Konflikt

engl. conflict, franz. conflit m; leitet sich vom lat. confligo ab, das transitiv für »ich schlage zusammen«, »vereinige« bzw., vergleichend, »halte zusammen« oder intransitiv für »zusammenstoßen«, »aneinandergeraten«, »kämpfen« steht; bezeichnet wird damit ein Kommunikationsprozess (d. h. sozialer Prozess; Sozialsystem) oder Denk- und Fühlprozess (d. h. psychischer Prozess), bei dem eine Position (z. B. ein Wunsch, eine Handlungsanweisung, -option oder -wirkung, eine Sichtweise, eine Bewertung etc.) verneint wird und diese Negation ihrerseits verneint wird. Auf diese Weise kommt es zur Oszillation zwischen den sich gegenseitig negierenden Seiten der jeweiligen Unterscheidung bzw. – in der Kommunikation – den Protagonisten, die sie vertreten. Psychische (Psyche) Konflikte werden als Ambivalenzen erlebt.


Aus einer systemtheoretischen (System) Perspektive lassen sich Konflikte als charakteristische Prozessmuster beschreiben, deren Wirkung darin besteht, Entscheidungen zu verhindern, zu blockieren oder offenzuhalten. Wie dies zu bewerten ist, hängt von der jeweiligen Beobachtungsperspektive ab (wenn z. B. Handlungen aufgrund der aufgeschobenen Entscheidung »zu spät« oder aufgrund von Konfliktvermeidung »zu früh« vollzogen werden). Wo immer Beobachter mit ihren unterschiedlichen Wirklichkeitskonstruktionen aufeinandertreffen, sind Konflikte unvermeidlich. Sie können sich entsprechend den unterschiedlichen Sinndimensionen der Kommunikation auf drei Ebenen beziehen: Man streitet sich über Sachfragen (Inhaltsebene bzw. Sachdimension), über die Art der Beziehung (Beziehungsebene bzw. Sozialdimension) und über die Frage, wann der Zeitpunkt ist, war oder sein sollte, dass ... (Zeitdimension).


Doch die Unterscheidung der Sinndimensionen reicht nicht aus, um der Vielzahl von Konfliktformen gerecht zu werden, denn es lassen sich unterschiedliche Logiken der Negation beobachten. Jan Elster (1979) bezeichnet sie als »aktive« und »passive Negation« und illustriert ihren Unterschied folgendermaßen:


I. Person A glaubt die Wahrheit des Satzes p [abgekürzt: A glaubt p].


II. Es trifft nicht zu, dass Person A p glaubt [abgekürzt: Nicht (A glaubt p)].


III. A glaubt das Gegenteil von p [abgekürzt: A glaubt nicht-p].


Der Satz II ist die passive Negation von Satz I; der Satz III ist die aktive.


Dieser Unterschied ist vor allem dann wichtig, wenn es ums Entscheiden und Handeln geht, um Aktionen und Operationen, die vollzogen oder unterlassen werden. Nehmen wir ein banales Alltagsbeispiel: Wer allein oder als Mitglied einer Gruppe an eine Weggabelung kommt, an der er die Wahl hat, nach rechts oder nach links zu gehen, hat vier Optionen: Er kann entweder (1) nach rechts gehen oder (2) nach links (wobei rechts die aktive Negation von links wäre und links die aktive Negation von rechts), er kann (3) weder nach links noch nach rechts gehen und einfach stehen bleiben, oder er kann versuchen (4), sowohl nach rechts als auch nach links zu gehen. Er befindet sich also nicht in einem Dilemma, sondern in einem Tetralemma (vgl. Varga von Kibéd u. Sparrer 2000; Simon 2001). Der Unterscheidung zwischen aktiver und passiver Negation entsprechend, kann auch zwischen Konflikten unterschieden werden, bei denen Positionen passiv oder aktiv negiert werden. Auf politischer Ebene entspricht dies z. B. dem Unterschied zwischen passivem und offenem Widerstand gegen ein Regime. Man kann hier auch von verdecktem und offenem Konflikt sprechen oder auch von »schwachem« und »starkem Konflikt«. Beispiele für Sowohl-als-auch-Lösungen (Lösung) von Konflikten finden sich im Erleben starker Ambivalenz, wenn schnell zwischen zwei Seiten eines Konflikts oszilliert wird. Emotional bedeutsame Konflikte – und die sind es, die Beratung erfordern – betreffen in der Regel die Beziehungsebene. Für Sachprobleme gibt es meist sachliche Lösungen, bei Beziehungsfragen geht es hingegen um erfolgte oder drohende Kränkungen, um persönliche Identität, um die Definition der Beziehung als symmetrisch oder asymmetrisch, um die tatsächliche oder fantasierte, materielle oder ideelle Erhaltung der eigenen Existenz. Diese Extremform des starken Konflikts bildet der Krieg, bei dem zwei Parteien versuchen, gegenseitig ihre Existenz zu negieren.


