Verrückte Himmel


Die Himmel müssen verrückt sein 


Kurz vor der Getreideernte bin ich gerade viel unterwegs. Meine Nebentätigkeit als Kontrolleur für Biozertifizierungen landwirtschaftlicher Betriebe beschert mir vielerlei Einblicke, Eindrücke und noch viel mehr Geschichten. So war es auch letzten Donnerstag abends. Nach diesem so drückend heißen Tag, machte sich plötzlich ein frischer, heftiger Wind auf und fegte diese dunkelblauschwarzen Wolken am Horizont herbei. „Endlich – Möglichkeit auf Regen“, sagte ich noch zum Landwirt und seinem Sohn. Das so vielversprechende Korn auf den Feldern wirkt inzwischen schon traurig 'zusammengebrannt' wegen dieser Backofentemperaturen der letzten Wochen. Der Junior streifte seine flinken Finger über sein Smartphone und antwortete, dass die Wetter-App eine Regenwahrscheinlichkeit von 50% anzeigt. Der Alte hob seine Finger jedoch in den Himmel (sein altes Nokia lagert er ja bei Temperaturen über 30 Grad immer im Kühlschrank) und fragte mich, ob mir schon die 'neuen' Wolken aufgefallen wären. Mein Blick richtete sich in den Himmel. Und tatsächlich! Solche Wolken hatte ich noch nie gesehen. Ich war fassungslos erstaunt. Die Wolken sahen aus wie prall gefüllte Knackwürste, die sich in sich fest verknäuelt am Himmel türmten.
„Schau genau, wie die Wolken ziehen. Die Bewegung da oben ist oft ganz anders, als man hier herunten zu glauben meint. Die Vögel fliegen hoch, obwohl sie niedrig fliegen sollten“, sagte der Alte. Er wird nicht schlau daraus. Er weiß nicht, ob Regen oder was auch immer da kommt. Wir scherzten schließlich noch über himmlische Knackwürste und darüber, dass im Moment so vieles Kopf steht und dass er erstaunlicherweise auch zum selben Resultat kam wie die Wetter-App.
50 % Wahrscheinlichkeit ist, wenn man gar nichts mehr versteht.


Zuhause angekommen zeigten sich auch eigenartige Wolken am Horizont, hier mit grell zuckenden Blitzen, deren Donner nicht zu hören war. Kein Wind, alles eigenartig still. Eine dicke, feuchtschwüle Luft thronte schwer über der trockenen, staubigen Erde. Es wirkt verdreht, wenn die Luft feuchter ist als der Boden. Diese Nacht fiel wieder kein einziger Tropfen vom Himmel.


Nächsten Morgen fuhr ich wieder los und als ich beim nächsten Betrieb hineinspazierte, war das erste, das mir der Landwirt sagte, dass es gestern gehagelt hat. Zum Glück mit viel Wasser, den Feldfrüchten war nichts passiert. Ich war ganz überrascht, mir war bei der Herfahrt gar nicht aufgefallen, dass es hier geregnet hatte. Ich war offenbar so tief in der Überzeugung, dass diese komischen Wolken kein Wasser auslassen, dass ich blind dafür war. Der Landwirt kredenzte mir ein Glas seines himmlisch schmeckenden Muskateller-Traubenmostes und begann zu erzählen, während ich mich durch die Papiernachweise und Mengenflussrechnungen wühlte.  Er kann sich nicht trennen von seiner Landwirtschaft, obwohl er schon so lange in Rente ist.
Vor 3 Jahren hatten sie hier im Dorf ein starkes Unwetter, da sind die Stahlteile von 3 Maschinenhallen wie Pappkartons durch die Luft gewirbelt worden, erinnerte er sich.  Seine Frau, die gerade mit ihrer Freundin telefoniert hatte, mischte sich ins Gespräch. Im nahen Tschechien, in Hodonin, gab es gestern einen Tornado mit riesigen Hagelbrocken. Alles zerstört und es gab sogar Tote. Betroffenes Schweigen füllte den Raum. Das war ja ganz in der Nähe und wir hatten schon alle leibhaftig erlebt, wie es sich schon bei einem normalen Hagelunwetter anfühlt innerhalb von Minuten eine ganze Ernte zu verlieren. Aber sowas wirkt schon fast unwirklich und viel zu viel – da redet man lieber über etwas anderes. Der Alte begann zu stammeln, Oskar Kokoschka, der berühmte Maler, hatte einst eine Bleistift-Zeichnung von seinem Vater im Ersten Weltkrieg gemalt und von ihm geschenkt bekommen, das Bild ist aber leider verlorengegangen. Es wäre heute sicher viel wert… Seine Frau drehte ihren Rattan-Sessel in Blickrichtung ihres üppig blühenden Gartens und erzählte von den Blaumeisenjungen, die immer ganz nah zu ihr kommen und dass ihr das jedesmal eine solche Freude macht.


