Sounds of Science / Dr. Gilles Michaux - Sophrologie - Körper in Trance

Der Psychobiologe und Psychotherapeut Dr. Gilles Michaux hat mit Körper in Trance das erste Buch vorgelegt, das den therapeutischen Praxis-Ansatz der Sophrologie in deutscher Sprache vorstellt. Der sophrologische Ansatz ist in Frankreich, Spanien sowie in Süd- und Mittelamerika weit verbreitet und hat sich in jahrzehntelanger Praxis bewährt.
Im Gespräch mit Carl-Auer Sounds of Science zeigt Gilles Michaux die Verbindungen und Unterschiede von Sophrologie zu Dynamischer Relaxation, Hypnose, Autogenem Training und anderen Herangehensweisen und Methoden auf und erläutert das spezifische Verständnis von Trance, das der sophrologischen Praxis zugrundeliegt.



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Transkription des Interviews


Ohler Hallo und herzlich willkommen, lieber Gilles Michaux, zum Gespräch mit Carl-Auer Sounds of Science. Ich bin sehr froh, dass Sie bereit sind, mit uns ein Interview zu führen.


Michaux Hallo und lieben Dank für die Einladung. Sehr gerne.


Ohler Danke, dass Sie dabei sind und danke auch für das Buch. Wir werden darüber sprechen. Ich werde gleich einsteigen mit einem Wort bzw. einem Begriff und damit einem Konzept, das den Kern Ihrer Arbeit ausmacht und damit auch Ihres neuen Buches mit dem Titel "Körper in Trance". Ich meine nicht den Begriff Trance, da können wir später noch drüber sprechen, auch nicht Hypnose, sondern ich meine den Begriff Sophrologie. Walter Bongartz hat in seinem sehr erhellenden Vorwort seinen eigenen, für ihn offensichtlich einleuchtenden Prozess der Entdeckung der sophrologischen Praxis beschrieben. – Trocken gefragt: Was heißt das, Sophrologie?


Michaux Ja, das ist erst einmal so ein Kunstwort, das von Alfonso Caycedo, einem aus Kolumbien stammenden Neuropsychiater, formuliert wurde, und er hat das dann für eine Entspannungslehre benutzt, die er ja dann auch entwickelt hat. Und dieses Wort stammt aus dem Griechischen. Da haben wir einerseits Logos, was so viel heißt wie die Lehre, dass wär dann dieser Aspekt der Entspannungslehre, und dann haben wir Sos und Phren. Und das könnte man übersetzen mit "Harmonie des Geistes." Phren kennen wir aus dem Begriff der Geisteslehre, der Phrenologie, und Sophrologie wäre in diesem Sinne also dann die Lehre von einem harmonischen Geist. Man kann den Begriff aber auch noch so übersetzen, dass man es als die Lehre von einem ausgewogenen Bewusstsein bezeichnen würde. Und da sind wir sehr nah an diesem Achtsamkeitsbegriff. Im Französischen heißt Achtsamkeit so viel wie pleine conscience, also volles Bewusstsein. Und das ist in diesem Sinne auch ein sehr wichtiger Punkt bei dieser Entspannungs Lehre. Da fließen auch sehr viele meditative Aspekte hinein und Achtsamkeit ,oder als auch Mindfulness, ist in diesem Sinne schon ein sehr wichtiger Aspekt. Man könnte sagen, wenn man es mit heutigen Begriffen verwenden würde, dass ist eine achtsamkeitsbasierte Entspannungslehre ist.


