Einfach fragen in Licht und Schatten

In ihrem Buch Einfach fragen in Licht und Schatten loten Nadja Oehlmann und Tilman Rentel das Potenzial der Eigensprache für die Traumatherapie aus. Einblick in das „Making-of“ zum Buch geben die folgenden beiden idiolektischen Gespräche, die die Autoren miteinander geführt haben.


Tilman, wofür möchtest Du dieses Buch schreiben?


Ich möchte gerne meine beiden wichtigsten Arbeitsstränge, die sich schon lange in meiner therapeutischen Praxis entwickelt haben, erkunden und ihr ineinander Verwoben-sein beschreiben. Das ist zum einen meine traumatherapeutische Arbeit und zum anderen die idiolektische Gesprächsführung. Dadurch, dass sie in der Arbeit ein organisches Geflecht ergeben, welches sich kaum auseinandernehmen lässt, entstand die Idee, über beide zusammen ein Buch zu schreiben, und darüber wie sie sich gegenseitig ergänzen und bereichern können. Ich freue mich, das Buch im Dialog mit einer geschätzten Kollegin zusammen zu schreiben und so gemeinsam den Weg und die Schritte zu reflektieren, die wir als Idiolektiker:innen und Traumatherapeut:innen gehen. Da Idiolektik ja sehr viel mit Bildern arbeitet, freue ich mich besonders, dass Sibylle Reichel mit ihrer klare und feinen Bildsprache den Text des Buches illustriert hat.


Und was sind Deine Gedanken zu diesen Wegen und Schritten?


Sowohl die Haltung und Methodik der Idiolektik als auch die Prinzipien der helfen mir, die Beziehungen zu den Klientinnen und die Prozesse in der Therapie konstruktiv zu gestalten. Dieses Buch könnte wie ein großes Gefäß sein für viele hilfreiche Dinge und Ideen, die ich in den letzten Jahren kennengelernt und erlebt habe. Vielleicht wie ein großer geflochtener Korb, in den diese Gedanken, Haltungen und technischen Elemente hineingewoben sind und mit dessen Hilfe Kolleginnen unterstützt werden, die Belastungen der Arbeit mit traumatisierten Menschen zu tragen, sowie Wertvolles und Stärkendes herauszufiltern.


Wofür könnte das gut sein?


Ich möchte Therapeutinnen, die mit traumatisierten Menschen arbeiten, in eine Haltung einladen, den Betroffenen viel Vertrauen zu schenken, indem sie ihnen im therapeutischen Prozess selbst die Steuerung ermöglichen. Ich möchte Therapeutinnen einladen, ihre Macht zu teilen. Sie könnten einen Teil ihrer Macht abgeben, indem sie die Klientinnen ermächtigen, in sich selbst hilfreiche Ideen und Kräfte zu finden. Diese Haltung bedeutet auf die Selbstorganisation und Selbstheilungskräfte von Menschen zu vertrauen und diese bestmöglich zu unterstützen. Sie bringt es mit sich, überrascht zu werden von plötzlich auftauchenden Wegen und Lösungen, die sich bei günstigen Rahmenbedingungen ergeben können.


Was sind günstige Rahmenbedingungen?


Sicherheit ist eine der wichtigsten Rahmenbedingungen. Sie entsteht bei den Patientinnen u.a. durch das Dasein als Mitmensch in einer würdigenden Haltung. Das hilft einen gegenwärtigen sicheren Raum zu gestalten, in dem die Klientinnen sich mitteilen können. Ein weiterer Faktor, der Sicherheit ermöglicht ist ein relativer zeitlicher und räumlicher Abstand zu den Belastungen. Sowohl würdigendes Dasein als auch der Abstand realisiert sich in der Arbeit mit eigensprachlichen Bildern und Metaphern der Klientinnen. Ich möchte in diesem Buch die kraftvolle Lebendigkeit und den Spaß teilen, den sowohl Therapeutinnen als auch Klientinnen mit dieser Arbeit haben können: Sie können aus dem Dialog heraus in ein Bild kommen und damit in den Schutzraum einer imaginativen Ebene wechseln. Von dieser aus können sie in schonendem Abstand und doch verbunden mit den realen Belastungen und Ressourcen diese erkunden und es können Perspektivwechsel geschehen.


