Frauen führen besser - Aus einem Gespräch mit Fritz B. Simon

Ohler "Frauen führen besser" ist ja ein Vergleichsangebot. Was, würdest du sagen, qualifiziert Frauen ganz besonders für Führung? Auch aus einer systemtheoretischen Sichtweise, falls das damit etwas zu tun hat.


Simon Wenn ich das vergleiche, dann heißt es ja erst mal, sie führen anders als Männer. Und dass Frauen so wenig an Top-Positionen kommen – auch wenn ich deine Frage jetzt nicht direkt beantworte, aber ich komme darauf zurück – hat weniger damit zu tun, dass die Männer so böse zu ihnen sind. Das glaube ich nicht wirklich, dass das der Grund ist. Aber du hast ja nach der systemtheoretischen Erklärung gefragt, und die liegt in den Selektionsverfahren für Karrieren, vor allem in Unternehmen. In Unternehmen macht man ja Karriere nicht aufgrund einer Abstimmung der Basis. Wen hättet ihr gerne als Chef? Was nebenbei gesagt auch meistens in die Hose geht. Sondern man wird gewählt für einen bestimmten Posten, und das tun meist Leute auf einer höheren Hierarchieebene. Und wenn wir an die Spitze gehen: In Vorständen sitzen fast nur Männer, und die sind ausgewählt worden von Aufsichtsräten, die vorher selbst mal Vorstände waren. Und wenn es jemand so weit gebracht hat, zum Vorstand oder zum Aufsichtsrat, dann hat ihn sein Lebensweg davon überzeugt, dass er gut ist. Unabhängig von irgendwelchen Inhalten. Nach dem Motto: Die Tatsache meines Erfolges beweist, dass ich ihn verdient habe. Also folgern sie aus der Tatsache, dass Sie Erfolg hatten, dass das, was sie machen, gut ist und dann der Qualitätsstandard ist. Also suchen sie sich Leute, die es genauso machen wie sie, die sie dann fördern und befördern. So kommt es, dass ein bestimmter Stil von Management irgendwie zum Maßstab wird. Und auf diese Art und Weise kommt es, dass eben Frauen, die anders führen, nicht befördert werden oder aber, wenn sie befördert werden, so tun müssen, als ob sie Männer wären. Das fängt damit an, dass sie einen Hosenanzug tragen, einen dunkelblauen möglichst. Man sieht in Vorständen, glaub ich, relativ wenige Frauen mit Blumenkleidern. Also das heißt, sie passen sich den Männern und deren Standards an. Und wenn sie dann versuchen, wie Männer zu handeln, dann kriegen sie es häufig doch nicht ganz so gut hin. Denn sie sind keine Männer, sondern sie können eben etwas anderes sehr viel besser. In der New York Times wurde neulich eine Studie zitiert. Dort wurde untersucht, wer eigentlich die besseren Investoren sind, also wer mehr Rendite erwirtschaftet, Männer oder Frauen. Und es ist herausgekommen, Frauen erwirtschaften eine bessere Rendite als Männer. In der New York Times hatten sie dazu eine biologistische These, dass das was mit Testosteron zu tun hat und zu viel Testosteron die Urteilsfähigkeit beeinträchtigt. Mag sein, dass das stimmt. Ja, ich will es nicht ausschließen. Vielleicht liegt es aber auch nur daran, dass Männer – und womöglich hat das auch was mit Testosteron zu tun, aber es würde wahrscheinlich auch reichen, wenn man auf die Sozialisationsprinzipien schaut – dass Männer eher so auf Kampf gebürstet sind, auf Konkurrenz und Sichdurchsetzen, Ellenbogen und und und. Und das ist ja auch gut, wenn man in einer Situation ist, wo gekämpft werden muss. Es werden ja die Männer im Krieg verheizt, weil sie offenbar daran zumindest nicht