Kommunikation
engl. communication, franz. communication f, lat. communicare = »etwas gemeinsam haben, teilen, sich gemein machen«; die Verknüpfung unabhängig lebender Lebewesen im Hinblick auf die Einschränkung und die Erweiterung der Freiheit der Wahl ihrer Verhaltensmöglichkeiten.
Der Begriff der Kommunikation ist einer der Schwerpunkte der Systemtheorie. In ebenso faszinierter wie kritischer Auseinandersetzung mit der mathematischen Kommunikationstheorie von Claude E. Shannon und Warren Weaver (1949) betont man den Prozess und die Struktur eines Vorgangs, der sich weder auf die kausale Verkettung von Ursache und Wirkung noch auf die Statistik von Wahrscheinlichkeitsverteilungen reduzieren lässt, obwohl Kausalitäten und Wahrscheinlichkeiten eine entscheidende Rolle spielen. Ausgangspunkt ist die Beobachtung unabhängig lebender Lebewesen, die sich miteinander auf Beziehungen einlassen, innerhalb derer die Freiheit der Wahl von Verhaltensmöglichkeiten sowohl eingeschränkt als auch erweitert wird. Sie wird eingeschränkt, weil die Aufrechterhaltung der Beziehung ihre eigenen Anforderungen stellt, und sie wird erweitert, weil die Beziehung zum Ausbau neuer Verhaltensmöglichkeiten genutzt werden kann.
Jürgen Ruesch und Gregory Bateson (1951) identifizieren fünf Merkmale für das Vorliegen von Kommunikation. Kommunikation bedeutet erstens Wechselseitigkeit der Wahrnehmung: Die an einer Kommunikation beteiligten Lebewesen nehmen einander nicht nur wahr, sondern nehmen darüber hinaus auch wahr, dass sie voneinander wahrgenommen werden. Nur dann kann das Erleben des anderen sowohl die eigene Suche nach Anschlussmöglichkeiten informieren als auch durch eigenes Handeln beeinflusst werden. Daher bedeutet Kommunikation immer beides: Handeln und Erleben, und demzufolge hat man immer die Wahl, ob man an die Wahrnehmung des Handelns oder des Erlebens des anderen anschließt (Luhmann 1981).
Zweitens bedeutet Kommunikation die Doppelung jeder Mitteilung in die beiden Aspekte eines Berichts (report) über bestimmte Zustände der Welt und einer Aufforderung (command), der Kommunikation zu folgen. Auch damit hat die Kommunikation immer die Wahl, sich entweder am Inhaltsaspekt der Kommunikation oder an ihrem Beziehungsaspekt zu orientieren (Watzlawick, Beavin a. Jackson 1967).
Drittens erkennt man Kommunikation daran, dass sie durch eine Metakommunikation begleitet wird: Jede Kommunikation kommentiert sich selbst und signalisiert damit, auf welche Geschichte sie zurückblickt und welche Erwartungen mit ihr verbunden sind. Auch dies schränkt ein, weil man immer auf beides reagieren muss, und eröffnet neue Wahlmöglichkeiten, weil man im nächsten Schritt das Thema der Kommunikation entweder fortsetzen oder sie selbst zum Thema machen kann (Luhmann 1984).