Im Nachbardorf waren die Ereignisse des letzten Tages genauso bestimmend. Schrattenberg, ein Dorf in der Nachbargemeinde hatte es auch schwer erwischt und im Waldviertel war auch was. Videos wurden mir gezeigt. „Wieviel Kilometer liegt Hodonin von hier“,  fragte die Bäuerin ihren Mann. "20 vielleicht 30 km", sagte er. So nah und doch so weit weg. Wir widmeten uns der üblichen Kontrolle und die Bäuerin bemühte ihr Handy weiter, um noch mehr zu erfahren. „Magie, wie Magie“, murmelte sie vor sich hin. Ich wurde neugierig. „Naja“, sagte sie „Sieh mal her. Die Lokalzeitung hat hier Bilder veröffentlicht, dass das Gleiche schon mal hier passiert war. Am Tag genau vor 70 Jahren, also am 24. Juni 1951 gab es das schon mal. Das finde ich magisch… genau am selben Tag.“


Während der Heimfahrt, musste ich nachdenken über das „zersplitterte“ Wetter, das kleinräumig völlig unterschiedliche Umstände und Erfahrungswirklichkeiten schafft und über Steine, die vom Himmel fallen. Manchmal habe ich die Idee, dass alles verbunden ist, das Wetter, die Erde, der Himmel, die Menschen und ihre Geschichten und es nicht egal ist, wie wir uns im Gewebe des Lebendigen verhalten, schauen, denken oder tun.
Ich dachte darüber nach, dass die elementaren Kräfte einerorts nicht mehr richtig zu fließen scheinen und sich gleich daneben explosiv entladen, alles Menschengemachte hinwegfegen, aber im Grunde nur ihre naturrichtige Ordnung suchen. Dass solche Ereignisse die Erinnerung anregen, alte Geschichten aufspülen und uns, im Versuch zu begreifen, anscheinend instinktiv nach zyklischen Mustern suchen lassen. Dass, das Wichtige plötzlich nichtig wird und das Wesentliche den Raum betritt und uns schließlich daran erinnert, dass wir einander brauchen und uns gegenseitig tatkräftig unterstützen müssen, wenn wieder einmal der Himmel auf die Erde fällt.


Schwere Schäden durch Ausläufer von Tornado-Unwetter - Servus TV


 


Franz Schweinberger
Franz Schweinberger

Bio-Landwirt. Er schreibt im Natur-Dialog Magazin, pflegt die Kunst des Getreidebaus, Kartoffelbaus, Leguminosenanbaus, Weinbaus und Waldgärtenbaus und zerbricht sich gerne den Kopf über naturkonforme Ökosysteme, Humus, Agrarökologie, Natur-Dialogisches, dem was gerade ist und allem Menschlichen und Mehr-als-menschlichen dazwischen.




Astrid Habiba Kreszmeier
Astrid Habiba Kreszmeier

ist gerne Gastgeberin, auch hier in der Rubrik Wildes Weben. Sonst Begleiterin und Lehrtherapeutin in Systemischer Naturtherapie, Tiefenmythologie und Aufstellungsarbeit. Autorin, Gärtnerin und Aktivistin für Sympoietisches.
Wirkt und schreibt in nature&healing und seinem Journal für Erd- und Menschenverstand.