Reflektierendes Team

engl. reflecting team; bezeichnet eine bestimmte Vorgehensweise der systemischen (System) Therapie, bei der ein Team ein Beratungsgespräch verfolgt und eigene Reflexionen strukturiert in das Gespräch einbringt. Als Konzept wurde es zu Beginn der 1980er-Jahre von dem norwegischen Psychiater Tom Andersen (1936–2007) entwickelt. Das Verfahren hat viele Variationen durchlaufen, der Begriff »reflektierende Positionen« (reflecting positions) verdeutlicht, dass es nicht um ein spezifisches Setting geht, sondern um die Erzeugung eines Rahmens, der Selbstbeobachtung ermöglicht.Dies kann auf vielfältige Weise geschehen.


Ein wesentlicher Aspekt systemischer Beratung liegt darin, Menschen zu unterstützen, sich selbst dabei zu beobachten, wie sie kommunizieren, und dafür sensibel zu werden, wie sie sich und anderen ihre Geschichten erzählen. Es geht darum, einen Rahmen für Selbstreferenz bereitzustellen, im Sinne des Bonmots des Philosophen Alain: »Sich beobachten heißt sich verändern.« Auf möglichst ungewohnte, wenn auch durchaus systematische Weise wird nach Formen gesucht, wie diese »Beobachtung zweiter Ordnung« (Luhmann 1998, S. 34) hilfreich nutzbar gemacht werden kann.


Ein Vorgehen, das dies methodisch geradezu bilderbuchartig repräsentiert, ist das reflektierende Team. Es geht davon aus, dass Veränderung optimal da entsteht, wo es »einen Freiraum für den Gedankenaustausch zwischen zwei oder mehreren Menschen gibt und wo die individuelle Integrität beider oder aller gesichert ist« (Andersen 1990, S. 45; Individuum). Es geht darum, in »hilfreiche Konversationen« einzuladen und einen Kontext von Kooperation zu eröffnen, ein Feld, in dem alle Beteiligten ihre Perspektiven, Anregungen und Lösungsideen zusammentragen. Auf der Basis der prinzipiellen Gleichberechtigung aller wird versucht, Komplexität anzubieten, aus der sich ein »rat-suchendes System« (Familie, Paar, Team, Einzelperson) seiner Bedürfnislage gemäß bedient. Verstehen hat in diesem Sinne nicht das Ziel, herauszufinden, wie die Dinge »wirklich« sind, sondern ist eher ein aktives Spiel mit Bedeutungen. Auf der Basis eines offenen, kooperativen Klimas werden die Klienten angeregt, sich selbst anders zu beobachten als gewohnt. Ein bewusst assoziativ gehaltener Modus des Denkens soll das Herstellen neuer Beziehungen zwischen Dingen und Ereignissen erleichtern.


So konstelliert sich ein Kontext, innerhalb dessen veränderungsrelevante Impulse leichter aufgenommen werden als in der therapeutischen bzw. auch der Alltagskommunikation (Kommunikation). Wenn man an einer geöffneten Tür vorbeigeht und den eigenen Namen hört, ist es ein Unterschied, ob man »lauscht« oder sich direkt ansprechen lässt. Das reflektierende Team bietet ein Setting des »Belauschens«, in dem gewohnte Filter ausgeschaltet sind, die im Allgemeinen die Kommuni- kation qualifizieren (stimmt/stimmt nicht; ehrlich/nicht ehrlich usw.). Für das reflektierende Team stehen keine solchen Schemata zur Verfügung, den »belauschten« Aussagen wird eine höhere Glaubwürdigkeit zugeschrieben.


Die Form des reflektierenden Teams ist leicht erklärt, jedoch durchaus nicht schlicht in der Umsetzung: Ein Gespräch zwischen einem Berater und einem ratsuchenden System (Ebene 1) wird von einem Team aus zwei bis drei Beobachtern verfolgt (Ebene 2), die meist mit im Raum sitzen. Der Berater stellt die Methode vor und holt die Einwilligung aller Beteiligten ein – Transparenz und Freiwilligkeit sind hier essenziell. Nach einer Weile (ca. 30–45 Minuten) wird das Gespräch auf Ebene 1 unterbrochen, und auf Ebene 2 kommt es zu einem »Metalog« (Metakommunikation) (nicht länger als 10 Minuten). Die Beobachter stellen eine Fülle von semantischen Angeboten in den Raum, die Klienten sind eingeladen, das aufzunehmen, was für sie von Interesse ist. Anschließend wird das Gespräch auf Ebene 1 wiederaufgenommen. Jeder sagt etwas über die Reflexion, der Fokus sollte dabei nicht auf der Korrektur von Aussagen des reflektierenden Teams, sondern mehr auf dem Neuen liegen. Der Zyklus wird meist ein weiteres Mal (selten zweimal) wiederholt (dann kürzer), die Ratsuchenden haben auf jeden Fall das letzte Wort.