Welche Bedeutung hat die Eigensprache im Buch?


Die individuelle Sprache der Klientinnen möchte ich zum einen als eleganten und effizienten Zugang zu einer guten Verbindung mit den Klientinnen vermitteln zum anderen aber auch als Quelle passgenauer Lösungen würdigen. Die Eigensprache ist somit Binde- und Lösungsmittel zugleich. Sie hilft mir bei folgenden Aufgaben: Wie kann ich anknüpfen an das, was mir die Klientin verbal oder nonverbal mitteilt? Wie kann ich auch Symptome, unter denen Klientinnen leiden, als Ressourcen nutzen? Wie kann ich gemeinsam mit den Klientinnen entdecken, dass in den Symptomen auch Kompetenzen stecken? Ich möchte Kolleginnen mit meiner Begeisterung anstecken auf die ganz eigene Sprache der Menschen zu lauschen und sie in ihre Arbeit zu integrieren. Darüber hinaus möchte ich, dass Therapeuten die Grenzen wahrnehmen und schätzen lernen, die ihre Klienten über ihre Mitteilungen implizit und explizit setzen. Dies kann Therapeuten in die Lage versetzen, gut mit Klientinnen zu arbeiten, auch wenn sie an sehr viele Grenzen stoßen und sehr viel Widerstand vorhanden ist. So können sie trotzdem ein freundliches, einladendes Arbeiten verwirklichen, unabhängig davon, welche „Angebote“ sie bekommen. Zusammenfassend kann die Beachtung der Eigensprache dazu verhelfen, weniger Energie zum Nachdenken und Urteilen zu verwenden, sondern mehr zum Zuhören und Nachfragen.


Du hast vorhin über den besonderen Schutzraum der Bilder gesprochen. Kannst du über diesen Schutzraum noch etwas sagen?


Es kommt häufig vor, dass Betroffene sich sehr schwer tun, konkret über Ereignisse, über traumatisches Erleben von Gefühlen, Körperempfindungen oder Symptome zu sprechen. Dann kann die Frage „Und wenn sie das in einem Bild beschreiben würden?“ oder „Und wenn Sie das beschreiben, ist es wie … was?“ sehr schnell auf eine Ebene führen, auf der es für beide Seiten durch den beobachtenden Abstand leichter wird, darüber zu sprechen. Oft kann auch etwas durch eine solche Metapher von innen nach außen kommen. Betroffene können dann z.B. auf ein Gefühl wie von außen draufschauen und dann können sie ihre Fähigkeiten zur Außenwahrnehmung nutzen, die meist besser ausgebildet sind als die Wahrnehmung des Innenraumes. Wenn etwas im eigenen Innenraum abläuft, hat man viel weniger tatsächliche Handhabe, weil man da nicht so leicht „eingreifen“ kann. Wenn man es wie ein Bild von außen betrachtet, kann man viel einfacher etwas damit machen, kann es aus verschiedenen Blickwinkeln anschauen oder es irgendwo hin verschieben. Man kann den eigenen Standpunkt verändern oder die Umgebung verändern. All das gilt insbesondere für die Arbeit mit inneren Persönlichkeitsanteilen, die auch Metaphern für die verschiedenen Aspekte einer Person sind. Für diese „inneren Kinder“ z.B. kann man im Dialog sehr einfach sichere Orte entwerfen, oder es kann mit den Klientinnen gemeinsam erkundet werden, was für besondere Fähigkeiten diese inneren Anteile haben. So kann man sie kennenlernen und auf schonende Art und Weise eine wertschätzende Verbindung zu diesen oft unbewussten Anteilen und unbewussten Inhalten herstellen.


Was kann eben durch diesen sicheren Abstand der Bilder und Metaphern passieren?


