Auftrag

engl. assignment, franz. commande f, ist eigentlich ein kaufmännischer Begriff, der das Ergebnis der Verhandlung zwischen Käufer und Verkäufer bezeichnet und als Grundlage für die Formulierung eines Vertrags gilt. Im Kontext systemischer (System) Praxis und auf der Basis kommunikationstheoretischer (Kommunikation) Überlegungen bezeichnet der Auftrag für eine Hilfsmaßnahme das Thema, um das die im Verlauf dieser Maßnahme zu führenden Kommunikationen kreisen werden. Als das Thema eines Prozesses erlaubt der Auftrag zu erkennen, welche der geführten Kommunikationen tatsächlich diesem Prozess zugeschrieben werden können und welche nicht (vgl. Luhmann 1984). Eine professionelle Hilfestellung (Helfen) als Maßnahme gesellschaftlicher (Gesellschaft) Ordnung stellt einen Prozess dar, der prinzipiell zielgerichteter (Ziel) Natur ist und sein muss. Er intendiert, ein bestimmtes, im Voraus vereinbartes Ziel zu erreichen. Deshalb enthält die Formulierung eines Auftrags eben die Beschreibung dieses Ziels bzw. die Umschreibung eines angestrebten Zustands, von dessen Erreichen Erleichterung, Befriedigung bzw. Linderung erwartet (Erwartung) wird. Dennoch erscheint im Hinblick auf die Praxis die Bezeichnung »Auftrag« passender als jene eines »Ziels«. Vor dem Hintergrund systemischen Denkens, welches gradlinige, im Voraus bestimmbare Handlungszusammenhänge, zumal in kommunikativen Abläufen, als wenig wahrscheinlich betrachtet, legte die Bezeichnung »Ziel« eher die Annahme einer quasitopologischen Größe nahe, die, einmal festgelegt, fortan unverändert bleibt und der man sich durch geschickte Maßnahmen annähern kann. Der »Auftrag« hingegen, als Thema eines kommunikativen Geschehens verstanden, beinhaltet grundsätzlich keine unverrückbare Größe, sondern vielmehr eine Sinngebung, die im Verlauf des Prozesses variieren kann.


Neben der eher formalen Bestimmung des variablen Themas einer Hilfsmaßnahme hat das Konzept Auftrag darüber hinaus eine für die Praxis anleitende Funktion. Der Auftrag bestimmt nämlich den Bereich, in dem der Helfer ermächtigt ist, sich in das Leben seiner Klienten/Kunden einzumischen. Diese überaus wichtige Funktion resultiert daraus, dass der Auftrag als Ergebnis der Vereinbarung der Anliegen von Hilfesuchenden und Helfern eine ausdrückliche Erlaubnis zur Interaktion beinhaltet. Zur Formulierung eines regelrechten Auftrags gehört nämlich das ausdrückliche oder implizite Einverständnis beider involvierten Parteien, bestimmte Handlungen durchzuführen und zu akzeptieren. In diesem Sinne schränkt der so vereinbarte Auftrag den Bereich dessen ein, was in einer Hilfemaßnahme angesprochen und thematisiert werden darf bzw. als Ziel für die einzusetzenden Interventionen gelten kann. Dagegen ist all das, was die Grenzen dieses Bereiches überschreitet, als eine Handlung des Helfers im eigenen »Auftrag« einzuordnen, die er allein verantwortet.


In der helfenden (Helfen) Praxis (Beratung, Therapie usw.) trifft man nicht selten auf Formulierungen, die leicht irreführend sind. Man spricht davon, »einen Auftrag zu haben« oder »einen Auftrag zu bekommen« bzw. »zu vergeben«. Solche Formulierungen gehen auf eine vorsystemische Tradition zurück, die unter Verwendung einer linealen Denkstruktur Kommunikation nach der Metapher der »Übertragung« von als allzu dinghaft verstandenen Informationen auffasste. In systemisch korrekter Diktion sollte man lieber von »Auftrag vereinbaren« oder »Auftrag aushandeln« reden bzw. vom aktuellen Ergebnis einer kommunikativen Vereinbarung bezüglich der jeweiligen Anliegen der beteiligten Parteien.