Ohler Das bringt mich auf Kontext von Begrifflichkeiten und Ansätzen, die unterwegs sind. Da kommen wir vielleicht auch noch dazu, zu diesen Bezügen auch und zu Unterschieden. Es geht um den Körper in Trance, zumindest so der Titel des Buches. Und damit geht es aus meiner Sicht auch um Bezüge oder vielleicht auch Abgrenzungen zu anderen therapeutischen Verfahren, sage ich mal, die dem Körper ja immer mehr Bedeutung zumessen. Geht um Bezüge zum Verständnis von Entspannung, Hypnos, Embodiment, ein ganz großer Strauß. Kommen wir mal am Anfang zu dem Begriff der Trance. Was bedeutet Trance in Ihrem Ansatz? Sie beziehen sich auf das lateinische Wort, wenn ich das richtig verstanden habe, transire/hinüberschreiten. Und dann vielleicht noch zwei Fragen dazu gepackt: Warum ist es so wichtig, vom Körper in Trance zu sprechen und nicht nur einfach von Trance? Und noch was dazu: Wie kann man das Verhältnis von Hypnose oder hypnotherapeutischen Erfahrungen dazu verstehen, die ja inzwischen auch weitverbreitet sind. Ein Fragebündel also.


Michaux Also ich denke, das trifft es sehr gut: Bündel oder Strauß an Fragen. Denn das ist im Grunde auch dieser Ansatz von Caycedo. Er hat das in den 50er, 60er Jahren gegründet und hat halt versucht, alles, was man so über Entspannung wusste, zu diesem Zeitpunkt, in der Tat in eine gemeinsame Lehre zu bündeln. Und er hat dort dann auch bestimmte Elemente aus asiatischen Entspannungsmethoden benutzt, Elemente aus dem Yoga, Elemente aus dem Zen-Buddhismus, dann aber auch Elemente aus autogenem Training und progressiver Relaxation. Und sein Ansatz war halt in diesem Sinne, das irgendwie zu kombinieren und so eine allgemeine Lehre zu entwickeln. Und da fließt natürlich auch dann das Element der Hypnose, der Trance, mit hinein. Und worum es Caycedo sehr stark auch ging war diese Erklärung des veränderten Bewusstseins, wenn wir dann in Entspannung sind. Und da ist man natürlich dann auch bei der Trance, einem veränderten Bewusstseinszustand. Caycedo hat in diesem Sinne aber immer die Sophrologie von der klassischen Hypnose, oder von der Hypnose im Allgemeinen, abgegrenzt, weil es eben vor allem um die Entspannung geht. Das heißt, in der Sophrologie beschäftigen wir uns eher mit Trancezuständen oder veränderten Bewusstseinszuständen, die nicht so tief in die Versenkung gehen und eine eher weniger tiefe Trance darstellen. Man könnte es in etwa mit diesem hypnoiden Zustand, wie man ihn vom Autogenen Training her kennt, vergleichen. Und in dem Sinne ist die Sophrologie auch keine Psychotherapie. Also es geht auch nicht um Hypnose oder den Trancezustand, wie man es eben aus der Hypnotherapie kennt, sondern man bleibt hier immer in dem Ansatz der Entspannung. Und in dem Sinne sind auch dann die Zustände, die man erlebt, weniger stark dissoziativ, wie man das jetzt vielleicht auch aus der Hypnotherpie kennen würde. Und Caycedo hat in diesem ganzen Bündel an Entspannungstechniken, die er da auch integriert hat, durchaus auch mentale Techniken genutzt. Und auf der anderen Seite aber dann aus dem Yoga eine bestimmte Form von dynamischer Entspannung entwickelt, die auf Yoga-Übungen basiert, allerdings dann sehr stark versucht, die Entspannung auszulösen im Körper. Und da sind wir dann in dieser Körpertrance. Das ist auch der Teil der Sophrologie, der in dem Buch beschrieben wird. Die mentalen Techniken haben da jetzt weniger Platz, sondern es geht eben um diese körperbezogene Trance. Und Trance, in der Tat, ist ein veränderter Bewusstseinszustand, den man natürlich über verschiedene Wege auslösen kann. Oft ist es auch über mentale Techniken, oder wo es darum geht, die Aufmerksamkeit nach außen zu lenken. Man denkt da an die Fixationsinduktion beispielsweise, oder Kontrastfarbeninduktion. Und bei der dynamischen Relaxation ist es halt so, dass die Konzentration ganz stark auf den Körper gelenkt ist und auch während der Übungen bleibt. Und damit ist dann die Trancetiefe nie so stark gegeben, weil immer dieser Bezug zum Körper dann bleibt. Und es gibt dann teilweise bestimmte Autoren, die sogar versucht haben, einen Begriff zu finden, um es von der Hypnose abzugrenzen, und dann von Sophrose sprechen bei diesen tranceartigen Zuständen.