Im Rückblick erkennt man, dass die Systemtheorie mit diesem Kommunikationsverständnis weniger auf das Sender-Empfänger-Kanal- Modell als vielmehr auf den Informationsbegriff der mathematischen Kommunikationstheorie reagiert hat. Das Sender-Empfänger-Kanal- Modell der Kommunikation galt so oder so als ebenso didaktisch gemeinter wie irreführender Zusatz in der Theorie von Shannon und Weaver (1948, Schaubild p. 7, 34). Es unterstellt, dass die Kommunikation als ein Vorgang der Übertragung von Nachrichten verstanden werden kann, während der Informationsbegriff von Shannon sehr viel grundlegender zeigt, dass sie als ein Vorgang der Auswahl von Information je unabhängig auf Seiten des Senders, des Empfängers und des von Shannon später (1948, Schaubild S. 68) zusätzlich eingeführten Beobachters verstanden werden muss (MacKay 1967). In diesem Auswahlbegriff der Information steckt die eigentliche Herausforderung der mathematischen Kommunikationstheorie. »Der entscheidende Aspekt der Kommunikation«, so Shannon (1948, p. 31; Übers.: D. B.), »besteht darin, dass die aktuelle Nachricht ausgewählt ist aus einer Menge möglicher Nachrichten.« Dies zumindest sei der entscheidende ingenieurwissenschaftliche Aspekt, für den semantische Aspekte der Bedeutung einer Nachricht irrelevant seien. Shannons eigentliche Innovation geht mit einer Verkennung ihrer Reichweite einher. Er formuliert einen statistischen Informationsbegriff und bestimmt damit den Informationswert einer Nachricht (zum Beispiel eines Buchstabens) aus dem Verhältnis dieser Nachricht zu einer definierten Menge möglicher Nachrichten (zum Beispiel einem Alphabet). Er sieht nicht, dass man seinen technischen Begriff der Information zu einem sozialen Begriff erweitern kann, indem man die Annahme einer definierten Menge möglicher Nachrichten durch die Annahme laufend zu erbringender Kontextualisierungsleistungen in einem offenen Raum von Möglichkeiten und damit den probabilistischen durch einen possibilistischen Informationsbegriff ersetzt (Baecker 2005). Kommunikation ist zugleich Arbeit an der Kommunikation. Die Freiheit der Wahl muss in Einschränkungen durch verlässliche Erwartungen übersetzt werden, die zukünftige Möglichkeiten einer freien Wahl nicht ausschließen, sondern einschließen. Andernfalls wäre die Unabhängigkeit weder der Lebewesen noch ihres Bewusstseins gewahrt. Die Emergenz und Selbstorganisation der Kommunikation vollzieht sich unter der Bedingung der Teilnahme komplexer (Komplexität) Einheiten (»Lebewesen«), deren Undurchschaubarkeit nicht nur gesetzt, sondern auch gepflegt wird. Nur unter dieser Voraussetzung kann Gregory Bateson einen Begriff von Kommunikation formulieren, der Kommunikation als »Schaffung von Redundanz« versteht (Bateson 1972, p. 412). »Redundanz«, ein Begriff aus der mathematischen Kommunikationstheorie, bedeutet so viel wie Erschließbarkeit weiterer möglicher Ereignisse aus bereits bestimmten Ereignissen. Kommunikation leistet genau dies; sie schafft eine vertraute Welt. Die andere Seite der Medaille heißt Varietät. Redundanz ist die Folie, vor deren Hintergrund Varietät sich abhebt. So kann Neues gesucht, eingebaut und zum Ausgangspunkt weiterer Suche verwendet werden.
Der Hörer, nicht der Sprecher bestimmt viertens den Sinn einer Aussage (von Foerster u. Pörksen 1998, S. 100). Mit diesem »hermeneutischen Prinzip« bringt Heinz von Foerster die systemische Praxis im Umgang mit der Kommunikation auf den Begriff. Therapie, Beratung und Intervention rechnen sowohl mit Freiheiten der Wahl als auch mit bereits gesuchten und gefundenen Einschränkungen dieser Freiheit, die beide die Auswahl unabhängiger Lebewesen begründen, die von außen zwar beeinflusst, aber nicht bestimmt werden kann. Der systemischen Praxis bleibt nur, sich auf einen »Tanz« (Bateson, von Foerster) einzulassen, der die Autonomie aller Beteiligten sowohl voraussetzt als auch einschränkt. Nur in der Bewegung dieses Tanzes kann herausgefunden werden, was darüber hinaus unter Umständen noch möglich ist und was nicht. Immerhin gilt fünftens: »Man kann nicht nicht kommunizieren« (Watzlawick, Beavin a. Jackson 1967, S. 53). Deshalb kann man sich darauf konzentrieren, dem Tanz eine eigene Wendung zu geben.
Verwendete Literatur
Baecker, Dirk (2005): Kommunikation. Leipzig (Reclam).
Bateson, Gregory (1972): Steps to an ecology of mind. New York (Ballantine).
MacKay, Donald (1967): Information, mechanism and meaning. Cambridge, MA (MIT).
Ruesch, Jürgen u. Gregory Bateson (1951): Communication: The social matrix of psychiatry. New York (Norton). [dt. (1995): Kommunikation. Die soziale Matrix der Psychiatrie. Heidelberg (Carl-Auer), 2. Aufl. 2012.]
Weiterführende Literatur
Baecker, Dirk (2005): Form und Formen der Kommunikation. Frankfurt a. M. (Suhrkamp).