Die Neubildung der Unternehmerfamilie – oder: Die Professionalisierung des Erwartungsmanagements in Familien von Familienunternehmen

Der zweite Schritt der WIFU-Familienstrategieentwicklung


Mit dem zweiten Schritt der WIFU-Familienstrategieentwicklung wird eine vermeintliche Selbstverständlichkeit ihrer Selbstverständlichkeit beraubt. Mit der hier relevanten Frage, wie die an der Familienstrategieentwicklung beteiligten Personen Familie und Unternehmerfamilie definieren, wird eine Unterscheidung thematisiert, die in der jeweiligen Unternehmerfamilie möglicherweise bereits implizit beantwortet, aber nicht explizit thematisiert wurde. Wir können nämlich von einer Differenzierung der Familie des Familienunternehmens und der Unternehmerfamilie ausgehen.


Während das klassische Dreikreismodell die Familie in Verkoppelung mit dem Eigentum und dem Unternehmen visualisiert und damit die grundlegende Besonderheit von Familienunternehmen deutlich macht (siehe das linke Kreismodell auf dem Coverbild des Beitrags), können wir die Unternehmerfamilie als einen Lösungsversuch der mit der Verkopplung der drei unterschiedlichen Systeme entstehenden Probleme betrachten. 


Durch die Verkopplung der drei unterschiedlichen Systeme Familie, Eigentum und Unternehmen entstehen zahlreiche Probleme, die sich zumeist als ambivalente, paradoxe, widersprüchliche oder dilemmatische Erwartungen an die relevanten Personen zeigen. Insbesondere Familienmitglieder, die zugleich Gesellschafter/innen sind oder (noch) werden und vielleicht zudem operativ im Unternehmen tätig sind oder dies werden könnten, sind von Rollen- und Erwartungskonflikten betroffen, die sie selbst und andere verwirren können. Denn die Ausfüllung der unterschiedlichen Rollen und die Realisierung der entsprechenden Erwartungen können mit Verhaltensweisen einhergehen, die sich widersprechen und damit auf einer anderen Ebene bzw. einem anderen System vermittelt werden müssen. Außerdem könnten die Mitglieder der nachfolgenden Generation noch ihre ganz eigenen Wünsche für ihre individuelle Lebensführung im Widerspruch empfinden zu den Erwartungen ihrer Gesellschafter- bzw. Unternehmereltern sowie der anderen Mitglieder des Gesellschafterkreises wie der Führung des Unternehmens.


Um diese Fragen in professioneller Weise zu adressieren, zu besprechen und bestenfalls passend zu beantworten, entsteht ein eigener Kreis relevanter Personen, nämlich die Unternehmerfamilie, die zum einen die Familienmitgliedschaft voraussetzt und zum anderen weitere Mitgliedschaftskriterien einbezieht.


Eine Mindestvoraussetzung, um zur Unternehmerfamilie zu gehören, könnte neben der Familienmitgliedschaft der erfolgte oder bevorstehende Eintritt in die Gesellschafterrolle sein. Wie auch immer, diese Kriterien sind von der jeweiligen Familie vor dem Hintergrund der eigenen Historie und den angedachten Problemlösungsperspektiven selbst zu definieren. Genau dies erfolgt in diesem Schritt der Familienstrategieentwicklung. Damit bildet sich die Unternehmerfamilie als eigenes bzw. separates soziales System im Unterschied zur Familie des Familienunternehmens. In systemtheoretischer Diktion könnten wir hier von einer systemischen bzw. emergenten Neubildung sprechen und dies auch so visualisieren (siehe das rechte, erweiterte Kreismodell auf dem Coverbild).


Mit der Systemtheorie lässt sich diese Systembildung funktionalanalytisch verstehen. Diesbezüglich gehen wir davon aus, dass sich neue Systeme dann bilden bzw. dann gebildet werden sollten, wenn Probleme auftreten, die von den bereits bestehenden Systemen nicht befriedigt gelöst werden können. So entsteht in Familien von Familienunternehmen das Bedürfnis nach einer Familienstrategieentwicklung oft erst dann, wenn die personelle Komplexität wächst, wenn also mehrere Personen anfangen, sich um die weitere Existenz des Familienunternehmens zu kümmern oder von diesen diese Verantwortungsübernahme erwartet wird.


Dies geschieht etwa durch die in wachsenden Familienunternehmen sich immer häufiger einstellende Tendenz der egalitären Vererbung, so dass also an alle familiären Nachkommen Gesellschafteranteile weitergegeben werden. Die damit zunehmende personelle Komplexität kann nicht mehr dem informalen Selbstlauf überlassen werden, sondern bedarf der formalen Organisation. Ein Ergebnis davon ist die Herausbildung der Unternehmerfamilie als separates soziales System in Differenz zur Familie des Familienunternehmens.*


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* Vgl. ausführlich dazu bereits Heiko Kleve (2021): Die Unternehmerfamilie als soziales System. Zur funktionalen Ausdifferenzierung einer besonderen Sozialform, in: EQUA-Stiftung (Hrsg.): Unternehmerfamilien. Eigentum verpflichtet. München: Unternehmer Medien GmbH, 2021, S. 14-36.