Familienbrett

engl. family board, ist ein Verfahren zur Darstellung von Beziehungen zwischen Mitgliedern von Familien und anderen Sozialsystemen (System). Das Verfahren entstand Ende der 1970er-Jahre an der Abteilung für Kinder- und Jugendpsychiatrie des Universitätskrankenhauses Hamburg-Eppendorf. Zusammen mit einer Gruppe von Psychologiestudenten entwickelte und erprobte Kurt Ludewig dieses Verfahren zunächst mit der Absicht, die vielfältigen, gleichzeitig ablaufenden Prozesse im Verlauf einer Familientherapie (Therapie) sinnvoll (Sinn) zu dokumentieren und die Diagnostik bei sozialen Systemen zu erleichtern. Im Zusammenhang mit den ersten Untersuchungen unter Verwendung des Familienbretts musste jedoch festgestellt werden, dass das Verfahren nicht dafür geeignet war, simultane Prozesse zu dokumentieren, und noch viel weniger dafür, systemische Diagnostik zu betreiben (vgl. Ludewig et al. 1983). Es zeigte sich hingegen umso deutlicher, dass das Familienbrett der Kommunikation über Sozialsysteme eine geeignete Sprache zur Verfügung stellt. Insofern war schon nach den ersten Untersuchungen klar, dass es sich beim Familienbrett um ein Kommunikationsmittel handelte und nicht, wie ursprünglich intendiert, um ein diagnostisches Instrument.


In einem neuerlichen Anlauf wurde mittels weiterer Untersuchungen festgestellt, dass das Familienbrett ebenfalls dafür geeignet war, in qualitativen und in begrenztem Umfang in quantitativen Forschungs- arbeiten mit Familien eingesetzt zu werden (vgl. Ludewig et al. 1983). Mittlerweile ist das Verfahren auch im Umgang mit anderen sozialen Systemen wie Therapie, Beratung, Supervision und Coaching verwendet worden (vgl. Ludewig u. Wilken 2000; Polt u. Rimser 2006). Anders als in der traditionellen Testpsychologie, die bei der Beurteilung der Güte eines Verfahrens die Kriterien der Objektivität, Zuverlässigkeit und Validität zugrunde legt, galt es beim Familienbrett, Kriterien zu be- stimmen, die dem Instrument als Kommunikationsmittel angemessen sind. Bei den ersten Untersuchungen konnte hierzu festgestellt werden, dass das Verfahren:


1. dafür geeignet ist, zwischenmenschliche Beziehungen in familiären und anderen Verbänden darzustellen und dies für den Beobachter »lesbar« zu gestalten (Brauchbarkeit)
2. es Aufstellenden und Beobachtern ermöglicht, nach entsprechender Befragung eine übereinstimmende Interpretation der Aufstellungen zu erreichen (Nützlichkeit)
3. einen Gewinn gegenüber anderen Kommunikationsmitteln und Darstellungsformen erbringt (Zugewinn).


Das Familienbrett ist ein 50 x 50 cm großer Kasten mit 20 Holzfiguren in zwei Größen und zwei Formen. Außerdem stehen drei farbige sechs- eckige, große Figuren für besondere Zwecke zur Verfügung. Die Figuren sind geringfügig strukturiert und haben ein nur angedeutetes Gesicht mit zwei runden Augen und einer dreieckigen Nase-Mund-Partie. Die Anordnungen auf dem Familienbrett können nach einer Reihe variabler Merkmale betrachtet werden, zum Beispiel nach der Entfernung zwischen den Figuren und ihrer Blickrichtung, nach der Platzierung auf dem Brett, nach der Reihenfolge der Aufstellung und nach der resultierenden Gestalt der Anordnung. Die aufstellenden Individuen (Individuum) oder die Mitglieder eines sozialen Systems werden je nach Zielsetzung gebeten, mithilfe der Figuren die einzelnen Mitglieder eines bestimmten sozialen Systems symbolisch zu repräsentieren und auf der Fläche aufzustellen.