Kreativität kann entstehen aufseiten der Betroffenen. Diese kriegen eigene Ideen, was sie machen können damit. Sicherheit ist die Voraussetzung für das Entfalten dieser Kreativität. Außerdem enthalten diese kreativen Ideen eine Stimmigkeit für die Betroffenen, weil es ihre eigenen Bilder sind und damit haben diese auch eine große Nachhaltigkeit. Die Klientinnen erinnern diese Bilder oft über Jahre hinweg.


Welche Auswirkungen kann eine solche Haltung für einen selber als Therapeuten haben?


Es wirkt sich so aus, dass man einfach gerne und mit Leichtigkeit arbeitet und dass es immer wieder passiert, dass man „verzaubert“ wird; im positiven Sinne verwundert und erstaunt ist über das Zauberhafte, was Patientinnen und Patienten für sich entwickeln.


Es ist auch ein Erstaunen darüber, dass es im Inneren eines jeden Menschen eine Instanz gibt, die Heilung ermöglicht und steuert. Und dass das nichts ist, was ein Therapeut machen kann oder muss. Das finde ich sehr faszinierend. Im Grunde ist der Kern von dieser Haltung, gemeinsam mit den Klientinnen staunend auf das Leben zu schauen und mit dem zu sein, was ist. Dieses Nebeneinander und Miteinander verändert die Qualität der Beziehung entscheidend im Vergleich mit Haltungen, mit aus denen man auf die Klienten draufschaut oder versucht durch sie hindurchzuschauen.


Welchen guten Grund kann es dann geben, ein Buch darüber schreiben, wenn es doch darum geht, gerade ohne Konzepte einfach da zu sein und gemeinsam zu schauen?


Vielleicht ist gerade das Loslassen von Konzepten etwas, was unserem Verstand leichter fällt, wenn wir wissen, woran wir uns stattdessen halten können, z.B. an die Ideen der Klientinnen und ihre Eigenmächtigkeit und ihre Eigensprache. Daher möchte ich dieses Buch schreiben, damit es Therapeuten Halt gibt im Loslassen von ihren Konzepten und es ihnen erleichtert, den Konzepten und Wahrnehmungen der Klientinnen wieder mehr zu vertrauen. Und ich möchte sie ermutigen neben der Beziehung des Klienten zur Therapeutin die Beziehung des Klienten zu sich selbst wieder in den Vordergrund zu stellen. Dadurch können Klienten mit therapeutischer Unterstützung passgenaue Hilfen für sich selbst entwickeln, ohne abhängig zu werden von den Interventionen der Therapeuten. Die Verantwortung für den therapeutischen Prozess kann so geteilt werden. Hierdurch kann die Arbeit für Therapeutinnen leichter und für die Klientinnen effektiver werden.


Magst Du zu der Beziehung der Klienten zu sich selbst noch etwas sagen?


