Sounds of Science / Elvira Lang - Sedieren ohne Medikamente

Dr. Elvira Lang, Wegbereiterin und weltweit führende Expertin in der Anwendung von Hypnose bei medizinischen Eingriffen, spricht über die enorme Bedeutung von Trance und Kommunikation im klinischen Alltag, weit über den Bereich von OP und damit direkt verbundene Bereiche hinaus. Was auf den ersten Blick wie ein obskures Heilsversprechen klingen mag, ist längst bewährte Praxis, aber immer noch zu wenig bekannt: Trancephänomene, die sowieso in allen Bereichen der Kommunikation in klinischen Kontexten präsent sind - ob bemerkt oder unbemerkt - kann man nutzen, um sie, statt in kontraproduktive, in wünschenswerte, heilsame Wirkungsrichtungen zu bringen. Das dient nachweislich dem Wohl der Patient:innen und all derer, die als Gesundheitsdienstleistende arbeiten oder sich darauf vorbereiten: Pfleger:innen, Ärzt:innen, Mitarbeitende in Verwaltung, Organisation, Service, medizinisches Personal in Ausbildung, Studierende.
Gemeinsam mit Dr. Eleanor Laser hat Dr. Elvira Lang ein faszinierendes Buch verfasst, das aktuell bei Carl-Auer erschienen ist: Sedieren ohne Medikamente - Schnelle Hypnosetechniken für Klinik und Praxis. Im Gespräch mit Carl-Auer Sounds of Science gibt sie Einblicke in Konzept und Anwendung von Hypnose im klinischen Alltag, welche Kontexte es betrifft, wer davon profitiert und wie man es lernen und implementieren kann.



Auch beim Mund-Nasen-Schutz bleiben die Ohren frei! Also: Ob im Auto oder mit oder ohne Maske in der großen weiten Welt: Bleiben Sie wach mit Carl-Auer Sounds of Science! Und mit Heidelberger Systemische Interviews und der Autobahnuniversität. Jeder Stau bringt Sie weiter! Wo es geht, die freien Augen und den freien Geist nutzen: Carl-Auer Bücher lesen, Carl-Auer Wissen nutzen! Carl-Auer Bücher sind Investitionen ins Leben.


Transkription des Interviews


Ohler Hallo und herzlich willkommen, liebe Dr. Elvira Lang, in den Räumen des Carl-Auer Verlages. Ein wunderbares Schicksal hat es erlaubt, uns heute hier zusammen zusammenführen können: Sie sind gerade in Deutschland.


Lang Ja, Herr Ohler, das ist prima. Ich bin ja so froh, dass das hier geklappt hat, dass ich von meinem Klassentreffen hier direkt zum Verlag kommen kann.


OhlerJa, wunderbar. Sie sind ja hier geboren oder haben hier Ihre Schulzeit gehabt. Aber Sie leben in USA. Wo genau?


Lang Ja, ich lebe jetzt in Boston.


Ohler In Boston, Massachusetts.


Lang Boston, Massachusetts.


Ohler Fast beneidenswert. Auf jeden Fall vielen Dank, dass Sie sich die Zeit nehmen, hier mit Carl-Auer Sounds of Science ein Gespräch zu führen für unsere Gesprächsreihe, ein Podcast im Carl-Auer Magazin. Ein unmittelbarer Anlass ist das Erscheinen Ihres Buches, das Sie zusammen mit Dr. Eleanor Laser geschrieben haben: Sedieren ohne Medikamente - Schnelle Hypnosetechniken für Klinik und Praxis. Das ist der Titel dieses wirklich sehr eindrucksvollen Buches. Ganz zu Anfang: Worum geht es dabei?


Lang Na ja, es geht darum, dass die Fachkräfte an der medizinischen Front den Patienten schnell helfen können, Ängste und Schmerzen zu bewältigen. Ohne Drogen, oder mit viel weniger Drogen. Und das, ohne extra Zeit aufzuwenden.


Ohler Das heißt, es geht darum, auch diese Selbstverständlichkeit, man werde das alles mit Medikamenten machen, einfach in Frage zu stellen? Da gäbe auch anderes? Warum braucht es das?