so viel Zweifel haben wie Frauen, die sagen "Na, ob das wirklich nötig ist? Ich guck lieber, dass es meinen Kindern gut geht", statt den Ehrgeiz zu entwickeln, auf Kriegerdenkmälern verewigt zu werden. Also das heißt, Frauen gucken anders in die Welt –ob nun biologisch bedingt oder sozialisationsbedingt, das ist auch vollkommen wurscht. Sie gucken eher auf die soziale Dimension, auf die Beziehungsebene, und nicht so sehr auf die Sachebene. Die Idee, dass es bei Management und bei Führungsfragen in erster Linie um Sachfragen geht, ist idiotisch. Doppeltes Ausrufezeichen: ist idiotisch!! Es geht auch um Sachfragen. Aber in der Führung geht es immer darum, ein soziales System zu beeinflussen. Nicht einzelne Leute, sondern ein Kommunikationssystem. Das heißt, man muss schauen, welche Funktionen Führung hat. Eine der Funktionen, die Führung hat, ist zum Beispiel einen Fokus der Aufmerksamkeit zu setzen, weil nur die Fokussierung der Aufmerksamkeit es ermöglicht, eine Vielzahl von eigentlich autonom entscheidenden Leuten in ihrem Handeln zu koordinieren. Also die Frage ist: Was ist jetzt hier wichtig? Worum geht es in dieser Entscheidung? Welches ist das Weltbild, das wir womöglich teilen, oder im Idealfall teilen? Was ist ein gemeinsames Bild der Zukunft, an dem wir uns orientieren? Weil wir hier und heute entscheiden müssen, was sich aber erst in der Zukunft als richtig oder falsch erweisen wird. Also all das sind soziale Fragen, die Kommunikation betreffen. Und Männer, auch wenn sie sachlich toll sind und womöglich den Nobelpreis für Ingenieurwissenschaften bekämen – ich weiß, den gibt es nicht, aber wenn sie ihn bekämen – heißt das überhaupt nicht, dass sie das auf die Straße bringen würden. Die Organisation. Dass sie Leute dazu bringen würden, in dieselbe Richtung zu denken oder sich auch zu begeistern für irgendeine Sache. Und Frauen können das viel besser. Die Tragik von Frauen, die das alle können, ist, dass in den Organisationen die Selektionsprinzipien dafür sorgen, dass das ihnen übelgenommen wird. Also nach dem Motto: Wenn man diese Qualitäten hat – das, was neuerdings emotionale Intelligenz genannt wird, was schon ein großer Fortschritt ist, aber eigentlich geht es um soziale Intelligenz; das hat natürlich viel mit Emotionen zu tun; diese soziale Intelligenz wird als Schwachpunkt angesehen –, dann wird man aus der Bahn gekegelt. Man kommt gar nicht erst in die Chance. Das zu ändern, geht eigentlich nur über eine Quotenregelung. Erst wenn eine Quotenregelung da ist, dass auf jeden Fall so und so viel Prozent der Leitungsposten von Frauen besetzt werden, haben die die Chance zu zeigen, dass ihr Führungsstil zu ganz anderen und womöglich auch viel besseren Ergebnissen führt als dieses Rumgeholze der Männer. Ich bin in einem Haushalt aufgewachsen, wo mein Vater in einem Vorstand eines großen Unternehmens war. Der ist abends nach Hause gekommen und hat dann oft gesagt: "Heute haben wir wieder die Hälfte der Zeit gegenseitig an unseren Stühlen gesägt." Das ist nicht funktionell. Er hatte zumindest die Einsicht zu sehen, dass das nicht funktionell ist. Natürlich hat er auch mitgesägt, aber wahrscheinlich hat er erst mal versucht, seinen Stuhl zu schützen. Aber wie gesagt, unabhängig von meinen persönlichen Erfahrungen, ich glaube, dahinter steckt ein allgemeines Prinzip.


