Akzeptanz/Anerkennung

engl. acceptance, alltagssprachliche Form für einen Aspekt des Beziehungsangebotes von Psychotherapeuten an ihre Patienten, so wie er ursprünglich im personzentrierten Ansatz (person- bzw. client-centered approach/therapy) von Carl Rogers (1951) aufgrund von empirischer Forschung über konstruktive Bedingungen therapeutischer Veränderung formuliert wurde. Es handelt sich somit nicht um ein genuin systemisches (System) bzw. familientherapeutisches Konzept, sondern war bereits theoretisch wie praktisch ausgearbeitet, bevor systemische (aber auch behaviorale) Therapie in bedeutsamem Ausmaß etabliert wurde. In Deutschland heißt die auf Rogers zurückgehende Richtung der Psychotherapie Gesprächspsychotherapie (auch: klientenzentrierte Psychotherapie), in Österreich und der Schweiz meist Personzentrierte Psychotherapie.


Zusammen mit zwei weiteren essentiellen Aspekten des psychotherapeutischen Beziehungsangebotes – nämlich Kongruenz/Echtheit (engl. congruence) und empathischem Verstehen (engl. empathy) – bildet Akzeptanz/Anerkennung die zentrale Grundlage wirksamen therapeutischen Handelns, wie dies inzwischen faktisch von allen psychotherapeutischen Richtungen betont wird. Oft wird fälschlich von drei »Basisvariablen therapeutischer Beziehung« gesprochen, was allein schon deshalb nicht zutrifft, weil zu einer »Beziehung« beide Seiten – hier also: Therapeut und Patient/Klient – gehören. Zudem sind diese Aspekte des Beziehungsangebotes auf Seiten der Therapeuten von den anderen therapeutischen Richtungen – auch der Systemischen Therapie – nur sehr oberflächlich rezipiert und jeweils in ihre Arbeitsweise integriert worden, während im personzentrierten Ansatz von Rogers hierzu eine recht umfängliche Theorie und entsprechende differenzierte Praxis entwickelt wurden (Rogers 1959; Kriz u. Slunecko 2011; Eckert et. al. 2006).


In dieser personzentrierten Theorie wird Akzeptanz bzw. Anerkennung präziser als unconditional positive regard bezeichnet – wofür es nur unzureichende deutsche Übersetzungen gibt: Die früher häufiger verwendete Übersetzung »unbedingte positive Wertschätzung« unterstützt eher die Fehlinterpretation, dass (personzentrierte) Therapeuten alles vom Klienten Vorgebrachte freundlich und wertschätzend aufnehmen und zurückspiegeln sollten (eine vorurteilsbehaftete »Stammtischversion« einer Pseudo-»Gesprächstherapie«). Stattdessen liegt die Betonung bei diesem Konzept aber auf dem Attribut »unconditional« bzw. »unbedingt« und verweist auf den Umstand, dass in der biographischen Entwicklungsgeschichte eines Menschen bisweilen Zuwendung und 509 Akzeptanz/Anerkennung 2 Wertschätzung nur unter bestimmten Bedingungen gewährt wurde (meist zunächst von den Eltern). Vor allem dann, wenn das Kind weniger seinen eigenen vitalen organismischen Bedürfnissen und Empfindungen Ausdruck verlieh, sondern brav und angepasst die Werte und Normen verinnerlichte, erhielt es die so wichtige Beachtung und Zuwendung. Dabei wurden die Gebote häufig nicht nur befolgt – und die Abweichung von den eigenen Bedürfnissen und Erfahrungen realisiert –, sondern sogar verinnerlicht, was entwicklungsgeschichtlich oft zu einer Vermengung der eigenen Bedürfnisse und Empfindungen mit den von außen erwünschten (analytisch: »Introjekte«) führte. Der Aspekt »unbedingte Wertschätzung« im personzentrierten Beziehungsangebot meint somit die durchaus konfrontierende und kontrastierende Erfahrung, dass Wertschätzung der Person ohne Bedingung gegeben werden kann, womit die eigentlich erwarteten Bedingungen (Erwartung) erfahrbar werden und das eigene Erleben und Handeln im Lichte dieser Erwartungsstrukturen nun auch verstanden werden kann (Verstehen).