Lang Es geht auch anders. Aber sehen Sie, für mich hat das angefangen, als ich in Kalifornien am Veterans Hospital, am Veteranen-Krankenhaus, gewesen war. Und da war ein junger Vietnam-Veteran, der ungeheuerlich erschrocken und ängstlich war, überhaupt auf einen Untersuchungstisch zu gehen. Ich bin vor meinem Hintergrund – ich bin Interventionsradiologin, wir machen da Chirurgie, ohne die Leute aufzuschneiden, einfach mit Röntgen, kreiden sie an – und das war das erste Mal, wo ich gesehen habe, wie eine Hypnose einen Unterschied machen kann. Und dann habe ich gedacht: Jetzt wollen wir doch mal sehen, funktioniert das auch mit anderen Patienten? Und als Kliniker und Wissenschaftlerinnen haben wir dann viele Studien betrieben, und ich habe ein non-pharmakologische Untersuchungsprogramm aufgebaut.


Ohler Okay, das heißt, da gibt es ein gutes Backing über wissenschaftliche Studien, wo man das auch zeigen und nachweisen kann, dass das tatsächlich einen Impact hat, dass das funktioniert.


Lang Oh ja, wir haben viele Veröffentlichungen.


Ohler Sie haben jetzt schon eine Andeutung gemacht. Nochmal gefragt: Für wen haben Sie dieses Buch gemacht und für wen kann bzw. wird es hilfreich sein? Insbesondere wenn man jetzt auch berücksichtigt, es ist die deutsche Ausgabe, für den deutschsprachigen Raum. Was versprechen Sie sich davon? Für wen ist das?


Lang Ja, das Buch ist geschrieben für alle medizinischen Fachkräfte an der "Vorfront". Praktisch die Rezeption und das Chefarztzimmer, beide beinhaltend. Und das bringt dann auch eine Änderung der Kultur in einer Institution voran, so dass alles mehr auf den Patienten gerichtet ist, aber dass auch die Leute, das Personal, besser lernen, wie man miteinander arbeiten kann.


Ohler Genau das ist mir auch aufgefallen. Also wenn ich das richtig sehe, geht es da noch um weit mehr als das, was man, zumindest landläufig, vielleicht unter Hypnosetechniken versteht. Sie behandeln Fragen von Körperhaltung, von Blickrichtungen, von Berührung, Problematik von Berührungen ja oder nein, ganz andere Aspekte, die so in dieser klinisch-medizinischen Kommunikation irgendwie eine Rolle spielen. Sie merken, ich bin da kein Fachmensch. Welche Bezüge zu Hypnose gibt es hier? Wie kann man das verstehen? Sie haben ja schon angedeutet: der Rezeption Rezeption bis zur Chefärztin. Welche Bezüge gibt es da zu Hypnose, und was geht darüber hinaus als Kommunikationsorganisation, wenn ich mal so sagen darf.


Lang Wenn ein Patient in das medizinische Umfeld kommt, dann ist dieser Patient praktisch schon in einem hypnotischen Zustand. Und sehr sehr suggerrierbar. Alles was gesagt wird oder getan wird hat eine hypnotische Wirkung. Unglücklicherweise werden oft negative Suggestionen ausgesprochen, und das nimmt der Patient dann natürlich als eine negative Erwartung auf, und negative Erwartungen führen dann auch zu negativen Ergebnissen. Andererseits kann man durch positive Beeinflussung auch die ganze Erfahrung des Patienten gestalten. Und so fängt es zum Beispiel mit der Körperhaltung an. Wenn Sie zum Beispiel ein ängstliches Kind haben und Sie stehen da wie ein Turm vor dem Kind, dann ist das Kind natürlich komplett verschrocken. Wir hatten sogar einen Patienten, der 30 Jahre nicht mehr zum Zahnarzt gegangen ist, weil da die Erinnerung seiner Kindheit war. Dann waren natürlich alle Zähne verfault. Das ist gar nicht selten, das nenne ich medizinisch induziertes PTSD. Die Leute haben irgendwas gesehen, und das wird dann so negativ wie möglich interpretiert. Das ist halt ein Schutzmechanismus, den wir mit uns bringen. Aber das Gute ist, das kann man natürlich umwandeln.


Ohler Das betrifft ja alle Begegnungen – Sie haben vorhin vom medizinischen Fachpersonal gesprochen – also eben alle, die in dem Bereich arbeiten. Es betrifft alle Begegnungen zwischen Patientinnen und Patienten und mit den Menschen, mit denen sie behandlungsmäßig in Kontakt kommen?


