaunte Spruch einer Führungskraft sorgte im Change-Workshop für Gelächter. „Das sage ich immer zu meinem Team, wenn ein neues Veränderungsprojekt angekündigt wird. Erst mal abwarten, dann schauen wir weiter.“ Ich hab mitgelacht, die kurze Sequenz ist mir aber noch durch den Kopf gegangen. Zum einen, weil wir im Change-Workshop stundenlang über die Gestaltung und Steuerung von Veränderungsprozessen und die wichtige Rolle der Führungskräfte für das Gelingen gesprochen haben – und dann so ein Statement! Zum anderen, weil hier die Erfahrung einer Führungskraft mit Veränderungsprozessen in der eigenen Organisation spricht; und diese Erfahrungen waren nicht immer positiv.


Es geht um mehr als formal reibungslose Abläufe.


Formal läuft alles bestens: Die Projektstruktur steht, das Kick-off findet statt, und das Management betont die wichtige Rolle aller Beteiligten und vor allem die Bedeutung der Führungskräfte für das Gelingen des angestrebten Wandels. In den nächsten Wochen und Monaten engagieren sich Führungskräfte und Mitarbeitende in Projekt- und Arbeitsgruppen. Dazwischen versuchen Projektbeteiligte und Führungskräfte, die aufkommende Unruhe und die Sorgen der Mitarbeitenden nicht zu groß werden zu lassen. Produktivitätseinbußen sorgen für zusätzlichen Druck, denn das Veränderungsprojekt zieht Ressourcen aus dem Tagesgeschäft. Zeit und Energie fließen in den Flurfunk und oft auch in politisches Strippenziehen – vor allem im Kreis der Führungskräfte. Und eines hat die zitierte Führungskraft in der Vergangenheit wiederholt erlebt: Wichtige Entscheidungen, die auch ihren eigenen Verantwortungsbereich betreffen, wurden außerhalb der Projektstruktur und über ihren Kopf hinweg getroffen. Die Beweggründe wie auch der eigentliche Entscheidungsprozess blieben dabei oft im Halbdunkel. Irgendwann gab es ein mehr oder weniger befriedigendes Ergebnis - und manchmal auch keines, weil Projekte versandeten.


Wenn man das als Führungskraft oder auch als Mitarbeitender öfters erlebt hat, steht man weniger bereitwillig auf, wenn es heißt „Wir werden uns verändern.“ Stattdessen macht man eben erstmal die Muschel zu. So ernst war der Ausspruch der Workshop-Teilnehmerin vermutlich nicht gemeint. Oder vielleicht doch? Ich habe diese schöne Metapher jedenfalls zum Anlass genommen, um sie ein wenig weiterzudenken.


Was passiert, wenn sich dieser Vorgang in Organisationen häuft?


Wenn viele Muscheln zumachen, kann das doch nur ernsthafte Auswirkungen auf die Erneuerungskraft und damit auf die Zukunftsfähigkeit einer Organisation haben. Für mich finden hier „soziale Entkopplungen“ statt. Eine Führungskraft entscheidet für sich und ihr Team, dass man eben nicht mehr offen auf Veränderungsinitiativen aus der Organisation reagiert, sondern zunächst dichtmacht. „Wir“ und „die da“ – das kann man öfters hören. Wer mit „die da“ gemeint ist, ist meist diffus, weil man ja nicht richtig weiß, wer was entschieden hat. Im Zweifelsfall „die da oben“.


Überall werden Menschen gebraucht, die mitdenken, sich engagieren und Verantwortung für ihren Aufgabenbereich und darüber hinaus übernehmen. Der berühmte Blick über den Tellerrand. Das ist nicht erst so, seitdem es das große Schlagwort VUCA gibt. Aber jetzt ist es vielleicht noch wichtiger, stärker miteinander Zukunftschancen und -risiken abzuwägen.


Wie also gewinnt man die geschlossenen Muscheln wieder für sich und die Sache?


Ein erster Schritt könnte sein, sich im Management einzugestehen, dass es diese „sozialen Abkopplungsprozesse“ im eigenen Haus gibt und dass sie gravierende Auswirkungen auf die Zukunftsfähigkeit der eigenen Organisation haben. Sie passieren im Kleinen und oft im Stillen. Keiner weiß genau, wie groß dieser „Bodensatz“ ist, aber jeder weiß, dass es ihn gibt. Bereits der breit und ernsthaft in der Organisation geführte Dialog über diese Problematik könnte helfen und würde schnell zum Wesentlichen führen: zur Entscheidungskultur und zu den Entscheidungsprozessen. Die Frage der sinnvollen Einbindung der verschiedenen Teams, Netzwerke, Spezialisten, Führungskräfte und auch Mitarbeitenden in Zukunftsentscheidungen ist keine triviale Sache. Wie können diese an für sie zukunftsrelevanten (= ihre eigene Zukunft betreffenden) Veränderungen beteiligt werden und ihre spezifischen Blickwinkel und Erfahrungen einbringen? Nicht nur im Sinne von gefragt werden, sondern auch im Sinne von eigener Meinungsbildung und sich daraus ableitender persönlicher Verantwortungsübernahme im angemessenen Rahmen? Das kleine Start-up hat es dabei ungleich leichter als größere Unternehmen oder gar Konzerne. Doch es ist in jedem Fall lohnenswert, sich diese Zusammenhänge näher anzuschauen, weil sie zukunftsrelevant sind.


 


Susanne Eckel
Dr. Susanne Eckel

ist Organisationsentwicklerin mit den Schwerpunkten Change Management, Entscheider-Coaching und Moderation. Sie begleitet Teams in Hochschulen, Kanzleien und Wirtschaftsunternehmen auf ihrem Weg zu einer leichter funktionierenden Organisation und zu einem kooperativeren Miteinander. www.organisationsentwicklung-eckel.de




Foto S. Eckel ©Christian Müller