Ich habe oft den Eindruck, dass der Verstand der Patienten gegen etwas ankämpft, was in seinem natürlichen körperlichen Verteidigungssystem als Folge der Traumatisierung passiert. z.B. möchten Patientinnen verständlicherweise nicht, dass ihr Körper sie nachts nicht schlafen lässt. Da der Verstand der Patientinnen oft nicht weiß, dass das eine sinnvolle Reaktion sein kann, weil z.B. eine nächtliche Wachsamkeit überlebensnotwendig war, will er es nicht (wahr)haben und produziert sekundär nochmal mindestens so viel Stress, wie sowieso schon im Körper ist, dadurch, dass er eben diese instinktiven Schutzreflexe verurteilt oder sie sogar zu verhindern versucht. Es sollte in der Therapie immer versucht werden, diesen sekundären Stress sobald wie möglich zu reduzieren. Den ursprünglichen traumatisch bedingten Stress kann man dann auch später in der Therapie bearbeiten. Der Stress durch Gedanken wie „Ich bin verrückt.“, „Ich habe meinen Körper nicht unter Kontrolle.“ kann vermindert werden, indem man als Therapeut dem Verstand der Klientinnen Erklärungen anbietet, aus welchen guten Gründen ihr Körper so reagiert. Eine zweite sehr elegante Möglichkeit besteht darin, die Patientinnen selbst unter Nutzung ihrer Eigensprache diese Erklärungsmodelle entwickeln zu lassen, und dass ihnen dabei geholfen wird, Ideen zu entwerfen, wie ihr Verstand und ihr Körper auf eine konstruktive Art und Weise zusammenarbeiten können. Das Ziel ist es, eine innere Zustimmungsfähigkeit der Patientinnen zu sich selbst und zu dem was in ihnen geschieht, zu fördern. Manchmal kann man mit Klienten sogar noch einen Schritt weiter gehen und ihnen helfen, die eigenen unwillkürlichen Reaktionen sogar nutzen zu lernen. D.h. einige Traumafolgen als Überlebenskompetenzen wahrzunehmen, die in den Symptomen verborgen sind, und diese nun gesteuert und kontrolliert für sich selbst in der Therapie einsetzen zu lernen. Z.B. die bei traumatisierten Menschen häufig gut ausgebildete Fähigkeit zu Dissoziieren nun in Form einer gezielten therapeutischen Dissoziation im Rahmen einer Imagination anzuwenden.


Und wie ist es als Therapeut, sich so ungewöhnlich wenig wichtig zu nehmen, kannst du mir das einmal beschreiben?


Es ist eine deutliche Fokus-Veränderung: Ich denke weniger darüber nach, was ich verstehen muss und tun kann, sondern ich versuche mehr mit dem Sprachfluss und den Bildern der Klientinnen in Verbindung zu bleiben in dem ich in ihre Sichtweise und Wahrnehmung mit einzusteigen versuche, ohne im vornhinein zu wissen, wo das hinführt. Als Folge von diesem Eingelassen-sein und dieser Zieloffenheit können Patienten sich gehört und gewürdigt fühlen. Als Therapeut kann man miterleben, dass die Patienten selbst sehr viel entwickeln können, selbst Schritte entwerfen und auch gehen, die man nie hätte planen können. Diese Passgenauigkeit immer wieder zu erleben, dass Menschen das für sich selbst entwickeln, führt zu einem sehr großen Vertrauen. Das macht es viel leichter loszulassen, und die Haltung einzunehmen, im Heilungsprozess oder bei der Lösungsfindung nicht so wichtig zu sein. Ich kann ja nicht meine eigene Wichtigkeit loslassen, wenn ich sie für entscheidend halte.


Ich bekomme häufig den Auftrag und werde angesprochen als der Traumatherapeut, der jetzt etwas bearbeiten und wegmachen soll. Wie kann ich denn denken, ich mache das nicht, wenn ich nicht darauf vertraue und merke, dass es jemand anders, nämlich die Klientinnen selbst machen? Ein Nebeneffekt für diese ist eine starke Selbstermächtigung: Dass sie die Macht spüren, dass sie etwas können, dass sie etwas wissen und dass sie auch wieder Ziele entwickeln können.


Diese Passgenauigkeit, kannst du mir dazu noch etwas sagen?


Im Bild würde ich sagen, es greift da irgendwie etwas ineinander, wie zwei Hände, und zwar Verstand und Körper. Das es wirklich greift, dass es wirklich passt, dass Bilder andocken an etwas, das Ressourcen genau da wirken, wo sie wirken können, weil sie spezifisch sind, weil sie aus der Innenwelt des anderen stammen. Für mich bedeutet Passgenauigkeit, dass ich als Therapeut z.B. zum Thema „Stärke“ nicht sage „stellen sie sich ein Fels in der Brandung vor“, wenn für jemanden seine Stärke eher mit einem Baum, an den er sich lehnt oder dem Bild eines Bären verbunden ist, der ihm den Rücken stärkt. Mit der im Buch dargelegten Haltung und den methodischen Werkzeugen werden Therapeutinnen zu „Experten“ im Umgang mit dem Nichtwissen in Bezug auf die Klienten indem sie mit den daraus sich ergebenden öffnenden Fragen Geburtshelferinnen hochindividualisierter und passgenauer Lösungen sind.