Hier nun setzt eine zumindest nicht allzu oberflächliche Nutzbarmachung dieses Konzeptes von Akzeptanz/Anerkennung aus dem personzentrierten für den systemischen Ansatz an. Denn damit ist mehr gemeint, als die durchaus wichtige Haltung, allen Positionen im Klientensystem gleichermaßen akzeptierende Wertschätzung im Sinne von Neutralität entgegenzubringen. Es ist auch mehr gemeint als die ebenfalls wichtige Anerkennung von z. B. Besonderheiten der einzelnen Mitglieder im Sinne von R Ressourcen und ein damit ggf. verbundenes Reframing (Umdeutung) von entwerteten Beiträgen Einzelner für die Funktionalität des Gesamtsystems. Vielmehr kann eine Nutzbarmachung der spezifischen Bedeutung dieser Konzepte aus dem personzentrierten Ansatz für systemische Therapeuten die Sensibilität steigern für Fragen, ob und wie die Interaktionsmuster im System von Erwartungsstrukturen aufgrund bedingter Akzeptanz und Anerkennung mitbestimmt werden. Wenn ein Mitglied sich beispielsweise ständig über seine Kräfte für andere einsetzt, weil sich dieser Mensch nicht vorstellen kann (oder zumindest kein Vertrauen darin hat), dass er auch ohne diese Leistungen die Wertschätzung der anderen bekommen kann. Oder wenn jemand immer nur seine »Schokoladenseiten« zeigt und damit vor anderen – und bei chronischem Verstellen: letztlich auch vor sich selbst – die aus seiner Sicht und Erwartung weniger angenehmen, bedürftigen, schwachen Seiten unterdrückt. Solche aufgrund von bedingter Akzeptanz oft schon früh entwickelten Erwartungen und die damit verbundenen Verhaltensstrategien werden in der systemischen Interaktion von Familien (aber auch von Teams oder Gruppen) selten korrigiert, sondern sogar noch Akzeptanz/Anerkennung verstärkt und stabilisiert, weil dies ja für die anderen als positive Eigenschaft der betreffenden Person verstanden und wahrgenommen wird: Ein solcher Mensch wirkt dann besonders hilfsbereit bzw. anpassungsfähig sowie stark und autonom (Autonomie) – und wird dafür tatsächlich mit Zuwendung belohnt, sodass sich das Muster fortsetzt. Die Gefahr ist allerdings, dass dieser Mensch dann irgendwann wegen chronischer Überlastung plötzlich zusammenbricht oder zum Selbstschutz die Interaktionsdynamik in maligner Weise untergräbt und boykottiert. Die Aufdeckung solcher Muster aufgrund bedingter Akzeptanz/Anerkennung dient somit neben der aktuellen Bearbeitung von R Konflikten der psychohygienischen Prophylaxe (Prävention).


Neuerdings finden sich im systemischen Ansatz auch unter dem Begriff »Akzeptanz« Elemente und Programme bzw. Programmteile aus der sog. »Akzeptanz- und Commitment-Therapie« (ACT), die auf Steven Hayes zurückgeht (Hayes et. al. 2008). Beim ACT wurden Konzepte von Rogers in verhaltenstherapeutische Programme gegossen, sodass diese leicht mit dem Design von RCT-Studien und evidenzbasierter (Evidenz) Medizin ihre Wirksamkeit nachweisen konnten. Der Import von ACT in den systemischen Ansatz ist allerdings eher eklektisch, da eine entsprechende theoretische Konzeption bisher noch nicht vorgelegt wurde.


Verwendete Literatur


Eckert, Jochen, Eva-Maria Bierman-Ratjen u. Diether Höger (Hrsg.) (2006): Gesprächspsychotherapie: Lehrbuch für die Praxis. Heidelberg (Springer).


Hayes, Steven C., Jason Luoma u. Robyn D. Walser (2008): ACT-Training. Handbuch der Acceptance & Commitment Therapie. Paderborn (Junfermann Verlag).


Kriz, Jürgen u. Thomas Slunecko (Hrsg.) (2011): Gesprächspsychotherapie. Die therapeutische Vielfalt des personzentrierten Ansatzes. Stuttgart (UTB).


Rogers, Carl R. (1951): Client-Centered Therapy: Its Current Practice, Implications, and Theory. Boston (Houghton Mifflin).


Rogers, Carl R. (1959): Eine Theorie der Psychotherapie, der Persönlichkeit und der zwischenmenschlichen Beziehung. Aus dem Englischen von Gerd Höhner und Rolf Brüsek. München (Reinhardt), 2008.