Aufstellungen

engl. constellations, franz. constellation f. Als Aufstellungen bezeichnen wir im Beratungs- und Therapiebereich genutzte szenische Verfahren, in deren Rahmen innere Bilder von Systemen oder Systemteilen externalisiert (Externalisierung) und meist mithilfe (Helfen) von Stellvertretern im Raum aufgestellt und so der Betrachtung sowie Intervention zugänglich gemacht werden. Dadurch entsteht ein simultaner Prozess der Informationsgewinnung und -generierung. Vorläufer der Methode sind vor allem im Psychodrama Jakob L. Morenos (1890–1974), dem familysculpting (Skulptur) David Kantors, Fred und Bunny Duhls und Virginia Satirs (1916–1988) zu finden sowie in der Mehrgenerationenperspektive des Familientherapeuten Ivan Boszormenyi-Nagys. In Deutschland entwickelten Kurt Ludewig und Mitarbeiter nach 1978 das Familienbrett als räumliche Darstellungsmethode für Familienbeziehungen.


Die Aufstellungsarbeit nahm ihren Anfang mit den Familienaufstellungen. Dieses ist der am meisten verbreitete Anwendungsbereich der Systemaufstellungen. Bert Hellinger begann 1980, seine verdichtete Aufstellungsmethode zu entwickeln, die nach 1993 mit der Veröffentlichung des Buches Zweierlei Glück durch Gunthard Weber eine außergewöhnliche Verbreitung fand.


Es folgten in den 90er-Jahren die Systemischen Strukturaufstellungen (Matthias Varga von Kibéd u. Insa Sparrer), die Organisationsaufstellungen (Gunthard Weber u. a.) und später die teaminternen und die Managementaufstellungen (Rosselet u. Senoner 2010). Erwähnenswert sind noch die autopoietischen (Autopoiesis) Aufstellungen (Siegfried Essen), die Drehbuchaufstellungen (Matthias Varga von Kibéd), Supervisions-, politische und juristische Aufstellungen. Aufstellungen werden überwiegend in drei Settings genutzt:


• in der Einzelarbeit mit Figuren oder Bodenankern
• im Gruppensetting mit Repräsentanten und

• innerhalb von Teams oder Managementabteilungen.


Der formale Ablauf ist in den meisten Aufstellungsformaten ähnlich.


Das Eingangsinterview: Im Beisein der anderen Gruppenmitglieder befragt der Aufstellungsleiter (AL) den Klienten (KL) zu seinem Anliegen, holt sich gezielte (Ziel) Informationen über das System, auf das es sich bezieht, und eruiert, woran der KL später feststellen kann, dass sein Ziel erreicht ist. Es folgt die Einigung darauf, welches die relevanten Systemelemente sind, damit das Anliegen möglichst treffend repräsentiert werden kann. Je nach Anliegen können das sein: in der Familienaufstellung das Gegenwarts- bzw. Herkunftssystem oder auch nur Subsysteme wie Vater und Kind; in einer Organisationsaufstellung die an einem Konflikt beteiligten Personen oder die Abteilungen einer Firma (z. B. Vertrieb, Produktion und Entwicklung); in einer Körperaufstellung bestimmte Organe, Körperteile oder Symptome – aber auch innere Anteile, Länder, Werte oder der Tod.


Das Aufstellen: Für die Elemente, auf die sich AL und KL geeinigt haben, wählt der KL aus der Teilnehmergruppe Stellvertreter aus und stellt sie, von der Zeit Abstand nehmend, ganz nach seinem Gefühl und gesammelt und wortlos im Raum zueinander in Beziehung. Es geht nur um den Abstand und Winkel zueinander. Die Repräsentanten werden aufgefordert, vom Eigenen Abstand zu nehmen und aufmerksam auf ihre Körperwahrnehmungen und deren Veränderungen, ihre Gefühle, Eingebungen und auf mögliche Impulse zu achten. Schon das erste Aufstellungsbild gibt oft erstaunlich treffende Hinweise und Informationen bezüglich Struktur, Beziehungsgefüge und Kommunikation im aufgestellten System.


Die »repräsentierende Wahrnehmung«: Ein zentrales Element der Aufstellungsarbeit zumindest im Gruppensetting ist das Phänomen der Stellvertretung. Die eindrucksvollen, häufig auch unerwarteten (Erwartung) und besonders für die KL oft erstaunlich zutreffenden Rückmeldungen der Repräsentanten über das aufgestellte System unterstützen die Annahme, dass die Repräsentanten verlässliche Hinweise auf das aufgestellte Beziehungssystem geben und zudem implizites Wissen darüber zutage fördern. Man kann sich das Verhältnis des aufgestellten Systems zu dem tatsächlichen System wie das Verhältnis einer Landkarte zu einer Landschaft vorstellen. Das Gezeigte bedarf jedoch oft der Interpretation und der Einordnung in einen sinnstiftenden (Sinn) Zusammenhang. Allein aus den Wahrnehmungen der Stellvertreter Aussagen mit Wahrheitsanspruch über das reale System zu konstruieren führt oft in die Irre. Zwei ineinander übergehende Prozessphasen: Den ersten Abschnitt einer Aufstellung kann man als einen hypothesenverdichtenden Prozess (Hypothetisieren) betrachten, durch den bestimmte Zusammenhänge bestätigt werden und neue aufleuchten. Der zweite Teil dient vor allem dem Aufzeigen von Veränderungs- und Lösungsmöglichkeiten hinsichtlich des eingebrachten Anliegens des KL. Auf die Haltung, die Aufgaben und die notwendigen Kompetenzen der AL kann hier nicht näher eingegangen werden.