Lang Genau. Und das sind natürlich Stufen. Ich meine, wir würden nicht erwarten, dass jemand an der Rezeption eine volle Hypnose zustande bringt. Aber dass man sogar an der Rezeption schon anfängt, etwas freundlicher zu sein oder zu wissen, was man am besten sagt. Wir haben den niederländischen Nationalen Mammografie-Service trainiert. Manche Frauen kommen halt nicht zu ihrem Screening. Und das erste, was die dann hören, ist: "Ja, warum sind Sie denn die letzten drei Male nicht gekommen!?" - Ja, dieses Verhältnis ist natürlich vorbei, bevor es überhaupt anfängt. Und wenn man stattdessen zum Beispiel sagen kann: "Oh, das ist prima, dass Sie heute gekommen sind, das zeigt wirklich, dass Sie jetzt Kontrolle über Ihre Gesundheit annehmen", das gestaltet das natürlich vollkommen anders. Und es sind diese kleinen Veränderungen in dem, was man sagt.


Ohler Nimmt etwas vorweg, was ich noch als Frage habe, aber ich frage es trotzdem. Also es gibt ganz viele praktische Vorgehensweisen, die Sie in dem Buch zeigen und es ist der größte Teil des Buches, überschrieben mit "Patienten in selbsthypnotische Entspannung führen". So ist die Überschrift. Man kann es natürlich alles ausführlich nachlesen, aber vielleicht noch ein bisschen tiefer für Hörerinnen und Hörer, die damit vielleicht nur wenig oder keine Erfahrung haben: Wie stellt man sich das ungefähr vor, wenn man noch nicht weiß, wie es geht, aber klinische Erfahrung hat, nämlich als Professionelle oder als Patientin. Wie kommt man da ran, wie beginnt man das zu beobachten? In welchen Situationen? Sie haben eine schon genannt. Bei welchen noch?


Lang Ja, da gibt es verschiedene Grade. Manchmal ist es ganz einfach. Sagen wir, ein Patient hat ein MRT, der muss in den in den Magnet Resonanz Scanner reingehen. Und da ist es ja laut. Wie wir jetzt gerade dieses Flugzeug hören ...


Ohler Ja, genau ...


Lang ... da würde ich dann zum Beispiel sagen: "Nehmen Sie diese Geräusche, um sich noch besser in Ihr eigenes Erlebnis zu vertiefen." Und zum Beispiel können Sie auch einen Patienten fragen: "Wo wären Sie denn jetzt lieber?" Und ein Patient hat mal gesagt: "Ja, ich wäre gerne auf einem Konzert." Dann sagen wir: "Ja, dann nehmen Sie einfach diese Geräusche wie ein großes Metronom." Oder ein anderer Patient sagte: "Ja, ich wär jetzt lieber zu Hause" – das war im Winter – und er sagt: "Zu Hause, da macht die Heizung immer ´Klang Klang´" – dann haben wir gesagt: "Stellen Sie sich einfach vor, das ist wie zu Hause." Und manchmal ist das alles, was Sie brauchen. Ja, aber wenn dann ein Patient sagt: "Ja, ich wäre gerne hier oder dort", dann kann man mit diesen Bildern arbeiten und den Patienten sich in etwas Positives versenken lassen. Wenn andererseits der Patient Ängste hat und drückt die so aus: "Das fühlt sich ja an, als ob die Aasgeier über mich herfallen", dann müssen Sie natürlich an diesem Bild etwas arbeiten, weil das sonst erschreckend ist. Die nächste Stufe wäre dann, dass wir eine sogenannte Induktion machen. Wir machen da eine Augenroll-Übung. Da gibt es viele Arten, wie man das machen kann, aber das hier ist eine ganz einfache: Wir sagen "Ja, auf eins brauchen Sie nur eins zu machen, nämlich nach oben zu schauen, auf zwei zwei Sachen, nämlich die Augen langsam schließen und tief Atem einnehmen. Und auf drei drei Dinge, nämlich ausatmen, die Augen entschlaffen und sich vorstellen zu schweben." Und dann macht es das einfacher. Wenn der Patient unterbrochen wird oder in seinen regulären Zustand wieder zurückkommen will, dann kann der Patient rückwärts von drei auf eins zählen, und dann wieder selber rein gehen von 1 auf 2 auf 3. Es ist alles so gemacht, dass es einfach in der Praxis umgesetzt werden kann.