Dieses Expertentum enthält Ideen, wie wir durch einfaches Nachfragen jemandem helfen können, auf seine individuelle Lösung zu kommen, ohne vorgefertigte Produkte anzubieten in Form von Übungen oder Formaten, wie das jetzt zu gehen hat. Es entwickeln sich im Prozess z.B. Ressourcen, bei denen ich staune, wo die auf einmal herkommen. Die habe ich als Therapeut nie in der Anamnese gehört, ich hatte keine Ahnung davon. Die hätte ich nicht aus dem Hut zaubern können.


Was kannst Du denn aus dem Hut zaubern?


Was ich aus meinem Hut zaubern kann, sind offene Fragen, einfache Fragen, konkrete Fragen und was ich aus dem Hut zaubern kann, ist eine wache Beobachtung und Wahrnehmung von Sprachbildern im Sprachfluss der Klientinnen und ein in Verbindung-bringen von diesen Sprachbildern mit dem was aus dem Erzähl-Prozess entsteht und was ich am Körper der Klientinnen beobachte. Ich kann mit meinem „offenen Hut“ behutsam auffangen, was mir die Klienten in ihrer Sprache sowie mit ihren Bildern und Körpersignalen anbieten, insbesondere dort, wo es in Richtung Stärkung, Ressourcen oder neue Erkenntnisse geht. Die Themen in der Traumatherapie sind oft sehr belastende Themen, aber gerade auch in diesen Gesprächen kann ich Entlastung fördern und Prozesse der Verarbeitung von Belastendem ermöglichen, wenn ich mit einem offenen Ohr, einem wachen Auge, und einem warmen Herzen dabei bin.


 




 


Nadja, wofür möchtest Du dieses Buch schreiben?


Ich möchte gerne den Leserinnen und Lesern etwas mitgeben von der Leichtigkeit, die in unserer Arbeit liegt, und von all dem, was es zu entdecken gibt. Denn es gibt Leichtigkeit, wenn ein Gespräch beschwingt und motiviert, weil etwas Neues entstehen konnte, beispielsweise eine Ressource, mit der man nicht gerechnet hat. Gleichzeitig ist es erstaunlich zu erleben, wie ein Gegenüber „schön“ wird, wenn man ganz zuhört und sich unvoreingenommen auf dessen eigene Welt einlässt, zuhört, was in dessen Welt Sinn ergibt, was hier wertvoll ist. Ich möchte dazu einladen, sich in einer Haltung zu versuchen, dass ausnahmslos jeder etwas Schönes hat, was sichtbar wird, sobald man sich dafür öffnet.


Gibt es noch etwas, was Dich bewegt dieses Buch zu schreiben?


Gleichzeitig möchte ich Mut machen und Interesse wecken für die Traumatherapie, weil ich jedes Mal von Neuem erlebe, wie das Leben für die Klientinnen danach leichter ist. Ich möchte gerne vermitteln, dass Traumatherapie durch die Techniken der Idiolektik ganz "leicht" werden kann im Sinne von gefühlter Leichtigkeit. Wenn wir davon ausgehen, dass Ressourcen, sowie eine innere Weisheit für eine „Lösung“ schon da ist, müssen diese nur gemeinsam gelüftet werden. Das heißt, durch unsere Arbeit werden Ressourcen sichtbar, während und obwohl man sich gerade mit dem Schlimmsten was die Klientin erlebt hat, beschäftigt. Ich möchte dazu einladen, den Klienten eigene Ressourcen und eine erfolgreiche Traumabearbeitung und -Lösung zuzutrauen.


Magst Du noch etwas zur Verbindung zwischen Idiolektik und Traumatherapie sagen?