Das Familienbrett kann wie ein Brettspiel gehandhabt werden; es stellt gewissermaßen eine Miniaturversion einer Familienskulptur/ Familienkonstellation dar. Es unterscheidet sich aber von »realen« Familienskulpturen dadurch, dass die Aufstellung auf dem Brett eine symbolisierte, gewissermaßen virtuelle Kommunikationsebene – und so einen Unterschied zu jener der »realen« Personen – erzeugt. Damit bietet es eine neue Möglichkeit zur (Meta-)Kommunikation über das aufgestellte soziale System. Aufgrund der geringen Vorstrukturiertheit des Materials eignet sich das Familienbrett für eine große Vielfalt von Fragestellungen. Die Figurenaufstellungen lassen sich je nach Ziel der Anwendung variieren, ohne dass die beteiligten Personen dabei physisch und psychisch überstrapaziert würden. Im therapeutischen Prozess eignet es sich ganz besonders für das Ausprobieren von bisher nicht erkannten Alternativen zu aktuellen Problemen, aber auch für die Rekonstruktion vergangener Ereignisse und für ein konkretisierendes Ausmalen von Zukunftsfantasien. Diese Aspekte sind übliche Mittel der Interventionen bei systemischen Therapieansätzen. Bei psychotherapeutisch oder beraterisch intendierten Aufstellungen kann der Versuchsleiter intervenieren, indem er die Figuren einzeln oder gruppenweise auf dem Familienbrett umsetzt und beobachtet, wie die Beteiligten darauf reagieren. Dieser Prozess, in dem die Grenzen und die Veränderbarkeit des Systems getestet, aber auch Vergangenheitsbilder betrachtet und Zukunftsvisionen vorweggenommen werden können, entspricht durchaus einem »Dialog ohne Worte«. Im Rahmen von Supervisionen können ganze Teams aufgestellt werden, wobei der Supervisor einzelne Figuren herausnehmen, andere umgruppieren oder isolieren usw. kann. Bei allen diesen Interventionen ist jedoch darauf zu achten, dass das Maß an emotionaler Belastung, das den Beteiligten zugemutet wird, angemessen dosiert bleibt. In der Regel hat es sich als günstig erwiesen, die Aufstellungssequenz gegen Ende zu entspannen, indem die Probanden gebeten werden, entweder noch einmal das Ausgangsbild oder eine Wunschvorstellung darzustellen. Bei Paaren oder anderen Mehrpersonensystemen kann es von Vorteil sein, dass die Beteiligten ihre Aufstellungen einzeln gestalten, um sie dann miteinander vergleichen zu können. Es kann auch sinnvoll sein, die Standardvorgabe durch Zusatzsymbole, zum Beispiel einer Miniflasche bei Alkoholikern, zu ergänzen. Sie können entweder vom Beobachter oder von den Probanden mit speziellen Bedeutungen versehen und zum Beispiel in der Interventionsphase eingeführt werden mit dem Ziel, die Probanden zu situationsspezifischen Reaktionen aufzufordern.


Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass das Familienbrett breite Akzeptanz unter Praktikern gefunden hat. Das bestätigte größtenteils eine erste postalische Befragung von 180 der ersten Erwerber (vgl. Wilken 2000). Mittlerweile liegt neben dem Original, offiziell vertrieben durch den Verlag Hogrefe, eine Vielzahl an Angeboten von Nachbildungen im Internet vor.


Verwendete Literatur


Berg, Harald van den, Martin Bökmann, Raili Ludewig u. Kurt Ludewig (1989): (Re-)Konstruktion familiärer Geschichte unter Verwendung des »Familienbretts«. Methodische Zugänge. Familiendynamik 14: 127–146.


Ludewig, Kurt u. Ulrich Wilken (Hrsg.) (2000): Das Familienbrett. Ein Verfahren für die Forschung und Praxis mit Familien und anderen sozialen Systemen. Göttingen (Hogrefe).


Ludewig, Kurt, Karin Pflieger, Ulrich Wilken u. Gisela Jacobskötter (1983): Entwicklung eines Verfahrens zur Darstellung von Familienbeziehungen: Das Familienbrett. Familiendynamik 8: 235–251.


Polt, Wolfgang u. Markus Rimser (2006): Aufstellungen mit dem Systembrett. Interventionen für Coaching, Beratung und Therapie. Münster (Ökotopia).


Wilken, Ulrich (2000): Erhebung über die Anwendung des Familienbretts. In: Kurt Ludewig u. Ulrich Wilken (Hrsg.) Das Familienbrett. Ein Verfahren für die Forschung und Praxis mit Familien und anderen sozialen Systemen. Göttingen (Hogrefe), S. 149–155.