Ohler Okay, also nochmal diese Wortbildung Sophrose und Sophrologie, um das auch zu unterscheiden von anderen Verfahren, so nenne ich jetzt mal als Laie, die mit Trance arbeiten. Aber Sie haben den Körper schon angesprochen und Sie sprechen da auch – da will ich ein bisschen reingehen – von einem Verhältnis von innerer Haltung und körperlicher Haltung. Und ich habe das so verstanden, dass es nicht nur darum geht, innere Haltung zu entwickeln und körperlich auszudrücken – oder irgendwie ins Erleben nach außen zu bringen – sondern darum, über die bewusste Einnahme körperlicher Haltungen innere Haltungen, sagen wir mal, zum Besseren zu beeinflussen. Mich erinnert das ein bisschen an Claudio Arrau, einen der größten Pianisten des 20. Jahrhunderts. Der hat, habe ich mal gelesen, tatsächlich versucht, über körperliche Haltungen, die er bei sich selber gut beobachtet hat, da hinein zu finden, dass er jetzt in einem Zustand ist, wo er sagen kann: Jetzt kann ich am besten spielen. Also es geht um dieses Verhältnis innere Haltung - körperliche Haltung. Hab ich das richtig verstanden?


Michaux Das stimmt genau. Und im Grunde ist es so, dass das ein sehr wichtiges Prinzip der Sophrologie und vor allem auch der dynamischen Relaxation ist. Es basiert sehr stark auf dem Körperschema, dieser inneren Repräsentation, die wir von unserem Körper haben, die sich auf der anderen Seite aber auch weiter entwickelt. Ich komme ja ursprünglich aus der Psychobiologie, und da ist natürlich auch dann diese Frage der Entität von Leib-Seele eine ganz wichtige Frage, sowohl was die Psychosomatik, oder auch Somatiopsychik, und auch psychische Störungen angeht. Und das spielt genau bei dieser dynamischen Relaxation eine sehr große Rolle. Mit der Idee, dass einerseits dadurch, dass man bestimmte Haltungen einnimmt, dies eine reziproke Wechselwirkung bewirkt zwischen Körper und Geist. Das heißt: Die eingenommene Haltung fördert dann auch einen bestimmten Zustand im Körper, ein bestimmtes Erleben. Und auf der anderen Seite ist dann dieses Erleben – also wenn man sich darauf dann auch konzentriert – etwas, was sich wiederum dann auch im Körper widerspiegelt. Man kann es vielleicht ganz gut an einer Übung illustrieren, der sogenannten Marionetten-Übung. Da geht es im Grunde darum, dass man körperlich etwas auf der Stelle springt, sich aber innerlich vorstellt, man wäre eine Marionette, der man die Fäden durchtrennt hat. Und durch diese innere Repräsentation ist die Idee, dass man sehr locker ist, indem man diese Übung durchführt. Und diese Haltung wird sich dann nachher in der Übung manifestieren, in den Bewegungen, die man dann sehr locker ausführt. Und das gibt wiederum ein Feedback für die Person, die dann trainiert. Und sie kann damit dann auch erleben, wie sich so eine innere Haltung von Lockerheit dann im Körper manifestiert. Also der Körper, kann man sagen, bietet hierbei dann immer direkt ein Feedback, also ob es der Person gelingt, in diesen Entspannungszustand zu gelangen.


Ohler Wir kommen nachher noch kurz zu den Übungen, da hätte ich noch eine Frage. Aber jetzt erst eine ganz kurze Frage ausnahmsweise vorab. Was ist bei Atmung so wichtig und warum?