Ohler Bevor ich zu meiner nächsten Frage komme – mich interessiert natürlich Ausbildung, Weiterbildung, wie man das lernen kann – ist mir gerade spontan eingefallen: Ich könnte mir vorstellen, dass es da und dort natürlich diese Erfahrung gibt, dass Leute sagen: "Das ist entspannend, das habe ich ja noch nie erlebt." Und dann selber - Modewort - Selbstwirksamkeit spüren. Gibt es aber nicht manchmal auch, sowohl bei Patienten, vielleicht auch bei manchen Professionellen, Verwirrung? Wo die sagen: "Was macht ihr da? Was ist das?" Gibt es auch Irritations-Erlebnisse oder so was? Und wie geht man damit um?


Lang Ja, da gibt es zwei Möglichkeiten. Wir erklären am Anfang: Wissen Sie, das ist genau so, als ob Sie ein Buch lesen oder Fernsehen schauen oder im Internet verloren gehen. Und Sie wissen, dass das nur passiert, wenn Sie das machen wollen. Wenn Ihnen das Buch nicht gefällt, dann schlagen Sie es zu, oder Sie verändern den Kanal. Sie haben also in Kontrolle. Die Leute sagen: "Ja, das ist mir schon passiert." Wenn aber jemand sagt: "Ach, das brauche ich doch nicht!", das ist prima, das sagt nämlich, dass die Person denkt, die können das alleine machen. Wir haben also auch gesehen, dass die Tatsache, dass jemand sagen kann "Oh, ich kann das alleine machen" selber auch Erfolg hat.


Ohler Das heißt, es ist relativ wahrscheinlich, dass es eine Art von Kooperations-Beziehung gibt. Es geht nur darum, wie man die gestaltet?


Lang Genau. Wir sagen auch immer, alles was wir tun, ist, den Patienten helfen, sich selbst zu helfen. Und daher bitten wir am Anfang den Patienten, uns zu helfen, so dass wir ihm oder ihr helfen können, um das positiv gestalten zu können.


Ohler Das ist ja alles auch sehr überzeugend dargestellt im Buch, und hier in dem, was Sie sagen. – Jetzt komme ich zu der Frage, die ich vorhin angedeutet habe. Wenn man es jetzt in den – ich nenne es mal so – medizinischen Betrieb irgendwie integrieren will? Sie haben ja Erfahrung damit, dass es funktioniert hat. Aber ich könnte mir vorstellen, da braucht es einiges dazu, organisatorisch, in der Aus- und Weiterbildung des Personals und der Mitarbeiter:innen. Was braucht es da eigentlich alles dazu, dass man wirklich sagen kann: Okay, die kommen auf den Weg, das in ihrer Klinik oder in ihrer Praxis zu machen.


Lang Wir trainieren typischerweise Teams. Und es fängt dann normalerweise mit einer Pilot-Gruppe an, und wir stellen sicher, dass da nicht nur die enthusiastischen Befürworter dabei sind, sondern auch die Neinsager, oder die Rebellen, denn wenn die das dann lernen und sehen, dass das funktioniert, bringt das dann natürlich den Rest des Teams mit rein. Und wir nehmen das Buch ja – Sedieren ohne Medikamente – als unseren Text. Daraus lernen die. Wir haben aber auch sehr viel in die Internet-Infrastruktur investiert, und so nehmen die Leute dann einen Onlinekurs. Der ist so gestaltet, dass sie den von ihrem Krankenhaus-Computer machen können oder vom Handy, was auch immer. Der ist in kleinen Abschnitten gestaltet. Und dann machen wir einen achtstündigen, sehr intensiven, praxisbezogenen Unterricht in der Praxis selbst.


Ohler Direkt vor Ort.


Lang Direkt vor Ort. An jedem Ort sind etwas andere Dinge wichtig, die man beachten muss. Und heutzutage, glaube ich, stellt kaum eine Praxis ihr Personal mehr als acht Stunden zur Verfügung. Aber wir haben gesehen, dass das wirklich klappt. Es ist sehr gut durchstrukturiert, wir haben alles validiert. Wir haben mithilfe von jeder Menge Forschungsgeldern in den USA validiert, welche Verhaltensweisen des Personals das beste Outcome am Patienten erzielen, aber auch welche Lehrgänge das möglich machen. Und so ist es praktisch möglich für uns, eine ganze Klinik zu trainieren.


