Eigensprache und Resonanz in Gruppenprozessen

Was sind Eigensprache und Schlüsselwörter?


Eigensprache ist die ganz individuelle Art sich nonverbal und verbal mitzuteilen. Schlüsselwörter sind ein bedeutsamer kondensierter Ausdruck dieser Eigensprache. Sie klingen aus dem gesprochenen Text heraus und lösen beim Zuhörenden eine Resonanz aus. Das gesprochen Wort wird also erst durch die Resonanz zum Schlüsselwort. Werden in einer achtsamen, wohlwollenden und zieloffenen inneren Haltung Schlüsselwörter aufgegriffen und öffnend nach ihnen gefragt, so kann sich dem Sprechenden seine innere Welt erschließen. Er oder sie kommt zu Wort, fühlt sich gehört und findet neue Perspektiven.


Wie können wir Resonanz in Gruppen verstehen?


Gruppenprozesse können wir positiv gestalten, wenn wir Eigensprache und Resonanz als zentrale Orientierungspunkte angemessen berücksichtigen. Das oben beschrieben Vorgehen im Einzelgespräch lässt sich auf die Gruppe übertragen. Nicht nur der Raum zwischen zwei Gesprächspartnern sondern die ganze Gruppe wird zum Resonanzraum. Die Gruppe verstärkt die Resonanz. Deshalb ist es wichtig – wie in anderen Gruppenansätzen auch – zunächst Störungen zu beachten, aufzugreifen und prompt auf sie einzugehen. Ein an der Eigensprache orientiertes Einzelgespräch, das in einer Gruppe geführt und von den Gruppenteilnehmern gewürdigt wird, ist für viele Menschen eine wohltuende tiefgreifende Erfahrung. Dabei ist es hilfreich, wenn die Person die volle Kontrolle darüber erhält, was sie erzählen möchte und was nicht. Allein schon dieses Phänomen des Respektes vor den individuellen Grenzen führt bei den Gruppenmitgliedern unabhängig vom Inhalt zu einem Erleben von Würdigung. Dies wiederum verstärkt positive Resonanz, führt zu Vertrauen in die Gruppe und fördert Prozessbereitschaft. In der Physik wird hier von Resonanzfrequenz gesprochen und davon, dass durch Hinzufügen von Schwingungsenergie die Amplitude ansteigen kann.


An dieser Stelle ist ergänzend auf die Gefahr zu starker Resonanz hinzuweisen. Die 1940 gebaute Hängebrücke in Tacoma in den USA stürzte ein, weil der Wind offenbar die Resonanzfrequenz der Brücke traf und so immer mehr Schwingungsenergie zuführte. Die Amplitude der Resonanz schaukelte sich auf bis zur sogenannten „Resonanzkatastrophe“. Übertragen auf ein Gruppengeschehen kann auch die Eigenschwingung in einer Gruppe immer weiter zunehmen. Es muss nicht gerade zu einer Katastrophe führen, kann aber von den Gruppenmitgliedern als unangenehm, angstauslösend oder als Kontrollverlust erlebt werden. Es ist die Aufgabe des Gruppenleiters/der Gruppenleiterin dieses Phänomen zu beachten und gegebenenfalls gegenzusteuern. Dafür gibt es eine ganze Reihe von Interventionen. Zum Beispiel kann er/sie reflexive Kommentare einflechten, verschiedene Perspektiven aufzeigen oder den aktuellen Gruppenkontext verdeutlichen.


Die diesjährige 35. Jahrestagung der Gesellschaft für Idiolektik und Gesprächsführung widmet sich dem Thema „Eigensprache in Gruppenprozessen“. Erstmalig wird an einer Jahrestagung das Augenmerk ganz auf das Gruppengeschehen gelenkt. Resonanz in Gruppen kann erfahren und reflektiert werden. Die Tagung ist am 21.-23. Mai 2020 geplant. Aufgrund der Bestimmungen im Zusammenhang mit der Coronapandemie ist noch unsicher, ob die Teilnehmer leibhaftig teilnehmen können. In jedem Fall wird die Veranstaltung stattfinden – möglicherweise in einem Online-Format. Damit stellt sich die Frage:


Wie kann Resonanz in virtuellen Welten stattfinden?


Ich selbst führe derzeit neben zahlreichen Videokonferenzen auch einzelne Onlinetherapien im Videoformat durch. Dabei bekomme ich den Eindruck, dass Resonanz über Videokontakt eingeschränkt möglich ist. Es fällt deutlich leichter, wenn eine gewachsene, durch leibhaftige Kontakte entstandene Beziehung bereits vorhanden ist. So scheint es möglich, über visuelle und akustische Eindrücke an frühere Resonanzerfahrungen anzuknüpfen. Eine leiblich affektive Kommunikation nährt sich dann aus unseren Vorerfahrungen mit diesem Gesprächspartner. Die präsente körperliche Wahrnehmung der Körpersignale meines Gegenübers ist allerdings über Videotelefonie eingeschränkt. Welche Auswirkungen hat das virtuelle Format auf das Gruppengeschehen? Diese Frage kann erst mit mehr Erfahrung beantwortet werden. Es wird wichtig sein, Methoden und didaktische Formate zu entwickeln, die der beschriebenen Einschränkung Rechnung tragen und sie etwas auszugleichen vermögen. Erste Erfahrungen zeigen, dass Idiolektik-Webinare auch über einen Zeitraum von 2 bis 3 Tagen möglich sind und von den Teilnehmenden entgegen ihrer Erwartung geschätzt werden. Die Auswertung der Rückmeldungen ergab unter anderem Folgendes:


• Die Methoden der Vermittlung sollten noch abwechslungsreicher sein als in einem Präsenzseminar.


• Eine flexible Pausenregelung und Körperübungen können zu Auflockerung der digitalen Ansprache beitragen.


• Die Methode der videobasierten Gesprächsanalyse und deren fundierter Reflexion in der Gruppe kann besonders gut genutzt werden.


In jedem Fall scheint eine „Online-Variante“ auch für die respektvolle und feinsinnige Gesprächsführung der Idiolektik eine gute Ergänzung zu sein.


In Zukunft werden nicht nur in Idiolektikseminaren sondern im ganzen Bildungssektor digitale Medien an Bedeutung gewinnen. Das leibhaftige Gespräch und die reale Begegnung werden sie zwar nicht ersetzen aber gut ergänzen können.