Michaux Die Atmung spielt gerade in der dynamischen Relaxation eine wichtige Rolle. Das hat zum Teil auch damit zu tun, dass es auf dem Yoga basiert, und da spielt natürlich auch die Atmung eine sehr wichtige Rolle, auch bei der Durchführung der Übungen. Die Atmung ist deshalb so wichtig, weil die Atmung ein Prozess ist, der im Grunde vom vegetativen Nervensystem reguliert wird, wie beispielsweise auch unser Herzschlag oder das Kreislaufsystem. Anders aber als andere vegetative Funktionen ist: Die Atmung kann man auch noch willkürlich kontrollieren. Und damit eröffnet sich praktisch so eine Tür in das vegetative Nervensystem, weil diese anderen Prozesse, wie das Herz-Kreislauf System, hängen natürlich auch mit der Atmung zusammen, und über die bewusste Veränderung der Atmung können wir dann auch diese Prozesse beeinflussen. Man kennt das heute aus diesem Konzept der Kohärenz oder der Herzfrequenz-Variabilität. Über eine entsprechende Atmung, entspannte Atmung, kann man auch den Körper insgesamt regulieren. Vor allem auch vegetative Prozesse, die man ansonsten halt nicht verändern kann, oder zumindest nicht direkt bewusst. Und das ist sehr wichtiger Aspekt, auch bei der dynamischen Relaxation. Da wird ganz viel auch, zum Beispiel, mit Atempausen gearbeitet, wo man der Atmung zwischen dem Ein- und Ausatmen Zeit gibt, damit überhaupt dann dieser Gasaustausch in der Lunge passieren kann. Und das hat eine sehr entspannende Wirkung.


Ohler Okay. Sie haben vorhin schon die Marionetten-Übung angesprochen. Es gibt eine ganze Menge von Übungen in dem Buch, und sie sind auch durch, wie ich finde, sehr schöne Fotos illustriert. Wodurch man einfach eine Möglichkeit kriegt, über eine Darstellung einer Körperhaltung sich selber hinein zu finden. Ich fand besonders interessant, dass es nicht nur um so stille Körperpositionen geht, wie man ja manchmal auch so denkt, so sei es bei Meditationen: zusammen sitzen, liegen, stehen. Es gibt auch Geh-Meditationen. Was ist das? Vielleicht ganz kurz, man kann es ja nachlesen. Und wie verhalten sich die Formen zueinander? Diese stillen und die Geh-Meditationen.


Michaux Ja, das ist auch sehr wichtig. Und ich bin da auch sehr froh, dass ich eine Kollegin, die Tanzpädagogin und Yogalehrerin ist, für diese Illustrationen gewinnen konnte. Und in der Tat spielt es eine sehr wichtige Rolle, dass man nicht nur in der Passivität bleibt, also nicht nur in einer ruhigen Sitzposition, sondern dass man, wie man das vielleicht auch aus dem Taichi oder Qigong oder auch Yoga kennt, durchaus auch in die Bewegung kommt. Und da sind beispielsweise diese Geh-Meditationen sehr wichtig, wo man sich auf eine sehr entspannte Art und Weise fortbewegt, aber dann halt das ganze Bewusstsein auf die entsprechenden Körperbewegungen dabei lenkt. Und das ist deshalb wichtig, weil dieses Körperschema keine rein statische Repräsentation ist, sondern die ist auch dynamisch, das heißt das Körperschema, also diese Vorstellung, die wir von unserem Körper haben, wie er sich im Raum positioniert, ist auch an Bewegung gebunden. Und dadurch, dass man Bewegungsübungen macht, mit einer sehr bewussten Konzentration auf den Körper, fördert man dann dieses Körperschema noch zusätzlich und mehr, als man es beispielsweise nur rein im Sitzen tun könnte.


Ohler Unmittelbar einleuchtend, wie ich finde. Ich erlebte auch bei der Lektüre viel Lust, auszuprobieren und es tatsächlich selber zu erfahren und zu erleben. Kann man die Übungen bei oder nach der Lektüre auch ohne professionelle Begleitung angehen, oder wo und wann wäre professionelle Abklärung angeraten? Sie haben da einen Fall beschrieben, wo gesagt wird, das sollte man vorher professionell abklären. Also kann man es selber? Und wo und wie ist es wichtig, das professionell abzuklären?