Die drei meistgewählten Vorgehensweisen in dieser Phase nennen wir Umstellungsarbeit, freie Bewegungen und Beziehungsarbeit. Bei der Umstellungsarbeit verändert der AL die Struktur der Aufstellung, d. h., er sucht in Zusammenarbeit mit den Repräsentanten Plätze, an denen sie sich gut oder besser als vorher fühlen, oder lässt sie selbst solche Plätze suchen. Eventuell überprüft er anschließend, ob das auch von dem KL bestätigt wird, indem er ihn an seinen Platz treten lässt. So entsteht im besten Fall ein neues, funktionaleres Systembild, das, wenn der KL sich wiederholt daran erinnert und es integriert, ein eigenständiges Veränderungspotenzial entwickelt.


Freie Bewegungen wird die Vorgehensweise genannt, bei der die Stellvertreter aufgefordert werden, gleichzeitig oder nacheinander ihren inneren Impulsen zu folgen. Ihre Reaktionen geben Hinweise auf im System implizit vorhandene Tendenzen. Überraschend oft zeigen sich dann systeminhärente Lösungsansätze.


Beziehungsarbeit wird dann genutzt, wenn Systemmitglieder in Konfliktsituationen etwas miteinander zu klären haben könnten, dem Gegenüber etwas mitteilen oder etwas in Ordnung bringen wollen. Dazu werden meist die Stellvertreter von zwei Personen gegenübergestellt, und sie arbeiten dann mit Sätzen, die ihnen zu sagen angeboten werden, oder man fordert sie dazu auf, das, was sie dem anderen (noch) sagen möchten, zu äußern. Dabei kann es z. B. um Danken, Anerkennen, Bitten, um die Anerkennung von Schuld, das Ausdrücken von Ärger oder Abschiednehmen gehen. Eine Aufstellung wird dann beendet, wenn der KL ausdrückt, dass er genügend neue Erkenntnisse bekommen hat, oder sie endet mit einem funktionaleren Raumbild. Die eigentliche Veränderungsarbeit geschieht erst danach.


Den Aufstellungen zugrunde gelegte theoretische Orientierungen: Das bisher Geschilderte ist wie ein äußeres Gerüst. Die theoretischen Grundorientierungen, mit denen Aufstellungen gefüllt und durchgeführt werden, können jedoch sehr unterschiedlich sein, je nach der theoretischen Ausrichtung des AL. Hellinger z. B. sieht menschliche Beziehungen eingebunden in Ordnungen (der Liebe), die nicht nach Gutdünken verändert werden können, und geht davon aus, dass das Gelingen von Beziehungen eng mit der Einsicht in das Wirken und die Berücksichtigung dieser Gesetzmäßigkeiten verknüpft ist. Er entwickelte profunde Einsichten z. B. über elementare, alle Menschen bewegende seelische Vorgänge, über Funktionsweisen des Gewissens, generationsübergreifende Dynamiken (»Verstrickungen«) oder Täter-/Opfer-Dynamiken und viele hocheffiziente Vorgehensweisen (siehe Hellinger 1999 und Schneider 2006 zum »klassischen Familienstellen«). Herbe Kritik erntete er jedoch z. B. für Aspekte seiner Beziehungsgestaltungen mit den Klienten, seine Großveranstaltungen, seine »wissende« Sprache und seine linearen Ursache-Wirkungs-Beschreibungen. In den letzten Jahren setzen sich im Beratungsbereich mehr systemisch-konstruktivistisch orientierte Vorgehensweisen durch. Hier geht es um das Sichtbarwerden sinnstiftender Zusammenhänge und Wechselwirkungen und das Anstoßen und Testen neuer Denk-, Fühl- und Verhaltensmöglichkeiten. Es gibt aber auch einen merklichen Bereich esoterisch ausgerichteter AL. Konsequent systemisch-konstruktivistisch und lösungsorientiert ist der innovative, von Matthias Varga von Kibéd und Insa Sparrer entwickelte Ansatz der Systemischen Strukturaufstellungen.


Verwendete Literatur


Hellinger, Bert (1999): Die Quelle braucht nicht nach dem Weg zu fragen. Ein Nachlesebuch. Heidelberg (Carl-Auer), 5. Aufl. 2007.


Rosselet, Claude u. Georg Senoner (2010): Management Macht Sinn. Organisationsaufstellungen in Managementkontexten. Heidelberg (Carl-Auer).


Schneider, Jakob Robert (2006): Das Familienstellen. Grundlagen und Vorgehensweisen. Heidelberg (Carl-Auer), 2., erw. Aufl. 2009.


Weber, Gunthard (1993): Zweierlei Glück. Das Familienstellen Bert Hellingers. Heidelberg (Carl-Auer), 16. Aufl. 2010.


Weiterführende Literatur


Baecker, Dirk (2007): Therapie für Erwachsene: Zur Dramaturgie der Strukturaufstellung. Verfügbar unter: http://www.wadoku.de/wiki/download/ attachments/2293762/baecker_2007.pdf [27.10.2011].


Sparrer, Insa (2006): Systemische Strukturaufstellungen. Theorie und Praxis. Heidelberg (Carl-Auer), 2., überarb. Aufl. 2009.