Es geht nicht um eine neue Methode in der Traumatherapie, die hier beschrieben werden soll, sondern um eine Haltung, die die Arbeit sehr erleichtern kann und durch die man genau dieses „Schöne“ im Gegenüber sehen und es dadurch im besten Fall wecken kann. Es gibt viele verschiedene Methoden in der Traumatherapie und jede Klientin und jede traumatische Erinnerung spricht möglicherweise auf eine andere am besten an. Hier geht es darum, dass die von den Therapeutinnen bekannten, bewährten Methoden weiterverwendet, jedoch die Idiolektische Haltung und die Idiolektische Gesprächstechnik zusätzlich angewendet werden können. Die Idiolektik kann man als eine Art Haltung, als eine Art Lebenseinstellung sehen. Sie durchzieht die komplette therapeutische Arbeit und durch diese kann die Arbeit leichter werden: für die Patienten und für die Therapeuten. Mir geht es darum, sozusagen ein „Plus“ für die Traumatherapie zu vermitteln.


Wie sieht dieses Plus aus?


Zum Beispiel für die Therapeutinnen. Wie fühlt sie sich nach einem Arbeitstag, nach einer schwierigen Sitzung? Fühlt sie sich eher belastet oder geht sie erfüllt nach Hause? Geht man täglich in die Praxis oder in die Klinik mit einer positiven Haltung gegenüber den Klientinnen und einer Neugierde für das, was sie zu bieten haben, schafft man sich dadurch ein gesünderes Arbeitsumfeld. Ich persönlich spüre Begeisterung für meine Arbeit zusammen mit einem großen Interesse, Respekt und Wertschätzung für jede einzelne Klientin und ihren Lebensweg. Die idiolektische Haltung verhilft mir genau zu dieser Einstellung und dazu, dass ich mich nach einem Arbeitstag gut oder auch entspannt fühle, weil es etwas Positives beim Gegenüber zu entdecken gab, Ressourcen, innere Weisheit und "Sinnhaftigkeit" der Probleme und Symptome.


Hast du eine Idee, wie dieses positive Bild von den Menschen entstanden ist das Du gerne einfließen lassen würdest?


Die idiolektische Haltung hat sicher ihren Teil dazu beigetragen, die wiederum den Respekt vor meinem Gegenüber und dessen Lebenssituation geprägt hat. Dadurch entsteht dann von selbst das offene Interesse für diesen Menschen, für seine „guten Gründe“, für alles, was in seiner Welt sinnvoll ist. Von diesem Ausgangspunkt her fällt es auch leicht, nicht zu pathologisieren, abzustempeln oder nach Fehlern und Unzulänglichkeiten zu suchen. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Symptome vor dem Hintergrund der Lebensgeschichte einen Sinn ergeben, und dass man daher darin sogar Ressourcen entdecken kann, weil sie dem Menschen in schwierigen Situationen geholfen haben oder helfen. Es ist ein ganz besonderer Moment in der Therapie, wenn so etwas "entdeckt" wird. Um diese Gründe herauszufinden, nehme ich die idiolektische offene, fragende Haltung ein und entdecke dadurch so viel mehr als wäre ich in irgendeiner Art voreingenommen. Dadurch wird der Klient spannend, interessant, vielschichtig und kompetent. Man spürt förmlich die Einzigartigkeit und das "Gesunde“ im Gegenüber.


Wie passiert das?


So wie Du es gerade beschrieben hast, durch das sich verzaubern lassen, oder, wie ich es nennen würde: ich gebe etwas Neuem den Raum zu entstehen, ganz aus dem Gegenüber heraus ohne mein Zutun oder Schieben oder meine Ratschläge. Durch das positive Menschenbild anerkenne ich die Lösungsversuche des Gegenübers als dessen Stärken und vertraue auf diese. Ich bin offen und stelle sozusagen den Raum für den Prozess. Die Klientin ist die Expertin für ihre Symptome, für die Umstände und auch die Lösungen in ihrem Leben.


Wie würdest du das beschreiben, was da entsteht?