Der Krieg liefert das Musterbeispiel eines Beziehungskonfliktes, bei dem es zu einer »symmetrischen Eskalation« (Watzlawick et al. 1969) kommt. Keine der beteiligten Parteien ist bereit, sich in die untergeordnete Position zu fügen, sodass jedes entsprechende Beziehungsangebot der Gegenseite negiert und mit einem entsprechenden Gegenangebot beantwortet wird (Beispiel: Wettrüsten). Der Versuch, eine asymmetrische (Oben-unten-)Beziehung herzustellen, führt zu einer dynamischen symmetrischen Beziehung, bei der beide Seiten in ihren dem anderen schadenden Aktionen sich gezwungen fühlen, immer stärkere Geschütze aufzufahren, um nicht in die unterlegene Position zu gelangen. Solche kriegerischen Muster können als autopoietische (Autopoiesis) Systeme betrachtet werden, die entweder dazu führen, dass die Existenz einer der beteiligten Parteien beendet wird, oder chronifizieren. Hier kann in der Regel nur das Einschalten eines Dritten zu einer friedvollen Lösung führen.


Ein großer Teil der Paar- und Familientherapie (Therapie) und -beratung besteht in der Bearbeitung interpersoneller Konflikte. Arbeitsgrundlage für den Berater ist dabei ein spezifisches Beziehungsangebot, das entweder als »allparteilich« oder als »neutral« zu bezeichnen ist. Allparteilichkeit hat das Ideal, sich parteilich für jede der im Konflikt liegenden Parteien zu zeigen. Auch wenn dies nicht immer gelingen mag, so dürfte es nützlich sein, wenn Mediatoren sich bei der Bearbeitung eines Konflikts Allparteilichkeit als Ideal setzen. Allerdings ist der Anspruch ziemlich hoch, da es wahrscheinlich nur wenigen Beratern gelingt, zu allen Beteiligten eine gleichermaßen positive und verstehende (Verstehen) Beziehung aufzubauen. Etwas tiefer gehängt ist der Anspruch im Konzept der Neutralität. Demnach reicht es, wenn nach der Sitzung keine der Konfliktparteien den Eindruck hat, der Berater sei parteilich für die Gegenpartei.


In der konkreten Arbeit am Konflikt ist es zentral, die drei Sinndimensionen (Inhalts- oder Sachebene, Beziehungs- oder Sozialdimension, Fragen der Zeit bzw. des Timings) diagnostisch zu unterscheiden und ggf. getrennt zu behandeln. Denn das Risiko, dass die Sachebene zur Verhandlung von Beziehungsfragen verwendet wird, ist groß. Das Konzept der Neutralität hat dabei gegenüber dem der Allparteilichkeit den Vorteil, dass es nicht allein eine Leitlinie für den Umgang des Mediators, Beraters, Therapeuten (etc.) mit den Konfliktparteien liefern kann, sondern auch für die Behandlung von konflikthaften Themen. So ist neben der Parteineutralität auch die Konstruktneutralität nützlich. Denn wenn unterschiedliche Beobachter miteinander in Konflikt geraten, dann nicht allein deshalb, weil sie unterschiedliche Ziele und Interessen verfolgen, sondern auch, weil sie unterschiedliche, manchmal sich gegenseitig ausschließende Wirklichkeitskonstruktionen verwenden. Das bezieht sich auf den Streit darüber, ob etwas tatsächlich so oder anders abgelaufen ist (die Beschreibung vermeintlicher Fakten), die Erklärung (die Konstruktion von Kausalität – und unterschiedliche Erklärungen führen zu unterschiedlichen Handlungskonsequenzen) und die Bewertung (z. B. auf emotionaler Ebene) vergangener und künftiger Ereignisse. Wenn hier vom Berater keine Konstruktneutralität angewandt wird – unabhängig von seinen eigenen Wirklichkeitskonstruktionen –, wird er zwangsläufig als Mitglied einer der Konfliktparteien erlebt werden und seine Arbeitsgrundlage infrage stellen.


Der nächste pragmatisch wichtige Aspekt von Neutralität bezieht sich auf die Frage, ob Veränderung sinnvoll ist oder nicht, ob sie besser jetzt oder später erfolgen soll oder gar nicht usw. (Veränderungsneutralität). Sie ist deswegen notwendig, weil in sozialen Systemen in der Regel immer eine gemischte Gemengelage gegeben ist, bei der die einen für Veränderung kämpfen, während die anderen versuchen, den Status quo aufrechtzuerhalten. Eine gemeinsame Lösungssuche mit allen Beteiligten wird nur dann gelingen, wenn hier dem Berater eine neutrale Position zugebilligt und zugeschrieben wird.


Verwendete Literatur


Elster, Jan (1979): Aktive und passive Negation. In: Paul Watzlawick (Hrsg.) (1981): Die erfundene Wirklichkeit. München (Piper), S. 163–191.


Simon, Fritz B. (2001): Tödliche Konflikte. Zur Selbstorganisation privater und öffentlicher Kriege. Heidelberg (Carl-Auer), 2., erw. u. korr. Aufl. 2004.


Varga von Kibéd, Matthias u. Insa Sparrer (2000): Ganz im Gegenteil. Tetralemmaarbeit und andere Grundformen Systemischer Strukturaufstellungen – für Querdenker und solche, die es werden wollen. Heidelberg (Carl-Auer). 7. Aufl. 2011.


Watzlawick, Paul, Janet H. Beavin u. Don D. Jackson (1967): Menschliche Kommunikation. Bern (Huber).


Weiterführende Literatur


Glasl, Friedrich (2010): Konfliktmanagement. Bern (Haupt), 9., aktual. u. erg. Aufl. 2010.


Simon, Fritz B. (2010): Einführung in die Systemtheorie des Konflikts. Heidelberg (Carl-Auer).