Ohler Das Buch ist auch didaktisch sehr sauber aufgebaut und von den jeweiligen Kontexten – atmosphärischen Kontexten sage ich jetzt mal, die da eine Rolle spielen – sehr klar aufgezogen. Man braucht ja sicher auch Partnerinnen und Partner. Und Sie haben jetzt gesprochen von den Websites, die Sie auch haben, und von ganzen Kliniken, die trainiert werden können. Was versprechen Sie sich und was wünschen Sie sich – und wie weit sind sie damit auch schon unterwegs – hier in Mitteleuropa für dieses Programm?


Lang Wir nennen es Comfort Talk. Hypnose klingt zu abschreckend für viele Leute. Es ist einfache, schnelle Hypnose, es ist kein Hokuspokus. Interessanterweise ist da eine große Nachfrage in Europa und Kanada und dem Veterans Affair System in den USA. Im Unterschied zur regulären amerikanischen Praxis, weil die europäische Praxis in der Medizin den maximalen positiven Effekt erzielen will mit den Mitteln, die verfügbar verfügbar sind. Das gleiche in Kanada oder im Veterans Affair System in den USA. Sonst ist es in den USA so: Wie viel Geld kann ich aus diesem Stück Fleisch rausbringen, wenn dieser Patient durch die Tür tritt? Und ich muss sagen, leider ist das immer noch so, ich meine, es ist ändert sich vielleicht ein bisschen, aber daher haben wir auch gesehen, dass es in Amerika hauptsächlich große Privatpraxen sind, die uns fragen, ob wir sie trainieren, weil die natürlich sehr gute Beziehungen mit ihren Patienten haben wollen, und die wollen auch Geld sparen. Und wir haben in mehreren Studien gezeigt, dass das sehr kosteneffektiv ist, wenn die Patienten weniger Ängste und weniger Schmerzen haben und auch nicht so lange brauchen, um sich von ihren Drogengaben zu erholen. Das kostet natürlich auch jede Menge ... Wir arbeiten gerade mit einer Gruppe in Belfast. Da legt der Arzt Herzschrittmacher, und da ist es einen großen Unterschied, ob er, wenn er fertig ist, den Patienten in den Rollstuhl setzen kann, weil er keine Drogen gekriegt hat, oder ob er in e Bett muss. Und Sie wissen, heutzutage ist Bettenknappheit. Wir sind ja noch nicht komplett über die Pandemie rüber. Oder auch all die anderen Krankheitsvorgänge, die aufgeschoben wurden und jetzt behandelt werden. Das macht schon einen großen Unterschied aus.


Ohler Das ist die Brücke zur nächsten Frage, die ich habe. Mir ist noch eine eingefallen, die lege ich zur Seite und hole sie nachher. – Wir leben noch immer in sehr besonderen Zeiten, also schon einige Jahre, mit sehr besonderen Herausforderungen, Belastungen, psychischen, körperlichen und eben in den ganzen Kontexten, die Sie jetzt hier beschrieben haben, aus Ihrer Praxis. Was ist Ihnen besonders aufgefallen? Außer dem, was Sie jetzt auch schon gesagt haben, noch ganz besonders in diesen pandemischen Zeiten, was vielleicht auch einen Zusammenhang hat dazu, wie Comfort Talk dazu beitragen kann, auch das alles vielleicht ein bisschen besser anzugehen? Was ist Ihnen noch aufgefallen, und an was fehlt es noch?