Manchmal entsteht ein Aha-Erlebnis, manchmal eine Metapher, in der die Lösung eines Problems steckt. Da muss ich an ein fünfminütiges Gespräch denken, was wir Autoren im Rahmen einer Seminaraufgabe vor vielen Jahren miteinander geführt hatten. Es sollte über ein "einfaches Thema" gehen. Also schlug ich vor, über ein Erlebnis mit einem Pferd zu sprechen, dem ich nicht viel Wichtigkeit beimaß. Die einfachen offenen Fragen brachten mich sehr schnell über angenehme Erinnerungen zu tiefen Gefühlen und schließlich zu einem tiefen Verständnis über mich selbst. Mir war diese Ressource bis zu diesem Moment gar nicht bewusst gewesen und ich fühlte mich beschenkt und reich durch dieses Gespräch, das diesen "Schatz" sozusagen "gelüftet" hatte. Es war etwas Neues entstanden. In idiolektischen Gesprächen können durch das achtsame Zuhören neue Horizonte entdeckt werden. Es kann auch passieren, dass der Horizont der Klientin sich weitet, ohne dass der Therapeut mitbekommt, was die Klientin in diesem Moment innerlich erlebt und sieht. Der Therapeut sieht vielleicht in den Augen, dass das Gegenüber berührt ist, aber das eigentliche Aha-Erlebnis muss er gar nicht nachvollziehen können.


Oft habe ich auch das Gefühl, dass es nach der Traumatherapie im Raum leichter ist zu sein, als ob Energie freigeworden wäre, die vorher blockiert war. Es ist sehr beeindruckend, wenn traumatische Erinnerungen aufgelöst werden und plötzlich diese Erleichterung in der Luft liegt.


Was passiert dann, wenn diese Energie frei wird?


Es ist so, dass die schreckliche Erinnerung vorher ja immer da war, egal wie man versuchte, sie wegzudrücken oder wieviel Energie man dafür aufwand, sie zu kontrollieren. Genauso wie es kaum möglich ist, sich etwas vorzustellen, an was man NICHT denken will, kostet es viel Energie, nicht an schreckliche Erinnerungen zu denken. Nach einer Traumatherapie ist es dann als wurde eine Schleuse geöffnet, für deren Aufrechterhaltung vorher viel Kraft aufgewendet worden war. Wenn das alles nicht mehr sein muss, ist viel Energie übrig. Man hat sozusagen die Hände wieder frei und es können Lebensmut und Lebensfreude zurückkommen. Es kann auch sein, dass auf einmal Kreativität entsteht. Erfolgreiche Traumatherapie bedeutet ja, dass man aus dem Über-lebensmodus herauskommt und wieder anfängt zu leben. Aus diesem Grund will ich das Buch schreiben: ich bin davon überzeugt, dass es sich lohnt, die Traumata und die traumatischen Erinnerungen anzugucken, weil, wenn man es nicht tut, die meisten Ressourcen der Person damit verbraucht werden, diese Traumata irgendwie kleinzuhalten, sie auszuhalten oder durch deren psychische Folgen ein anstrengendes, eingeschränktes Leben zu führen. Andersrum, wenn man die Traumata angeht, kann es nur besser werden.


Warum mit Idiolektik?


