Externalisierung

engl. externalization, von lat. externus = »außen, außen befindlich, außerhalb«; bedeutet Nach-außen-Verlagerung, Motive und/oder Zuschreibungen werden nach außen verlagert.


Externalisierung als Technik einer systemischen (System) Arbeitsweise wurde von dem australischen Sozialarbeiter (Helfen) und Familientherapeuten (Therapie) Michael White und seinem neuseeländischen Kollegen David Epston entwickelt und »Externalisierung von Problemen« genannt. Dabei wird dem Klienten/Kunden in der Konversation mit einem Systemiker ein sprachlich (Sprache) sorgfältiges, differenzierendes und sorgsames Reflexionsangebot gemacht, wobei der Fokus auf der Unterscheidung zwischen dem erzählten Problem und dem Erzähler, seiner Person und Identität liegt. Ein Möglichkeitsraum kann konstruiert werden, in dem die Wahrscheinlichkeit gegeben ist, die Beschreibungsmuster und Erzählstrukturen, die als Aspekte der Stabilisierung des Problems beobachtet werden, zu irritieren (Irritation). Eine Trennung zwischen der persönlichen Identität und dem sie belastenden Problem kann bewirkt, Ressourcen können bewusst und Handlungsmöglichkeiten für die Person zugänglich werden.


Im Kontext systemisch-konstruktivistischer Theorien wird davon ausgegangen, dass die Wahrnehmung der »Wirklichkeit« im Prozess des subjektiven Bewusstseins der Person (Psyche) konstruiert wird. Wahrnehmung wird als subjektive Wahrnehmung der Person, des Menschen nachvollzogen. Demnach existiert keine richtige/falsche Wahrnehmung. Menschen verfügen über ihre Fähigkeit der Wahrnehmung. Als bedeutsam für die »Wirklichkeit« eines Menschen wird seine Konstruktion, seine innere Abbildung von der Welt, in seinem sozialen Raum angenommen. Dabei sind seine Bedeutungsgebungen relevant: Welche Bedeutungen gibt ein Mensch dem, was er in der »Wirklichkeit« erlebt? Diese Zuschreibungen korrespondieren mit seiner Biografie, seinen lebensgeschichtlichen Erfahrungen und Interpretationen, den subjektiven inneren Bildern seines Selbst; zudem mit den Mitteilungen über sich, die er von anderen gehört, wahrgenommen hat; seinen Werten, Erwartungen, Erwartungserwartungen; den Wirkungen von außen auf ihn und den Effekten, die in ihm wirken. Nach Humberto Maturana (Tomm 1994) wird der Geist mittels Sprache von Menschen in ihren sozialen Interaktionen geschaffen, existiert nicht im Gehirn und wird stattdessen seinem Wesen nach als grundlegend sozial konstruiert betrachtet. Zudem ist in diesem Kontext bedeutsam, dass das Gehirn zwischen Erlebtem und Imaginationen keine Unterscheidungen vornimmt. Somit ist die Wahrscheinlichkeit gegeben, dass Systemiker mit ihren professionellen Angeboten als soziale Akteure auf die Interpretation der Wirklichkeit eines Menschen Effekte bewirken können. Imaginiertes kann dazu beitragen, dass ein Mensch einen Lösungsraum konstruiert, in dem er andere als problemerhaltende Perspektiven entwickelt und alternative Handlungsoptionen für sich schafft.