Ohler Du hast die Quotenregelung angesprochen. Wenn ich es richtig verstehe, plädierst du dabei für einen formalen Akt, der die Wahrscheinlichkeit größer macht, dass ein anderer Unterschied wahrgenommen werden kann.


Simon Ja, genau. Wenn als eine Regel eingeführt wird, dass 30 Prozent aller Aufsichtsräte Frauen sein müssen, dann findet man nicht genügend Frauen, die wie Männer agieren. Dass im Moment nicht 30 Prozent mit Frauen besetzt sind, ist für mich der Beleg dafür, dass man nicht 30 Prozent von Frauen findet, die so agieren wie Männer. Warum steigen sehr intelligente und kompetente Frauen aus ihren Karrieren aus? Warum machen sie das? Die machen das, weil sie sich zum Teil selber verleugnen müssten, wenn sie das Spiel weiter spielen. Zum zweiten natürlich, weil ihnen genügend Steine in den Weg gelegt werden. Und natürlich auch, weil sie sehen, dass es andere Dinge gibt, wo sie ihre Kompetenzen anwenden können und auch womöglich sehr viel sinnvoller anwenden können. Wenn man sich entscheiden muss zwischen Familie und Organisation, dann ist es irrational, sich für die Organisation zu entscheiden, weil man in der Familie Beziehungen hat, in denen man nicht austauschbar ist. Als Mann vielleicht schon, umgekehrt ja auch. Aber In der Beziehung zu eigenen Kindern nicht. Aber Organisationen beruhen darauf, dass jeder austauschbar ist, und sein Leben oder sich selber zu identifizieren mit einem sozialen System, dessen Überlebensprinzip darauf beruht, dass man selber austauschbar ist, ist nicht wirklich rational. Also insofern ist es sehr rational, sich gegen eine organisationale Karriere zu entscheiden. Also muss man nicht nur eine Quotenregelung einführen, sondern man muss dafür sorgen, dass Frauen dieselbe Chance haben wie Männer, beides zu haben, Karriere und Familie. Die Männer haben es einfach. Sie haben eine Frau, die sorgt für die Familie, dann kommen sie nach Hause, dort können sie sich nicht austauschbar fühlen in der Beziehung zu ihren lieben Kleinen. Und am nächsten Morgen müssen sie wieder ums Überleben kämpfen, weil sie den harten Konkurrenzkampf mit den Kollegen haben – mit denen sie eigentlich kooperieren sollten! Weil es natürlich auch Blödsinn ist, mit denen zu kämpfen, statt mit ihnen zu kooperieren. Aber da müssen wir noch mal generell über Führungsprinzipien reden ...


Ohler Wir sind jetzt gerade bei dem Thema: bestimmte Rollen, bestimmte Funktionen in bestimmten Systemtypen, will ich mal sagen. Ute Clement hat das Thema ja auch eingebracht. Familienstrukturen, respektive das Bild davon, was Familienleben bedeutet, in Konkurrenz – unter Umständen – zu einem beruflichen Leben. Da scheint es aber auch so zu sein, dass das nicht für alle Gesellschaften gilt. Wie meinst du das, dass es Chancen geben sollte? Was unter dem Label läuft: Vereinbarung von Familie und Beruf?


Simon Na ja, ich habe es ja eben schon kurz angedeutet. Männer können acht Stunden am Tag Karriere machen, oder auch zwölf, und haben gleichzeitig Familie. Sie haben diese Vereinbarung von Familie und Beruf schon. Für Männer gibt es die ja schon, für Frauen nicht. Schon deswegen, weil einfach traditionell die Fürsorge für die Familie bei den Frauen liegt. Und Männer, die ein Jahr babyfrei nehmen, werden scheel angeguckt, obwohl sich das, Gott sei Dank muss man sagen, zunehmend auch durchsetzt. Ich glaube, es hat etwas mit der zeitlichen Organisation zu tun. Ich persönlich glaube sowieso, dass kein Mensch länger als sechs Stunden am Tag sinnvoll arbeiten kann, auch wenn einer zwölf Stunden da ist. Seine Entscheidungen werden ja nicht besser, und die Produktivität auch nicht. Also man muss andere Zeitrhythmen in unsere Organisationen hineinbringen. Und wenn man sagen würde, die reguläre Arbeitszeit ist fünf Stunden, oder meinetwegen auch sechs, maximal, dann spart man schon ein paar Pausen usw. Dann kann man den Tag anders organisieren, und dann könnten auch Paare ihr Leben anders organisieren. Und dann kann man auch die Kinderbetreuung anders organisieren. Und natürlich braucht man auch Institutionen, die dafür sorgen, dass man nicht vor der Frage steht: Gehe ich arbeiten oder kümmere ich mich um mein Kind?