Es lohnt sich so, neben dem Klienten zu stehen mit der Haltung, ich bin da und ich nehme mir die Zeit und ich habe auch den Mut und das Durchhaltevermögen es mit Dir zusammen anzugehen und durchzustehen. Ich biete diese sichere Unterstützung, aber ich werte nicht, kritisiere nicht, stelle nicht in Frage. Das heißt, ich biete die Präsenz und die Resonanz mit minimaler Intention und Intervention. Dieser Mut gepaart mit der idiolektischen Gelassenheit wirken ansteckend. Sie vermitteln ein Gefühl von Sicherheit. Meine Erfahrung ist, dass in wahrgenommener Sicherheit die Fähigkeit liegt, für sich selbst Lösungen zu finden, sozusagen die Ärmel hochzukrempeln und Dinge anzugehen. Wenn man sich sicher fühlt, traut man sich nicht nur eher "in die Welt hinaus", sondern es fällt auch leichter den eigenen Drachen gegenüberzutreten. Für viele Menschen ist es neu, dass ihren Bildern zugehört wird und sie als Experten für ihre Lösungen gesehen werden. Wenn wir mit dem idiolektischen Handwerkszeug zuhören und Resonanz anbieten, validieren wir die Gefühle der Patientinnen, diese fühlen sich gesehen und erleben etwas, was sie unter Umständen noch nie erlebt haben. Es entsteht ein Gefühl von Kontrolle und von Selbstwirksamkeit. Wer schon mal ein idiolektischen Gespräch "bekommen hat", kann bestätigen, dass es sich hierbei um ein Geschenk handelt. Ich erlebe immer wieder, dass Klienten zu sich, zu ihrer Kraft, zu ihren Ressourcen und dadurch dann auch zu ihrem Selbstwert kommen, während wir Therapeuten etwas essenzielles bedienen: ein wichtiges Bedürfnis, dass jedem Menschen eigen ist, und das durch ein Trauma oft gestört wurde: positive Präsenz und positive Bindungserlebnisse.


Wie passiert das?


Durch die Idiolektik können Bilder auf eine sanfte Art hochkommen, auf der sie greifbarer und Lösungsorientierter sind. Die geschieht durch die Bildebene sowie durch die Ressourcenorientierung. Auf diese Art ist das Schreckliche nicht so allumfassend. Es wird sozusagen erst das Netz außen rum gestärkt, bevor das Loch angeschaut wird, oder man schaut das Loch aus einer anderen Perspektive an aus der man handlungsfähig bleibt, weil man den Kontext verändert. Wenn man aus der Ruhe heraus und mit einer positiven emotionalen Beteiligung an einer Lösung arbeitet, kann man um einiges produktiver arbeiten. Etwas das noch passiert, und mir sehr wichtig erscheint ist, dass wenn man mit einem Bild oder einer Metapher "arbeitet" und auf dieser Ebene eine Lösung findet, man dieses Bild ganz einfach "mitnehmen" und später wieder hochholen kann.


Wofür könnte das wichtig sein, dass Leser diese Punkte, die Du genannt hast mit dem Mut Traumata anzugucken und dieser freigesetzten Energie vermittelt bekommen?


Wie vorher schon erwähnt, habe ich oft den Eindruck, dass Energie frei wird, wenn ein traumatisches Erlebnis verarbeitet wurde. Das ist ein bewegender Moment in der Therapie. Menschen haben so viele Potentiale und durch Traumatherapie können diese Potentiale mehr gelebt werden. Was für ein Geschenk, wenn man als Therapeutin so etwas begleiten kann. Wenn es dem Gegenüber gelingt, sich von einer Last zu befreien und wichtige Lebenszeit auf einmal nicht mehr damit verbracht werden muss, Erinnerungen zu deckeln oder aus der Erinnerung heraus zu leben.
Traumatherapie hat in meinen Augen dabei noch viel mehr Potential als nur Traumata zu heilen, die den Kriterien nach einer Traumadiagnose entsprechen: Vieles wirkte einengend auf Menschen von unangenehmen Erlebnissen bis hin zu Erziehung, und hinderte an der Entwicklung, an einem wirklich freien Leben. Ein "Schatten" muss demnach nicht den Kriterien nach einem Trauma entsprechen und kann dennoch das Leben negativ beeinflussen. Die Möglichkeiten, die in diesem Buch beschrieben werden, sollen vielen Menschen helfen ein "freieres" Leben zu leben.
Mir kommt es manchmal so vor, als ob jeder Mensch einen ganzen Blumenstrauß an Potentialen habe, von denen aber einige oder sogar ein großer Teil nie zum Blühen kam. Mein Ziel ist es, dass durch dieses Buch etwas der Begeisterung überschwappen kann, mit den Klienten gemeinsam daran zu arbeiten, dass mehr dieser Blumen zum Blühen kommen.