Lang Wir haben ja jetzt vor allem in den USA das, was die Great Resignation genannt wird. Das ist die größte Berufskündigung in der Geschichte der Medizin, zumindest in den USA. Die Leute haben einfach genug. Und wir können da drei Ansätze sehen. Erstens, die Patienten sind komplett ausgestresst und natürlich auch frustriert. Aber unglücklicherweise lassen die das dann am Personal aus. Letzte Woche haben wir eine Gruppe in West-USA trainiert. Da ist ein großes Schild am Eingang des Krankenhauses, das sagt: Aggressives Verhalten wird nicht toleriert. Da können Sie sich schon vorstellen, da war ein Grund dafür, dass dieses Schild aufgetaucht ist. Aber was macht man nun, wenn so ein Patient dann vor einem steht, und der schreit und tut? Da muss man das natürlich sehr, sehr schnell deeskalieren. Und legen wir viel Wert drauf im Sedieren ohne Medikamente. Wie kann ich das schnell machen? Und das hilft dann dem Patienten, aber auch der Person, die diesem wütenden Patienten gegenübertreten muss. Aber was halt dann auch sehr wichtig wird, ist, dass man praktisch darüber hinwegkommen muss, dass nicht so viel Personal da ist. Wir haben das im MRT gesehen. Und wenn jetzt jemand eine Sedierung braucht in einer Praxis, mit der wir arbeiten, dann müssen die Patienten jetzt ein Monat warten, bis da wieder eine Schwester verfügbar ist. Oder sogar ein Anästhesiologe. Die sind natürlich ganz besondere Mangelware. Und da kann es natürlich sein, dass ein kleineres medizinisches Problem ein größeres wird, wenn man einen Monat warten muss, bevor man überhaupt eine Untersuchung kriegt. Und ich glaube, das Wichtigste ist auch: Wie kann man wieder Freude am Beruf kriegen? Viele Leute in der Medizin oder auch Psychologie oder Psychotherapie machen das ja, weil die einen positiven Unterschied für ihre Patienten hervorbringen wollen. Und wenn man mit der Sedierung ohne Medikamente anfängt oder diese kleinen Pseudo-Hypnosen oder richtigen Hypnosen macht und zumindest einem Patienten pro Tag hilft und der zufrieden ist und seine Zufriedenheit ausdrückt, da geht man natürlich abends heim und sagt: Prima, ja, morgen komme ich wieder zurück.


Ohler Das heißt, was Comfort Talk auch beinhaltet, und was es an Wirkungsspektrum hat, betrifft auch auf die eigene Motivation und das eigene Gestalten seiner beruflichen Situation, auch wenn sie noch so belastend ist?


Lang Ja, und ich glaube, das ist vor allem jetzt sehr wichtig, weil die psychische Verfassung des Patienten und der Fachkraft praktisch auf einer Zwei-Weg-Straße sind. Wir haben sogar darüber veröffentlicht. Wir hatten eine weitere MRT-Praxis trainiert, vor vielen, vielen Jahren. Das war auch in den USA. Und die haben das Programm gemacht – es war eine Privatpraxis – um die Abbruchsrate während der Untersuchung zu verringern. Und das hat auch prima geklappt. Und dann hat sich der Vergütungsmechanismus für die Untersuchung verändert in den USA, was bedeutete, dass die freistehende Praxis nicht mehr so bezahlt wie ein MRT-Gerät, das im Krankenhaus steht. Und dann haben natürlich die Krankenhäuser, die dieses Gerät betrieben haben, zu den Leuten gesagt: Okay, entweder wir kündigen euch, oder ihr kriegt einen neuen Beruf in diesem Krankenhaus oder jenem, und wir schließen diese freistehende Praxis zu. Dann waren die natürlich sehr gestresst, und stellen Sie sich vor: die Abbruchrate der Patienten ging wieder hoch. Nicht so schlimm wie vor dem Training, aber immerhin. Und dann hatten wir eine andere Studie gemacht, wo wir gesehen haben, dass, wenn Patienten mit einem negativen Affekt kommem, es mehr Komplikationen gibt, es dauert länger, und die kriegen auch viel mehr Drogen. Das ist praktisch eine Wechselwirkung. Und wir haben oft gesehen, wenn wir einen Eingriff gemacht haben in der Interventionellen Radiologie: Man braucht nur eine Person im Raum zu entspannen, und das färbt sich dann auf die anderen auf.


Ohler Klingt unheimlich spannend. Mir ist vorhin noch eine Frage spontan eingefallen. Jetzt haben Sie da schon eine Andeutung dazu gemacht, eine Person entspannen, respektive wie sich das auswirkt, wenn man die Organisation verändert – das haben Sie angesprochen – auf die Abbruchrate. Das ist im Grunde genommen eine Änderung der Organisation oder der Kommunikationsstruktur. – Als vielleicht kleiner Tipp für Patientinnen und Patienten oder zukünftige Patientinnen und Patienten, die uns zuhören: Worauf richte ich mein Augenmerk, dass ich werde sagen können, ich glaube, hier bin ich richtig? Worauf achtet man, wenn man merkt _ mal ganz trocken gesagt – die haben den Comfort Talk schon drauf oder sie haben ihn noch nicht drauf. Soll jetzt kein Werbeblock sein, sondern nur die Frage: Worauf richte ich mein Augenmerk, um zu merken, ich glaube, da bin ich richtig, da geht es mir gut?


