Autonomie
engl. autonomy, franz. autonomie f, griech. autos = »selbst« und nomos = »Gesetz«, »sich selbst Gesetze gebend, Eigengesetzlichkeit, selbstständig«, wird der Heteronomie gegenübergestellt. Autonomie meint entweder Selbstbestimmung oder Eigenständigkeit bzw. Selbstregulierung im Unterschied zur Fremdbestimmung.
»Autonomie« ist ein Begriff, der beispielsweise in der Philosophie, dem Völkerrecht, der Politikwissenschaft, Soziologie, Psychologie oder Sozialen Arbeit verwendet wird und auf eine lange Tradition bezogen ist, die bis in die Antike verweist. Für die Humanwissenschaften ist der kantsche Begriff der Autonomie relevant geworden, da er mit der zentralen Idee der Moderne, der Aufklärung als »Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit« (Kant 1784, S. 481), verknüpft ist. Unter Autonomie wird bei Kant in diesem Zusammenhang die Möglichkeit des Menschen verstanden, sich durch sich selbst in seiner Eigenschaft als Vernunftwesen zu bestimmen. Dabei ist es das Ziel, sich von der Fremdbestimmung zu lösen, selbst wenn sie z. B. durch Tradition Sicherheiten vermittelt. In den Sozialwissenschaften ist diese aus der Moralphilosophie stammende Vorstellung von Autonomie infrage gestellt worden. Stattdessen wird die gesellschaftliche (Gesellschaft) Konstituiertheit von Handlungsfähigkeit betont, selbst wenn es um Formen der Selbstregierung geht (Foucault 2004).
Der systemtheoretische (System) Ansatz bricht mit dem Dual von Autonomie und Heteronomie. Darüber hinaus bezieht er sich auf Systeme, seien sie Sozialsysteme (Interaktions-, Organisations- und Funktionssysteme), psychische (Psyche), biologische etc. Systeme, aber nicht auf »Menschen«. Der Mensch taucht in der Gesellschaft nur als Kommunikation auf, z. B. in der Kommunikation als Thema und im Bewusstsein als Gedanke. »Er ist ein ausgeschlossenes Drittes dieser Unterscheidung« (Fuchs u. Göbel 1994, S. 17) und erscheint als das, was er nicht ist (Gedanke oder Kommunikation). Ein System gewinnt Autonomie dadurch, dass es aus der Umwelt nur Bestimmtes wahrnimmt, und zwar das, was intern anschlussfähig ist, und gegenüber allem anderen indifferent ist. Damit wird der Autonomiebegriff an die Autopoiesis des Systems geknüpft. Entsprechend formulieren Maturana und Varela (1984, S. 55), dass ein System autonom sei, »wenn es dazu fähig ist, seine eigene Gesetzlichkeit beziehungsweise das ihm Eigene zu spezifizieren«. Abhängigkeit und Unabhängigkeit gehen in der systemtheoretischen Perspektive aber miteinander einher, da für die Autopoiesis des Systems die anschlussfähige Information notwendig ist (Abhängigkeit) und zugleich alle anderen Informationen für das System keine Relevanz haben (Unabhängigkeit) (vgl. Luhmann 1987, S. 250, 279). Während auf der Systemseite Autonomie durch die Autopoiesis generiert wird, wird auf der Umweltseite die strukturelle Kopplung relevant. Sie macht deutlich, dass Systeme aufeinander verwiesen sind und die Selbsterzeugung eines Systems von der eines anderen abhängig ist. Autonomie meint somit nicht eine Abwesenheit von Beschränkungen, sondern sie kann als eine Form des Umgangs mit Beschränkungen verstanden werden. Strukturelle Beschränkungen gehören dann zu den Bedingungen der Autonomie selbst.
Dieses Begriffsinstrumentarium kann auf verschiedene Systeme bezogen werden. So ist z. B. das Interaktionssystem ohne psychische Systeme nicht denkbar, obwohl diese in der Umwelt des Interaktionssystems zu verorten und durch strukturelle Kopplung miteinander verbunden sind. Die Grenzen des psychischen Systems, das heißt die Art und Weise, was sich jemand über das, was in der Kommunikation passiert, denkt, sind nicht die Grenzen des kommunikativen Systems. Dieses hat gegenüber den Gedanken der an der Kommunikation beteiligten psychischen Systeme eine eigene Realität. Sie ist gegenüber den psychischen Systemen emergent, d. h., sie kann nicht als »aufsummierte Realität« ihrer Elemente, der psychischen Systeme, erklärt werden. Dennoch orientiert sich das kommunikative System daran, wie das psychische System an die Kommunikation anschließt. Wie das psychische System aber anschließt, ist nicht planbar und nicht vorhersehbar (vgl. Luhmann 1987, S. 295). Aufgrund dieses Mangels an Kausalität sprechen Luhmann und Schorr (1982) auch von einem »Technologiedefizit« wie z. B. in der Erziehung.
In der Sozialen Arbeit wird das Technologiedefizit einerseits als Einschränkung eigener Möglichkeiten zu helfen (Helfen) betrachtet, andererseits aber positiv bewertet, da es zugleich die Möglichkeit der Selbstbestimmung in sich birgt. Diese wird aber nicht moralisch verstanden, sondern durch die Selbstreferenzialität des Systems begründet. Das bedeutet jedoch nicht, dass nicht interveniert werden könnte, sondern nur, dass die Intervention nicht in der Form von »Ursache/Absicht = Wirkung« begriffen werden kann. Vielmehr geht es um kontextuelle (Kontext) Steuerung, die Rahmenbedingungen so bereitstellt, dass das System durch die Einführung von Differenzen irritiert (Irritation) ist und auf eine andere Art und Weise anschließt, als es in der Vergangenheit üblich gewesen ist (Willke 1994). Systemische Methoden bauen auf diesem Paradigma auf und stellen konkrete Möglichkeiten zur Intervention bereit (Kleve 2003).
Verwendete Literatur
Willke, Helmut (1994): Systemtheorie II: Interventionstheorie. Stuttgart/Jena (Fischer).
Weiterführende Literatur