Gerade vor diesem Hintergrund erweist es sich als hilfreich, Anliegen und Auftrag deutlich voneinander zu unterscheiden (vgl. Ludewig 1992, 2005). Während das Anliegen der Hilfesuchenden keiner Einschränkung unterliegt – man kann sich als Klient was auch immer wünschen –, liegt es am Helfer, unter Bedacht auf seine professionellen Aufgaben und Möglichkeiten den Klienten zu helfen, Anliegen zu formulieren, die im Rahmen einer Hilfemaßnahme handhabbar und realisierbar sind. Der hier gemeinte Prozess der Vereinbarung der Anliegen von Helfer und Hilfesuchendem sollte am ehesten als »Auftragserarbeitung« bezeichnet werden. Die sonst häufig verwendete Bezeichnung »Auftragsklärung« legt es hingegen nahe anzunehmen, dass der Auftrag bereits vor der Vereinbarung vorgelegen habe und nur geklärt werden müsse. Hierzu passte eher der Begriff »Anliegenklärung«. Erst eine sorgfältige Erarbeitung des Auftrags erlaubt es zu entscheiden, welche Art der Hilfestellung im betreffenden Fall angemessen ist, ob es sich eher um Anleitung, Beratung, Begleitung oder Therapie handeln soll (Ludewig 2002). Eine Verwechslung dieser jeweils unterscheidbaren Maßnahmen dürfte manchen Abbruch und andere unliebsamen Entwicklungen verantworten bzw. Anlass zu einer Supervision der Helfer geben.


Bereits früh in der Entwicklung der systemischen Therapie wurde der sogenannte Widerstand für tot erklärt. Sein Totengräber, Steve de Shazer (1984), hatte nämlich erkannt, dass therapeutischer Widerstand vermeidbar ist, wenn der Therapeut seine Fähigkeiten darauf einstellt, eine Haltung der Kooperation mit seinen Klienten herzustellen und davon auszugehen, dass die Klienten durchaus gewillt sind, am Überwinden ihrer Probleme zu arbeiten – sofern man sie nicht daran hindert. Gerade diese Forderung wird im Konzept des Auftrags erfüllt, zumal er die kooperativ herbeigeführte Vereinbarung über die gemeinsame Arbeit von Klienten und Helfern beinhaltet. Vor diesem Hintergrund könnte es auch Sinn haben, der von Steve de Shazer (1988) eingeführten Unterscheidung von »Besuchern«, »Klagenden« und »Klienten/Kunden« zu folgen – allerdings mit der gebotenen Zurückhaltung bezüglich des diskussionswürdigen Beiklangs dieser Bezeichnungen. »Besucher« wären also jene Menschen, die einen Helfer zwar aufsuchen, aber kein formulierbares Anliegen vorbringen, mitunter weil sie »Geschickte« sind, die nicht aus eigener Motivation gekommen sind, oder weil sie zum Schweigen verurteilte Opfer von Gewalt und Misshandlung sind. Nach der Überprüfung, ob doch noch ein verstecktes Anliegen vorliegt, ginge es hier bei der Anliegenklärung darum anzuerkennen, dass sie vom Helfer nichts wünschen und sich dementsprechend verhalten. Bei den »Klagenden« würde es zunächst darum gehen, ihre Klagen anzuhören, was durchaus schon eine Hilfestellung sein kann. Ob sie im Nachhinein zu Kunden werden, bleibt vorerst offen. Erst bei den eigentlichen »Klienten/Kunden« wird man seine professionellen Fähigkeiten darauf einstellen, die Art der notwendigen Hilfestellung zu klären und daraufhin einen passenden Auftrag zu vereinbaren.


Verwendete Literatur


de Shazer, Steve (1984): The Death of Resistance. Family Process 23: 11–21. de Shazer, Steve (1988): Clues. Investigating solutions in brief therapy. New York/ London (Norton). [dt. (1989): Der Dreh. Überraschende Wendungen und Lösungen in der Kurzzeittherapie. Heidelberg (Carl-Auer), 11. Aufl. 2010.]


Ludewig, Kurt (1992): Systemische Therapie. Grundlagen klinischer Theorie und Praxis. Stuttgart (Klett-Cotta).


Ludewig, Kurt (2002): Leitmotive systemischer Therapie. Stuttgart (Klett-Cotta).


Ludewig, Kurt (2005): Einführung in die theoretischen Grundlagen der systemischen Therapie. Heidelberg (Carl-Auer), 2., aktual. Aufl. 2009.


Luhmann, Niklas (1984): Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie. Frankfurt a. M. (Suhrkamp).