Lang Es ist auch das eine Zwei-Weg-Straße. Wenn ich als Patientin wo hingehe, wo ich sehe, dass das Personal das nicht weiß, dann benutze ich natürlich die ganzen Rapport-Techniken aus dem Buch am Personal. Und das funktioniert auch. Ich erinnere mich, ich hatte eine kleine Operation am Fuß, sodass ich noch besser in meine Skistiefel reinpasste. Der Chirurg und der Anästhesiologie sagten: "Hach, wir müssen hier noch mehr Sedierung geben!" Da sagte ich: "Nein, das brauche ich nicht." Und dann wurden die ganz aufgeregt. Ich habe gesagt: "Ich verspreche Ihnen, es wird für Sie okay sein. Und wenn Sie wollen, kann ich Ihnen auch eine Hypnose geben. Das wird ganz in Ordnung gehen. Ich verspreche Ihnen das."


Ohler Da fällt mir eine Erfahrung ein von vor zwei Jahren, wo ich eine Leistenoperation hatte. Das hat mich sehr überzeugt. Wenn man so ein bisschen was versteht davon, beispielsweise aus Lektüre und Erfahrung, kann man das selbst auch mit reinbringen.


Lang Genau. – Wir haben eine App, die ist aber auf Englisch. Die ist frei erhältlich, Comfort Talk Pro. Aber man kann natürlich auch als Patient das Buch lesen und sich das dann auf sein eigenes Handy drauf diktieren.


Ohler Ich bin froh, dass ich die Frage gestellt habe. Sind gute Tipps. Jetzt kommt von meiner Seite die klassische Carl-Auer-Sounds-of-Science-Abschlussfrage, die aber eine öffnende ist. Wir haben uns getroffen, wir haben uns ein bisschen vorbereitet, uns aber auch auf die Spontanität verlassen. Und dann gibt es ja manchmal die Idee, das oder das wird wahrscheinlich thematisiert oder gefragt. Oder es gibt einen Gedanken, den Sie während des Gesprächs bekommen und dann legen Sie ihn nach links. Und da liegt er jetzt noch. Gibt es noch irgendetwas, wo Sie sagen würden: Dazu hätte ich jetzt doch gerne was gesagt, haben wir aber nicht. Oder gibt es noch ein Statement oder eine Frage, die Sie sich selber stellen wollen?


Lang Ach, ich glaube, Sie haben das alles schon ganz komplett befragt. Zu einem Punkt, den Sie gemacht haben: Ja, wir haben das natürlich für die medizinischen Fachkräfte geschrieben. Aber wir sehen auch oft, dass die Leute, die wir trainieren, das auch mit ihren Kindern zu Hause benutzen, oder mit den Angehörigen, die sie im Alter versorgen müssen. Oder mit ihren Kollegen. Oder wenn sie ein Problem am Reiseschalter haben. Und ich glaube, diese ganze Idee des Comfort Talk, oder wie immer Sie das auch nennen wollen, bringt etwas mehr Zivilität ins tägliche Leben. Und ich glaube, das ist etwas, was wir heute besonders brauchen oder wo wir uns auch manchmal auf uns selbst besinnen müssen und etwas Selbsthypnose betreiben können, um die Resilienz beizubehalten.


Ohler Starkes Schlusswort, finde ich, besonders "Zivilität pflegen". Vielen Dank für die Zeit. Ich habe mich sehr gefreut, dass das so spontan geklappt hat und dass wir uns auch persönlich haben sehen können. Und ich wünsche dem Buch, und Ihnen und den Hörerinnen und Hörern einfach gutes Glück in allen Bereichen des Lebens, wo Sie es brauchen können, insbesondere im medizinischen Kontext, aber auch sonstwo. Vielen Dank, Frau Dr. Lang, für das Gespräch.


Lang Vielen Dank auch.