Ohler Schauen wir mal auf aktuelle Krisen. Es gibt ja nicht nur aktuell Krisen, es hat immer welche gegeben. Aber es wird an der einen oder anderen Stelle gesagt, und ich meine, du hättest das auch mal verlautbart: Wenn man sich staatliche Organisationen anguckt, an deren Spitze Frauen sind, haben die sich im Grunde genommen in den letzten zwei Jahren intelligenter verhalten. Vielleicht die besseren Entscheidungen getroffen. Kann man das so bestätigen?


Simon Also ich glaube, dass ist lediglich die Bestätigung meiner These. Gerade in Krisen geht es ja eben nicht nur um Sachfragen, sondern da werden Entscheidungen ja immer unter Unsicherheit getroffen. Man weiß in einer Krise nicht wirklich, was die richtige Entscheidung ist, sonst könnte man die ja berechnen lassen von irgendeinem Computer. Also muss man in die Verantwortung gehen. Und wenn man eine Entscheidung trifft, die viele Leute betrifft, zum Beispiel als Politiker oder Politikerin, dann wird man die Leute nicht nur mitnehmen müssen, sondern man muss sie erst mal mitdenken, und man muss ihre Reaktionen mit einkalkulieren. Und man muss schauen: Welche Konsequenzen hat das für wen? Und da eine Sensibilität zu entwickeln, das ist allemal bei Männern doch ein bisschen eingeschränkt, gerade weil man ihnen auch immer beigebracht hat, dass man möglichst rational sein muss. Wobei die Rationalitätsvorstellung dabei vollkommen idiotisch ist, nämlich indem man Rationalität und logisches Denken miteinander verwechselt. Nicht, dass Irrationalität oder unlogisches Denken rational wäre. Aber Rationalität heißt, wenn man es wörtlich übersetzt, Verhältnismäßigkeit,. Man muss schauen: Was ist für die aktuellen Verhältnisse das Angemessene für Verhaltenserwartungen an Leute, mit denen man arbeitet und für die man Verantwortung trägt. Und da sind – so ist mein Eindruck, es ist schwer, das empirisch durch Studien zu belegen – da sind Frauen, aus meiner Sicht, sehr viel kompetenter als Männer, weil Männer manchmal einfach ziemlich bekloppt sind, mich eingeschlossen.


Ohler So eine allgemeine Aussage muss man ...


Simon ... ja, da muss man eben aufpassen, dass man sich nicht permanent ins Knie schießt. Insofern schließe ich mich da von vorneherein ein.


Ohler Du hast ja auch viel nachgedacht, und auch publiziert, über eine besondere Form von Konflikten: Tödliche Konflikte. Würdest du unterstützen, wenn jemand behauptete: Wenn Frauen in zu Konflikt neigenden Situationen Verantwortung tragen, sei es in öffentlichen Ämtern, Politik, oder auch vielleicht in anderen Kontexten, ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein Konflikt sich zu einem tödlichen Konflikt entwickelt, geringer?


Simon Ja, ich glaube, sehr viel geringer. Frauen sind irgendwie kompromissfähiger, vielleicht auch einfach leidensfähiger. Das Problem ist ja bei diesen Kriegen, dass es um dieses Alles-oder-nichts-Muster geht. Ich habe ja dieses Buch, das du zitiert hast, über Krieg geschrieben: Tödliche Konflike. Die Definition heißt: Krieg ist ein Konflikt, wo beide Seiten ihre Existenz riskieren. Und das ist immer irrational. Bestenfalls behält man seine Existenz, und im schlechtesten Fall ist sie weg. Und das sind Alternativen, die Frauen nicht so ohne Weiteres akzeptieren würden. Die sind da viel pragmatischer, während Männer dazu neigen, zu Prinzipienreitern zu werden. Und um eines Prinzips willen ins Grab zu gehen, das ist einfach blöd, schlicht und einfach blöd.