Zur Eröffnung einer externalisierenden Konversation erfährt das Problem eine maximale Aufmerksamkeit. Dem Klienten/Kunden wird mit offenen Fragen ein Raum für die Beschreibungen der kontextuellen Bedingungen des Problems angeboten. Ebenso wird ihm ein Bezug auf die Wirkungen, die das Problem auf sein Selbst hat, dargeboten: auf den Raum der Beziehungen zwischen dem Selbst und anderen, die als an dem Problem wechselseitig beteiligt betrachtet werden. Daran anschließend wird die Problemkonstruktion (»die Schwierigkeit«, »die Belastung«, »die Inkompetenz«, »die Angst«) von den Identitäten aller Beteiligten abgelöst und für das weitere Wirken und für das Leben des Problems verantwortlich gemacht. Eigenschaften werden als Eigenleben konstruiert und werden zu Handelnden. Die Absicht des Systemikers ist es, hiermit beim Klienten/Kunden einen anderen, erweiterten und weiteren Blick auf seine Möglichkeiten zu bewirken. Diese Form der Distanzierung vom Selbst und von einengenden Perspektiven kann ein passenderes Denken und Wissen über die eigenen Kompetenzen zum Effekt haben und eine andere Art des Erzählens über sich selbst ermöglichen.


Eine Arbeitsvariante: Nur mal angenommen, Sie würden Ihrem »Problem einen Namen geben: Wie heißt das Problem? Seit wann spielt (...) eine Rolle in Ihrem Leben? Wo und wem gegenüber zeigt sich (...)? Wie würden Ihr Partner, Ihre beste Freundin, Ihr Chef, Ihre Konkurrentinnen (...) bezeichnen? Wie hat (... [die Angst, der Vorwurf, der Schuldgedanke, die Trauer ...]) dazu beigetragen, dass (...) dann das macht, was (...) macht? Wie sehr bestimmen Entwertungen, Unterstellungen, Respektlosigkeit vor den Personen die Konversationen im Team und erhalten (...) aufrecht? Wie genau beeinflusst (...) Ihr Leben? Früher und heute? Zu wie viel Prozent beeinflusst (...) Ihre privaten und beruflichen Beziehungen? Wie manipuliert (...) Ihre Karrierewünsche? Wie wirkt (...) auf das Bild, das Sie von sich selbst haben? Welche Wirkung haben Sie auf (...)? Was, schätzen Sie, denken Ihre wichtigsten Bezugspersonen darüber? Mal angenommen, Sie würden den Einfluss von (...) auf Ihr Leben selbst bestimmen: Was wäre dann wie, wo, mit wem, wie oft, wie lange anders? Wann hatten Sie (...) zuletzt ›im Griff‹? Wie genau haben Sie das gemacht? Was haben Sie dabei über sich gedacht? Was wäre, wenn Sie das häufiger täten? Welchen Einfluss hätte das? Wenn (...) für etwas gut wäre, wie könnten Sie (...) wertschätzen und (...) einen angemessenen Raum in Ihrem Leben geben?«


Verwendete Literatur


Mücke, Klaus (1998): Systemische Beratung und Psychotherapie – Ein pragmatischer Ansatz. Berlin (Ökosysteme).


Simon, Fritz B., Ulrich Clement u. Helm Stierlin (1999): Die Sprache der Familientherapie. Ein Vokabular. Stuttgart (Klett-Cotta).


Schlippe, Arist von u. Jochen Schweitzer (1996): Lehrbuch der systemischen Therapie und Beratung. Göttingen/Zürich (Vandenhoeck & Ruprecht).


Schweitzer, Jochen u. Arist von Schlippe (2007): Lehrbuch der systemischen Therapie und Beratung II: Das störungsspezifische Wissen. Göttingen (Vandenhoeck & Ruprecht), 2. Aufl.


Tomm, Karl (1994): Die Fragen des Beobachters. Schritte zu einer Kybernetik zweiter Ordnung in der systemischen Therapie. Heidelberg (Carl-Auer), 5. Aufl. 2009.


White, Michael u. David Epston (2006): Die Zähmung der Monster. Der narrative Ansatz in der Familientherapie. Heidelberg (Carl-Auer), 6. Aufl. 2010.


Weiterführende Literatur


Schimpf, Monika, Bettina Börsch, Hansjörg Stahl u. Peter Ebel (2002): Systemische Gruppentherapie. In: Haja Molter u. Jürgen Hargens (Hrsg.): Ich – du – wir – und wer noch dazugehört. Systemisches Arbeiten mit und in Gruppen. Dortmund (Modernes Lernen), S. 87–116.