Für das Team gelten nur wenige Regeln, zentral ist dabei, dass die Reflexion mit systemisch-konstruktivistischem Denken kompatibel ist. So spricht man wertschätzend (was Konfrontation nicht ausschließt) und zugleich fragend, suchend »konjunktivisch«, nicht aber feststellend/diagnostizierend (Diagnose/Diagnostik). Gerade die aktiv aufrechterhaltene Vielfalt der Beschreibungen, die nebeneinander als gültig stehen bleiben, hilft, dass innere und äußere Dialoge sich (wieder) öffnen – ein Modell für den Weg von einer Entweder-oder- zu einer Sowohl-als-auch-Logik. Differenzen werden als Anregung begrüßt, ein gut eingespieltes Team wird sogar aktiv darauf achten, dass kein Konsens entsteht, sondern differente Beschreibungen wertschätzend nebeneinanderstehen.


Es gibt viele Variationen, so kann das reflektierende Team in Absprache mit der Familie stärker fokussieren (Reiter 1991). Bei reflecting solutions wird der Reflexionsprozess explizit lösungsorientiert gestaltet. In stationären Einrichtungen können Stationsmitarbeiter oder auch andere Klientenfamilien sich beteiligen (hier ist der Übergang zur Multifamilientherapie fließend – vgl. z. B. Asen 2009). Schließlich sind die unterschiedlichsten supervisorischen Settings (Supervision) denkbar, in denen kollegiale reflektierende Teams eingesetzt werden (etwa in Schule, Erziehungsberatung, Gruppen oder freier Praxis, s. Hargens u. von Schlippe 1998).


Die Idee der »reflektierenden Positionen« geht davon aus, dass das reflektierende Team nicht eine eigene Methode ist, sondern eine mögliche Umsetzung von Selbstbeobachtung neben anderen. Es ist daher gut möglich, Betroffene selbst einzuladen, Beobachter der eigenen Beobachtungen zu werden. Hierzu braucht es zunächst nichts als die Einnahme eines Platzes, der als der Beobachtungsplatz (»Adlerhorst«) definiert ist und von dem aus man auf sich selbst zurückblickt. Indem man über sich selbst – durch entsprechende Fragen des Beraters unterstützt – in der dritten Person spricht, kann man auf verblüffend leichte Art Beobachtungen und Hypothesen (Hypothetisieren) über sich selbst anstellen, zu denen man vorher keinen Zugang hatte (z. B. von Schlippe 2009). Die Intention ist dabei, die Ratsuchenden an bestimmten kritischen Punkten in eine Position der Selbstbeobachtung zu bringen und so den Blick für mögliche neue Optionen zu eröffnen, die sich aus dem Wechsel der Perspektive ergeben. Eine Einladung geht dabei vom Therapeuten aus, der die Form auf eine Weise vorstellt, dass sie neugierig macht. Nach einem Wechsel der Stühle reflektieren Therapeut und Klienten gemeinsam über den bisherigen Gesprächsverlauf. Der Prozess braucht stärkere Steuerung, als es im reflektierenden Team erforderlich ist, da man es mit Betroffenen zu tun hat, die oft affektiv stark involviert sind und daher nicht so leicht in einer Beobachtungsposition zu halten sind.


Verwendete Literatur


Andersen, Tom (Hrsg.) (1990): Das reflektierende Team. Dortmund (Modernes Lernen).


Asen, Eia (2009): Multifamilientherapie. Familiendynamik 34 (3): 228–235.


Hargens, Jürgen u. Arist von Schlippe (Hrsg.) (1998): Das Spiel der Ideen. Reflektierendes Team und systemische Praxis. Dortmund (Borgmann).


Luhmann, Niklas (1998): Die Gesellschaft der Gesellschaft. 2. Bde. Frankfurt a. M. (Suhrkamp).


Reiter, Ludwig (1991). Vom reflektierenden Team zum fokussierenden Team. System Familie 4: 119–120.


Schlippe, Arist von (2009): Der Blick aus dem Adlerhorst. Reflektierende Positionen in der Teamentwicklung. In: Heidi Neumann-Wirsig (Hrsg.): Supervisions-Tools. Die Methodenvielfalt der Supervision. Bonn (Manager- Seminare), S. 181–187.


Weiterführende Literatur


Ghaye, Tony (2005): Developing the reflective healthcare team. Chichester (Blackwell).


Neumann-Wirsig, Heidi (Hrsg.) (2009): Supervisions-Tools: Die Methodenvielfalt der Supervision. Bonn (ManagerSeminare).


Stehli, Martin (2008): Das Reflektierende Team und seine Wirkfaktoren: Theorie und Praxis eines systemisch-lösungsorientierten Instrumentariums. Bern (Soziothek).


White, Michael (2000): Reflecting-team work as definitional ceremony revisited. In: Michael White: Reflections on narrative practice. Adelaide, Austr. (Dulwich Centre Publications), S. 59–85.