Michaux Ja, prinzipiell eignen sich die Übungen auch zur autodidaktisch und Beschäftigung damit. Und man kann sie auch ohne Weiteres durchführen. Wichtig ist dabei, dass man sie sehr entspannt durchführt. Wenn man sich diese Beschreibungen anschaut, könnte man meinen, es hätte irgendetwas mit Gymnastik zu tun, aber der Fokus bei all diesen Bewegungen und Übungen ist, dass man sehr entspannt und locker dabei bleibt. Das ist so das Hauptaugenmerk. Und wenn man während der Übungen irgendwie erleben sollte, dass da etwas angespannt sei oder dass man nachher irgendwie müde sei, dann ist es eher so, dass man sich zu sehr angestrengt hat und dass man noch etwas an dieser inneren Gelassenheit arbeiten sollte, um die Übungen auch entsprechend durchzuführen. Wenn aber bestimmte krankheitswertige Zustände bestehen, sei es jetzt psychosomatisch, oder psychische Störungen, oder vielleicht auch bestimmte körperliche Erkrankungen, dann ist es auch angezeigt, dass man sich das alles unter professioneller Anleitung zeigen lässt. Ein Beispiel sei auch genannt, weil es jetzt gerade auch bei den Übungen sehr um das Körperschema geht – da sind auch beispielsweise Körperreisen, die in den Übungen vorkommen. Und genau das kann aber bei Personen, die beispielsweise unter Körperschema-Störungen leiden, gegenindiziert sein. Und da wäre es dann wichtig, dass es eingebettet ist in eine psychotherapeutische Behandlung.


Ohler Also es gibt die Möglichkeit, aber man sollte, wie mit vielen anderen technischen Angeboten, wie ich es mal nennen will, tatsächlich auch vorsichtig sein und nicht einfach sagen: "Das ist was für Tooligans. Ich habe ein Tool, und dann mache ich einfach los. – Sie beschreiben auch Fallvignetten und dort die Wirksamkeit sophrologischer Behandlungsprozesses, die sehr beeindruckend sind, wie ich finde. Milton H. Erickson hat einmal gesagt: Jeder Mensch ist ein Individuum. Als Basis ist der therapeutischen Haltung und Beziehungsangebote. Gibt es trotzdem irgendwas, wo sie sagen würden, diesen sophrologischen Behandlungsprozessen ist etwas gemeinsam.?Wo man sagen würde, das ist so eine Art von Muster, das sich immer wieder zeigt, in den Heilungs- oder Verbesserungsprozessen unter sophrologischer Begleitung.


Michaux Caycedo hat da ein sehr wichtiges Prinzip bei der Sophrologie und gerade auch in der dynamischen Relaxation immer angewendet: das Prinzip der Adaptivität. Das heißt, dass man in bei der Vermittlung immer auf die Individualität eingeht. Das heißt, es gibt nicht unbedingt bestimmte standardisierte Vorgehensweisen, sondern es ist sehr wichtig, eben gerade das Individuum mit seinen Ressourcen zu berücksichtigen. Und in dem Sinne ist er sehr nahe dran an der nondirektiven Hypnotherapie, damit auch an Milton H. Erickson. Er hat die Sophrologie etwas früher entwickelt, als vor allem in den französischsprachigen Ländern eher noch die klassische Hypnose vorherrschend war. Und das ist aber etwas, gegen das sich Caycedo immer abgegrenzt hat. Er wollte diese klassische Vorgehensweise der Hypnose eher hinter sich lassen, hat aber dann sehr vieles aufgenommen, was wir heute eben in der modernen Hypnotherapie in diesem Sinne wiederfinden. Gerade in diesem individualisierten Ansatz. Die Übungen im Buch sind natürlich auf eine bestimmte standardisierte Art und Weise beschrieben. Das ist halt nicht vermeidbar. Aber die Idee ist, dass die Übenden sich auf jeden Fall immer locker und entspannt und gut dabei fühlen. Und dann machen sie die Übungen halt richtig. Es geht nicht darum, dass man die Übung jetzt genau so durchführt, wie sie im Buch beschrieben ist, sondern es kommt auf dieses individuelle Wohlbefinden an.


Ohler Es ist ja, glaube ich, wo wir gerade von Erickson haben und nondirektiven hypnotherapeutischen Zugängen, auch wichtig,dass es auf Deutsch end lich etwas gibt. Sie haben davon gesprochen, dass es im französischsprachigen Bereich, auch im Spanischen, wenn ich richtig informiert bin, schon weiter verbreitet war. Jetzt gibt es eine Möglichkeit für deutschsprachige Hypnoherapeuten und Hypnotherapeutinnen, die sich besonders an Milton Erickson orientieren, sich der Sophrologie zu nähern. Sehr dankenswert. Das gibt mir eine Brücke nach Ausbildung zu fragen: Wenn man sich ausbilden lassen will oder weiterbilden will in diesen sophrologischen Möglichkeiten: Welche Voraussetzungen sind günstig, wenn man sie mitbringen könnte?


Michaux Im Grunde richtet sich die Sophrologie oder die dynamische Relaxation an Personen, die beispielsweise auch Psychologen, Psychotherapeuten, sind, aber auch Personen aus sozialen Pflegeberufen, Yoga-Lehrende; Personen, die eine profunde Ausbildung oder Kenntnis über das Zusammenspiel von Körper und Geist mit sich bringen. Und als Grundhaltung, noch dazu, ist es auf jeden Fall wichtig, dass man eine humanistische Grundhaltung mitbringt. Eben gerade auch dann dieses nicht nichtdirektive und sehr annehmende in der Arbeit mit den Übenden. Und ja, wie Sie sagen, die Sophrologie ist vor allem in den französischsprachigen Ländern sehr verbreitet. Sie ist da eigentlich fast identisch mit systematischer Entspannung. Also wenn man in Frankreich von systematischer Entspannung spricht, dann ist das gleichbedeutend mit Sophrologie. Und da gibt es auch unter anderem von Caycedos Tochter, die entsprechende Ausbildungsinstitute leitet, sehr viele Möglichkeiten, vor allem im französischsprachigen Bereich. Aber in Deutschland ist es noch weniger bekannt.


Ohler Noch, muss man sagen .... Die Chancen steigen jetzt, das ist ja wunderbar. Ich nehme noch einmal mit die Idee, als Sie vorhin gesagt haben, dass es eben nicht um Gymnastik geht – sozusagen um eine Art von Selbstoptimierung – sondern um einen ganz anderen Prozess, der aber wichtige positive Folgen haben kann, Entwicklungen anstoßen kann. Wir sind – die Frage ist unvermeidlich – in sehr komplexen und schwierigen Zeiten, nach wie vor, herausfordernden Zeiten. Was fällt Ihnen besonders auf in der Vergangenheit, in den letzten ein zwei Jahren, besonders in der Praxis? Und was denken Sie, im Anschluss an die Frage vorher: Welche unverzichtbaren Kompetenzen sollte überhaupt therapeutische Hilfestellung im Gepäck haben? Und vielleicht gibt es auch einen Tipp?


Michaux Ja, in der Tat sind wir gerade jetzt in Zeiten, die einen Makrostressor darstellen, wo neben dem allgemeinen Alltagsstress oder Berufsstress auf gesellschaftlicher globaler Ebene halt Stressoren wirken. Und das merkt man natürlich dann auch in der Arbeit, dass sie sich noch zu den alltäglichen Stressoren dazu gesellen und oft die Problematiken teilweise dann noch verstärken, bedingt auch durch Ängste, die damit verbunden sein können. Und ich arbeite viel mit Burnout-Patienten oder mit Patienten, die psychosomatische Störungen entwickelt haben, aufgrund eben von Stress. Und was man da halt immer wieder sieht: Es ist irgendwann auch ein ... ja ... ich sage mal gestörtes Verhältnis zum Körper entstanden. Durch den stress treten dann irgendwann Verspannungen, Symptome verschiedener Natur auf. Und es wird dann halt versucht, was ja verständlich ist, diese Symptome irgendwie zu behandeln. Es verliert sich dann auch etwas dieser Bezug zum Körper, dass im Grunde all diese Symptome Reaktionen des Körpers sind, die zeigen, dass da vielleicht der Stress auch für den Körper zu viel geworden ist. Und da, denke ich, ist es in der therapeutischen Arbeit immer auch wichtig, wieder einen gesunden Bezug zum Körper zu finden. Dass die Patienten auch lernen, auf den Körper zu achten, auf diese einzelnen Reaktionen, die er zeigt. Wenn man jetzt eine Metapher bemühen wollte: Wenn man sich die Reaktionen eher so vorstellt wie die Kontrolllämpchen im Auto, die angehen, und man ja auch dann sich schließlich nicht über das Auto aufregt, sondern in die Werkstatt geht. So ist möglich, dass man auch sich vielleicht in den Schongang bringt. Und deshalb sind auch so körperbezogene Übungen sehr wichtig, weil sie halt diese Möglichkeit geben, auch wieder einen gesunden, positiven Bezug zum Körper herzustellen. Und in dem Sinne ist natürlich auch für die Arbeit therapeutische Arbeit ein,würde ich jetzt mal sagen, psychophysiologisches Verständnis von diesen Zusammenhängen natürlich sehr wichtig: Wie kann der Stress überhaupt auf den Körper wirken? Um den Betroffenen das genau zu erklären zu können. Und dass sie in gewissem Sinne wieder lernen, dass das in der Tat natürliche Reaktionen sind und sie auch wieder lernen können, ihren Körper auch zu schonen.


Ohler Das erinnert mich an das Bild, das wir bei Carl-Auer mal auf einer Postkarte hatten: ein Öllämpchen sozusagen, die Kontrollleuchte. Da klebt man ja auch kein Kaugummi drauf, dass man es nicht mehr sieht.


Michaux Genau.


Ohler Ich muss auf die Zeit schauen und finde das sehr inspirierend, was ich da höre und was die Hörerinnen und Hörer hören. Und ich würde jetzt trotzdem gern die typische Carl-Auer-Sounds-of-Science-Frage noch bringen. Für so ein Gespräch hat man vielleicht Ideen: Das werde ich vielleicht gefragt, dies werde ich vielleicht gefragt. Das und das wird thematisiert. Jetzt kam das aber doch nicht. Oder irgendwas ist Ihnen eingefallen und wir haben es beide links liegen lassen. Dann wäre jetzt die Möglichkeit, sich selber noch eine Frage vorzulegen, die ich vergessen habe. Oder vielleicht doch noch ein Statement loszuwerden, wenn Sie das möchten.


Michaux Sehr gerne. Ich denke, gerade auch in Bezug auf diese schwierigen Zeiten, in denen wir ja sind, ist Gelassenheit einfach ein ganz wichtiger Aspekt. Und ich denke, das ist einfach eine sehr wichtige Tugend. Ein sehr wichtiger Wert. Und was eigentlich auch mit dem Buch vermitteln wollte: Dass man sieht, dass in unterschiedlichen Kulturen, eigentlich in allen Kulturen, immer irgendwie Methoden entwickelt worden sind, sich sogar gegenseitig zu inspirieren, um eben gerade auch Entspannung und Gelassenheit zu erzeugen. Und ja, ich denke, das ist eine Tugend, und ein Wert, den man in der Tat hochhalten sollte und den man weiterentwickeln sollte, soweit es möglich ist.


Ohler Ein starkes Schlussplädoyer. Vielen Dank, Gilles Michaux. Ich danke Ihnen für Ihre Zeit, für das Gespräch noch einmal im Namen des Hauses, und im Namen vieler Leserinnen und Leser fürs Buch. Und ich freue mich, wenn wir uns begegnen. Irgendwann.


Michaux Ja, sehr gerne. Vielen Dank! Und es hat mich sehr gefreut. Danke!